Reformpläne der Intendant:innen

Die ARD hat fast schon angefangen, mit dem Anfangen anzufangen

Wer wie ich schonmal für eine Landesrundfunkanstalt der ARD gearbeitet hat, weiß: Jedem Anfang wohnt ein Zaudern inne. Die Angst vor Veränderungen steht zwar nirgendwo im Programmauftrag, ist aber Teil der DNA vieler Redaktionen, egal ob beim HR, beim rbb, beim NDR oder sonstwo in der ARD. Anfänge in ARD-Anstalten fangen gerne mal mit Runden an, in denen man anfängt, darüber nachzudenken, wie man denn mit einem Anfang, ja naja, anfangen könnte.

Sitzt man in solchen Runden oder bekommt von ihnen erzählt, wird man den Eindruck nicht los, dass es beim Diskutieren über das Anfangen dann doch aber oft genau darum nicht geht. Stattdessen blicken selbst die, die den Blick vorgeblich stets nach vorne richten, vor allem zurück auf die eigenen, liebgewonnen Ressourcen – oder allenfalls zur Seite: Könnte man nicht woanders „Kräfte bündeln“, wie es dann so schön heißt? Zeitschinden wie in den letzten Minuten eines Pokalspiels.

In Intendant:innenrunden scheint das nicht so viel anders zu laufen. Zumindest gewinnt man den Eindruck, wenn man sich anhört und liest, was der SWR-Intendant und neue ARD-Vorsitzende Kai Gniffke gemeinsam mit den anderen Intendant:innen der ARD beschlossen hat in Sachen Neuanfang in der ARD.

Zwei Tage haben die Spitzen der ARD-Sender gerade in Hannover beim NDR getagt, zum ersten Mal in diesem Jahr 1 nach dem rbb-Skandal um Patricia Schlesinger und den Debatten um die Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Systems.

Die ARD Intendant:innen in Hannover von links: Katrin Vernau (rbb), Katja Wildermuth (BR), Joachim Knuth (NDR), Kai Gniffke (SWR), Tom Buhrow (WDR), Florian Hager (HR), Karola Wille (MDR), Martin Grasmück (SR), Yvette Gerner (Radio Bremen).
Die ARD Intendant:innen in Hannover von links: Katrin Vernau (rbb), Katja Wildermuth (BR), Joachim Knuth (NDR), Kai Gniffke (SWR), Tom Buhrow (WDR), Florian Hager (HR), Karola Wille (MDR), Martin Grasmück (SR), Yvette Gerner (Radio Bremen). SWR/NDR/Axel Herzig

Ein Pressegespräch mit Gniffke, dem NDR-Intendanten Joachim Knuth und der „Das Erste“-Programmdirektorin Christine Strobl sollte darüber Auskunft geben. Am Abend zuvor schon bekam man, wenn man sich für dieses Gespräch angemeldet hatte, Pressemitteilungen zugeschickt, in denen stand, was die drei alles zu verkünden hätten. Sperrfrist: bis zum Termin um 10 Uhr morgens, wenn das Pressegespräch startet.

(Es ist ein merkwürdiger Nervenkitzel, schon 14 Stunden vor dem Rest der Welt exklusiv zu erfahren, dass die ARD sich, Achtung: „auf gesellschaftliche Herausforderungen einstellt”, wie es im Titel einer der Pressemitteilungen heißt. Man hat 14 Stunden mehr Zeit, sich auf diese Neuigkeit innerlich einzustellen und vorzubereiten. Muss sich dann aber im Pressegespräch zunächst zwanzig Minuten lang von den drei wichtigen ARD-Leuten vorlesen lassen, was man schon wusste. Aber gut, aller Anfang ist schwer.)

Es fährt ein Zug nach nirgendwo

Aus der „Pressemeldung ARD_Zukunft des Journalismus gestalten“ wusste man also schon, was kommen würde: wenig Konkretes, dafür warmgeföhnte Luft, direkt aus dem „Maschinenraum der ARD“, in dem „an der Zukunft des Journalismus gearbeitet“ werde. Gniffke scheint diese Floskel zu mögen, vielleicht weil sie Bilder hervorruft von einem Ort, in dem – unbemerkt von der Außenwelt – öffentlich-rechtliche Handwerker im Schweiße ihres Angesichts schuften. Nur: Wo ist denn bei dieser ARD, die doch sonst immer betont, wie wichtig ihr föderales Prinzip sei, dieser Ort, an dem sich alles und vor allem die Zukunft der ARD entscheidet?

Wer vor dem Pressegespräch glaubte, das sei die Runde der Intendantinnen und Intendanten, die laut Gniffke mit „großartigem Teamspirit“ eine „Sitzung des Aufbruchs“ erlebt habe, der wähnt sich dann doch schnell am falschen Bahnhof. Die ARD stehe am Anfang des größten Veränderungsprozesses in der Geschichte des Senderverbunds, hieß es in der Pressemeldung. Aber wie sieht der aus? Statt zu erfahren, welche „konkreten Voraussetzungen für die neue ARD“ geschaffen wurden und wie diese nun „ihre Kräfte mit Blick auf die Bedürfnisse der Menschen bündelt“, erlebt man im Gespräch mit Gniffke und Co das, was man als ARD-Leidgeprüfter schon kennt: Es wird vor allem über das Anfangen-Anfangen gesprochen.

Und auch das liegt noch in der Zukunft. „Eine Steuerungsgruppe aus elf ARD-internen Fachleuten“, die sich „um die Umsetzung der Reformvorhaben kümmern“ soll: startet Ende Februar. „Crossmediale journalistische Kompetenzzentren“, die „zunächst in den vier Bereichen Hörspiel, Gesundheit, Klima und Verbraucher“ zusammenfinden sollen: da wünscht man sich erste Ergebnisse bis Juni, andere Themenfelder will man überhaupt erst im Laufe des Jahres 2023 definieren. „Konkrete Schritte“ nennt Gniffke, was wenig konkret klingt und auch nicht sonderlich neu ist. Gniffke und sein Interims-Vorgänger als ARD-Vorsitzender Tom Buhrow (WDR) hatten darüber im „Spiegel“ bereits im Dezember gesprochen.

In Sachen eines gemeinsamen Streaming-Netzwerkes mit dem ZDF wähnt sich zumindest Gniffke in einem „längst rollenden Zug“ – „jetzt ist nur die Frage: mit welchem Tempo wollen wir den Zug weiter fahren lassen?“. Auch das ist nicht neu und Gniffke täte gut daran, es nicht zu sehr wie den eigenen Wunschtraum aus dem ARD-Maschinenraum zu verkaufen, was die Rundfunkkommission der Länder konkret fordert. Immerhin haben die Senderchefs beschlossen, zukünftig im Schnitt 200 Millionen Euro jährlich vom Linearen ins Digitale zu verschieben. Ob und wie das mit dem ZDF zusammengeht? Na, mal nicht gleich alles auf einmal entscheiden.

Wenn es heißt, dass man noch in diesem Jahr beschließen wolle, welchen Spartensender man einstellt, geht man auch nur ein weiteres Mal über Los, anstatt zu sagen, womit man anfängt, oder gar: anzufangen.

Hallo, ist da wer?

Überhaupt bleibt es viel beim Futur, bei PR-Agentursprech, und ich werde das Bild von Schülern beim Referat nicht los, die die nächtlich-eiligen Wikipedia-Copy-Paste-Ergüsse wortreich vor der Klasse präsentieren, während sie sie selbst das erste Mal lesen. Christine Strobl sagt, man gehe „mächtig voran“ beim „Vorantreiben der Mediathek“, Gniffke sagt, man habe „gemeinsame Vorstellungen von der Zukunft bekräftigt“ und wolle eine „Steuerungsgruppe, die das steuert“. Und ich dachte naiv, dafür gebe es Intendant:innentreffen.

Wo auch immer der Maschinenraum der ARD zu finden ist, die Intendant:innen scheinen dort eher selten zugegen. Gniffke spricht zwar davon, „Visionen“ für die Zukunft zu haben. Und auf Nachfrage, was die „Kompetenzzentren“, etwa das zum Thema Gesundheit, erreichen sollen, hat er sogar eine recht klare Vorstellung vom „Kräfte bündeln“: „Wir brauchen nicht sieben, acht, neun, zehn Gesundheitsmagazine“, sagt er; es sollen nicht mehr „alle alles“ machen in der ARD, stattdessen sollen sich die Landesrundfunkanstalten zusammentun und „ein oder zwei bessere Formate“ schaffen.

Zugleich aber weicht er immer wieder dahin aus, diesen ominösen Kompetenzzentren „nicht vorgreifen“ zu wollen. Stattdessen geben er und die anderen Intendant:innen sich zufrieden damit, „jetzt eine Roadmap“ für diese Kompetenzzentren zu haben. Diese „Roadmap“ klingt allerdings eher wie der Fahrplan der Bahn: Der Zeitplan steht, aber wer glaubt wirklich daran, dass man ihn einhalten kann? Gniffke jedenfalls gibt sich entschlossen. Im April, wenn die ARD-Spitzen das nächste Mal tagen, soll es einen „Schulterblick“ geben, und im Juni dann, da formuliert Gniffke vorsichtig, „erste Ergebnisse“.

Na, dann kann es ja im Sommer vielleicht mal anfangen mit dem Anfangen.

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