Der Autor
Nils Minkmar ist Publizist. Er war Redakteur bei „Willemsens Woche“, der „Zeit“, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und dem „Spiegel“. Seit Mai 2021 ist er fester Autor des Feuilletons der „Süddeutschen Zeitung“.
In diesen trüben Tagen gibt es wenig Aufheiterndes. Vermutlich deshalb haben sich die beiden aus Funk und Fernsehen bekannten Autoren Harald Welzer und Richard David Precht dazu entschlossen, ein medienkritisches Buch zu schreiben und eine Vielzahl von Interviews dazu zu geben, in denen sie die Unausgewogenheit der Medien zu Ungunsten von Minderheitenmeinungen beklagen, wie die beiden sie zu vertreten glauben.
Das ist auf den ersten Blick amüsant, denn die beiden sind wirklich oft zu lesen und zu hören. Aber bald bedauert man, dass diese ja stets nötige Medienkritik von zwei Geisteswissenschaftlern vorgenommen wird, die nicht die Zeit hatten, in Redaktionen zu recherchieren oder einen Journalisten oder eine Journalistin hinzuzuziehen.
Nils Minkmar ist Publizist. Er war Redakteur bei „Willemsens Woche“, der „Zeit“, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und dem „Spiegel“. Seit Mai 2021 ist er fester Autor des Feuilletons der „Süddeutschen Zeitung“.
Ein Motiv, das immer wieder thematisiert wird, ist das der Konformität, sie nennen es den Cursor-Journalismus: „immer auf der richtigen Seite stehen zu wollen“. Nun wäre es ein seltsamer Journalismus, der lieber auf der falschen Seite stehen möchte, aber darum geht es ihnen nicht, sondern um einen bestimmten sozialen Mechanismus: „Man [gemeint ist der Journalist, die Journalistin] denkt an seine Kollegen, kennt deren Denken, will deren Lob und richtet sich an denen aus.“
Hier gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen der Arbeit in einer Redaktion und in anderen Institutionen: Es ist im Journalismus von Vorteil, es ist das Salz in der Suppe, eine eigene, von allen anderen verschiedene Meinung zu vertreten. Wer immer das gleiche schreibt wie alle anderen, fällt nicht auf.
Darum stimmt der erste Teil der Feststellung von Precht und Welzer: dass man sich im Journalismus an der Kollegenschaft orientiert. Aber nicht die Folge. Wer nur im Chor ganz hinten mittönt, langweilt auf Dauer. Konformität mag im Militär, beim Synchronschwimmen und im Ballett eine wichtige Sache sein, im Journalismus ist es die allerungünstigste Eigenschaft. Wenn alle seit vielen Jahren die Bücher von Martin Walser loben, tut eine ambitionierte Kritikerin klug daran, einmal aufzuschreiben, was ihr daran nicht gefällt.
Ein simples Prinzip, das eigentlich auch alle Journalisten kennen, man müsste halt mal fragen.
Ebenso einfach ließe sich Frage beantworten, die Richard David Precht im Gespräch mit der „Zeit“ stellt, wo den Mindermeinern ja eine große Strecke eingeräumt wurde und wo der Dissens eine eingeführte Rubrik ist, die sogar „Streit“ heißt. Dort fragt Precht: „Ich weiß nicht, wie die Redaktionskonferenzen der ‚Zeit‘ ablaufen …“ – was verwundert, denn nichts wäre für ihn leichter, als dort einmal zu Besuch zu kommen, alle sind sehr nett.
Und dann gibt er den Kolleginnen und Kollegen einige gute Ratschläge auf den Weg: „Es muss eine gesunde Kultur des Widerstreits in einer Redaktion geben, man muss sich selbst hinterfragen können, um auch mal dem Jagdtrieb widerstehen zu können.“ Weise Worte, aber sie offenbaren, dass der Mann keine Redaktion von innen kennt, auch nicht mal gefragt hat.
Es wird in jeder Redaktion permanent alles hinterfragt: Das Geschäftsmodell, die letzte Ausgabe, die generelle Strategie, die gegenwärtige Taktik, die Berichterstattung über Deutschland und die Welt und alles andere auch. Sind drei Wirtschaftsredakteur:innen im Raum, vertreten die auch drei Meinungen. Der verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der es wirklich verstand, Themen zu setzen und von seiner Meinung überzeugt war, stöhnte einmal: Wenn ich erzähle, dass ich mit diesem oder jenem essen war, kann ich sicher sein, am nächsten Tag eines Verriss seines neuen Buches in der FAZ zu lesen!
Natürlich gibt es auch im Journalismus Opportunismus, Schleimerei und höfisches Verhalten, aber die äußern sich eher intern, in diversen Intrigen und Postenmanövern, von denen das Publikum nicht unbedingt viel mitbekommt.
Precht und Welzer kreisen in den Interviews um Brei von diverser Temperatur, monieren etwa die Persönlichkeitsbezogenheit von Journalismus – wofür die Kanzler Olaf Scholz und Angela Merkel, die nie eine einzige Homestory zugelassen haben, Gegenbeispiele sind. Und dann geht es in den Interviews wieder gegen die sozialen Netzwerke und dass Journalistinnen zu viel Zeit dort verbringen, es für die wahre Welt halten und so fort – wer möchte ihnen widersprechen, schließlich predigt man es selbst seinen Kindern.
Was die beiden eigentlich mit diversen Gedankengängen und nur halb tauglichen Beispielen beklagen, ist ihre Minderheitenposition in der Ukrainefrage, denn beide verhalten sich abwartend bis neutral, was die Hilfe für Kiew angeht.
Die Deutschen und auch die deutschen Journalist:innen haben aus der Vergangenheit gelernt und berichten nicht in abgehobener Äquidistanz über die Welt, sondern aufgrund bestimmter Werte. Daher steht die Mehrheit, so viel ist wohl richtig, im Falle eines Angriffskrieges, eines versuchten Genozids und angesichts barbarischer Verbrechen gegen Zivilist:innen auf der Seite der Opfer. Und wünscht ihnen alles, was keinen Weltkrieg auslöst und helfen mag, den Aggressor zu vertreiben.
Das hat aber nichts mit Twitter oder einem Redaktionsklima zu tun; es ist die Verantwortung, die sich aus der deutschen Geschichte ergibt. Wäre es wünschenswert, dass sich mehr Kolleg:innen dazu entschließen, die Russen zu unterstützen und um des fragwürdigen Ideals einer Parität willen den Täter loben? Ich denke nicht.
Es handelt sich bei dem Überfall auf die Ukraine wie bei der Fatwa auf Salman Rushdie um einen, wie Rushdie einmal schrieb, Moment im Licht gleißender moralischer Klarheit, und da soll man keinen Schatten suchen.
Es bleibt denke ich dabei, dass Welzer als Soziologe und Precht als Philosophie-Aufbereiter in bestimmten Bereichen ihre mehr oder weniger großen Verdienste erworben haben, sich aber aus irgendeinem Grund dazu berufen fühlen, Felder zu bespielen, auf denen sie keine fachliche Expertise besitzen. Ihre Rolle als welterklärende Allzweckwaffe wurde und wird vor allem in Prechts Fall heftig durch Medien gestärkt, obwohl man sich in denen Redaktionen mal die Frage stellen sollte, auf welcher Grundlage dieses Bild eigentlich beruht. Für mich wäre das der viel spannendere Untersuchungsgegenstand: Warum können sich in Medien immer wieder (bestimmte) fachfremde Menschen meinungsstark zu einem Thema äußern? Derzeit sitzen die beiden halt in Talkshows oder Podcasts und können mit viel Meinung und wenig Wissen teilweise weniger zu einem Thema beitragen, als es ein informierter Laie könnte.
„in denen sie die Unausgewogenheit der Medien zu Ungunsten von Minderheitenmeinungen beklagen, wie die beiden sie zu vertreten glauben.“
das habe ich mehrfach lesen müssen, um tatsächlich zu verstehen, dass diese aussage auch sinn macht.
aber eigentlich meinen die beiden doch, dass die medien unausgewogen zu ungusten über (stille) mehrheitsmeinungen berichten, die die beiden zu vertreten glauben?
diffizil.
Oh okay, es geht den beiden also eigentlich nur um die Ukraine? Das hätten sie auch kürzer haben können als so weit auszuholen.
„Das hat aber nichts mit Twitter oder einem Redaktionsklima zu tun; es ist die Verantwortung, die sich aus der deutschen Geschichte ergibt. Wäre es wünschenswert, dass sich mehr Kolleg:innen dazu entschließen, die Russen zu unterstützen und um des fragwürdigen Ideals einer Parität willen den Täter loben? “
Ich finde das zu plump, die gesamte Situation auf so eine Aussage runterzubrechen. Es geht auch am Kern der Differenzen vorbei und ist ein Strohmann. Wenn man sich nämlich mal nüchtern die Aussagen solcher Putinversteher:innen, wie auch von Wagenknecht, mal ernsthaft durchliest, dann wird dort zur Kenntnis genommen, dass Russland einen verbrecherischen Angriffskrieg führt und es wird Russland dafür kritisiert.
Streit besteht bei den meisten darüber, wie damit umgegangen werden soll, und da haben wir historisch und aktuell einen Haufen Präzedenzfälle, wo wir genau diese hochtrabende „Verantwortung […] aus der deutschen Geschichte“ jedes mal wieder aufs neue relativieren. Politiker:innen tun das, Journalist:innen tun das und kurzum jede:r tut das. Es ist auch okay, denn so läuft Diplomatie in der realen Welt mit realen Machtverhältnissen. Wir können bei den USA nicht die gleichen Standards wie bei jedem anderen Land anlegen, weil wir abhängig sind und weder militärisch noch wirtschaftlich die Möglichkeit dazu haben. Wir können China nur halbherzig für Diktatur und Klima verurteilen, weil wir wirtschaftlich abhängig sind und zum Klima selbst kaum Anstrengungen unternehmen. Wir können Israel nicht kritisieren wie das die israelische Linke und NGOs tun, wegen Nazis. Wir lassen Ungarn, Türkei, Marokko, Libyen, Griechenland, Italien die Drecksarbeit machen, Flüchtlinge im Mittelmeer zu ertränken oder in Camps einzusperren, weil unsere ach so freie Gesellschaft mit wirklich offenen Grenzen zusammenbräche. Viele von uns werden demnächst eine Fußball-WM genießen, die in durch Sklavenarbeit errichteten Wüstenstadien stattfindet und bei der weder Teilnehmende noch übertragende Medien den Mut haben, nein zu sagen.
Was wir auf der Weltbühne und auch zuhause permanent machen, nämlich Menschenrecht mit harten ökonomischen Interessen abzuwägen, das soll auf einmal mit Russland nicht mehr möglich sein? Was Journalist:innen hier herauszuarbeiten hätten, wäre wieso Russland so einzigartig ist, dass diese Relativierungen nicht mehr möglich sind, so wie sie bei vielen anderen Ländern immer wieder praktiziert wird. Wie kann man als Alternative zu russischem Gas aus einer kriegführenden Diktatur auf aserbaidschanisches Gas aus einer kriegführenden Diktatur zurückgreifen? Oder aus Katar, einer Schariahmonarchie, die bis letztes Jahr selbst für die benachbarten Diktaturen unberührbar war, weil sie Terrormilizen unterstützt(e)?
Die Relativierungen von Menschenrecht sind real. Sich als absolute Hüter des Guten darzustellen und damit im Umkehrschluss Russlandversteher als weltfremd ist falsch und spaltet die Gesellschaft. Journalisten sollten nicht die Fantasie sondern die Realität beschreiben und kritisieren. Während Politiker:innen ihre Handlungen mit Freiheit und Recht begründen mögen, sollten Journalist:innen dahinterschauen auf die politischen und ökonomischen Interessen, und das den Bürger:innen erklären. Eine kritiklose Übernahme eines Framings ist PR und nicht Journalismus.
Wenn so eine naive Komplexitätsreduktion auf ein einfaches gut/schlecht die Mehrheitsmeinung in deutschen Redaktionen ist, dann wäre das das beste Beispiel, warum die beiden recht haben.
@erwinzk
„Was wir auf der Weltbühne und auch zuhause permanent machen, nämlich Menschenrecht mit harten ökonomischen Interessen abzuwägen, das soll auf einmal mit Russland nicht mehr möglich sein?“
Meiner Meinung nach ist das ökonomische Interesse nicht die einzige Komponente, bei der wir abwägen, geostrategische Interessen gehören auch dazu. Wir haben sicherlich mit einer Menge Staaten mehr zu tun, als es mir persönlich lieb wäre, deshalb muss man aber nicht auch noch enge wirtschaftliche Beziehungen zu einem Land pflegen, dass seit Jahrzehnten nicht mit seinen Dekolonisationsprozessen zurande kommt, aber trotzdem Weltmachtsfantasien hegt und deshalb nicht nur munter beim Destabilisieren westlicher Demokratien mitmischt, sondern auch noch in gewaltigem Ausmaße die europäische Sicherheitsarchitektur angreift. Für mich ist das schon ein großer Punkt, der allerdings womöglich in der Berichterstattung nicht immer genügend herausgearbeitet wird. Die Argumentation mit Moral, die von Seiten der Politik oft vorgenommen wird, ist in der Tat vor dem Hintergrund mancher Doppelstandards nicht so ideal, wenn es (zumindest meiner Ansicht nach) wesentlich bessere Argumente gäbe. Und an der Stelle sollte Journalismus wohl tatsächlich noch genauer hinschauen und einordnen (obwohl es nicht so ist, dass das gar nicht behandelt werden würde). Ich bin mir auch nicht sicher, ob dies in die Problembereiche fällt, die Precht und Welzer diagnostiziert haben wollen.
„Konformität mag im Militär, beim Synchronschwimmen und im Ballett eine wichtige Sache sein, im Journalismus ist es die allerungünstigste Eigenschaft.“
Oder in der Philosophen-Podcast-Blase. Weshalb die beiden Außenseiterpositionen einnehmen. Weshalb sie immer dann ins Gespräch kommen, wenn diese Positionen behandelt werden sollen. Schlau von denen, oder?
Ich finde, das ist selbst für eine Kolumne ein echt schwacher Beitrag von Nils Minkmar, der es sich hier viel zu einfach macht.
Sicher kann man Precht und Welzer kritisieren, soll man auch, sicher kann man ihre Haltung zum Ukraine-Krieg oder anderen Aspekten in Frage stellen, aber das heißt doch nicht, dass sie nicht auch ein paar kluge Gedanken haben können und Kritik „von außen“ auf den Journalismus Sinn macht. Jemanden fragen? Als ob Selbstwahrnehmung die zuverlässigste Quelle wäre…
Der Text von Minkmar wirkt auf mich wie:
Journalismus so wie er ist funktioniert doch wunderbar, Konformismus gibt es nicht, alle hinterfragen alles jederzeit und permanent.
Sicher, klar doch. Auf Anhieb finden sich Dutzende Beiträge von Übermedien, die das Gegenteil nahelegen, und zwar ohne dass es um grundsätzliches Medien-Bashing ginge.
Und was hat personenzentrierter Politik-Journalimus bitte mit Homestorys zu tun? Ausgerechnet Angela Merkel und Olaf Scholz als Gegenbeispiele?
Hier geht es doch nicht um Homestories, sondern darum, dass sich Politikjournalismus viel zu häufig um vermeintliche oder tatsächliche Koalitätskrisen, parteiliche Grabenkämpfe, Köpfe, Personen, Rücktritte, Nachfolgen, Intrigen und sonstiges dreht und Inhalte dabei zur Nebensache werden
Vielleicht sollte Herr Minkmar nochmal einige Beiträge auf Übermedien lesen, empfehle ich sehr
#6 Es macht in meinen Augen schon Sinn, „Jemanden (zu) fragen“, bevor man so ein Buch raushaut. Nicht weil man die Antworten unreflektiert übernimmt, sondern um überhaupt in die Lage zu kommen, mitreden zu können.
Dieses Dampfgeplauder aus dem Bauch heraus entwickelt sich zum globalen Ärgernis. Lauter untalentierte verhinderte Renaissencemenschen a la Jordan Peterson, Sarrazin, Welzer oder Precht.
Es wird im Vorfeld nicht recherchiert und, wenn überhaupt, Statistik, die die eigenen Aussagen zu unterstützen scheint, unkritisch abgeschrieben.
Ja, es gibt laut Allensbach eine wachsende Zahl von Menschen, die den Medien die grundsätzliche Unabhängigkeit absprechen. Nur bedeutet das eben nicht automatisch, dass die Unabhängigkeit im Schwinden ist, wie fast 50% der Menschen das glauben. Es kann auch bedeuten, dass die Menschen kritischer- und eben mißtrauscher werden, dass Randmedien diesen Verdacht erfolgreich an den Menschen bringen können, die früher keine Plattform hatten, dass durch häufiges false balancing Verschwörungstheorien Verbreitung finden usw..
Sich ein paar Monate hinsetzen und so einen Schinken raushauen, ohne sich ernsthaft mit Recherche und Empirie auseinanderzusetzen zeigt eine Hybris, die fast schon bewundernswert sein könnte, letztlich aber nur bedauernswert ist.
Simplifiziert läßt sich alles reduzieren auf die banale Aussage: Die Mehrheit ist nicht meiner Meinung, weil meine Meinung nicht fair behandelt wird. Sonst wäre sie ja die Mehrheitsmeinung, so überlegen, wie sie ist.
„Die Deutschen und auch die deutschen Journalist:innen haben aus der Vergangenheit gelernt und berichten nicht in abgehobener Äquidistanz über die Welt, sondern aufgrund bestimmter Werte“
Wer braucht (diesen) Werte-Journalismus?
#8
Werte zu haben führt also zu Werte-Journalismus. Und wenn, wäre das also was negatives?
Irgendwie scheint diese Auseinandersetzung eine große Unschärfe der Begriffe offen zu legen.
Da wäre auch noch der Vorwurf der Mediokratie in dem genannten Buch.
Ich denke, alle Menschen brauchen Werte, universelle Werte sozusagen.
Das Gegenteil von so einem „Werte-Journalismus“ wäre vielleicht „Propaganda“? Vorsätzliches Lügen, vorsätzliches Verschweigen, oder den Eindruck komplett falscher Gewichtung zu erzeugen.
Wenn das den deutschen Medien vorzuwerfen wäre, so liesse sich das durch Recherche und Empirie wohl am besten belegen. Einen Teil davon dürfte auch gerade Übermedien beitragen.
Keine gute Quelle ist das Bauchgefühl.
Ja und das mit der Mediokratie.
Alte Kamelle eigentlich, aber die Variante war doch meines Wissens nicht die, dass die Main-Stream Politik die Medien bestimmt, sondern dass die Medien ( und deren Eigentümer ) die Politik bestimmen.
Gerade das aber dürfte 2022 bei weitem kein so großes Problem mehr sein, wie im 20ten Jahrhundert noch. Den neuen Medien sei Dank.
Aber die sind ja auch wieder schädlich. Sie lassen es wohl hauptsächlich an Respekt mangeln.
Ist aber auch ein Ärgernis.
Wenn das Buch schon im zweiten Satz (!) eine Umfrage falsch zitiert bzw so verkürzt (siehe M. Stokowski bei Twitter), dass es den Autoren in den Kram passt, lohnt sich die Lektüre der folgenden Sätze auch nicht mehr.
Angeblich sagten laut Welzer/Precht 44% der Befragten, man dürfe seine Meinung nicht mehr frei äußern. Die Aussage, der 44% zustimmten, war jedoch, dass es besser sei, vorsichtig zu sein bei der Äußerung politischer Meinungen – ein himmelweiter Unterschied. Aber hey, Bauchgefühl und so. Da sind‘s locker 97%, geschätzt.
#10
der unterschied zwischen „vorsichtig sein bei äusserung politischer meinungen “ und „meinung nicht frei äussern“? vorsicht vs freiheit?
#11:
Wenn nun jemand zwingend das N-Wort anbringen möchte, seine Grill Sauce unbedingt so nennen dürfen will, die zu Adolf Zeiten noch üblich oder es sie/ihn drängt, dem „Püppchen“ doch lieber die Küche als Tätigkeitsort zu empfehlen, damit sie nicht einem gestandener Mann den Forschungsplatz wegnimmt, wie würde er/sie das verbalisieren?
Vorsicht bei Äußerung politischer Meinungen vielleicht?
Wir wissen aus Feldforschung, wie weit verbreitet antisemitische Meinungen in der Bevölkerung sind.
Was sich vor allem geändert hat ist, dass solche Dinge nicht mehr widerspruchslos geäußert werden können, was vor einigen Jahren noch fast immer der Fall war. Weitere Konsequenzen sind kaum zu befürchten, zumindest bei weitem nicht in dem Maße, wie es fortwährend suggeriert wird. Dass Menschen keine Sexisten, Antisemiten oder Rassisten in international aufgestellten Unternehmen haben möchten, versteht sich ja irgendwie von selber.
Es sind vor allem die Art von Meinungen, die vor wenigen Jahrzehnten noch problemlos jeden deutschen Stammtisch dominiert haben, deren Vertreter gerade am lautstärksten heulen.
Und zwar fast immer nur deshalb, weil sie mit Widerspruch einfach nicht umgehen können und nicht, weil sie tatsächlich negative Konsequenzen erlitten. Die Beispiele, die daraus quasi ein Geschäftsmodell aufgebaut haben, nehmen parallel zu.
Merke:
Ein schlechter Künstler kann immer noch als relativ guter rechter Künstler Karriere machen. Gesinnung wird da belohnt.
@11: Ich bin mir nicht ganz sicher, was Sie mir sagen wollen. Aber ich verlinke mal die genaue Formulierung der Umfrage. Mal davon abgesehen, dass die Fragestellung schon Käse ist (Meinungsfreiheit und Vorsicht beim Meinungsäußern sind keine Gegensätze, man könnte sogar argumentieren, dass es in einer freien und sozialen Gesellschaft üblich ist, nicht einfach alles rauszublöken, sondern vorher kurz nachzudenken) ist es eben ein Unterschied, ob man meint, es sei besser, vorsichtig zu sein oder ob man nichts mehr sagen dürfe: https://nitter.net/pic/orig/media%2FFd7v4LaWQB8UKHd.jpg
#13: Sie haben Recht, es ging um die Antwort auf Ihren Beitrag. Ich habe, quasi im Gehen, zu fahrig kommentiert. Das war dumm.
@Frank: Da scheinen Nummern unterschiedlich zu sein bei Ihnen und mir. Ihren Beitrag habe ich verstanden und als Antwort Ilja Karls gelesen. Ich hatte nicht verstanden, was Ilja Karl sagen wollte und deshalb die Umfrage verlinkt. Entschuldigen Sie die Verwirrung.
Die Essenz: die unterstellte Konformität gibts nicht, es wird ganz viel hinterfragt, alles top bei den Leitmedien. Und eigentlich gehts den beiden nur um „ihre Minderheitenposition in der Ukrainefrage“. Und da haben sie nun mal nicht recht. Herr Minkmar findet, man sollte die Russen nicht unterstützen und nicht loben.
Wer meint, dass an der Kritik der Leitmedien nichts dran ist, dem empfehle ich, den Übermedien-Newsletter zu abonnieren.
Und wer meint, Welzer und Precht fordern Lob und Unterstützung für die Russen, dem empfehle ich, sich beruflich in einer Branche zu betätigen, wo keinerlei politische Urteilsfähigkeit benötigt wird.
#16:
Einige Erläuterungen wäre hilfreich:
„Herr Minkmar findet, man sollte die Russen nicht unterstützen und nicht loben.“
Der „Überfall auf die Ukraine“ ( das wovon Herr Minkmar schrieb ) und „die Russen“ ( das was Sie daraus machen ) sind anscheinend für Sie kongruent und austauschbar. Wenn Sie das Gefühl haben, man solle „die Russen“ für den Überfall „loben“, wäre die Erklärung dafür sicher erhellend.
Nach Ihrer Logik müssten übrigens mitten im Winter die Hälfte der Medien eine Hitzewelle ankündigen, damit man ihnen nicht „Konformität“ unterstellen kann.
Und ja, der Strohmann:
Ich kann nun leider gar keine Stelle finden, wo irgendjemand hier Precht und Welzel „Log und Unterstützung für ( natürlich wieder alle ) DIE RUSSEN“ unterstellt.
Es wird unsauberes Arbeiten, das Unterlassen von Recherche und Ignorieren von Empirie seitens der Sachbuchautoren kritisiert, soweit ich das überblicken kann.
Aber so einem Strohmann läßt sich halt leichter etwas entgegnen.
Der Unterschied zwischen „Haltungsjournalismus“ und „Propaganda“ scheint mir der zu sein, dass Medien in einem Land höchstens eine Propaganda, aber mehrere unterschiedliche Haltungen haben können.
Also „pro Verhandlungslösung“-Journalismus wäre genauso Haltungsjournalismus wie „pro mehr Waffenlieferungen“-Journalismus.
Ob die eine Haltung besser ist als die andere, ist nicht notwendigerweise eine Frage, welche von beiden häufiger in den Medien vorkommt; wenn die eine Haltung aber in der Minderheit ist, reicht es aber nicht zu sagen: „Meine Haltung/Meinung wird unterdrückt!“, um ihre Richtigkeit zu beweisen.
@erwinzk
„Wenn so eine naive Komplexitätsreduktion auf ein einfaches gut/schlecht die Mehrheitsmeinung in deutschen Redaktionen ist, dann wäre das das beste Beispiel, warum die beiden recht haben.“
Ja, so ist es auch tatsächlich nicht. (Insbesondere die Pauschalisierung „deutsche Redaktionen“ ist nicht sinnvoll.) Also kein Beispiel, warum die beiden recht haben.
Die Doppelmoral der westlichen Kriege in Afghanistan und Irak, das moralische Scheitern im Mittelmeer und an sonstigen EU-Grenzen… Es wird ausführlichst über viele solcher Dinge berichtet und sie werden wahrhaftig dargestellt. Gerade Ihr Katar-Beispiel war ja nun wirklich omnipräsent in der Kritik…
Desweiteren: In einem Zusammenhang nicht moralisch zu handeln, verpflichtet einen Menschen ja nicht, seine Moral komplett über Bord zu werfen. Sie taugt noch immer als Grund, aber eben als einer unter anderen. Und deshalb ist es, wie Sie ja korrekt ausführen, aufgrund komplexer Gegebenheiten, mal einfacher möglich, der Moral folgend zu handeln und mal nicht. Dass man die Ukraine nur wegen ökonomischer und geostrategischer Gesichtspunkte unterstützen würde ist einerseits eine zynische und auch in ihrer Logik zweifelhafte Unterstellung.