Endlich mal gute Neuigkeiten? „Deutschland erreicht Klimaziel 2022“ meldete am Mittwoch unter anderem die „Tagesschau“ online. Ähnliche Schlagzeilen verbreiteten auch „Welt“ und FAZ. Die SZ ging sogar mit einer Eilmeldung raus: „Emissionen 2022: Deutschland schafft sein Klimaziel“.
Man möchte fast rufen: Hurra! Oder zumindest: Geht doch!
Anlass für die frohe Botschaft war eine Prognose zu den Treibhausgasemissionen 2022, die am Mittwoch vom Umweltbundesamt (UBA) vorgestellt wurde. Der CO2-Ausstoß in Deutschland ging im vergangenen Jahr demnach leicht zurück, um 1,9 Prozent. Das sind die vorläufigen Zahlen, die ein Expertenrat nun bewerten muss, um den zuständigen Ministerien anschließend Nachbesserungsvorschläge zu machen 1)Dass diese sogenannten Sofortprogramme nicht eingehalten werden, ist ein anderes Thema..
Wie man auf die Schlagzeile „Deutschland schafft sein Klimaziel“ kommt? Mit 746 Millionen Tonnen freigesetztem Treibhausgas 2022 wurden „in Summe die Zielwerte des Bundesklimaschutzgesetzes“ eingehalten, so das UBA. Also passt das, was „Tagesschau“ und SZ schreiben, schon irgendwie?
Aber wieso unterschieden sich die Headlines zur Nachricht des Umweltbundesamtes am Mittwoch teilweise erheblich voneinander?
„Bei Verkehr und Gebäuden verfehlt Deutschland die Klimaschutzziele für 2022″
Verwirrt ist jetzt, wer vorher die Schlagzeile der „Tagesschau“ gelesen hat. Da stand doch, das Klimaziel wurde eingehalten? Und wieso schreibt der „Spiegel“ denn jetzt von Klimaschutzzielen, also mehreren? Ist die Sache vielleicht gar nicht so einfach, wie es manche Eilmeldungen und Schlagzeilen auf den ersten Blick vermuten lassen? Gibt es womöglich Details, die eine differenzierte Überschrift nötig machen?
Kurzfassung: Ja. Denn das Klimaschutzgesetz unterscheidet in sechs Sektoren, für die konkrete Emissionsziele gelten: Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft und Sonstiges. Der Verkehrs- und Gebäude-Sektor haben 2022 ihre Ziele laut UBA jeweils verfehlt. Im Verkehr sind die Emissionen sogar gestiegen.
„Fridays for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer kommentierte das bei Twitter so:
„Unter diesen Gesichtspunkten wird klar, wie groß das Versagen ist. Es geht bei den Sektorzielen nicht um Neujahrs-Vorsätze, die man leider nicht eingehalten hat, shit happens. Es geht um bindende Klimavorgaben, um die eigenen Gesetze, die die Regierung aktiv unterwandert.“
Und der Verkehrsminister Volker Wissing? Hat rund eine halbe Stunde nach den ganzen Eil- und Pushmeldungen einen Tweet abgesetzt.
Die @fdp ist für Innovation, für Technologie, für Offenheit, für Klimaschutz, für beste Infrastruktur, für Digitales, […] – für unseren Koalitionsvertrag, der für Fortschritt für unsere Gesellschaft in Deutschland und Europa steht. 😉
Während man sich noch fragt, was der Zwinker-Smiley da bedeutet, sagt der Minister der Funke-Mediengruppe: „Die Antriebswende ist eingeleitet und ihr Hochlauf nimmt immer mehr zu.“ Der UBA-Präsident Dirk Messner scheint das anders zu sehen: „Ich kann nicht mehr nachvollziehen, wie weiterhin Subventionen für Diesel oder den Flugverkehr gezahlt werden.“ Und ordnet die Ergebnisse der Prognose ein:
„Um die Ziele der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, müssen nun pro Jahr sechs Prozent Emissionen gemindert werden. (…) Seit 2010 waren es im Schnitt nicht einmal zwei Prozent.“
Und im Verkehrs-Sektor liegt der Wert der Treibhausemissionen eben noch 1,1 Millionen Tonnen über dem Wert von 2021 und 9 Millionen Tonnen über dem im Bundesklimaschutz vorgeschriebenen Höchstwert für 2022. Auch im Sektor Gebäude wurde das Ziel nicht erreicht.
Ein Sektor kann den anderen nicht ausgleichen
Man könnte also statt „Deutschland erreicht Klimaziel“ genauso gut schreiben: Die Bundesregierung hat nicht bestanden. Es ist tatsächlich ein bisschen wie bei einem Zeugnis: Wer in vier Fächern besteht, in zwei aber eben nicht, fällt durch. Und Ausgleichen mit Noten aus den anderen Fächern ist auch nicht drin. Zwischen den Sektoren im Bundesklimaschutzgesetz ist ja kein „Emissionshandel“ vorgesehen, nach dem Motto: Halb so wild, wenn der Sektor Verkehr oder der Sektor Gebäude nicht so gut dasteht, gleichen die guten Zahlen des Sektors Industrie das schon wieder aus.
Wie für eine Schülerin, die (ja auch nicht zu Unrecht) auf die guten Leistungen in anderen Fächern hinweist, um die 5 in Deutsch zu kaschieren, hätte man vielleicht noch irgendwie Verständnis für ein Bundesamt oder auch ein Ministerium, das ein Ergebnis so hinbiegen würde, bis es gut klingt.
Für Redaktionen, die darüber berichten, gibt es dieses Verständnis allerdings nicht. Ihre Aufgabe ist es doch, nichts Beschönigendes in eine Schlagzeile zu packen – sondern schon dort differenziert zu informieren.
Interessanterweise hatte das Umweltbundesamt selbst in seinem Bericht sachlich formuliert. Der Titel lautete: „Treibhausgasemissionen sanken 2022 um 1,9 Prozent“. Und auch in der Pressekonferenz am Mittwoch klang das bei UBA-Präsident Messer wesentlich weniger eindeutig, als es „Tagesschau“ und SZ anschließend verschlagzeilten. Er sagte wörtlich:
„Wir haben insgesamt 2 Prozent reduziert auf 746 Millionen Tonnen. Wir können auch positiv festhalten, dass wir damit unter der Gesamtsumme der für die Sektoren vorgesehen Emissionen bleiben. Also die Klimaschutzziele 2022 sind insofern eingehalten worden, aber mit dem Merkposten, dass wir von 2 Prozent Reduktion, die wir 22 geschafft haben, in den nächsten Jahren kontinuierlich jeweils 6 Prozent pro Jahr erreichen müssen.“
Der Spin „Deutschland schafft Klimaziel 2022“ kommt also gar nicht vom UBA selbst, Medien verkürzten das offenbar von alleine so. Unter anderem tauchte die Formulierung in einer Reuters-Meldung auf, mit dem Zusatz „Aber Probleme im Verkehr wachsen“2)Warum man bei Reuters nicht einfach konkret von Emissionen statt nebulös von „Problemen“ berichtet, ist nochmal ein anderes Thema.. Klingt das nicht ein bisschen sehr nach kostenloser PR für die Bundesregierung? Sieh an, die Ampel schafft’s!?
Es hört bei der Schlagzeile aber noch nicht einmal auf. Dass das Klimaziel 2022 erreicht wurde, sei dem Sektor Industrie zu „verdanken“ schreibt die „Tagesschau“ im Teaser. Im Text steht:
„Dass das Gesamtziel trotzdem erreicht wurde, liegt an einem kräftigen Emissionsrückgang der Industrie. Hier sank die ausgestoßene Menge an Klimagasen um 10,4 Prozent auf 164 Millionen Tonnen.“
Keine Frage, es gibt Unternehmen oder ganze Industrie-Zweige, die längst umdenken, weil sie wissen, dass auf einer vom Klimawandel zerstörten Welt keine Profite zu machen sind. Man müsste aber schon auch dazu sagen, worauf das UBA ausdrücklich hinwies: dass die starken Rückgänge in diesem Sektor vor allem auf die durch „den Krieg in der Ukraine stark gesunkenen Energieeinsätze, insbesondere in der metallverarbeitenden und chemischen Industrie“ zurückzuführen sind. Also dass die gesunkenen Industrie-Emissionswerte weniger Folge kluger klimapolitischer Entscheidungen sind, als vielmehr die eines Krieges, der vor Augen führt, wie abhängig man in Deutschland von fossiler Energie war (und ist).
Deutschland hat das Klassenziel erreicht. Nicht.
Und dann ist da auch noch die Frage des Maßstabs. Denn wer schreibt „Deutschland schafft Klimaziel“, muss auch fragen: Welches Ziel? Nämlich das selbstdefinierte Ziel der Bundesregierung. Dass dieses Ziel etwa mit dem Pariser Klimaabkommen übereinstimmt, heißt das nicht. Der Deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen beispielsweise kritisiert die „jährlichen Minderungsziele“, die im Klimaschutzgesetz festgeschrieben sind, und schlägt als Alternative ein deutsches CO2-Budget, das auch internationale Interessen berücksichtigt, vor.
All diese Details kann eine knackige Schlagzeile natürlich nicht transportieren. Aber man sollte eben auch keine Schlagzeile bauen, die beim Blick auf die Pushmeldung am Smartphone den Eindruck erweckt, Deutschland hätte das Klassenziel erreicht.
Die Autorin
Lisa Kräher ist Redakteurin bei Übermedien. Sie hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und von 2013 an als freie Journalistin und Filmautorin gearbeitet, unter anderem für epd. Sie ist Autorin für die „Carolin Kebekus Show“ und Mitglied der Grimme-Preis-Jury.
Warum man bei Reuters nicht einfach konkret von Emissionen statt nebulös von „Problemen“ berichtet, ist nochmal ein anderes Thema.
4 Kommentare
„Mit 746 Tonnen freigesetztem Treibhausgas …“
Schön wär’s – da fehlen leider die „Millionen“.
Danke für den Hinweis, haben wir geändert.
Das ging fix, danke. ;-)
Zum Inhalt: Ich finde schon, dass die meisten Medien die Ergebnisse abseits der Überschriften treffend zusammengefasst haben. Was allerdings erstaunlich kurz kommt, ist die „Idee“ Wissings, die Sektorziele abzuschaffen und nur noch die Gesamtrechung zu präsentieren. Ein durchsichtiger Versuch, den er schon im letzten Herbst gespielt hat und nun einen Tag vor den neuen Zahlen wiederholte.
Logik: Wenn die anderen Sparten sparen, können wir auf unseren bald achtspurigen Autobahnen munter weiter rasen und verbrennern. Dabei könnte man allein durch Tempo 120 eben jene 1,1 Mio. Tonnen einsparen, die der Verkehrssektor letztes Jahr zugelegt hat – sogar laut dem (m.E. geschönten) Gutachten, dass Wissing selbst in Auftrag gab. Laut UBA wären es fast 8 Mio. Tonnen.
Ich finde, man sollte viel mehr in den Vordergrund stellen, dass es – wie am Ende kurz erwähnt – eben nur selbstgesteckte Ziele sind, die nicht zur Einhaltung des ebenfalls rechtlich bindenen 1,5 Grad -Ziels (welches einen Kompromiss und kein Schlaraffenland darstellt) reichen.
Im Bild: Man hat Mama eigentlich versprochen wirklich alles zu tun, um so gerade eine 4 zu schreiben, sich dann doch entschieden, dass eine 5 schon reichen wird (was total irrational ist) und das dann nicht (in allen Fächern) geschafft. Journalismus, der das nicht zur Darstellung bringt, kann es auch gleich lassen.
„Mit 746 Tonnen freigesetztem Treibhausgas …“
Schön wär’s – da fehlen leider die „Millionen“.
Danke für den Hinweis, haben wir geändert.
Das ging fix, danke. ;-)
Zum Inhalt: Ich finde schon, dass die meisten Medien die Ergebnisse abseits der Überschriften treffend zusammengefasst haben. Was allerdings erstaunlich kurz kommt, ist die „Idee“ Wissings, die Sektorziele abzuschaffen und nur noch die Gesamtrechung zu präsentieren. Ein durchsichtiger Versuch, den er schon im letzten Herbst gespielt hat und nun einen Tag vor den neuen Zahlen wiederholte.
Logik: Wenn die anderen Sparten sparen, können wir auf unseren bald achtspurigen Autobahnen munter weiter rasen und verbrennern. Dabei könnte man allein durch Tempo 120 eben jene 1,1 Mio. Tonnen einsparen, die der Verkehrssektor letztes Jahr zugelegt hat – sogar laut dem (m.E. geschönten) Gutachten, dass Wissing selbst in Auftrag gab. Laut UBA wären es fast 8 Mio. Tonnen.
Ich finde, man sollte viel mehr in den Vordergrund stellen, dass es – wie am Ende kurz erwähnt – eben nur selbstgesteckte Ziele sind, die nicht zur Einhaltung des ebenfalls rechtlich bindenen 1,5 Grad -Ziels (welches einen Kompromiss und kein Schlaraffenland darstellt) reichen.
Im Bild: Man hat Mama eigentlich versprochen wirklich alles zu tun, um so gerade eine 4 zu schreiben, sich dann doch entschieden, dass eine 5 schon reichen wird (was total irrational ist) und das dann nicht (in allen Fächern) geschafft. Journalismus, der das nicht zur Darstellung bringt, kann es auch gleich lassen.