„Zeitungskrieg“ in Baden-Württemberg

Print lebt – und streitet sich im Schwabenland

Ausrisse: „Südwestpresse“ / „Zollern-Alb Kurier“

Vielleicht sollte man so etwas nicht einen „Krieg“ nennen, wenn gerade tatsächlich Krieg ist. Aber spricht man mit Menschen im Zollernalbkreis darüber, was dort seit Anfang des Jahres so vor sich geht, fällt früher oder später dieser Begriff: „Zeitungskrieg“. So nannte es auch die Wochenzeitung „Kontext“, als sie Anfang Februar über einen heftigen Streit zwischen zwei Verlagen berichtete. Und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb vom „Verlegerkleinkrieg“, was nicht viel anders ist und auch nicht viel besser.

Doch offenbar empfinden es manche Menschen so. Und an Scharmützeln mangelt es dieser Geschichte tatsächlich nicht.

Der Zollernalbkreis liegt in Baden-Württemberg, etwa eine Autostunde südwestlich von Stuttgart. Seit Jahrzehnten erscheint dort der „Zollern-Alb Kurier“ (ZAK), eine Lokalzeitung mit Redaktionen in den Kleinstädten Balingen und Albstadt. Und weil die Zeiten für Regionalverlage längst nicht mehr so golden sind wie früher, geschah Ende vorigen Jahres etwas, das auch andernorts schon oft geschah: ein größerer Verlag schluckte den kleinen.

Das familiengeführte Druck- und Verlagshaus Hermann Daniel, das bisher den ZAK herausgab, wurde vom Schwäbischen Verlag in Ravensburg gekauft, der unter anderem die „Schwäbische Zeitung“ herausgibt. Von der erhält der „Zollern-Alb Kurier“ nun seinen Mantel, also die vorderen Seiten mit überregionalen Nachrichten. Deshalb sieht der „Zollern-Alb Kurier“ seit Anfang Januar auch etwas anders aus: anderes Layout, andere Schrift, andere Leitfarbe. „Aus blau wird gelb“, druckte der ZAK Ende Dezember auf seine Seite eins, um die Leser sanft vorzubereiten – gelb wie die „Schwäbische Zeitung“. Am Lokalteil hingegen soll sich nichts ändern: Die beiden Redaktionen mit mehr als 20 Redakteurinnen und Redakteuren gibt es wie gehabt.

Der doppelte ZAK

Dann aber passierte etwas, das niemand erwartet hatte: Am 7. Januar, nur fünf Tage nachdem der ZAK im neuen Verlag erschienen war, tauchte ein zweiter ZAK auf, in der alten Leitfarbe blau. „Südwest Presse“ stand groß im Titelkopf, darunter: „Zollern-Alb Kurier“. Auf der ersten Blick waren die beiden Zeitungen also schon zu unterscheiden, aber dennoch: eine neue Zeitung, die auch „Zollern-Alb Kurier“ heißt? Das stiftete Verwirrung.

Herausgegeben hat diesen zweiten, neuen, blauen ZAK der Verlag, der bis zum Verkauf des alten ZAK dessen Mantel geliefert hatte: die „Südwestpresse“ in Ulm. Sie argumentierte, dass frühere Verträge erlauben würden, den Namen zu verwenden. Das Landgericht Stuttgart aber entschied Ende Januar, dass es nur einen „Zollern-Alb Kurier“ geben dürfe und gab damit einer einstweiligen Verfügung des Schwäbischen Verlags statt. Deshalb musste die „Südwestpresse“ ihre neue Lokalzeitung umbenennen. Sie heißt jetzt nicht mehr „Südwestpresse – Zollern-Alb Kurier“ sondern „Südwestpresse – Zollernalbkreis“. Die Abkürzung ZAK passt also quasi immer noch. In der Region reden sie daher nun teilweise schon vom „alten“ und „neuen“ ZAK.

Einige sahen in dem mutmaßlichen Namensklau eine Racheaktion der „Südwestpresse“, die den alten ZAK gerne übernommen hätte. Sie hatte mit dem Verlagshaus Hermann Daniel auch ein Vorkaufsrecht vereinbart, doch das Bundeskartellamt hatte Bedenken. Denn, jetzt wird es ein bisschen kompliziert: Die „Südwestpresse“ gehört zur Neuen Pressegesellschaft, die wiederum mit der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) unternehmerisch verflochten ist – und die vertreibt den „Schwarzwälder Boten“, eine andere Lokalzeitung im Zollernalbkreis, die schon immer in Konkurrenz zum alten ZAK stand. Würde die „Südwestpresse“ ihren Konkurrenten übernehmen, fand das Kartellamt, wäre das schlecht für die Pressevielfalt.

Mehr Lokaljournalismus – gut, oder?

Also bekam der „Schwäbische Verlag“ den Zuschlag, und nun haben die Menschen in Balingen, Albstadt und den Ortschaften rundum nicht mehr nur zwei Zeitungen zur Auswahl, sondern drei: den „Zollern-Alb Kurier“, den „Schwarzwälder Boten“ und die neue Lokalausgabe der „Südwestpresse“. Ist, wenn man bedenkt, dass es in vielen Gegenden Deutschlands nur noch eine Lokalzeitung gibt oder Redaktionen ganz dicht machen, doch eigentlich gut. Immerhin konkurrieren sie alle um die besten Geschichten – und das kann im besten Fall die Qualität steigern. Oder nicht?

Lutz Schumacher von Schwäbischen Verlag ist da anderer Meinung. Grundsätzlich sei journalistischer Wettbewerb ja zu begrüßen, sagt er im Gespräch mit Übermedien. Aber dieser sei „ruinös“. Schumacher ist „irgendwie genervt“ von dem „Theater“, es werde mit „harten Bandagen“ gekämpft. Also eine Rache der „Südwestpresse“, die beim Kauf leer ausging? Nein, so drastisch würde er es nicht ausdrücken. Eher eine „emotionale Reaktion“, die er weder betriebswirtschaftlich noch publizistisch verstehen könne, sagt Schumacher.

Die „Südwestpresse“ hat nämlich nicht nur kurzzeitig den Namen „Zollern-Alb Kurier“ übernommen, sondern auch versucht, Abonnenten abzuwerben mit Methoden, die aus Schumachers Sicht nicht fair sind. So warb die „Südwestpresse“ in mehreren Schreiben, die im Januar verteilt wurden, mit Prämien: 250 Euro sollte bekommen, wer vom alten ZAK zum neuen wechselt. Außerdem sollte es den neuen ZAK in den ersten Wochen kostenlos geben und anschließend für nur 35 Euro im Monat – neun Euro weniger als der alte ZAK.

Die Schreiben mit dem „großartigen Angebot“ kamen von Ulrich Becker persönlich, dem Chefredakteur der „Südwestpresse“. Als Argument für den Wechsel nannte er auch die „vertrauten Inhalte und Autoren“ bei der „Südwestpresse“. Was allerdings irreführend ist. Denn Becker kann damit ja nur die Autoren und Inhalte des Mantelteils meinen. Die Autoren und Inhalte des ZAK-Lokalteils gibt es weiterhin im gelben Gewand der „Schwäbischen Zeitung“. Und warum abonniert man eine Lokalzeitung, wenn nicht wegen des Lokalteils?

Das sei ja alles erlaubt, sagt Schumacher, und ein paar Monate sei das vielleicht „lustig“. „Aber ob das dem Journalismus nützt, das wage ich zu bezweifeln; da gibt es am Ende nur Verlierer.“ Sie hätten sogar Solidaritätsbekundungen aus anderen Verlagshäusern bekommen. Und die Leser seien „massenweise“ in die Geschäftsstelle des alten ZAK gekommen, um zu fragen, wie das denn jetzt sei mit der Kündigung und ihrer Prämie. Das hätten viele gar nicht verstanden. Die Verwirrung habe letztlich zu ein paar hundert Kündigungen geführt, diese Phase sei jetzt aber vorbei. „Ich glaube, die Südwestpresse hat sich da mehr erwartet“, sagt Schumacher.

Über manche Methoden und Ereignisse in diesem Konkurrenzkampf kann er schon schmunzeln, andere findet Schumacher nicht so witzig. Zum Beispiel, dass eines Morgens ein Stapel kostenloser Konkurrenzzeitungen vor der ZAK-Geschäftsstelle abgelegt wurden, und dass die Zeitung im Schaufenster mit der der Konkurrenz überklebt worden war. Auch habe die „Südwestpresse“ versucht, Mitarbeiter aus der Redaktion und anderen Teilen des Verlags abzuwerben. Was aber offenbar größtenteils nicht geklappt hat.

Eine Redakteurin habe das Angebot angenommen, sagt „Südwestpresse“-Chef Ulrich Becker. Und, ja, das mit dem doppelten ZAK habe schon für Verwirrung gesorgt, keine Frage. Ansonsten könne er die ganze Aufregung aber nicht nachvollziehen, sagt Becker. Der Schwäbische Verlag mache es ja auch nicht anders. Will meinen: In anderen Gebieten, zum Beispiel in Ehingen an der Donau, gebe es auch Prämien für Leserinnen und Leser, die von der „Südwestpresse“ zur „Schwäbischen Zeitung“ wechseln.

Die Anschreiben mit der Wechselprämie, sagt Becker, habe man über einen Dienstleister verteilen lassen. „Wir haben ein postalisches Mailing mit 40.000 gekauften Adressen gemacht, mit dem Wissen, dass man damit auch Abonnenten des ZAK trifft.” Deshalb sei dieser Eindruck entstanden, man habe die Abonnenten gezielt angeschrieben. Die Post ging aber auch an Haushalte von Nicht-Abonnenten, erklärt Becker.

In einer Spontanaktion zur neuen Zeitung

Ist das alles also nun eine Vergeltungsaktion der „Südwestpresse“, weil sie beim Kauf des ZAK leer ausgegangen ist? Über diesen Zungenschlag könne er sich nur amüsieren, sagt Becker: „Das ist Geklingel. Wir haben aus nachvollziehbaren und verlegerischen Gründen gesagt, wir wollen weiterhin vertreten sein im Zollernalbkreis. Das heißt aus Kundensicht: da kommt eine neue Zeitung hinzu, die günstiger angeboten wird. Es entstehen mehr journalistische Jobs. Und am Ende gibt es mehr Vielfalt.“

Aber wie kommt man im Jahr 2023, in dem Lokalredaktionen anderswo dicht gemacht werden, überhaupt auf die Idee, eine neue Zeitung zu gründen? Noch dazu in einem Kreis, in dem schon zwei Zeitungen erscheinen?

Dazu muss man wissen, dass die „Südwestpresse“ in einem Teil des Zollernalbkreises schon vertreten war: mit der „Hohenzollerischen Zeitung“, die in Hechingen produziert wird, 15 Kilometer entfernt von Balingen. Nach dem gescheiterten Kauf, sagt Becker, hätten sie entschieden, eine neue Zeitung aufzumachen, um im gesamten Zollernalbkreis vertreten zu sein.

Man kann es getrost eine Spontanaktion nennen, denn die Entscheidung, dass der alte ZAK an die „Schwäbische Zeitung“ geht, fiel erst Mitte Dezember. Drei Wochen später erschien der neue ZAK von der „Südwestpresse“, und schon am 23. Januar warb Ulrich Becker in einem Brief mit dem „neuen zehnköpfigen Redaktionsteam“, das jeden Tag daran arbeite, die Leser „mit allen wichtigen Nachrichten aus dem Zollernalbkreis zu versorgen“.

Von der „Sonderlage“ in den Redaktionsalltag

Um das neue Lokalblatt zu stemmen, habe man aus Ulm und von kleineren Titeln der „Südwestpresse“ „alle Kräfte zusammengezogen“ und nach Hechingen entsandt, erzählt Becker. Dort säßen ja schon Kollegen, die sich im Kreis auskennen, und dort wurde auch die neue Ausgabe in den ersten Wochen produziert. Redaktionsräume in Balingen seien bereits gemietet und sollten bald bezogen werden, kündigt Becker an. „Redaktionell ist das ja gar nicht so das Problem, wenn sie gute Reporter und Reporterinnen haben.“

Doch ist das wirklich so einfach? Auf die Schnelle eine Lokalredaktion auf die Beine stellen, indem man Leute aus anderen Redaktionen abzieht – und die damit schwächt? Das solle nicht so bleiben, sagt Becker, es sei eine „Sonderlage“ gewesen. „Die Redaktionen, die Kollegen abgeben mussten, wissen, dass das jetzt zum April hin endet.“ Man werde in den anderen Redaktionen nicht Personal abbauen, um Balingen zu besetzen; „da werden neue Jobs geschaffen“. Zu dem neuen Team zählten auch viele jüngere Kollegen und Volontäre, die laut Becker einen „Riesenspaß“ haben. Endlich eine Redaktion, in der sie etwas Neues aufbauen könnten, ohne eingefahrene Strukturen.

Eine weitere Herausforderung ist es natürlich, wie für alle Verlage, Personal zu finden, um die neue Zeitung zuzustellen. Der gelbe „Zollern-Alb Kurier“ hat Anfang Februar ein Video veröffentlicht, in dem die Zustellungsprobleme seines Konkurrenten aufs Korn nimmt. Ein weiteres Scharmützel im so genannten „Zeitungskrieg“, den der Schwäbische Verlag offenbar auch mit Humor nimmt.

Und wie erklärt Becker den Kampfpreis beim Abo? 35 Euro pro Monat, neun Euro günstiger als der ZAK und 17 Euro günstiger als die „Südwestpresse“ in anderen Teilen des Verbreitungsgebiets. Wie geht das?

„Wir befinden uns im Schwabenland, und ich kann versichern, dass die Kaufleute das so ausgerechnet haben, dass wir nicht draufzahlen“, sagt Becker. „Wenn wir im gesamt Kreis gemeinsam mit der ‚Hohenzollerischen Zeitung‘ zwischen 8.000 und 10.000 Exemplare Auflage hätten, dann ist das wirtschaftlich darstellbar.“

Die Ausgabe in Hechingen hat derzeit eine Auflage von 5.000 Stück, bei der neuen „Südwestpresse – Zollernalbkreis“ seien es derzeit 1.300 feste Abos und 9.000 kostenlose Probeabos. Bis Ende des Jahres will Becker 3.000 Abos erreichen, sagt er. Zum Vergleich: Der „Zollern-Alb Kurier“ hat ein Auflage von knapp 18.000 Stück, inklusive E-Paper.

Der alte und der neue ZAK

Doch was sagen eigentlich die Leser in Balingen und der Region dazu? Sie haben ja sicherlich nicht erwartet, dass Verlage, nachdem das Medium Papierzeitung schon zigfach für tot erklärt wurde, noch einmal so um ihre Gunst buhlen.

Rifat Mahler aus Bahlingen ist Abonnent des „Zollern-Alb-Kuriers“. Der Mitarbeiter einer städtischen Einrichtung sagt im Gespräch mit Übermedien: „Es spricht nichts gegen eine neue Zeitung, aber es war nicht schön war, wie der neue ZAK in Balingen angekommen ist.“ Die meisten Leute hätten den Kopf darüber geschüttelt, erzählt Mahler. Einfach den Namen klauen. Das geht nicht, klar.

Auch er hat das Angebot einer Prämie erhalten, wenn er zur neuen Lokalzeitung wechselt. Das sei für ihn aber nicht in Frage gekommen, sagt Mahler. Eine Zeitung, die von einer alteingesessenen Redaktion gemacht wird, sei ihm mehr wert. Da störe es auch nicht, wenn die Farben und das Layout ein bisschen anders sind.

Beim alten, gelben ZAK sind sie offenbar überzeugt davon, dass sie die bessere Lokalzeitung machen. Lokaljournalismus habe ja immer mit Nähe, Kenntnis und Verwurzelung zu tun, sagt Lutz Schumacher vom Schwäbischen Verlag. Das könnten die neuen, die da „angekarrt“ werden, nicht so schnell überbieten. Und wahrscheinlich würde er Ulrich Becker von der „Südwestpresse“ auch auch gar nicht widersprechen, wenn dieser zu Bedenken gibt: „Warum sagt man nicht einfach, der Bessere wird seinen Leser finden?“.

So könnte es also nun weitergehen: Konkurrierende Verlage in einer ländlichen Region machen dort jeweils einfach Zeitung – und die Leser können entscheiden. Die Gerichtsentscheidung im Namensstreit will die  „Südwestpresse“ aber nicht hinnehmen, sie hat Widerspruch eingelegt. „Wir haben ein Recht auf diesen Titel”, sagt Chefredakteur Ulrich Becker.

Aber geht es wirklich um den Namen, oder darum, den Konkurrenten weiter zu triezen? Auf die Frage, was passiere, wenn der „Südwestpresse“ das Recht am Namen zugesprochen würde, sagt Becker: „Das schau’ mer mal.“

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