Der rbb-Hörfunksender Radio Eins hat sich in der vergangenen Woche verstärkt dem Thema Inklusion gewidmet. Täglich eine Stunde moderierten Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam; in Beiträgen ging es um Barrierefreiheit und die Frage, wie inklusiv der rbb selbst ist. Eine Podiumsdiskussion zum „Fokus Arbeitswelt“ aber sorgte für eine heftige Kontroverse – auch außerhalb des Programms.
Eingeladen waren der Aktivist Raul Krauthausen, der mit seinem Verein „Sozialhelden“ für mehr Teilhabe kämpft, und Beatrix Babenschneider, einer ehemaligen Werktstatträtin. Das Publikum war offenbar fast ausschließlich mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Werkstätten für Menschen mit Behinderung besetzt, was der Diskussion eine erhebliche Schieflage gab. In den Sozialen Medien gab es viel Kritik an der Konstellation und der Art der Debatte:
Ich höre mir grade die Podiumsdiskussion @radioeins an, wo @raulde gegrillt wird und wo ausschließlich Werkstattfans im Publikum sitzen, alle über Gefühle reden wollen und Raul der einzige ist, der Fakten bringt. Mir ist ÜBEL vor Fremdscham! https://t.co/82xdrcQuOV
Diese Sendung aus der Themenwoche "@radioeins inklusiv" wurde so kuratiert, dass man den Eindruck gewinnt, @raulde sei die einzige Person im Saal und sonstwo, die irgendeine System-Kritik an Werkstätten für Menschen mit Behinderung hat.https://t.co/SSJxch5Lbp
Journalistisch ein absolutes No-Go. Frage ist, mit welchem Interesse? Welchen Einfluss hatte die Werkstätten auf die Eventplanung? https://t.co/JY2oD4Id8D
Das war eine grausame Sendung voller behindertenfeindlicher Fans dieser "Social" Sweatshops (ja, man kann die Situation in ihren Grundlagen durchaus mit Bangladesch vergleichen). Nur @raulde hat hier dagegengehalten. Wer hat dieses Podium konzipiert?
Holger Klein hat darüber mit Raul Krauthausen gesprochen. Die Vertreter der Werkstätten hätten einen sehr großen Redeanteil gehabt, sagt er, „der mich als jemand, der das System eigentlich nur hinterfragen wollte, dann doch ein bisschen einsam hat stehen lassen als der Querulant, der die Menschen morgen auf die Straße setzen möchte.“ Die Werkstätten hätten in Deutschland auch in den Medien generell einen sehr guten Ruf; die Probleme würden kaum thematisiert. Die angekündigte strukturelle Frage „Wie durchlässig ist unsere Arbeitswelt“ sei kaum thematisiert worden.
Krauthausen kritisiert auch das Projekt „Schichtwechsel“, dessen Medienpartner Radio Eins ist, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung für einen Tag den Arbeitsplatz tauschen. „Das ist sowas wie ein Besuch im Zoo“, sagt er. „Man schaut sich das mal an, und dann kann man danach wieder nach Hause gehen, und alles bleibt wie vorher. Das ist aber keine Inklusion.“
Er sieht ein großes Defizit in Deutschland, was Journalistinnen und Journalisten mit Behinderung angeht. Wenn es davon mehr in den Medien gäbe, würden auch andere Fragen gestellt.
Das Gespräch zwischen Holger Klein und Raul Krauthausen hören Sie hier:
(Sie können den Podcast auch über die Plattform oder App Ihrer Wahl hören. Hier ist der Feed.)
Der Gesprächspartner
Raul Krauthausen hat Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und Design Thinking studiert. Er ist Inklusions-Aktivist und hat den gemeinnützigen Verein „Sozialhelden“ gegründet, der sich als Denkfabrik für soziale Projekte versteht. Für seine Arbeit wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Er hat einen Interview-Podcast „Im Aufzug“.
Ok, das scheint mir mal ein Fall von falscher Balance zu sein.
Hm. Ich bin berufsbedingt etwas näher am Thema, und es ist alles nicht so einfach – nicht zuletzt, weil im Prinzip dieselbe Einrichtung mit derselben zugrunde liegenden Struktur für die Beschäftigung von Menschen mit psychischer Erkrankung, Körperbehinderung oder auch geistiger Behinderung zuständig ist.
Ohne einmal alles – also auch den ersten Arbeitsmarkt – komplett umzukrempeln, kann man schwerlich nur die Werkstätten kritisieren. Die Zahlung eines Mindestlohns wäre sicher schön, an anderer Stelle wird dann jedoch Geld eingespart. Ich weiß, dass ein eigener Verdienst psychologisch wichtig ist, aber ob zum Schluss mehr Geld in den Taschen der Beschäftigten landet, würde ich bezweifeln. Schon jetzt dürfen Werkstätten keinen Gewinn erwirtschaften – wo soll der Mindestlohn überhaupt herkommen? Alles klingt irgendwie zu kurz gedacht.
Ich kann Herrn Krauthausen verstehen und möchte nicht mit ihm tauschen – zwanzig Jahre lang im Prinzip das selbe zu erzählen stelle ich mir sehr frustrierend vor. Sehr viele Kritikpunkte sind sehr berechtigt – die Vermittlungsquote steht zB direkt in Konkurrenz zur Wirtschaftlichkeit einer Werkstatt, ein großes Problem. Wenn jedoch Gäste anderer Meinung sind als er, ist das möglicherweise keine große Verschwörung – möglicherweise gibt es auch einige Sachen, die die Werkstätten und ihre Mitarbeiter richtig machen.
@#2
Der Mindestlohn könnte evtl möglich sein, wenn die Werkstätten (wie auch die Wrkstätten der JVA) nicht konsequent alle Mitbewerber des 1. Arbeitsmarktes unterbieten würden.
Statt die Leute in des ersten Arbeitsmarkt bringen zu wollen macht man den mit kaputt, um billige Arbeitskräfte ohne Mindestlohn in Vollbeschäftigung zu halten.
Ok, das scheint mir mal ein Fall von falscher Balance zu sein.
Hm. Ich bin berufsbedingt etwas näher am Thema, und es ist alles nicht so einfach – nicht zuletzt, weil im Prinzip dieselbe Einrichtung mit derselben zugrunde liegenden Struktur für die Beschäftigung von Menschen mit psychischer Erkrankung, Körperbehinderung oder auch geistiger Behinderung zuständig ist.
Ohne einmal alles – also auch den ersten Arbeitsmarkt – komplett umzukrempeln, kann man schwerlich nur die Werkstätten kritisieren. Die Zahlung eines Mindestlohns wäre sicher schön, an anderer Stelle wird dann jedoch Geld eingespart. Ich weiß, dass ein eigener Verdienst psychologisch wichtig ist, aber ob zum Schluss mehr Geld in den Taschen der Beschäftigten landet, würde ich bezweifeln. Schon jetzt dürfen Werkstätten keinen Gewinn erwirtschaften – wo soll der Mindestlohn überhaupt herkommen? Alles klingt irgendwie zu kurz gedacht.
Ich kann Herrn Krauthausen verstehen und möchte nicht mit ihm tauschen – zwanzig Jahre lang im Prinzip das selbe zu erzählen stelle ich mir sehr frustrierend vor. Sehr viele Kritikpunkte sind sehr berechtigt – die Vermittlungsquote steht zB direkt in Konkurrenz zur Wirtschaftlichkeit einer Werkstatt, ein großes Problem. Wenn jedoch Gäste anderer Meinung sind als er, ist das möglicherweise keine große Verschwörung – möglicherweise gibt es auch einige Sachen, die die Werkstätten und ihre Mitarbeiter richtig machen.
@#2
Der Mindestlohn könnte evtl möglich sein, wenn die Werkstätten (wie auch die Wrkstätten der JVA) nicht konsequent alle Mitbewerber des 1. Arbeitsmarktes unterbieten würden.
Statt die Leute in des ersten Arbeitsmarkt bringen zu wollen macht man den mit kaputt, um billige Arbeitskräfte ohne Mindestlohn in Vollbeschäftigung zu halten.