BDZV trifft ARD: Das zarte Pflänzchen einer Annäherung
Vor drei Jahren, im Mai 2019, hatten sich ARD, ZDF und der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) darauf verständigt, eine „Schlichtungsstelle“ einzurichten, falls der BDZV mal wieder ein Problem mit öffentlich-rechtlichen Online-Angeboten hat. Statt gleich vor Gericht zu ziehen, wollte man also erst mal: reden – und hat das dann Jahre lang nicht gemacht.
Doch nun ist sie endlich erwacht, die „Schlichtungsstelle“. Am Freitag trafen die Verleger (noch vertreten vom scheidenen Präsidenten, Spinger-Boss Mathias Döpfner) und ARD-Chefs aufeinander. Der ARD-Interims-Vorsitzende Tom Buhrow musste kurzfristig absagen, dafür war Bald-ARD-Chef Kai Gniffke vom SWR dabei. Und das ZDF fehlte ganz. Mit Angeboten dieses Senders, heißt es auf Nachfrage vom BDZV, habe es ja noch nie „Ärger“ gegeben.
Grund für das Treffen war vielmehr der aktuelle Streit um das Online-Angebot des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) und von „buten und binnen“, das zu Radio Bremen gehört. Die Mediengruppe Magdeburg, die Funke-Mediengruppe in Thüringen sowie die Bremer Tageszeitungen AG und die Nordseezeitung GmbH stören sich daran. Sie finden, dass es unlautere Konkurrenz darstelle, weil es „presseähnlich“, also zu textlastig sein. Darüber wurde dann diskutiert.
„Unterschiedliche Rechtsauffassungen“
Und was kam raus? Das Ergebnis des ersten Termins klingt in einer gemeinsam von ARD und BDZV herausgegebenen Pressemitteilung so:
„Zu den Gegenständen dieses Verfahrens (…) wurde festgehalten, dass unterschiedliche Rechtsauffassungen zum Verbot der Presseähnlichkeit bestehen.“
Ach so, okay. Nix Konkretes also außer: agree to disagree. Zumal diese unterschiedlichen Auffassungen schon lange bestehen. Aber immerhin habe man „Bereitschaft“ ausgemacht, „über grundsätzliche Handlungsfelder Einigkeit zu erzielen“. Die „Handlungsfelder“ selbst sind äußerst rätselhaft umrissen.
So sollen die jeweiligen Institutionen von ARD und BDZV erstmal intern, also mit sich selbst, über „folgende vier Punkte“ sprechen:
- Bei Übernahme von Themen aus Zeitungsangeboten Quellenangabe/Verlinkungsmöglichkeit
- Optimierung der audiovisuellen Darstellungsformen
- Sicherstellung des Sendungsbezugs
- Erfolgskriterien/Zielbild für Online-Angebote zur Stärkung audiovisueller Angebote
Hmmja, werden Sie daraus schlau? Gut, es sollen Quellen und Links angegeben werden. Aber ist das nicht ohnehin geboten, wenn Medien etwas von anderen Medien „übernehmen“? Und: Wissen Sie, wer jetzt mit welchem Ziel die „audiovisuellen Darstellungsformen“ wohingehend „optimieren“ soll? Ich auch nicht.
„Keine Äußerungen über die PM hinaus“
Weil das so rätselhaft klingt, habe ich beim BDZV und beim WDR nachgefragt, ob wir noch etwas Kontext zu den Punkten bekommen könnten. Lustig: Die angegebene Mail-Adresse des WDR unter der Pressemitteilung ist nicht nur nicht mehr erreichbar, weil veraltet, der Sender sieht auch nicht sich zuständig, sondern die vom Streit bestroffenen Anstalten. Eine WDR-Sprecherin schreibt:
„Danke für Ihre Anfrage, die ich der Zuständigkeit halber an den MDR und Radio Bremen weiterleiten werde. Die Kolleg:innen werden sich bei Ihnen melden.“
Haben sie dann auch getan, aber nur, um zu sagen: Mehr sagen wir nicht. Und auch der BDZV-Sprecher schreibt auf meine Anfrage lediglich: „Zwischen den beiden Parteien wurde vereinbart, dass es keine Äußerungen gibt, die über die PM hinausgehen. Auch war ich bei dem Gespräch selbst nicht dabei.“
Um nicht „lol“ zu schreiben, formuliere ich es so: Das ist bemerkenswert. Eine Pressemitteilung zu veröffentlichen (!), aber dann keine Nachfragen dazu beantworten zu wollen (!!) und zu können (!!!), und das als ARD / BDZV. „Augen auf bei der Berufswahl“, möchte man da rufen.
Schiebt man das eigenartige Prozedere mal beiseite, bleibt – zumindest bei mir – ein „Immerhin“: Die Parteien wollen offenbar weiter sprechen und womöglich das zarte Pflänzchen einer Annäherung nicht gleich dadurch gefährden, dass der Streit allzu weit in die Öffentichkeit getragen wird, und dann womöglich die eine Partei etwas anderes sagt als die andere. Sie sehen: Es ist kompliziert.
Aber dass sie nun reden, ist längst nicht das schlechtest denkbare Szenario, das eintreten konnte. Man denke nur daran, dass Mathias Döpfner den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einst als „Staatsfernsehen und Staatspresse“ bezeichnete und die Situation hierzulande tatsächlich mit der in Nordkorea verglich.
16 Presseverlage gegen den SWR
Oder man schaue nach Stuttgart: Statt sich schlichtend anzunähern, wird dort gleich vor Gericht gestritten. 16 Presseverlage klagen derzeit vor dem Stuttgarter Landgericht gegen ein recht neues Online-Angebot des SWR, wir haben darüber vor kurzem ausführlich berichtet: Es geht um „Newszone“, eine App für die junge Zielgruppe – beziehungsweise, wie es Wolfgang Janisch in der „Süddeutschen Zeitung“ ausdrückt: „Es geht um mehr als eine App“.
Denn „Newszone“ steht stellvertretend für ebenjenen fundamentalen Konflikt zwischen Verlagen und ÖRR. Er dreht sich darum, was „presseähnlich“ bedeutet und wie viel Raum die beitragsfinanzierten Sender im Netz einnehmen dürfen, ohne wettbewerbswidrige Konkurrenz zu den privaten Verlagen zu sein.
Das alte Pro-ÖRR-Argument des „Demokratiegaranten“ im Netz nutzt sich tatsächlich immer mehr ab, darauf weist auch Janisch hin: Denn an Pluralismus von Online-Angeboten mangelt es inzwischen längst nicht mehr.
„Presseähnlich“ – hallo, es ist 2022
Dass die Legitimität öffentlich-rechtlicher Online-Angebote immer wieder am Begriff „presseähnlich“ gemessen wird, ist in meinen Augen aber zunehmend absurd. Oder wie es Janisch formuliert: „Wer Onlinejournalismus betreibt, handelt beinahe unausweichlich ,presseähnlich‘. Wie soll da ein Gericht mit dem Gutenberg’schen Begriff Grenzen ziehen?“
Vielleicht würde es helfen, den Onlinejournalismus (hallo, wir schreiben 2022) nun langsam doch mal als eigenständig wahrzunehmen und nicht weiterhin so zu tun, als wäre das geschriebene Wort immer noch exklusiv dem einen und das Bewegtbild dem anderen Medium zuzuordnen. Warum das beide Seiten so nicht wahrhaben wollen? Janisch bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt:
„Verschärft wird der Clash der Kulturen dadurch, dass beide Seiten im Internet ihre Zukunft sehen: die Verlage wegen der sinkenden Printauflagen, die Rundfunkanstalten, weil die jungen Leute kaum noch lineares Programm schauen. Es steckt also ein Schuss Weitsicht in der ,Newszone‘. Oder Verzweiflung.“
Die spürt man beim SWR, der ab Januar den ARD-Vorsitz innehaben wird. „Ungeachtet dieses Rechtsstreits“ um „Newszone“ sei man dort „weiterhin bestrebt, mit den Verlagen zu kooperieren und gemeinsam für eine qualitativ hochwertige Medienlandschaft im Südwesten zu sorgen“, beteurte der Sender neulich auf unsere Anfrage. Na, dann hoffen wir mal, dass aus der Verzweiflung etwas Produktives für (bitte gleich: die gesamte) Medienlandschaft erwächst und die leidige Frage, wer nun was darf, irgendwann auch eine Antwort erfährt.
Ob das nun am runden Tisch oder im Gerichtssaal geschieht? To be continued.
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Nachtrag, 24.10.2022. Das Landgericht Stuttgart hat in Sachen „Newszone“ nun weitgehend gegen den SWR entschieden. Wir haben das unter unserem Text über die Klage der Verleger nachgetragen.
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