Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Am Dienstag dieser Woche sorgte eine sensationelle Meldung über das britische Königshaus international für Aufregung: Kate und William sollen sich getrennt haben; Kate sei sogar schon mit den drei Kindern ausgezogen.
So berichtete es MSN.com, das Online-Portal von Microsoft mit riesiger Reichweite. Der Artikel und ein Tweet sind inzwischen gelöscht, die Meldung ist dementiert, aber die Frage, wie diese falsche Geschichte in die Welt kam, ist faszinierend und typisch – und führt, um das schon mal vorwegzunehmen, zu den größten Spezialisten für erfundene Geschichten: der deutschen Regenbogenpresse.
MSN veröffentlicht in seinem Nachrichtenangebot Artikel anderer Medien. Die spektakuläre Kate-und-William-Story ist eine Übersetzung aus der deutschen Version des Online-Magazins „Ohmymag“, einer Seite für Frauen, die sich erfolgreich auf Massenproduktion und Recycling von Content spezialisiert hat. Sie erscheint im französischen Unternehmen Group Cerise, das eine Weile zum deutschen Verlag Gruner+Jahr gehörte und inzwischen zum internationalen Mischkonzern Vivendi. „Ohmymag“ hat Ausgaben in Deutschland, Spanien, Frankreich und Großbritannien. Laut Group Cerise ist der Name „Ohmymag“ ein „Qualitätssiegel“.
Jedenfalls behauptete „Ohmymag“, dass es zu einem heftigen Streit zwischen Kate und William gekommen sei. Sie soll gesagt haben, wie unglücklich sie sei; er soll gesagt haben, dass sie doch gewusst hätte, worauf sie sich mit ihrer Heirat eingelassen habe; sie soll gesagt haben, vielleicht sei es ein Fehler gewesen, ihn zu heiraten. Danach soll Kate ihre Sachen gepackt haben und mit den Kindern zu ihren Eltern gefahren sein.
Als Quelle für all das nennt der „Ohmymag“-Artikel ebenso vage wie aufregend „Mitarbeiter des Palastes“ sowie, etwas unvermittelt, eine nicht näher erläuterte Seite namens „Schlager.de“.
Laut Eigendarstellung ist „Schlager.de“ das „derzeit führenden Online-Newsportal der Branche“, vermutlich der Schlager-Branche. Nach unserem Urteil ist es eine als Klatschportal getarnte Sammelstelle für PR-Texte, die für billige Klicks schon mal den falschen Eindruck erweckt, Heino hätte sich das Leben genommen.
Auf dieser Seite jedenfalls findet sich tatsächlich ein Artikel, der behauptet:
Hier liest sich die ganze Geschichte noch etwas süffiger als in der Abschreibe-Version von „Ohmymag“:
(…) bei Prinz William (39) und seiner Ehefrau Kate (40) scheint der Haussegen nicht schief zu hängen, sondern krachend heruntergefallen und zerborsten zu sein. (…)
Es spielt sich ein wahres Ehedrama ab! Ein Drama, von dem eigentlich niemand etwas mitkriegen sollte. (…)
Aber vor seinen engsten Mitarbeitern im Kensington Palace kann das Paar nichts verstecken. Sie sahen Kate mit den Kindern George (8), Charlotte (7) und Louis (4) und gepackten Koffern ins Auto steigen. Sie fuhr zu ihren Eltern nach Berkshire, weil ihr einfach alles zu viel wurde. So vermuten jedenfalls die Palastangestellten. (…)
So kommt es immer wieder zum Streit. „Er sagte Dinge wie: ,Als du mich geheiratet hast, wusstest du, worauf du dich einlässt!‘ “, verrät ein Palastdiener. Er wollte dem Paar gerade Tee bringen, als er durch die Tür laute Stimmen hörte. „Dann bekam ich noch mit, wie Kate sagte: ,Vielleicht war es ja ein Fehler, dich zu heiraten.‘ “ Danach dann eisige Stille. Als der Diener das Zimmer betrat, blickte sich das Paar nur an. „Ich stellte schnell den Tee ab und verabschiedete mich sofort wieder.“
Dieser „Schlager.de“-Artikel, der die Quelle ist für den „Ohmymag“-Artikel, der die Quelle ist für den MSN-Artikel, ist allerdings auch kein „Schlager.de“-Artikel, sondern seinerseits nur ein „Gastartikel“ der „Neuen Post“. Die hatte mit der exklusiv, äh, recherchierten Geschichte vorige Woche sogar ihr Heft aufgemacht:
Die Fotos, mit denen die „Neue Post“ belegen will, dass Kate „zurück nach Hause“ gefahren ist, sind dabei manipuliert. Ein Bild, das zeigen soll, dass die Herzogin „vor einigen Tagen ihre Sachen gepackt und die Kinder mit zu ihren Eltern nach Berkshire genommen“ hat, entstand vor zwei Jahren beim Einkaufen. Ein anderes Bild, das zeigen soll, wie Kates Eltern sie „mit offenen Armen empfang“, ist eine Fotomontage.
Man tut der Geschichte sicher nicht unrecht, wenn man sie als reine Lügengeschichte bezeichnet. Die Produktion solcher und ähnlicher Artikel aus Viertel-, Halb- und Ganzlügen sind Alltag in diesem Segment deutscher Illustrierten aus vermeintlich renommierten Verlagen. Durch die Verbreitung dieser Geschichten nicht nur auf Papier im Supermarkt, sondern auch online auf eigenen und Partner-Plattformen haben sie allerdings die Qualität, als Fake News noch größere Kreise zu ziehen – wie der aktuelle Fall zeigt.
„Ohmymag“, das dabei half, aus deutschen Regenbogenpresselügen eine internationale Fake News zu machen, gibt sich zumindest in ihrer britischen Ausgabe sehr zerknirscht. Als Aufmacher erschien dort groß auf der Startseite eine „förmliche Entschuldigung“ dafür, einen irreführenden Artikel und „Fake News“ veröffentlicht zu haben:
(…) Erstens möchten wir Kate und Prinz William um Entschuldigung bitten, einen falschen Artikel über ihr Privatleben veröffentlicht zu haben. (…)
Zweitens möchten wir unsere verschiedenen Partner um Entschuldigung bitten, vor allem MSN, die uns ihre Plattform gegeben und unseren Artikel über Twitter verbreitet haben. Wir verstehen, dass das ihre Glaubwürdigkeit und ihr Image beeinträchtigen.
Schließlich möchten wir alle unsere Leser um Entschuldigung bitten, die uns jeden Tag vertrauen, dass sie sich auf unsere Informationen und Quellen verlassen können.
Wir hoffen, dass wir dadurch, dass wir zeigen, wie ernst wir die Sache nehmen, Ihr Vertrauen wiedergewinnen können.
(Übersetzung von uns)
Vom deutschen Bauer-Verlag, der die „Neue Post“ herausgibt, ist bislang keine Entschuldigung bekannt. Eine Anfrage von uns, ob man an den Behauptungen festhält und was man von der Welt-Karriere der eigenen Geschichte hält, blieb unbeantwortet. Nachtrag, 16:20 Uhr. Die Pressestelle hat uns inzwischen mitgeteilt: „Wir werden uns zu diesem Thema nicht äußern.“
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Auf der Seite von „Schlager.de“ steht der Artikel nach wie vor. Vor Jahren hatte die Seite einmal erklärt:
Natürlich ist es normal, dass Schlagzeilen manchmal etwas aufgebauscht sind. Ein wahrer Kern sollte jedoch immer vorhanden sein. Geschichten, die einfach frei erfunden werden, sind wahrlich ein Armutszeugnis für ein Medium. Wir von Schlager.de distanzieren uns ganz klar von derartiger Berichterstattung und freuen uns, dass wir Euch auch in Zukunft mit echten News versorgen können, denn Fantasiegeschichten gibt es woanders!
(Aber das war auch damals schon unfreiwillig komisch.)
Und das amerikanische Nachrichtenmagazin „Newsweek“ meldet soeben, dass William und Kate zum ersten Mal seit der falschen Trennungsgeschichte öffentlich aufgetreten seien. Selbst als Dementi bleibt sie News und in der Welt.
Nachtrag, 9.9.2022. Der Presserat hat die „Neue Post“ gerügt:
„Das Blatt hatte unter der Überschrift ‚Ehe-Drama! Sie wohnt schon bei ihren Eltern‘ behauptet, die Herzogin habe nach einem Ehestreit ‚ihre Sachen gepackt‘ und die Kinder mit zu ihren Eltern genommen. Ein Beleg dafür fehlte. Ein Foto des angeblichen Auszugs, laut Artikel ‚vor einigen Tagen‘ aufgenommen, entstand tatsächlich bereits vor Jahren. Bei einem weiteren Bild, das Kate mit ihren Eltern zeigte, handelte es sich um eine nicht gekennzeichnete Fotomontage. Der Beschwerdeausschuss erkannte einen schweren Verstoß gegen die Pflicht zur wahrheitsgetreuen Wiedergabe von Informationen nach Ziffer 2 und zur Kennzeichnung von Fotomontagen nach Richtlinie 2.2 des Pressekodex.“
Deutschland ist nun mal ein absolutes Exportschlagerland.
export.schlager.de
Wobei ich eine große Entschuldigung wie bei „Ohmymag“ deutlich besser finde als diese kleinen Gegendarstellungen oder Richtigstellungen wie sie nach verlorenen Gerichtsprozessen oft abgedruckt werden. Wenn man jetzt sogar so Auflagen machen könnte, dass diese Entschuldigungen doppelt so lang und doppelt so groß auf der Website prominent platziert werden müssen, dann könnte das Problem zumindest kleiner werden. 😉
Wie zerknirscht die wirklich sind, weiß man natürlich nicht, aber ich finde das deutlich besser als die Gegendarstellung in der kleinsten Schrift, die der dt. Presserat noch erlaubt.