Nach dem rbb-Skandal

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht einen Neustart – unter Beteiligung der breiten Öffentlichkeit

Logos von ARD und ZDF

Wenn nach langandauerndem Regen der Boden aufweicht, kann es geschehen, dass ein ganzer Hang abbricht. Solch ein Erdrutsch passiert meist plötzlich und rasend schnell. Die Erosion der Erdschichten, die solche Ereignisse erst möglich macht, hat jedoch viele, langsam und unmerklich wirkende Ursachen, einige davon menschengemacht: Tektonische Bewegungen, Klimawandel, Abholzung der bestehenden Wälder und Baumaßnahmen greifen die Stabilität des Hanges an, bis irgendwann eine tonnenschwere Stein- und Erdlawine ins Tal hinunterstürzt.

Es ist möglich, dass wir irgendwann auf diese Sommerwochen zurückschauen werden als jenen Moment, in dem die Dinge für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ins Rutschen gerieten. Denn die rbb-Affäre, die sich zunächst ausnahm wie das Sittenbild eines längst vergangenen West-Berliner Filz, hat sich zur wohl schwersten Krise seit Bestehen der ARD entwickelt.

Man muss nicht jeder Online-Umfrage zur schwindenden Akzeptanz der Beitragsfinanzierung Glauben schenken (schon eher den Berichten vieler rbb-Mitarbeiter:innen über die Reaktionen von Publikum und Freunden). Aber der entstandene Schaden scheint schon jetzt schwer reparabel – und ist in seinen politischen Folgen dennoch kaum absehbar.

Es geht ums Ganze

Klar ist, dass es längst nicht mehr nur um Patricia Schlesinger, ihre ethisch-moralischen und potenziell justiziablen Verfehlungen geht. Auch nicht nur um die rbb-Geschäftsleitung, die möglicherweise mit drinhängt, in jedem Fall aber wohl nicht richtig hingesehen hat, oder um die Frage, welche Fälle von Machtmissbrauch, Mittelverschwendung und Kumpanei bei anderen Sendern nun noch aufgedeckt werden. Und auch nicht mehr nur um die Gremien, deren strukturellen Defizite nun endlich einmal öffentlich diskutiert werden.

All diese Themen muss man sich anschauen (inklusive der Frage, welche Missstände schon unter Schlesingers Vorgänger:innen bestanden). Aber das Problem ist größer als die Summe einzelner Fehlentwicklungen und Reformbaustellen. Es geht ums Ganze.

Leicht skandalisierbar und tatsächlich empörend (obschon in seinen finanziellen Dimensionen im Vergleich zu anderen Wirtschaftsskandalen letztlich überschaubar) wird die Causa Schlesinger schon jetzt von all jenen instrumentalisiert, die seit jeher fordern, ARD, ZDF und Deutschlandradio kleinzusparen, zu privatisieren oder gleich ganz abzuschaffen. Auf vielen Ebenen – innerhalb des Senders und der ARD, aber auch medienpolitisch – wird nun ein Spiel gespielt, in dem nicht Moral, sondern handfeste Interessen und divergierende Vorstellungen über die Medienordnung dieses Landes bestimmend sind: von Springers TV-Ambitionen über das verzweifelte Ringen der Verleger, ihre Geschäftsmodelle durch staatliche Presseförderung am Laufen zu halten, bis zur grundsätzlichen Frage, ob die historisch bedingte Sonderstellung des durch Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks heute überhaupt noch ihre Berechtigung hat.

Das Fundament bröselt schon lange vor sich hin

Nun darf man nicht den Fehler machen, Reformhürden und Beharrungskräfte zu unterschätzen, wie sie sich allein aus der Tatsache ergeben, dass die Medienpolitik im Aufgabengebiet der Bundesländer liegt. Weitreichende Veränderungen wie in Frankreich oder Großbritannien, wo die Rundfunkabgabe abgeschafft beziehungsweise die BBC geschleift werden soll, sind hierzulande nicht ohne weiteres möglich. Nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht steht, Urteil für Urteil, an der Seite der Öffentlich-Rechtlichen.

Insofern ist auch die Erdrutsch-Metapher nicht ganz treffend. Man muss sich das Rutschen der Öffentlich-Rechtlichen vielleicht eher als unaufhaltsam, aber im Zeitlupentempo vorstellen. Um im Bild zu bleiben: Das Fundament bröselt schon lange vor sich hin, geologische Gegebenheiten und Klima – die Medienwelt und Gesellschaft, in der sich ARD, ZDF und Deutschlandradio bewegen – haben sich längst verändert.

Doch die Frage nach der Funktion, Aufstellung und Kontrolle von ARD, ZDF und Deutschlandradio wird in Zukunft lauter, auch populistischer diskutiert werden. Erst recht, wenn irgendwann wieder auch nur eine nominale Erhöhung der Rundfunkbeiträge vorgeschlagen wird. (Nicht auszudenken, was los wäre, wenn uns in diesem Herbst mehr Landtagswahlen bevorstünden als die in Niedersachsen.) Friedrich Merz hat am Wochenende einen Vorgeschmack darauf gegeben, was uns erwartet.

Das alles muss nicht von Nachteil sein. Denn tatsächlich hat die Frage nach Zustand und Zukunft unserer Medienlandschaft, zu der auch Auftrag und Aufsicht der Öffentlichen-Rechtlichen gehören, längst eine breitere, öffentlichere Debatte verdient, als wir sie in den vergangenen Jahren geführt haben. Unterstützer von ARD, ZDF und Deutschlandradio sind gut beraten, rasch aus der Verteidigungshaltung herauszukommen und diese Debatte anzunehmen. Der theoretische Daseinszweck öffentlich-rechtlicher Medien ist kein Freifahrtschein und das Vorhandensein ihrer Apparate kein Selbstzweck.

Deswegen braucht es Reformen.

Wo stehen wir eine Woche nach dem Abgang Schlesingers? Was – abgesehen von radikaler Aufklärung, die sich nicht darauf beschränken darf, die eigenen Journalist:innen hinter der Geschäftsleitung her recherchieren zu lassen und sich ansonsten hinter laufenden Ermittlungen und den langsam mahlenden Mühlen von Anwaltskanzleien zu verstecken – was also muss geschehen? Dazu einige Beobachtungen und Anregungen.

Aufseher oder Abnicker?

Unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz der im Raum stehenden Vorwürfe herrscht praktisch Konsens darüber, dass die Aufsichts- und Kontrollmechanismen dringend überprüft und optimiert gehören. Das gilt nicht nur für den rbb und nicht erst in Bezug auf Konstellationen wie die um Patricia Schlesinger und den (inzwischen ebenfalls zurückgetretenen Verwaltungsratschef) Wolf-Dieter Wolf.

Wenn WDR-Intendant und ARD-Vorsitzender Tom Buhrow nun im Interview mit dpa erklärt, er „möchte irgendeine Institution in Deutschland sehen, die auch nur annähernd so viel Aufsicht hat wie wir“, hat er einerseits recht und lenkt zugleich vom Problem ab. Denn nicht das Vorhandensein entsprechender Kontrollinstanzen ist entscheidend, sondern die Frage, ob sie ihrer Verantwortung nachkommen können und wollen, also welche Kapazitäten sie dafür zur Verfügung haben (den Punkt räumt Buhrow ein) und mit welchem Selbstverständnis sie unterwegs sind.

Gerhart Baum hat erklärt, ihm sei kein Haushaltsentwurf einer Hausleitung bekannt, der in Folge von Bedenken der Gremien substanziell verändert worden wäre. Mir auch nicht. Das gilt, man muss es an dieser Stelle sagen, auch für die vom Verwaltungsrat abgenickte Entscheidung des WDR-Intendanten, 2020 aus Anlass der Übernahme des ARD-Vorsitzes seinem ohnehin üppig ausgestatteten Kommunikationsstab ein ihm vertrautes Beraterduo zur Seite zu stellen. Kostenpunkt für das europaweit ausgeschriebene Zwei Jahres-Mandat: 580.000 EUR.

Besondere Maßstäbe

Aber es geht nicht um einzelne, von Sendermitarbeiter:innen wie Beitragszahler:innen manchmal ohne genaueren Einblick schwer nachvollziehbare, aber vielleicht durchaus begründetete Entscheidungen, von denen sich in Staat und Privatwirtschaft so oder so unzählige finden ließen. Auch geht es nicht darum, alles auf die Ehrenamtler (erst recht auf die Rundfunkräte) abzuladen. Schließlich werden die Sender auch von externen Wirtschaftsprüfern, Rechnungshöfen, der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) usw. kontrolliert. Solch hauptamtlich arbeitende Akteure wiederum haben in den vergangenen Jahren auch bei ungleich größeren Wirtschafts- und Finanzskandalen versagt (wirecard, anyone?). Trotzdem gelten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nun mal besondere Maßstäbe, die offenbar präzisiert, in jedem Fall klarer kommuniziert und wirksamer kontrolliert gehören.

Schließlich besagt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Rundfunkbeitrag ausschließlich durch die Erfüllung des Programmauftrags legitimiert ist. Die Gehälter der Intendanten per se sind hier nicht das Problem, jeder Vorstandsvorsitzende eines kommunalen Versorgers dürfte mehr verdienen. Luxusreisen, privat genutzte Dienstwagen samt Fahrer in doppelter Ausführung und letztlich auch intransparente Boni-Regelungen für das Spitzenpersonal, die an Einsparziele beim Personal gebunden sind, schon eher. Selbst wenn sie legal sein mögen, legitim sind solche Perks nicht. Wer sich so etwas wünscht, sollte sein Glück vielleicht doch eher in der Privatwirtschaft suchen.

Das klassische Regime der Rundfunk- und Verwaltungsräte zeigte sich bereits in der Vergangenheit (man denke an die Skandale um MDR oder Kinderkanal) in solch heiklen Situationen überfordert, nur dass es damals kaum jemand mitbekam.

Dass sie im Falle des rbb fachlich düpiert, kommunikativ überfordert und politisch unglücklich auftraten, zeigte nun einer größeren Öffentlichkeit, worüber in Fachkreisen schon lange diskutiert wird: Die strukturellen Probleme einer Gremienaufsicht, deren Verfasstheit und Arbeitsweisen in vielerlei Hinsicht aus der Zeit gefallen sind und die sich ausweislich ihrer öffentlichen Wortmeldungen (Protokolle und Pressemitteilungen) eher als Teil des Hauses denn als Anwälte der Allgemeinheit verstehen.

Immer mehr Aufgaben

Die wenigsten, die bei ARD, ZDF und Deutschlandradio für eine minimale Aufwandsentschädigung in den Gremien sitzen, nehmen das Amt so wahr, wie es Wolf-Dieter Wolf beim rbb offenbar ausgelegt hat. Viele engagieren sich mit großem Idealismus, wichtiger Expertise und enormem zeitlichen Einsatz – und räumen selbst häufig ein, dass sie sich von den komplexen Materien, mit denen sie es zu tun haben, erschlagen fühlen. Bau-, Vergabe- und Personalrecht, Budgetfragen, Technik, Programmfragen, Journalismus und Dreistufentest: Die Aufgaben sind über die Jahre immer nur mehr geworden, sie betreffen längst nicht mehr nur das, was man gemeinhin als Aufsicht versteht. Und all das, ohne dass sich die Politik um Ausstattung und fachliche Zusammensetzung gekümmert hätte.

Mit der Flexibilisierung des Auftrags durch den neuen Medienstaatsvertrag sollen sie künftig auch noch (mit-)entscheiden, auf welchen Ausspielwegen welche Programme zu welchen Kosten verbreitet werden. Auch der geschärfte Auftrag (Stichwort: „Unterhaltung mit öffentlich-rechtlichem Profil“) dürfte für die damit befassten Ausschüsse Herausforderungen mit sich bringen. Um diesen Aufgaben kompetent und senderfern nachzukommen, brauchen die Räte in jedem Fall personelle und finanzielle Ressourcen, die über das, was der neue Medienstaatsvertrag vorsieht, hinausgehen.

Förderale Medienaufsicht auf den Prüfstand

In all diesen Punkten ist die Medienpolitik gefragt. Und es spricht einiges dafür, die föderal organisierte Medienaufsicht, zu der auch die Landesmedienanstalten mit ihren stattlichen Apparaten gehören, insgesamt auf den Prüfstand zu stellen, Lücken und Redundanzen zu identifizieren und sich bei der Suche nach Lösungen auch gegenüber Modellen nicht zu verschließen, die Bundesländer übergreifen, wie das der nationalen Regulierungsbehörde Großbritanniens Ofcom.

Schon was die Ausstattung der Gremien angeht, unterscheidet sich die Situation zwischen den Sendern enorm. Sollen in Zukunft die Gremien aller Landesrundfunkanstalten einzeln Standards und Zielvorgaben für ihre Programme entwickeln? Oder wäre hier eine zumindest Evidenzen und Methoden-Knowhow vermittelnde, vielleicht auch koordinierende Stelle nicht von Vorteil?

Dringend angegangen gehört auch die Frage, ob die Gremien in der grosso modo aus den 1950ern stammenden Art ihrer Zusammensetzung noch in der Lage sind, Gesellschaft in ihrer Vielfalt abzubilden. Wer sitzt in so einem Gremium? Ist das Konzept, die Gremien über Vertreter:innen „gesellschaftlich relevanter Gruppen“ zu besetzen, noch sinnvoll? Oder sollte man nicht, wie von Leonhard Dobusch vorgeschlagen, über Losverfahren das Publikum stärker einbinden? Wie lässt sich das Ziel, Versteinerung zu verhindern, mit Erfahrungsaufbau und Wissenstransfer vereinbaren?

Und wie steht es eigentlich um die Staatsferne und der Rolle der Politik in den Gremien?

Ja, es hat sich etwas getan, zum Beispiel beim WDR; aber die Zahl der staatsnahen Vertreter in den Gremien ist nach wie vor zu hoch. Dass Vertreter des Landes als Rechtsaufsicht bei den Sitzungen dabei sein müssen, versteht sich von selbst. Aber wozu sollen sie die Intendant:innen in Programmfragen beraten? Exekutive, Legislative und Judikative haben in der vierten Säule der Demokratie, den Medien, nichts zu suchen.

Mehr Aufmerksamkeit und Transparenz

Auf all diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Eine Option wäre es, die Aufgaben der Gremien stärker voneinander abzugrenzen: also den Verwaltungsrat als agiles, schlagkräftiges Kontroll-Gremium für Finanzfragen mit stärkeren Kompetenzen zu positionieren und den Rundfunkrat in Richtung eines wirklich staats- und senderfernen Publikumsrats zu erweitern.

Entsprechende Ansätze haben sowohl mit Blick auf die Repräsentativität als auch symbolisch Potential, weil dadurch Aufmerksamkeit und Transparenz entstehen, an denen es bislang mangelt.

Nach wie vor wird Transparenz tendenziell als Holschuld der Bürger:innen betrachtet statt als Bringschuld von Gremien und Sendern insgesamt. Ihre Legitimation bemisst sich aber eben nicht nur an der journalistischen Leistung, die öffentlich-rechtliche Journalist:innen (allen zweifelhaften Programmprioritäten zum Trotz) erbringen. Sondern auch an Transparenz und Kommunikation gegenüber den Bürger:innen. Sie sind nicht primär Konsumenten, sondern Auftraggeber und Teilhaber der öffentlich-rechtlichen Sender, denn sie finanzieren sie. So hat nicht zuletzt Paul Kirchhof, der ehemalige Verfassungsrichter, darauf hingewiesen, dass jeder Beitragsschuldner ein Recht darauf hat, zu wissen, was mit seinem Geld geschieht, welche Sendung für welche Summen gekauft und produziert wird. Trotz gravierender Unterschiede zwischen den Sendern und Gremien, etwa zwischen den Verwaltungsräten von ZDF und WDR, besteht hier insgesamt gehörig Luft nach oben.

Emanzipation der Räte

Ein erster Schritt in Richtung einer Emanzipation der Räte wäre eine Art Konvent, eine mindestens in Teilen öffentliche Konferenz von Gremienmitgliedern aus allen Sendern und entsendenden Organisationen, bei der über Erfahrungen und Erwartungen, Best Practices und Reformmodelle diskutiert wird.

Wenn man der ganzen Krise etwas Positives abgewinnen möchte, dann die Tatsache, dass nun genau über diese Themen öffentlich diskutiert wird, während bis vor kurzem 99 Prozent der Bevölkerung nichts davon gewusst haben dürften, dass ihre Belange überhaupt durch die Gremien bei ARD, ZDF und Deutschlandradio vertreten werden.

Günther Jauchs Ärger über die „Gremien voller Gremlins“ vor 15 Jahren war im Grunde eine kategoriale Anmaßung. Gremien sind keine bürokratische Formalie, sondern sie sind das wesentliche Unterscheidungsmerkmal öffentlich-rechtlicher Medien und – potenziell – ein Pfund in der sich verändernden Beziehungswelt zwischen Medien und Gesellschaft. Sie sind zwar auch nicht die Parlamente der öffentlich-rechtlichen Sender, schon weil sie nicht direkt gewählt werden, aber sie haben eine legitimierende Funktion.

Wie sie das tun und was es dafür braucht, das muss nun dringend, auch öffentlich verhandelt werden. Und das gilt im Grunde auch für die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen insgesamt. ARD, ZDF und Deutschlandradio sind ein wichtiger Bestandteil des Inventars unserer Demokratie, nämlich Teil einer – allen Fehlentwicklungen zum Trotz – leistungsstarken und vielfältigen Medienlandschaft.

All das ist keine Selbstverständlichkeit, dafür muss man nicht in die Geschichtsbücher schauen (ein Blick nach Ungarn reicht). Und viel spricht in Anbetracht von Zeitungssterben und hyperkommerzieller Plattformen (die gesellschaftlicher Selbstverständigung in etwa so zuträglich sind wie Zigaretten der Mundhygiene) dafür, dass die Bedeutung solidarisch finanzierter, dem Gemeinwohl dienender Informationsräume für die Demokratie eher noch zunimmt. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man öffentlich-rechtliche Medien erfinden, lautet ein gerne bemühter Aphorismus. Doch dann würde man sie ganz anders bauen als in der Rundfunkära, deren Ende wir gerade erleben.

Dies könnte auch bedeuten, Sendern und Landesmedienanstalten einen gewissen Teil (zwei bis fünf Prozent) ihres zusammengenommen über acht Milliarden Euro Beitragsgeldes wegzunehmen und ihn stattdessen für die Etablierung eines neuen Finanzierungssystems außerhalb der klassischen öffentlich-rechtlichen Sender und Förderungen zu verwenden. Autoren und Produktionen könnten sich bei solch einem Innovationsfonds direkt mit gemeinwohlorientierten Projekten bewerben. Innovation, Vielfalt und publizistische Qualität des Gesamtsystems könnten davon profitieren.

Vorschläge für so eine zeitgemäße Öffnung und Belebung des bestehenden Systems kursieren seit langem, verfassungsrechtlich spräche Expert:innen zufolge nichts dagegen. Passiert ist trotzdem nichts.

Ein Gestaltungsdiskurs, keine Abwehrschlacht

Doch hier liegt die Herausforderung, vor der die Medienpolitik steht: Grundlegende Reformen am laufenden Motor – unter Miteinbeziehung der Gesellschaft, die heute eine andere ist als vor 50 Jahren.

Es geht um Daseinsvorsorge für die demokratische Öffentlichkeit. Wie wollen wir diese in Zukunft organisieren? Was ist uns das wert? Diese Debatte ist nicht verloren, aber sie muss – so schwer das im Moment erscheint – als Gestaltungsdiskurs, nicht als Abwehrschlacht geführt werden. Jede Kritik als Angriff oder Diffamierung zu begreifen, wie es in der Vergangenheit allzu oft vorkam, und sich unkonventionellen Reformvorschlägen zu verweigern mit Verweis darauf, was alles wieso nicht geht, heißt im Endeffekt, das Spielfeld der Debatte den Gegnern zu überlassen.

Die EU hat Anfang der 2000er erstmals versucht, mit dem Verfassungskonvent neue Wege zur Reform ihrer Verträge in Richtung Demokratie und Handlungsfähigkeit zu gehen, und ist, unter hoffentlich größerer Beteiligung der Bürger, gerade wieder dabei. Das war rückblickend zugegebenermaßen nur bedingt erfolgreich (und auch nicht wirklich demokratisch) und ist natürlich nicht eins zu eins übertragbar. Aber vielleicht braucht es auch in der Frage von Auftrag und Aufstellung der Öffentlich-Rechtlichen eine Art großen symbolischen Neustart.

Nach dem rbb-Skandal kann es jedenfalls keine Rückkehr zum Status quo ante geben, zu jener bequemen Situation, in der die deutsche Medienordnung in (allen Bekenntnissen zur „Beteiligung aller“ zum Trotz) arkanen Fachzirkeln aus Fachpolitik, Sendervertretern und Verbänden ausgehandelt wurde.

Dafür braucht es kreative Formate, Ausdauer, vor allem aber die Bereitschaft, Beteiligung nicht als PR-Tool im Sinne der bisherigen Townhall-Formate der Sender oder nachgelagerte Pflichterfüllung wie bei der Novellierung des Medienstaatsvertrag zu begreifen, sondern als Beitrag zur Qualität und Innovationskraft politischen Handelns.

Wenn das gelingt, könnte (!) diese Krise tatsächlich ein Katalysator werden. Für die längst überfällige Weiterentwicklung der Gremien. Aber auch für weitergehende Reformen in Richtung zukunftsfähiger, von wirtschaftlichen und politischen Interessen wirklich freier öffentlich-rechtlicher Informationsräume, die nicht nur formal (über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts), sondern alltäglich Legitimation erfahren.

1 Kommentare

  1. Danke für den Artikel, ich stimme den vorgebrachten Punkten fast vollständig zu.

    Ein Aspekt, der mir aber fehlt, ist die Praxis, ein Heer an prekär beschäftigten Scheinselbständigen – pardon „festen Freien“, stört sich außer mir eigentlich niemand an dem Oxymoron? – zu unterhalten.

    Unter diesem Gesichtspunkt empfinde ich die Gehälter von Buhrow, Cleber und Co dann doch ziemlich unverschämt und die „Begründungen“ an den Haaren herbeigezogen. Genauso die exorbitanten Ausgaben für die Produktionsgesellschaften von Anne Will & Konsorten und für Sportrechte (insbesondere Fußball).

    Letztere gehören einfach weg. Und das kommt übrigens von jemandem, der nahezu alles an Sportübertragungen konsumiert, was die ÖRR anbieten (so auch jetzt, in diesem Moment, die European Championships in München). Wenn die Privaten das übernehmen, von mir aus auch gerne gegen Cash, dann geht die Demokratie deswegen nicht gleich unter.

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