Christine Lambrecht

Der Knallbonbon aus dem Bendlerblock

In Kriegszeiten wünscht man sich Führungskräfte, die in jeder Hinsicht fest sind wie ein Leopard-Panzerrohr: Klare Stimme, sicherer Blick, vertrauenswürdige Entscheidungen. Wir dagegen haben Christine Lambrecht.

Zum Jahreswechsel kam die Verteidigungsministerin auf die fatale Idee, ein Internetvideo zu drehen. Das Ergebnis ist derart unprofessionell, dass sogar der Gottvater grotesker Politkommunikation, Armin Laschet, wieder spotten kann: „Ist dem Bundeskanzler eigentlich die Wirkung Deutschlands in Europa und der Welt völlig egal?“, fragt er.

Zunächst die Technik: Lambrecht steht in Berlin am Frankfurter Tor, das Bild gelb wie oxidierter Eidotter, die Politikerin ist kaum zu verstehen, ein Mikrofon ist denn auch nicht zu erkennen. „Mitten in Europa tobt ein Krieg“, sagt Lambrecht zwischen Puff, Bumm und viel Fiepen. Dabei fliegen ihr lustig die Leuchtkugeln aus den zerzausten Haaren, als hätte es da oben grad wirklich den einen oder anderen Kurzschluss gegeben.

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von Christine Lambrecht (@christine.lambrecht)

Der Inhalt: Es sieht ein wenig nach Kriegsparty aus und wirklich, für die Sozialdemokratin ist der russische Überfall eine Art Kontaktmesse. Es tobt halt Krieg, aber:

„Damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte, viele Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen, dafür sage ich ein herzliches Dankeschön.“

Was sagt man da – „gern geschehen“? Das Video ist also wirklich Mist von Wand zu Wand und, ehrlich, wenn Vladimir Putin jetzt spontan seine Panzer nach Berlin schickte, kann man es fast ein bisschen verstehen.

Lambrecht zeigt in diesem Auftritt die urdeutsche Antwort auf Wolodymyr Selenskyj, sowohl was Tonalität, Inszenierung und Inhalt angeht. Während der ukrainische Präsident sich in seiner Neujahrsansprache und auch im US-Kongress feierlich präsentierte, setzte Lambrecht auf schrottige Beiläufigkeit. Ihre Empathielosigkeit ist bemerkenswert. Während Selenskyj im Kongress etwa 46 Mal „you“ sagte und die Rolle seiner Helfer und Zuhörerschaft betonte, spricht Lambrecht über ihr 2022, als schickte sie eine Neujahrs-Whatsapp an ihren Friseur: „mir geht’s auch prima, danke“.

„Privat hier“

So drängt sich die alte Frage auf: Wer hat sich diese Katastrophe angesehen und dann achselzuckend auf „Senden“ gedrückt? Was ist da passiert? Eines steht fest: Wer auch immer Lambrecht damit durchkommen ließ, hat sich um 20 Jahre Kommunikationsgeschichte vertan.

Die Ministerin besteht darauf, dass sie „privat hier“ sei. Das ist immer Unsinn, bei einer Ansprache auch (immerhin) an die Soldatinnen und Soldaten zudem eine Frechheit. Es ist allerdings nicht schwer herauszufinden, woher diese Privatheitsidee stammen könnte – und dann kommt man auch dem Rest der Katastrophenursache etwas näher: Christian Thiels ist nämlich auch ein Privathier auf Twitter, nein, Moment, er ist nach Angaben seines Accounts sogar „PURELY private“. GROßGESCHRIEBEN! Christian Thiels ist allerdings gar nicht Privathier, er ist Leiter des Stabs Informationsarbeit und Sprecher im Bundesverteidigungsministerium.

Thiels hat angeblich mit dem Video nichts zu tun, auch in der Bundespressekonferenz am Montag hieß es wieder einmal: Lambrecht sei privat hier. Das klingt vertraut. Schon früher ist die Ministerin mit grotesk dilettantischen Privathier-Posts aufgefallen. Anlässlich eines Waffen-Ringtausches postete sie drei Flaggen, die ein wenig aussahen, als hätte jemand in den Neunziger Jahren eine Geburtstagseinladung mit „Microsoft Paint“ gemalt.

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von Christine Lambrecht (@christine.lambrecht)

Thiels soll auch hierbei nicht beteiligt gewesen sein. Kürzlich habe die Social Media-Chefin im Bundesverteidigungsministerium nach monatelangem Streit über den Social Media-Auftritt der Ministerin „entnervt aufgegeben“, wie der „Business Insider“ berichtete.

Man fragt sich, wofür Thiels eigentlich verantwortlich ist, wenn nicht die Kriegs-Kommunikation der Verteidigungsministerin, keine drei Flugstunden entfernt von einer Kriegsfront.

Die Ausfälle der Ministerin sprechen dafür, dass Thiels, der Mitte der 2000er zuletzt Fernsehjournalist beim Südwestrundfunk und ab 2014 bis zu seinem Wechsel CvD war, womöglich ein wenig die Bewegtbild-Realitäten aus dem Blick verloren hat – sei es, dass sich das durch Gewährenlassen äußert. Damals, in den 2000ern, staunte man noch in den Studios des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über die neuen, verrückten, hemdsärmeligen Internetvideos.

Nicht mehr zeitgemäß

Doch damals ist damals und heute ist heute. Videos etwa auf Tiktok (weltweit seit 2019 verfügbar) sehen locker aus, aber sie sind es nicht – sie sind Ergebnis extremer Professionalität. Kamerawinkel, Mikrofon, Licht, selbst das Make-up für die Augen, alles an der vermeintlichen Spontaneität stimmt und ist optimiert, um die bestmögliche Verbindungsillusion zum Publikum zu schaffen. Jeder Kamerahersteller bietet inzwischen eine spezielle Kamera fürs Vloggen. Mit „CapCut“ steht wohl erstmals eine App zum Schneiden von Videos in den Download-Charts. Video ist Mainstream.

Es braucht ja auch wirklich nicht viele Geräte, um per Videobotschaft sichtbar zu sein. Ein Smartphone, ein kleines Mikrofon und vielleicht eine LED-Leuchte können reichen – aber nur, wenn man weiß, was man da tut. Wer aber im Jahr 2023 noch mit einem nackten Handy mitten in der Silvesternacht politische Kommunikation betreibt, verfehlt seinen Job. Die beiläufig wirkende Professionalität, mit der Tiktok-Armeen, Wolodymyr Selenskyj oder auch Robert Habeck ihre Videos aufnehmen ist nämlich eben das: professionell.

Dass ein Kommunikator aus dem TV und eine kamerascheue Politikerin durchaus die politische Kommunikation revolutionieren können, zeigte das Duo aus Steffen Seibert und Angela Merkel (die Älteren erinnern sich: Regierungssprecher und Bundeskanzlerin). Merkel war die erste Kanzlerin mit einem Videopodcast. Seibert wiederum eroberte unter anderem Twitter.

Doch es sind Ausnahmen: Insgesamt hadern die Deutschen mit jeglicher Inszenierung und dafür gibt es kulturhistorische Gründe. Adolf Hitler und Joseph Goebbels haben ihr Unwerk mit minutiöser Propaganda begleitet, das führt natürlich zu erhöhtem Misstrauen. Doch es ist nicht, hm, „nur“ Hitler.

An der Wurzel des medialen Analphabetismus in vielen deutschen Ministerien steht eine frühere Entwicklung – die Abwesenheit einer deutschen Hofkultur. Wir schielten mit Abscheu auf den französischen Pomp Ludwig des XIV. und erfanden aus Trotz die „Innerlichkeit“ und strebten nach dem Gegenteil von Äußerlichkeiten: Bildung, Musik, „Dichter und Denker“.

Wer immer den Auftritt eines Politikers kritisiert, erntet deshalb auch 2023 noch mindestens einen Widerspruch folgender Tonalität: Es komme doch, bitteschön, auf die Inhalte an. „Unweltliche Versponnenheit“ hat Thomas Mann das in seiner berühmten Rede „Deutschland und die Deutschen“ genannt. Und es klingt, als habe er die Neujahrsrede von Christine Lambrecht geschaut.

7 Kommentare

  1. Bin ich ansonsten nicht der Meinung, dass gute Politik einen speziellen medialen Spin zur Begleitung notwendig hat, möchte ich dem Autor doch hier zustimmen. Inhalt und Form gehen immer Hand in Hand, eine Schwäche in der Formulierung zeugt auch von einer Schwäche des Gedankens.
    Und als Verteidigungsministerin schickt man nie etwas „Privates“ auf dem öffentlichen Instagram-Account. Das ist ja eine absurde und unlogische Argumentation. Die Öffentlichkeit würde Christine Lambrecht ja als Privatperson gar nicht kennen und nimmt sie daher ausschließlich in Ihrer politischen Rolle wahr. Es liegt sogar der Verdacht nahe, dass es gelogen ist: Würde Frau Lambrecht dieses Video etwa auch ohne politisches Amt abgesendet haben?

  2. Finde die Kritik im Teasertext ein wenig ungerecht – Ernie wäre als Verteidigungsminister nie so ein Faux-Pax passiert!

  3. Das Muster ist immer „Wenn die Botschaft mißlingt, erklären wir sie einfach schnell zu einer Privatmeinung“. Ganz schön billig und ganz schön unglaubhaft. Mit diesem dümmlichen Reparatur-Framing wird die Politikerverdrossenheit nur zunehmen, aka „wir schaufeln uns unser eigenes Grab“.

    Natürlich ist alles was eine Spitzenpolitikerin (im Fall von Frau L formal, nicht aufgrund ihres Könnens) in einem öffentlichen Kanal publiziert eine Äußerung der höchstrangigen Rolle, die sie innehat. Privat ist eine Äußerung nur dann, wenn sie in einem privaten Kanal (Bsp.: Familiengruppe auf WhatsÄpp) stattfindet. Der Kontext macht die Botschaft. Stand-alone Inhalte gibt es nicht.

    Warum agieren Bundespolitiker so oft auf dem handwerklichen Niveau von ehrenamtlichen Kommunalpolitikern? ich verstehe das nicht.

  4. Bis zu meiner Pensionierung war ich im öffentlichen Dienst tätig. Die hauseigenen Videos waren unfreiwillig komisch. Da wollte ein Behördenleiter sich volksnah geben und sprach über Fußball, zum Beispiel über den Fußballklub „Holsten Kiel“ (der heißt Holstein Kiel). Für einen Werbefilm zur Personalgewinnung wurde eine Agentur engagiert. Das Ergebnis führte im hauseigenen Intranet zu kritischen Kommentaren. Vielleicht wird an der falschen Stelle gespart.
    Ach ja, Frau Lambrecht: Die kann einem mittlerweile fast leidtun. Das ist das Schlimmste, was man über eine Ministerin oder einen Minister sagen kann.

  5. Das Formale ist ja das eine: Wer als Politiker in der Kommunikation unprofessionell ist, dem traut man auch auf anderen Politikfeldern nicht viel zu.
    Der Inhalt ist hier aber mindestens genauso schlimm, denn die Botschaften lauten:
    1.) In Berlin wird doch auch geschossen – Kiew soll sich mal nicht so haben
    2.) Im Krieg macht man ganz überraschende Bekanntschaften – braucht man doch nur mal die Frauen in den russisch besetzten Gebieten fragen

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.