Podcast-Kritik (87)

„The Flamethrowers“: Die Hass-Hits aus den 60ern, 80ern und das Schlimmste von heute

Wütende Menschen. Tabu- und Regelbrüche. Eine Prise Kritik an Regierung und Gesellschaft. Dazu eine Portion Verschwörungsmythen, Menschenverachtung und ein paar Sidekicks, garniert mit ein bisschen Unterhaltung und notfalls auch mit Klamauk. Hauptsache: Aufmerksamkeit!

Dieses Rezept funktioniert bereits seit Jahrzehnten, auch oder gerade weil der Cocktail toxisch ist: Das US-amerikanische Talkradio ist eine Domäne der Rechtskonservativen und erreicht ein Millionenpublikum.

Der kanadische Podcast „The Flamethrowers“ arbeitet sich durch dieses Medium und seine Stimmen. Von den knisternden Radioanfängen von Father Coughlin vor dem Zweiten Weltkrieg bis zur kommerziellen Menschenverachtung in Livestreams und Podcasts von rechtsextremen Verschwörungsideologen wie Alex Jones. Damit ist der Podcast ein Ausflug in die ältere und jüngere Rundfunk- und Mediengeschichte der USA, dem es zugleich sehr gut gelingt, die Verbindung vom Retro-Radio bis zum digitalen Verschwörungskomplex, zum Beispiel in Sozialen Medien, zu ziehen.

Ähnlich wie „Cui Bono“, der Podcast über Ken Jebsen, zeigt „The Flamethrowers“ anhand von Originalaufnahmen und Archivmaterial einen Radikalisierungsprozess. Anders als beim Jebsen-Podcast geht es hier aber nicht über die gesamte Staffel um eine einzelne Person. Stattdessen schaut „The Flamethrowers“ systematisch auf die vergangenen Jahrzehnte, fokussiert eher Maschen und Muster – und erzählt die Biografien der Hassmoderatoren lediglich nebenbei. Mit erstaunlichen Parallelen und Überschneidungen.

Zeitreise durch Hass und Rundfunktechnik

In der ersten Folge erfahren wir, wie der katholische Priester Charles Caughlin aus Kanada in den USA während der Großen Depression zu einem der ersten Radiostars wurde. Was als religiöse Radiopredigten im damals noch jungen Medium Radio begann, wurde in der Weltwirtschaftskrise politischer und zu einem der meistgehörten Radioprogramme der USA. Bis Caughlin vor dem Zweiten Weltkrieg seine Sendezeit nutzte, um antisemitische Verschwörungsmythen zu verbreiten und die Radiosender ihn deshalb absetzen. Weil sie sich durch neue Regeln der Roosevelt-Regierung gezwungen sahen, dem Hassprediger die Sendezeit zu nehmen, bevor ihnen selber die Sendelizenz entzogen wird.

Hier wird schnell klar, welchen roten Faden der Podcast im weiteren Verlauf spinnen will: Das Wechselspiel zwischen Technik, Medien und Medienregulierung, Politik und Kommerz. Die Grenzen des Sagbaren treffen auf die die Grenzen des Rundfunks. Zwischen den Zeilen fragt „The Flamethrowers“: Wenn Hass aus dem Äther früher reguliert wurde, warum wird heute so wenig gegen seine digitalen Formen in Livestreams, Podcasts und Sozialen Medien getan?

Während früher die UKW-Technik im US-Radio Einzug erhielt, wurden die alten Mittelwellen-Frequenzen frei. „Flamethrowers“ werden die leistungsstarken Mittelwelle-Sendemasten genannt, rechtskonservative Talksendungen werden plötzlich zum kostengünstigen Sendezeitfüller. Bis die Kennedy-Regierung in den 1960er-Jahren neue Regeln für Radiosendungen einführt, sodass Geschädigte von Beleidigungen und Unwahrheiten auch Transkripte und kostenlose Sendezeit zur Gegenrede einfordern können.

Feedbackschleife aus Radio und Politik

Diese Regeln werden in den 1980er-Jahren wieder gelockert und bereiten einer neuen Welle von rechtskonservativen Radiomoderatoren den Weg. Allen voran: der berühmt-berüchtigte Rush Limbaugh.

Sein Publikum findet Limbaugh erst mit unkonventionellen Moderationen, später wird er mit Provokationen, Rassismus und Misogynie zu einem der meistgehörten Radiomoderatoren der USA. Mit dieser Reichweite und seinen Positionen wurde er auch zum Dreh- und Angelpunkt der Republikanischen Partei. Er prägte in seinen Sendungen die Erzählung vom konservativen Mann, der ständig angegriffen werde und sich und seine Werte im Kulturkampf verteidigen müsse.

Donald Trump zeichnete den von ihm verehrten Limbaugh 2020 mit der Freiheitsmedaille des US-Präsidenten aus. Der Podcast demonstriert, wie eng rechtskonservative Medien und Politik inzwischen zusammenhängen und sich in einer ständigen Feedbackschleife gegenseitig aufschaukeln.

In seiner journalistischen Haltung ist „The Flamethrowers“ sehr entschieden. Allerdings nicht aus einer parteipolitischen Position heraus, sondern einem zivilgesellschaftlichen Eintreten für demokratische Werte. Host Justin Ling erzählt und beleuchtet sein Thema einerseits relativ nüchtern; andererseits verurteilt und verachtet er Äußerungen im Originalmaterial und persifliert zuweilen sogar sein Berichterstattungsprojekt.

Immer wieder imitiert der Podcast ironisch den Sound und die Sprache der besprochenen Radiosendungen und Moderatoren. So entsteht eine Late-Night-mäßige Mischung aus gewissenhafter Chronologie auf der einen und angriffslustigem Kommentar auf der anderen Seite. Offen bleibt dabei, ob die Meta-Ebene gewollt ist und der Podcast deswegen absichtlich dieselben Werkzeuge nutzt, die er eigentlich bei anderen kritisiert.

Beim Hören ist der Podcast trotz der größtenteils chronologischen Erzählung ausgesprochen kurzweilig. Dafür sorgen das hohe Tempo, aber auch der ständige Wechsel zwischen Erzählung, Einspielern und den wenigen Expertenstimmen, die oft mit cleveren und augenzwinkernden Mini-Intros eingeführt werden. „The Flamethrowers“ bricht permanent mit der Hörerwartung und mutet dem Publikum auch Sprünge oder längere Collagen aus Originalmaterial zu. Die Hörer werden hier nicht vorsichtig an die Hand genommen, sondern ruppig in die nächste interessante Bahn geschubst.

Alex Jones: Verschwörung für die Quote

Die „Flamethrowers“-Serie ist aktuell und hörenswert, obwohl sie bereits im vergangenen Jahr produziert wurde, also bevor Alex Jones jüngst von einer Jury wegen seiner „Infowars“-Show zu Schadenersatz und Strafzahlungen verurteilt wurde. Jones hatte jahrelang die falsche Behauptung verbreitet, der Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule im Jahr 2012 sei gar nicht passiert, die 26 erschossenen Menschen seien nicht echt und alles nur eine Erfindung von Menschen, die das Recht auf Schusswaffen in den USA einschränken wollen.

„The Flamethrowers“ leistete bereits vor zwölf Monaten, was ich aktuell in der deutschsprachigen Berichterstattung rund um das Sandy-Hook-Urteil vermisse: Die langfristige Perspektive und Einordnung, dass es sich nur um eine von sehr vielen Lügen bei Jones handelt. Ab der dritten Folge zeigt der Podcast, wie Jones mit abstrusen Verschwörungserzählungen Sendezeit füllte und so Karriere machte – und noch heute viel Geld damit verdient. In wenigen Ausschnitten und Anekdoten wird deutlich, dass Jones – so wie viele seiner Hassmoderator-Vorgänger auch – ein Populist und Geschäftsmann ist, ideologisch und moralisch flexibel.

Aus deutschsprachiger Sicht vermittelt der Podcast nebenbei einen guten Überblick der medialen Mittel und Mechanismen, mit denen die Rechten in den USA arbeiten. Das passt gut in eine Zeit, in der ihre Kampfbegriffe längst nach Deutschland schwappen: argumentative Nebelkerzen wie „Political correctness“, „Cancel Culture” oder „woke“ zum Beispiel, mit all ihren (Pseudo-)Debatten. Möglicherweise ist der Podcast ein dystopischer Blick, wohin sich so genannte „Alternativmedien“ möglicherweise noch entwickeln.

„The Flamethrowers“ zeigt außerdem, wie sich in den USA das Ökosystem rechtskonservativer Radiosendungen mit seinen wütenden, lauten Männern schleichend radikalisierte. Wie ihr Einfluss wuchs, bis die Talkradio-Sprechblasen schließlich mit Donald Trump das Weiße Haus erreichten und später zum Sturm auf das Kapitol in Washington führten. Gerade mit dem zeitlichen Abstand ist der Podcast eine sehr bereichernde, weil bisher seltene Perspektive auf die Rhetorik und den Erfolg von Donald Trump.

Der Podcast endet mit einer ohrenbetäubenden Collage aus den übelsten Zitaten, die über den Äther gingen. Dann ein Sendeloch. Heute brauchen Verschwörungserzählungen und Menschenhass längst keine Radiofrequenzen und Sendemasten mehr, um Menschen zu erreichen. Auch in dieser Schmuddelecke lösen Livestreams und Podcasts langsam aber sicher das Radio ab. Der Hass sickert jetzt aus Kopfhörern statt aus Lautsprechern.


Podcast: „The Flamethrowers“ von CBC

Episodenlänge: 6 Folgen, jeweils rund 45 Minuten

Offizieller Claim: „How right wing radio took over American democracy“

Inoffizieller Claim: No more radio for angry old men

Wer diesen Podcast hört, mag auch diese englischen Podcast… den „Flamethrowers“-Nachfolger „White Hot Hate“; den Alex-Jones-Watchdog-Podcast „Knowledge Fight“, den antifaschistischen US-Podcast „I don’t speak German“

4 Kommentare

  1. Ich verstehe heute noch nicht, wie meine oberchristlichen Eltern, die jegliche nackte Haut anzüglich fanden, diesen grabschenden, notgeilen Perversling so gefeiert haben und uns Kinder das auch noch vorgesetzt haben. Ist es, weil Gott im Nachnamen steht. Ich weiß natürlich nicht, ob er da nur eine Rolle erfüllt(e). Menschen sind ja nicht allein ihre Auswüchse. Gänzlich unsympathisch fand ich ihn auch nie. Aber die Szenen bei Wetten Dass? auf dem Sofa fand ich schon als kleiner Junge irgendwie befremdlich. War’s Weitsicht oder anerzogene Prüderie? Ich weiß es nicht. Letztlich habe ich mich aber auch immer für das Publikum geschämt, weil das sein Verhalten stets belohnte und offenbar noch immer tut. Ist das nicht fast schon Anstiftung?

  2. Auf Twitter hat das jüngst eine Amerikanerin als „anger-tainment“ bezeichnet. Trifft die Sache im Kern.

  3. Danke dafür. Höre gerade den Jebsen Podcast, der sehr gut ist. Flamethrowers ist nun auch auf meiner Liste.

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