Unseriöser Umgang mit Umfragen

Ergebnisse wie bestellt: Wie Forsa, RTL und ntv das Meinungsbild verfälschen

Es ist gar nicht so einfach herauszufinden, was die Bevölkerung über bestimmte Themen denkt. Seriöse Demoskopen wissen, wie viele Faktoren das Ergebnis einer Umfrage verfälschen können.

Leichter ist es herauszufinden, was Manfred Güllner über bestimmte Themen denkt. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa bietet Medien regelmäßig seine „Analysen“ an; eine davon stand gestern zum Beispiel im „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Die Bürgerinnen und Bürger befürworten mehrheitlich die bisherige, eher besonnene und mit der Nato abgestimmte Vorgehensweise von Olaf Scholz“, wird er darin zitiert.

Das ist doch schön, wenn ein Politiker in einer brisanten Situation „eher besonnen“ agiert; kein Wunder, dass die Bevölkerung das zu schätzen weiß.

In einer Grafik zeigt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ die Ergebnisse der Forsa-Umfrage, auf die sich Güllners „Analyse“ bezieht, im Detail. Wählen sollten sie demnach, welches Verhalten Deutschlands sie richtig finden: „das besonnene, mit der NATO und den die Forderung nach einem härteren USA abgestimmte Verhalten des Kanzlers“ oder: „die Forderung nach einem härteren Vorgehen und der Lieferung immer weiterer Waffen und Panzer“.

Ausriss: „Kölner Stadt-Anzeiger“

Angesichts dieser Alternativen ist es fast ein Wunder, dass sich immerhin ein Viertel der Befragten gegen das „besonnene“ und „abgestimmte“ Verhalten ausprachen.

Eine seriöse Fragestellung ist das jedenfalls nicht, und ein brauchbares Urteil über die Politik des Kanzlers bekommt man so nicht. Insofern ist es ein gutes Zeichen, dass sich auf Nachfrage bei den Sendern RTL und ntv, die die Umfrage in Auftrag gegeben haben, herausstellt, dass das gar nicht wirklich die Fragestellung war. Tatsächlich habe Forsa gefragt:

„Von Bundeskanzler Scholz fordern vor allem der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, aber auch Vertreter der Regierungsparteien ein härteres Vorgehen in der Ukraine-Krise und die Lieferung weiterer Waffen und auch Panzern [sic!]. Olaf Scholz plädiert für ein eher zurückhaltendes und mit der NATO abgestimmtes Verhalten. Was finden Sie persönlich richtig?“

Das ist eine immerhin etwas weniger manipulative Art, die Frage zu stellen, auch wenn sie sich die Behauptung von Scholz zu eigen macht, sein Vorgehen sei das „mit der NATO abgestimmte“, worüber sich durchaus streiten lässt.

Umso bemerkenswerter ist es, dass Forsa die Ergebnisse mit einem anderen Wortlaut verbreitet: Die Grafik im „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist nämlich nur eine Variante einer Grafik, die Forsa selbst an Redaktionen verschickt hat (zusammen mit der „Analyse“ von Güllner). Es spricht nicht für die Seriösität eines Meinungsforschungsinstitutes, wenn es seine eigenen Umfragen falsch wiedergibt und dabei mit der Meinung seines Chefs vermischt.

Im Programm von ntv steht die Umfragenpräsentatorin Jasmin Gebele vor einer Grafik, in der die Positionen schlicht als „Scholz Linie“ und „mehr Panzer“ zusammengefasst sind. Sie sagt dazu:

Moderatorin vor Grafik: "Meinung zur Linie Deutschlands? Scholz Linie 65$%, Mehr Panzer 26%"
Screenshot: ntv

„Die Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, dass [Scholz‘] Linie richtig ist. Zwei Drittel unterstützen seinen Kurs. 26 Prozent hingegen, die sind der Meinung, dass wir jetzt schwere Waffen, also auch mehr Panzer liefern sollten.“

„Weitere Waffen und auch Panzer“, „immer weitere Waffen und Panzer“, „jetzt schwere Waffen“ – kommt alles anscheinend irgendwie nicht drauf an.

Pressekodex

Im Pressekodex steht eine klare Vorgabe, wie Medien mit Umfragen umgehen sollten. In Richtlinie 2.1 heißt es: „Bei der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen teilt die Presse die Zahl der Befragten, den Zeitpunkt der Befragung, den Auftraggeber sowie die Fragestellung mit.“ Es ist vermutlich eine der meist ignorierten Richtlinien im Pressekodex überhaupt. Regelmäßig wird die Fragestellung grob zusammengefasst, paraphrasiert, interpretiert – und nicht einmal im Kleingedruckten oder hinter einem Link findet sich die Originalfrage zum Nachlesen.

Das ist besonders problematisch bei einem Umfrageinstitut wie Forsa, das immer wieder auffällt mit manipulativen Fragestellungen, unseriösen Praktiken und einer Vermischung mit einer eigenen politischen Agenda. Mehrere der Fragen, die Forsa im Auftrag von RTL und ntv für deren aktuelles „Trendbarometer“ gestellt hat, sind fast schon lehrbuchhafte Beispiele dafür, wie schon die Frage die Befragten in eine Richtung lenkt. So fragte Forsa:

„Manche befürchten, dass sich der Krieg in der Ukraine auch auf andere Länder in Europa ausweiten oder es gar zu einem Dritten Weltkrieg kommen könnte, wenn immer mehr Waffen wie auch Panzer an die Ukraine geliefert werden. Teilen Sie diese Sorge oder nicht?“

Kein Wunder, dass eine deutliche Mehrheit von 56 Prozent (gegenüber 39 Prozent) diese Sorge teilt. Dass manche in einem Verzicht auf eine stärkere militärische Unterstützung die Gefahr für eine Ausweitung des Krieges sehen, kommt in der Frage nicht vor. Sie liefert nur die Argumentation für eine Antwortmöglichkeit.

Im Programm von ntv wurde auch diese Fragestellung falsch wiedergegeben und ganz anders geframet:

„Wir alle haben die Warnungen gehört von Außenminister Lawrow. Er hat gesagt, die Gefahr eines Weltkrieges, die sei real. Und deswegen haben wir Sie mal gefragt, was denken Sie denn, wird es zu einer Ausweitung des Krieges kommen, wenn wir weitere, schwere Waffen liefern? Und da sagt die Mehrheit der Deutschen von 56 Prozent: Ja, sie haben die Sorge, dass sich der Krieg über die Ukraine hinaus ausweiten könnte, dass es zu einem dritten Weltkrieg kommen könnte. 39 Prozent hingegen, die haben die Befürchtung im Moment noch nicht.

Wie, „noch“? Um „noch“ ging es gar nicht!

Ostpolitik

Eine weitere, freundlich formuliert, bemerkenswerte Frage, die Forsa stellte, lautete:

Die Ostpolitik der früheren Bundesregierungen wird jetzt von vielen dafür verantwortlich gemacht, dass Russland den Krieg in der Ukraine führt. Halten Sie das für richtig oder nicht?

Tatsächlich wird die deutsche Politik gegenüber Russland von vielen gerade extrem kritisch gesehen, aber sie direkt dafür verantwortlich zu machen, dass Russland die Ukraine überfallen hat, ist eine erhebliche Zuspitzung. Kein Wunder, dass dieser These nur 13 Prozent der Befragten zustimmen.

Bei ntv wird aus dieser Frage aber eine ganz andere. Die Moderatorin redet erst über die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Öl und Gas und erläutert, diese Abhängigkeit habe ihre Wurzeln in der Vergangenheit, „in den siebziger Jahren in der Ostpolitik der früheren Bundeskanzler, von Willy Brand bis hin zu Helmut Kohl.“ (Erstaunlicherweise scheinen die 23 Jahre Kanzlerschaft von Schröder und Merkel da keine Rolle zu spielen, naja.) Dann sagt sie:

Daher haben wir nochmal gefragt: „War die Ostpolitik falsch?“ Und da sagen 77 Prozent, also die deutliche Mehrheit, nein, zu gegebener Zeit, also damals, war die Ostpolitik richtig und angemessen.“

Die Leute von ntv und RTL denken sich in ihrer Berichterstattung über die eigene Umfrage einfach aus, was die Leute ungefähr hätten gefragt worden sein können. Eigentlich könnten sie sich dann auch die Ergebnisse ausdenken statt dafür erst noch dem Umweg über ein Meinungsforschungsinstitut zu gehen, und sei es nur eines wie Forsa.

Streit

Eine letzte Frage noch aus der aktuellen Umfrage:

„Wie bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie streiten die Parteien auch darüber, wie sich Deutschland im Ukraine-Krieg verhalten soll. Finden Sie es persönlich gut, dass darüber gestritten wird, oder sollten die Parteien eher an einem Strang ziehen und sich auf ein gemeinsames Vorgehen einigen?“

Schon der Vorsatz mit dem Verweis auf Corona ist manipulativ. Aber man wüsste auch gerne, was man sich genau unter „auf ein gemeinsames Vorgehen einigen“ vorstellen muss, wenn nicht: Streit? Es ist ein naiv-populistisches Bild, dass sich hier schon in der Fragestellung ausdrückt, dass eine gemeinsame Position auf irgendeine magische Weise zustande kommt – und das ausgerechnet bei so gravierenden und heiklen Entscheidungen.

Manfred Güllner meint aus seinen Zahlen Folgendes ablesen zu können:

„Was die Bundesbürger aber zutiefst verärgert, sind die kontroversen, eher von parteitaktischen Überlegungen denn von den Interessen des Landes geprägten Diskussionen der Parteien über das Verhalten Deutschlands im Ukraine-Krieg. Angemessener wäre nach Meinung der Bürger, wenn die Parteien im Konsens das Vorgehen des Landes abstimmen würden.“

Screenshot: ntv

ntv-Frau Gebele weiß aber die Zustimmung von 67 Prozent zum An-einem-Strang-Ziehen (von ntv hier „Konsens“ vs. „Streit“ genannt) auch gleich politisch zu interpretieren: „Das könnte man dann aber doch schon auch als Rückendeckung für Olaf Scholz werten.“

Ja, wenn man es unbedingt will.

Nachtrag, 20:45 Uhr. RTL hat auf diesen Artikel reagiert und teilt via Twitter mit:

„Manchmal sind Formulierungen im gesprochenen Wort leicht anders als in geschriebener Form. Wir nehmen die Kritik zum Anlass, unsere Berichterstattung noch besser zu machen und alle Beteiligten hinsichtlich der Formulierungen zu sensibilisieren. Die besondere Verantwortung in diesem Bereich ist uns bewusst. So werden wir künftig die gestellten Fragen im Original online bei @RTLde und @ntvde veröffentlichen.“

3 Kommentare

  1. Die Mischung aus offensichtlicher Manipulation auf Seiten von Güllner/Forsa, und die Egal-Haltung bei RTL/ntv ist tatsächlich nur schwer auszuhalten. Und forsa ist ja schon seit Jahrzehnten das Hausinstitut von RTL (wie auch von der früheren Konzernschwester und nun Konzerntochter G+J). Was forsa macht, ist nicht mehr weit entfernt von „Push Polls“, wie sie in den USA üblich sind (Schein-Umfragen, bei denen es gar nicht mehr darum geht, die Meinung zu erfassen, sondern sie durch gezielt manipulative Fragestellungen zu bilden.)

    Nebenan bei Springer (BILD/WELT) kommen die Zahlen von INSA (was ähnlich unseriös ist). Ich bin wirklich froh, dass die öffentlich-rechtlichen, insbesondere die ARD mit infratest dimap, ernsthafte Umfragen machen und schon im Vorfeld testen, welche unscheinbaren Umformulierungen die Stimmungslage ändern können. So um 2011 herum haben sie mal berichtet, dass bei einer sonst identischen Frage zur Bundesregierung die Stimmungslage relevant anders aufgefasst wird, je nachdem, ob Frau Merkel oder ihre Partei in der Fragestellung erwähnt wird: „Die Bundesregierung unter BK Merkel“ war deutlich beliebter als „die Bundesregierung von CDU/CSU/FDP“; und „die Bundesregierung“ (ohne Erwähnung von Personen und Parteien) irgendwo dazwischen.

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