Dokus zur Katar-WM

Und nun zum Sport

Maskat, Oman, am 16. November, vier Tage vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, letztes Testspiel des deutschen Teams – und die Frage aller Fragen des RTL-Reporters an Bernd Neuendorf, den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes:

„Ist die Mannschaft auch, was die Stimmung angeht, schon in WM-Stimmung?“

Stimmung, so wichtig. Das wissen nicht nur RTL-Reporter, das wissen auch die WM-Gastgeber. Und deshalb hat Katar das getan, was es immer macht: Eingekauft. Alles und jeden. Sogenannte Fans in den Trikots aller teilnehmenden Mannschaften liefern unentwegt Bilder für soziale Medien – und ab Sonntag dann in den WM-Stadien für den Fußball-Weltverband (FIFA), der das TV-Signal wie immer selbst produziert.

Es geht bei derlei Mega-Events stets um die Bilder. Es wird also, nun ja, bunt und stimmungsvoll während der WM. So will das der Emir von Katar, Tamim Bin Hamad Al-Thani, so haben es seine Gefolgsleute organisiert. So wünscht sich das Tamims Geschäftspartner Gianni Infantino, der FIFA-Präsident, der seit rund einem Jahr in Doha lebt und gegen den in seiner Schweizer Heimat ein Strafverfahren läuft. Es werde die beste und schönste und tollste und bunteste Weltmeisterschaft aller Zeiten, hat Infantino dem Emir und der Welt versprochen. Also werden viele Bilder aus den Stadien und Fan-Meilen nicht echt sein, sondern gefakt. Den Bildern darf man weniger denn je trauen.

Ungeachtet dieser Begebenheiten hieß es am Mittwoch bei RTL:

„Katar, das Abenteuer beginnt heute im Oman. Mit der ersten von vielleicht tausendundeiner Nacht des nächsten deutschen Fußballmärchens.“

Ist es das, was Willi Lemke, ehemals Fußball-Manager und SPD-Politiker, zwei Tage zuvor bei „hart aber fair“ in der ARD herbeigesehnt hatte?

„Das ist heute der Abschluss des großen Bashings gegen Katar, denn ab morgen werden wir über Fußball in den Zeitungen und in den Medien hören.“

Es mag deshalb manche RTL-Zuschauer verwirrt haben, dass Kommentator Marco Hagemann mitten im Spiel in Oman sagte: „Homosexualität steht auch hier unter Strafe.“ Dabei blieb es dann aber auch in Sachen politischer Bildung, die bei diesem Sender sowieso niemand erwartet. Was Hagemann nicht erwähnte: Oman steht nicht nur in der Weltrangliste der FIFA weit hinter Katar, sondern auch in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen und im Korruptions-Wahrnehmungsindex von Transparency International.

RTL hat nur die Rechte an den Testspielen der Männer-Nationalmannschaft. Ab jetzt übernehmen ARD und ZDF sowie Magenta TV. Die Öffentlich-Rechtlichen übertragen 48 der 64 WM-Spiele – Magenta-TV zeigt sämtliche Spiele, 16 davon exklusiv.

Alte Fragen, neue Umstände

Die WM-Rechte haben einige hundert Millionen Euro gekostet und müssen sich amortisieren. Die daraus resultierenden Konflikte – zwischen Vermarktung des teuren Produkts auf der einen und journalistischem Anspruch auf der anderen Seite – sind nicht neu. Ebenso wenig neu ist die Frage, wie politisch Sportberichterstattung sein kann und sollte. Und ob man ein Event wie die WM in Katar nicht besser boykottieren müsste.

Derlei Fragen werden bei verschiedenen Sportveranstaltungen seit beinahe einem Jahrhundert debattiert, beginnend bei den Nazi Olympics 1936 in Deutschland. Ähnliche Debatten gab es zuletzt über die Olympischen Winterspiele in Peking.

Insofern ist Katar keine Ausnahme. Katar ist zwar keine blutrünstige Diktatur, aber ein Feudalstaat, in dem es keine wirkliche Demokratisierung gibt, wie Propagandisten unentwegt verbreiten. Die Al-Thani-Sippe wird die Macht nicht abgeben. End of discussion.

Neu aber ist etwas anderes: Nie zuvor hat die zahlende Kundschaft, zumindest in weiten Teilen Europas, ihre Abscheu vor der WM, den Menschenrechtsverletzungen in Katar und den kriminellen Usancen im Weltverband FIFA derartig lautstark artikuliert. Die Fanproteste in vielen Ländern waren und bleiben bemerkenswert. Ob die Proteste nachhaltig sind, wird man in den kommenden Wochen nicht gänzlich korrekt, aber doch einigermaßen verlässlich messen können: an den Einschaltquoten.

Kampf zwischen Abfeiern und kritischer Berichterstattung

Spannend wird dann auch sein, wie die Fernsehmenschen gerade bei den übertragenden Sendern darauf reagieren. Der Kampf zwischen jenen, die das Event abfeiern wollen, und jenen, die genauer hinschauen und recherchieren wollen, prägt öffentlich-rechtliche Sportberichterstattung traditionell. Man muss kein Insider sein, um die Trennlinien zu erkennen.

Zum Beispiel beim Themenabend in der ARD am 14. November. Es begann mit der Dokumentation „Thomas Hitzlsperger: Katar – warum nur?“, gefolgt von „hart aber fair“ („Ab in die Wüste – wer freut sich auf die WM in Katar?“), einer weiteren Doku („Die Story im Ersten: WM der Lügen – wie die FIFA Katar schönredet“), einer Olli-Dittrich Schmonzette („Infantinos Friseur – Leo Marchetti und die FIFA Milliarden“) und nach Mitternacht dem Vierteiler „Katar – WM der Schande“ 1)Offenlegung: ich tauche in „Katar – WM der Schande“ als Gesprächspartner auf. An der Produktion war ich weder redaktionell eingebunden, noch habe ich Honorar für das Interview erhalten. Befragt wurde ich, weil ich mich seit den 1990er Jahren so intensiv mit der FIFA befasse, wie nur sehr wenige Journalisten weltweit, und weil ich mich seit zwei Jahrzehnten ähnlich intensiv mit Katar beschäftige..

Gehetztes Groundhopping

Zur Primetime um 20.15 Uhr trat der ehemalige Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, der zu den WM-Experten der ARD zählt. In einer im Auftrag des SWR (der die Federführung bei der WM-Berichterstattung der ARD innehat) produzierten Presenter-Reportage sprach Hitzlsperger mehrfach über seine vermeintlichen „Recherchen“. Das Thema des Films formulierte er so:

„Ich möchte herausfinden, warum so ein kleines Land wie Katar die WM ausrichtet.“

Problematisch daran ist einiges: Zunächst einmal ist die Frage, warum die WM in Katar stattfindet, halbwegs verlässlich geklärt. Viele Aspekte dieser FIFA-Entscheidung, die am 2. Oktober 2010 unter kriminellen Umständen erfolgte, wurden seit zwölf Jahren weltweit verhandelt – und werden in zahlreichen anderen aktuellen TV-Produktionen auf teilweise hervorragendem Niveau besprochen. Im Film unternimmt Hitzlsperger zwar vieles, er fliegt von A nach B und nach C, doch nur manches davon hat mit seiner Fragestellung zu tun. Wer wirklich herausfinden will, wie die WM nach Katar gekommen ist, der muss zum Beispiel nicht nach Nepal fliegen.

Erste Station von Hitzlsperger ist aber Nepals Hauptstadt Kathmandu. Und das nur aus einem Grund: Weil man dort, wie er korrekt sagt, sehr leicht viele Familien der auf Katars Baustellen gestorbenen Sklavenarbeiter findet. Dort lassen sich also, ohne wahnsinnigen Recherche-Aufwand, Bilder und Töne finden, die das tausendfache Leid belegen. Damit lässt sich Mitleid erheischen, nur hat es nichts mit dem postulierten Thema der Sendung zu tun. Hitzlsperger spricht dazu gestanzt klingende Sätze wie „ich will verstehen, wie es so weit kommen konnte“ oder „sie alle treibt die Armut in die Hände der Ausbeuter“.

Thomas Hitzlsperger in "Thomas Hitzlsperger - Katar, warum nur?" (ARD)
Thomas Hitzlsperger in Nepal Screenshot: ARD

Reisen nach Nepal aber haben andere schon vor vielen Jahren unternommen und das viel besser aufgearbeitet. Benjamin Best beispielsweise, der „Dirty Games“ 2016 mit einer nächtlichen Szene am Flughafen in Kathmandu beginnt, die einem den Atem stocken lässt: Aus einer Maschine der Qatar Airways werden in strömendem Regen Särge mit toten Sklavenarbeitern ausgeladen.

Eine weitere Station von Hitzlsperger ist natürlich Doha. Dort will der ehemalige Nationalspieler, der vor einigen Jahren ein vielbeachtetes Coming Out gegeben hat, über eine Dating App „mit Menschen aus der Szene in Kontakt kommen“, wie er es formuliert. Das klappt nicht so recht. Also gibt es ein Video-Interview mit einem mittlerweile in den USA lebenden schwulen Katari. Das ist alles gut und wichtig. Doch auch dazu gibt es längst viel bessere Sendungen.

Die Dokumentation „Kein Regenbogen in der Wüste“ von Michael Maske und Amelie Stiefvatter etwa. Sie mag das journalistische Feigenblatt sein, mit denen der Telekom-Sender seine WM-Vermarktung schmückt. Dafür machen die Autoren nicht den Fehler, möglichst viele Aspekte der Katar-WM im Schnelldurchlauf oberflächlich zu verhandeln. Sie konzentrieren sich auf die LQBTIQ-Community, die Gesetzgebung und die Realität in Katar und besprechen diese Themen einigermaßen tiefgründig.

Absurde Falschbehauptung

Hitzlsperger und sein Produzent Nick Golüke aber hetzen schon zum nächsten Drehort, nach Zürich, wo sie die Whistleblowerin Bonita Mersiades treffen. Mersiades war einst für die australische WM-Bewerbung tätig, die gegen Katar unterlag. Sie wurde entlassen, weil sie gegen unsaubere Machenschaften und geplanten Stimmenkauf aufbegehrte. Sie wurde vom System FIFA, vom System Fußball ausgestoßen und hat seit mehr als einem Jahrzehnt schwer darunter zu leiden. Sie hat 2018 ein herausragendes Buch dazu vorgelegt („Whatever it takes – the inside story of the FIFA way“). Hitzlsperger behauptet in der am 12. November online veröffentlichten Film-Version:

„Ihr Job – Stimmenkauf.“

Tatsächlich war das weder der Job von Mersiades, noch hat sie es jemals getan. Absurder könnte ein Fehler kaum sein. Ich habe ein paar Stunden, nachdem der Film in der Mediathek zu sehen war, via Twitter auf den Fehler hingewiesen. Einen Tag später, am 13. November, wurde der Film leicht korrigiert und online eine Notiz angefügt, in der es unter anderem heißt:

„In einer früheren Version war folgender Satz enthalten ‚Ihr Job – Stimmenkauf‘. Damit keine Missverständnisse über die Rolle von Bonita Mersiades entstehen, wurde dieser Satz entfernt.“

Dabei ging es nicht um „Missverständnisse“, sondern um eine Falschbehauptung.

Mehr als nur Flüchtigkeitsfehler

Die zweite SWR-Dokumentation des Themenabends, „WM der Lügen – wie die FIFA Katar schönredet“ von Philipp Sohmer, ließ den englischen Wissenschaftler Simon Chadwick zu Wort kommen. Vorgestellt wurde Chadwick lediglich als „Sport-Ökonom“.

Chadwick in der ARD-Doku
Screenshot: ARD

Verschwiegen wurde, dass Chadwick als Berater des Katarischen Nationalen Olympischen Komitees (QOC) und einer dubiosen Sportspionage- und Lobby-Agentur mit dem irreführenden Namen International Center for Sport Security (ICSS) tätig war und dem katarischen Think-Tank Doha Goals angehörte. Sämtliche Institutionen zählen zu den zentralen Instrumenten der Sportpolitik und Propaganda des Emirs.

Weder bei Mersiades noch Chadwick kann es sich um Flüchtigkeitsfehler handeln. Diese Fehler zeugen mindestens davon, dass es am nötigen Wissen fehlt und die Thematik nicht gut genug erfasst wird. Wer nicht genug weiß und noch dazu seinen Job nicht richtig macht, also eben nicht recherchiert, wie in Dauerschleife behauptet wird, der sollte eher keine Dokumentationen produzieren. Verantwortlich für beide SWR-Produktionen war Thomas Wehrle, der gemeinsam mit Harald Dietz die ARD-Teamleitung für die WM bildet.

Es geht aber auch anders

Der nach Mitternacht gesendete Vierteiler „Katar – WM der Schande“ von Benjamin Best, Robert Kempe und Jochen Leufgens wurde vom WDR im Rahmen des Hintergrundmagazins „sport inside“ produziert und bereits Ende Oktober dort ausgestrahlt, nach einigen positiven Reaktionen rutschte das Stück nachträglich ins Hauptprogramm.

Die vier Halbstünder sind unaufgeregt überzeugend erzählt. Den ungemein schwierigen Spagat zwischen Weglassen und Auswählen aus einer gigantischen Fülle von Material haben die Autoren gut gemeistert. Anders als bei den Presenter-Reportagen von Hitzlsperger und ZDF-Mann Jochen Breyer konnten die WDR-Autoren aus ihrem eigenen Fundus schöpfen. „Sport inside“ hat die Entwicklungen in der FIFA und in Katar seit der WM-Vergabe halbwegs kontinuierlich verfolgt.

So sind zwei der Highlights in der aktuellen Produktion schon vor Jahren von eigenen Autoren in Afrika und Südamerika gedreht worden. Etwa, wenn Sepp Blatter in Paraguay die Korruptions-Diskussion für „beendet“ erklärt und der schwerkriminelle FIFA-Funktionär Léoz müde in die Kamera murmelt – oder als der wegen Korruption gesperrte und doch wieder zugelassene nigerianische FIFA-Ganove Adamu frech in die WDR-Kamera lügt. Wunderbare Momente.

Breyer-Doku mit starken Momenten, aber wenigen Antworten

Ich habe mir etwa zwei Dutzend halbwegs aktuelle Filme über Katar und die WM und die FIFA angesehen, nicht nur aus Deutschland, auch aus Frankreich, der Schweiz und den USA. Die Titel vieler deutscher Dokus ähneln sich. Da heißt es „Geheimsache Katar“ (ZDF), „Geheimes Katar“ (ZDF), „Die Skandal-WM“ (ZDF Info) und man kann leicht die Übersicht verlieren. Die reißerischen Titel und Untertitel kann kaum ein Produkt erfüllen. Eine Nummer kleiner war aber offenbar nicht drin. Manchmal steht investigativ drauf, wo gar keine eigene investigative Leistung dahinter steht.

Bei Jochen Breyer vom ZDF ist das ähnlich. Breyers Doku heißt „Geheimsache Katar: Wie ein Land den Fußball kaufte.“ Nun gut, diese Frage beantwortet er nicht wirklich, wenn er wie Hitzlsperger mehrfach davon spricht, auf Recherche zu sein, „über Monate recherchiert“ zu haben und gegen Ende des Films noch „einen letzten Recherche-Espresso“ schlürft. Doch Breyer ist nicht nur Moderator, sondern auch Journalist und beherrscht das Genre der Presenter-Reportage.

Eine Szene aus seinem Film haben er und das ZDF hingebungsvoll promotet. Die Aussage des katarischen WM-Botschafters Khalid Salman, wonach Homosexualität ein Geisteskrankheit sei, verdient jedwede Verachtung. Dabei handelt es sich aber natürlich nicht um ein Produkt investigativer Recherche, sondern bestenfalls um gute Gesprächsführung Breyers, Khalid Salman an den Punkt zu führen, sich derartig zu offenbaren. Und eben auch um Glück, denn Salman wurde dem ZDF-Team vom WM-Organisationskomitee als Gesprächspartner zugeteilt – mitsamt Aufpasser, der dann auch das Gespräch abbricht. Breyer durfte Salman nur kontrolliert begleiten. Viel mehr ist in Katar nicht möglich.

Es gibt sogar eine zweite sehenswerte Passage in dem Stück, die mich persönlich mehr beeindruckt hat: Breyer schaut im Haus von Salman mit dessen Freunden irgendein Fußballspiel. Es gibt ein fürstliches Mahl (aber mit Wasser in Plastikflaschen). Die Männer reden über ihr steinzeitliches Frauenbild:

„Was könnte für sie besser sein, als im Haus zu bleiben, mit dem Reichtum ihres Vaters?“

Und sie sprechen auch kurz über die vielen Bediensteten im Raum. Die Blicke von Salman sagen alles. Für ihn sind sie Sklaven.

"Geheimsache Katar" (ZDF)
Screenshot: ZDF

Breyer hätte es also gar nicht nötig, den Großrechercheur zu geben, der er nicht ist. Die in die Doku eingebauten Szenen, in denen der Schauspieler Matthias Brandt an verschiedenen Beispielen die Sportpolitik Katars erklärt, finde ich albern peinlich, aber das ist Geschmackssache.

Die rhetorische Fragen zu Themen, die längst beantwortet sind, hätte sich Breyer allerdings sparen können. So raunt er etwa am Ende der Doku:

„Ist beIN SPORTS also viel mehr als einfach nur ein Fernsehsender? Ein strategisches Instrument, um sich die alte Fußballwelt gefügig zu machen?“

Die Antwort lautet: Klar doch Jochen, aber das weiß man weltweit seit zehn Jahren.

ARD und ZDF hätten Netflix in den Schatten stellen können

Gerade weil in den Mediatheken von ARD und ZDF gleichzeitig passable bis gute und auch misslungene Dokus zu finden sind, schreit es danach zu fragen, warum um Himmels Willen die Kräfte wieder nicht gebündelt wurden? Ich weiß, derartige Fragen ans öffentlich-rechtliche System zu stellen, wirkt kindisch. Dennoch: Aus diesem Material hätte man für vergleichsweise geringeren finanziellen Aufwand, einem echten Rechercheteam und klarer Struktur etwa einen Vierteiler von jeweils 90 Minuten produzieren können, der nur einen Sendeplatz verdient hätte: An vier Folgetagen jeweils 20.15 Uhr zur Primetime. Mit den zwei Stunden von „sport inside“ war eine hervorragende Basis vorhanden, die problemlos hätten ausgebaut werden können.

Eine solche Produktion hätte den guten Netflix-Vierteiler „FIFA uncovered“ in den Schatten stellen können. Sie hätte mehr geboten als Netflix, das sich ohne eigene Vorleistungen nur auf die FIFA und hauptsächlich auf die Strafpozesse gegen FIFA-Kriminelle in den USA konzentrierte. Eine solche öffentlich-rechtliche Produktion hätte sowohl die sportpolitisch-kriminellen Aspekte, als auch die Frage von Menschen- und Arbeitsrechten, die Fan-Proteste und die geopolitischen Strategien von Katar erstklassig behandeln können. Zu allen Themenbereichen lagen einzelne sehr gute Elemente vor.

Schon klar, im real existierenden System klingt das wie eine Utopie. Im real existierenden System bilden Sportfans die Teamleitungen, die den Fußball feiern und Quoten machen wollen. Journalismus spielt da nicht in der ersten Reihe. Egal, dieser Vorschlag kommt auf die To-do-Liste. Auf Wiedervorlage, wenn in einigen Jahren die Fußball-WM in Saudi-Arabien oder China und die Olympischen Sommerspiele in Doha stattfinden.


Was lohnt sich also?

Allen, die bisher nichts gesehen haben sollten oder einiges nachholen wollen, empfehle ich diese Pakete:

Einstieg (zwei bis drei Stunden)

Nur unwesentlich länger als eine Fußballübertragung dauert das Doppel „Geheimes Katar“ (ZDF Info) und „WM der Schande“ .

Zur WDR-Doku ist alles gesagt. In „Geheimes Katar“ liefert Svaantje Schröder einen etwas hektischen, aber gut strukturierten Überblick zum Familienunternehmen Al-Thani und zur Politik des Emirats.

Deep-Dive (ein knappes Wochenende)

Zum Einsteiger-Paket kommen „Katar – Gas und Spiele“ (Arte) und „FIFA uncovered“ (Netflix) hinzu.

„Katar – Gas und Spiele“ erzählt in rund 90 Minuten etwas gemächlicher, gibt dabei einen angemessenen historischen Überblick. Ausführlich zu Wort kommt Scheicha Al-Mayassa Bint Hamad Bin Khalifa Al-Thani, eine der Schwestern des Emirs. Sie zählt zu den interessantesten Figuren der Al-Thani Sippe, ist unter anderem Chefin der Qatar Museum Authority und damit eine der wichtigsten Kunstkäuferinnen des Planeten. Die Arte-Produktion wird gegen Ende schwächer, wenn es um die WM-Vergabe und die FIFA geht, aber dafür gibt es ja die Vierteiler von WDR und Netflix.

„FIFA uncovered“ beginnt in Teil 1 mit großartigen Archivbildern, aber inhaltlichen Schwächen zu den richtungsweisenden 1980er und 1990er Jahren in der FIFA. Die Stärken liegen in den Folgen 2 bis 4, wenn sich die Produktion auf die Kriminalermittlungen und die Strafprozesse in den USA konzentriert und zentrale Personen aus dem großen Team der Ermittler zu Wort kommen, wie etwa der IRS-Agent Steve Berryman, der nicht nur einmal erklärt hat, dass es ohne die hartnäckige und langjährige Arbeit von einigen wenigen Journalisten nie zu diesen spektakulären Anklagen und Verurteilungen gekommen wäre.

Volles Programm

Wer noch mehr Zeit hat oder die Zeit, die er sonst während einer gesamten WM mit Fußball gucken verbringt, stattdessen mit Dokumentationen füllen will, hier die long list:

„Geheimes Katar“ (ZDF Info), „WM der Schande“ (WDR),„Katar – Gas und Spiele“ (Arte), „FIFA uncovered“ (Netflix), „Dirty Games“ (Benjamin Best, Link führt zu Apple TV), „Kein Regenbogen in der Wüste“ (Magenta Sport auf Youtube), „Die Skandal-WM“ (ZDF Info, französische Produktion mit großartigen Passagen dazu, wie Katars heutiger Emir Tamim mit Frankreichs damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy den WM-Deal eingefädelt hat), „Geheimsache Katar“ (ZDF) und „FIFA – das Monster“ (SRF).

Fußnoten

Fußnoten
1 Offenlegung: ich tauche in „Katar – WM der Schande“ als Gesprächspartner auf. An der Produktion war ich weder redaktionell eingebunden, noch habe ich Honorar für das Interview erhalten. Befragt wurde ich, weil ich mich seit den 1990er Jahren so intensiv mit der FIFA befasse, wie nur sehr wenige Journalisten weltweit, und weil ich mich seit zwei Jahrzehnten ähnlich intensiv mit Katar beschäftige.

6 Kommentare

  1. Jetzt kommt endlich auch was Differenziertes im Spiegel:

    SPIEGEL: Die Katarer sind stolz auf ihre Reformen. Sie sehen sich, was die Arbeitsbedingungen angeht, als Vorbild im Nahen Osten. Zurecht?

    Schäfers: Aus unserer Sicht sind die Schritte klein, für die Region sind sie groß. Die Nachbarn schauen voller Argwohn auf Katar. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate geraten dadurch unter Druck.

    SPIEGEL: Katar fühlt sich ungerecht behandelt, gerade auch aus Deutschland. Verstehen sie das?

    Schäfers: Ja, sie werden im Augenblick mit schlechten Medienbotschaften überrollt. Eine differenzierte Sicht auf das Land wäre nicht schlecht. Die Medienschelte setzt im Übrigen gerade die Reformer in dem Land unter Druck. Die Konservativen, die die WM ohnehin abgelehnt haben, bekommen dadurch wieder Oberwasser.

    https://www.spiegel.de/sport/fussball/wm-2022-katar-koennte-ein-kleiner-leuchtturm-fuer-die-golfregion-werden-a-eb59f271-40fc-48cd-b2e2-e68bea651299

  2. Ehrlich gesagt, eigentlich könnte man ja auch ohne Qatar auf der Fifa herumhacken.
    Wie viele schwule Profifußballer müsste es eigentlich geben? Wie viele davon sind offen schwul? Hätten sich Russland oder Qatar überhaupt um die Männer-WM beworben, wenn Homosexualität im Männerfußball so unproblematisch wäre, wie sie das im Frauenfußball ist?

  3. Bela Rethy hat gestern beim Eröffnungsspiel auch keine Zweifel an seiner Meinung aufkommen lassen.
    Auch wenn ihn gar keiner gefragt hatte.

  4. zu #4
    Bela Rethy ist doch Sportjournalist. Wieso sollte er dann seine Meinung dazu nicht äußern? Oder war es die Art und Weise wie er das getan hat die gestört hat?

  5. Danke für diesen Artikel und die gute Einordnung der vielen Katar-Veröffentlichtungen. Traurig, dass die Produktionen des ÖRR sich nicht auf Fachmenschen verlassen. Besonders unangenehm fiel mir das bei dem Fim mit Thomas Hitzlsperger auf. Gibt es denn da niemanden, der diese Geschichten vorrecherchiert? Und feststellt, was schon alles bekannt ist, gesendet und bewiesen wurde?
    Sehr gut fand ich übrigens, dass Bonita Mersiades sich positiv und ausdrücklich auf Andrew Jennings bezieht.
    Und jedes Mal denke ich, warum fragt Ihr nicht mal Jens Weinreich…

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