Zur Person
Sigrid März ist promovierte Biologin und arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin. Seit Juni 2020 ist sie im Vorstand von Freischreiber, dem Berufsverband freier Journalist:innen, seit Oktober 2021 als Vorsitzende.
Als freie*r Journalist*in bekommt man einiges zu hören. Ob auf der Familienfeier oder bei WG-Partys, alle sind ganz besorgt: Ob man überhaupt richtig arbeite, wollen sie wissen. Und ob man die Miete zahlen könne, so ganz ohne Arbeitsvertrag.
Wer sind diese Leute, die frei für Medien arbeiten? Warum entscheiden sie sich für diesen Weg? Und wie wichtig sind sie für das System, vor allem beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo freie Journalist*innen einen Großteil des Programms stemmen? Wir haben nachgefragt: bei Sigrid März von den Freischreibern.
Frau März, Sie sind freie Wissenschaftsjournalistin. Was bedeutet das eigentlich, wenn jemand als freie*r Journalist*in arbeitet?
Dass wir uns nicht in einem Angestelltenverhältnis befinden. Wobei es da auch noch Unterschiede gibt: Es gibt zum Beispiel die sogenannten Festen Freien, die arbeiten vorwiegend für öffentlich-rechtliche Sender. Sie haben somit einen Hauptauftraggeber, können aber nebenbei auch noch für andere arbeiten. Im Unterschied zu freien Journalisten sind sie fester angedockt an einen Sender. Sie kriegen zwar auch lediglich ein Honorar für konkrete Aufträge, aber wenn sie eine bestimmte Zeit für ihren Hauptauftraggeber tätig waren, haben sie Anspruch auf Urlaubsgeld und Zuschüsse zur Altersvorsorge, was natürlich von Vorteil ist. Das haben wir freien Journalist*innen nicht. Wenn wir Urlaub machen, verdienen wir in dieser Zeit nichts. Und wenn wir krank sind, auch nicht, im Gegensatz zu Festangestellten, die weiter ihr Gehalt bekommen.
Wer arbeitet als freie*r Journalist*in? Gibt es Merkmale, die deutlich hervorstechen?
Sigrid März ist promovierte Biologin und arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin. Seit Juni 2020 ist sie im Vorstand von Freischreiber, dem Berufsverband freier Journalist:innen, seit Oktober 2021 als Vorsitzende.
Mir liegen da keine Statistiken vor, aber wenn ich bei den Leuten schaue, die im Verband Freischreiber organisiert sind, dann ist das ein bunter Haufen. Das fängt in der Ausbildung an und geht bis in die Rente. Männer, Frauen, Diverse, alle dabei. Allerdings beobachten wir, dass es gerade am Anfang der journalistischen Karriere einfacher ist, frei zu arbeiten. Weil ich da die Möglichkeit habe, meine Füße in verschiedene Türen zu stellen, mich zu präsentieren, ohne dass ich mich direkt festlegen muss. Und dann stellen Verlagshäuser auch selten frische Absolvent*innen ein, weil sie nicht wissen, wen sie sich damit in die Redaktion holen. Viele gehen also von Praktikum zu Praktikum und landen dann später als Freie in den Redaktionen. Das lässt sich aber auch als Chance sehen, weil man die Möglichkeit hat, sich in Ruhe zu orientieren.
Bachelor, Master, Journalistenschule, haufenweise Praktika, ein Volontariat – und dann Freie*r Journalist*in? Für Außenstehende klingt das oft suspekt, wenn am Ende nicht eine Festanstellung folgt. Gibt es trotzdem Gründe, die dafür sprechen?
Als Erstes die räumliche Flexibilität. Wir müssen nicht irgendwo im Büro oder in einer Redaktion sitzen. Wir brauchen nur einen Rechner, Internet und einen fairen Auftraggeber, der uns unsere Arbeit bezahlt. Das ist eine Flexibilität, die in vielen Lebensphasen einfach angenehm ist. Oder auch die thematische Flexibilität. Ich meine, in welcher Redaktion, in welchem Verlagshaus habe ich die Möglichkeit, zu vielen verschiedenen Themen zu arbeiten? Gerade ich als chronisch neugieriger Mensch kann mich da als Freie voll ausleben und habe einen vielfältigen Arbeitsalltag. Festangestellte Redakteur*innen sind oft damit beschäftigt, zu planen, in Konferenzen zu sitzen, Themen heranzuziehen – die journalistische Arbeit gerät bei ihnen mitunter in den Hintergrund. Hinzu kommt die zeitliche Flexibilität: Die wird sehr gerne herangezogen, wenn wir zum Beispiel von Vereinbarkeit von Beruf und Familie sprechen. Aber für die einen ist es ein Segen, für den anderen ein Fluch. Denn sie verlangt eben auch sehr viel Disziplin und verleitet zur Selbstausbeutung. Das ist ein sehr wichtiges Thema, das wir nicht vernachlässigen sollten.
Inwiefern?
Viele unterschätzen, gerade zu Beginn des Berufs, was es eigentlich bedeutet, frei zu arbeiten. Wir Freie neigen viel zu oft dazu, uns zu viel aufzuhalsen. Dann kommt da zum Beispiel noch dieser eine spannende Auftrag, und der ist zwar super, bringt aber leider nicht viel Geld. Wenn es nur der eine ist: okay. Wenn es aber dauerhaft so ist, dann ist das ein Problem, dann wird es eng und stressig. Deshalb finde ich es immer schwierig, das Bild der freien Journalist*innen zu romantisieren. Wir sind halt Unternehmer*innen. Wir texten, redigieren, schneiden O-Töne. Aber wir machen auch Buchhaltung, Steuererklärung, Weiterbildung und kümmern uns um Altersvorsorge. Hier muss ich mich als Unternehmer*in regelmäßig fragen: Kann ich mir diesen Auftrag leisten? Und kann ich das auch leisten? Burn-out, Depressionen, all das ist gerade bei freien Journalist*innen ein großes Problem. Darüber wird seit kurzem vermehrt gesprochen, aber noch nicht laut genug.
Was meinen Sie genau?
Wenn wir über freien Journalismus sprechen, ist da auch immer Druck, und den muss man aushalten können. Druck etwa, dass das Honorar wieder nicht pünktlich auf dem Konto ist. Druck, Kritik und Anfeindungen ausgesetzt zu sein, mitunter ohne, dass eine Redaktion sich schützend vor mich stellt. Druck, immer einsatzfähig sein zu müssen. Und auch der ständige Druck, aus der Masse der Freien herausstechen zu müssen, damit mich Redaktionen wahrnehmen und wieder beauftragen. Hier für sich selbst einen gesunden Weg zu finden, ist tatsächlich nicht einfach.
Und doch arbeiten viele Journalist*innen als Freie. Entscheiden sie sich aktiv dafür oder geht es einfach nicht anders?
Übermedien hat sich 2021 zum „Code of Fairness“ bekannt, den zehn Regeln des Verbands Freischreiber für einen fairen Umgang mit freien Autorinnen und Autoren. Mehr dazu hier.
Das ist ein wichtiger Aspekt. Oft werden wir Freie ja gefragt: „Ach herrje, hast du keine Festanstellung bekommen?“. Ich möchte da mal mit Stolz behaupten, dass wir keine verhinderten Festangestellten sind. Viele der freien Kolleg*innen arbeiten gerne und aus Überzeugung frei. So ist es bei mir auch. Aber es wird natürlich auch überall gespart im Journalismus, nicht erst seit heute. Das betrifft nicht nur uns Freie, sondern auch die Festangestellten und die Festen Freien. Festanstellungen sind heute in der Tat nicht mehr so leicht zu bekommen wie früher einmal.
Gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten viele Freie. Ist das für die Unternehmen vielleicht auch schön einfach?
Das ist für die Redaktionen ein Vorteil, ja. Denn so müssen sie sich nicht längerfristig an Menschen binden. Wobei Feste Freie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ab einer gewissen Zeit Bestandsschutz genießen. Generell gilt: So punktuell wir unsere Aufträge bekommen, so punktuell werden wir auch bezahlt. Für eine Recherche, einen Text oder ein Radiofeature, und dann sind wir wieder weg. Verlage oder Sender müssen weniger Sozialabgaben und keine Versicherungsbeiträge zahlen, und das ist für die Unternehmen natürlich immer interessant. Je weniger Klötze ich mir ans Bein binde, umso flexibler kann ich mich bewegen.
Wie viele freie Journalist*innen gibt es in Deutschland?
Das ist schwierig zu beantworten, weil es dazu keine genaue Übersicht gibt. Im Grunde kann sich ja jede*r als freie*r Journalist*in bezeichnen, das ist kein geschützter Beruf. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann man es aber gut sagen: Da arbeiten rund 28.000 Festangestellte und 18.000 Feste Freie. Daneben gibt es Tausende Freie, die diesen festen Status nicht haben. Und die Freien sind enorm wichtig!
Weshalb?
Weil die Freien dort bis zu 90 Prozent des Programms machen. Was also bei den Öffentlich-Rechtlichen sicht- oder hörbar ist, ist zu einem Löwenanteil die Arbeit der Freien. Die Festangestellten sitzen eher in technischen Berufen, in der Verwaltung, der Planung oder auch in edlen Ledersesseln in den oberen Etagen. Die wenigsten machen selbst journalistische Beiträge. Und in den Redaktionen sitzt nie das geballte Wissen, das kann es auch gar nicht. Wir Freie sind Expert*innen zu bestimmten Themen, und wir sind auf Abruf da, wenn etwas ist.
Pia Pentzlin ist Praktikantin bei Übermedien. Sie studiert Journalismus und Unternehmenskommunikation an der HMKW Berlin und arbeitet als freie Redakteurin beim rbb24-Inforadio.
„haben sie Anspruch auf Urlaubsgeld und Zuschüsse zur Altersvorsorge, ………………… Das haben wir freien Journalist*innen nicht. Wenn wir Urlaub machen, verdienen wir in dieser Zeit nichts.“
Kleine Korrektur: Urlaubsgeld ist nun gerade nicht das normale Einkommen, das bei Urlaub weiterläuft.
https://de.wikipedia.org/wiki/Urlaubsgeld
Ah, feste Freie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk – ob das wohl die größte Gruppe an Scheinselbstständigen in Deutschland ist?