Der Autor
Nils Minkmar ist Publizist. Er war Redakteur bei „Willemsens Woche“, der „Zeit“, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und dem „Spiegel“. Seit Mai 2021 ist er fester Autor des Feuilletons der „Süddeutschen Zeitung“.
Wenn man über die erstaunliche Fernsehkarriere des französischen Moderators Cyril Hanouna schreibt, kommt man an der Szene mit den kalten Nudeln in der Unterhose nicht vorbei. Heute ist er die mächtigste Stimme in der französischen Medienlandschaft; er spielte in diesem Präsidentschaftswahlkampf eine wesentliche Rolle – aber bekannt wurde er mit einem merkwürdigen, für sein Werk durchaus relevanten Stunt mit gekochten Teigwaren.
Nils Minkmar ist Publizist. Er war Redakteur bei „Willemsens Woche“, der „Zeit“, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und dem „Spiegel“. Seit Mai 2021 ist er fester Autor des Feuilletons der „Süddeutschen Zeitung“.
Wie nähert man sich der Szene? Hanouna, 1974 in Paris geboren, ist der Gastgeber einer werktäglichen Show auf dem werbefinanzierten Privatsender C8, in der wechselnde Panelisten diverse Themen der französischen Gesellschaft besprechen, Skandale aufgreifen, sich aufregen und generell permanent reden, wenn sie nicht lachen oder schreien. Der Titel seiner Sendung lautet „Touche pas à mon poste“ („Fass meinen Fernseher nicht an“) und ist eine Hommage an die Anti-Rassismus-Bewegung der achtziger Jahre „Touche pas à mon pote“ („Fass meinen Kumpel nicht an“).
In den frühen Jahren zeichnete sie sich durch ein ziemliches Chaos aus, in dem es irgendwann völlig logisch und geradezu zwingend erschien, dass Hanouna seinem Kollegen und Freund Matthieu eine Schale kalter Pasta in die Boxershorts kippte. Es war nicht seine einzige Grenzüberschreitung, eine Weile lang war er auch mit homophoben Aktionen und Sketchen unterwegs, bekam die berechtigte Empörung der französischen LGBT-Bewegung ab und wurde mit Programmbeschwerden belegt.
Bei Hanouna, der aus einer einst aus Tunesien nach Frankreich ausgewanderten jüdischen Familie stammt, tobte sich in jenen Jahren das entgrenzte, inkorrekte und durchaus auch fiese Frankreich aus. Während andere Formate entweder durch gepflegte Langweile oder geskriptete Vulgarität auffielen, brachte Hanouna etwas Neues mit, eine völlige Unvorhersehbarkeit, verbunden mit einer großen Ambition.
Seinen zweiten Namen Valéry bekam er wegen der Bewunderung der Eltern für den einstigen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing. Die politische Bildung spielte zuhause eine wichtige Rolle, Hanouna kennt sich da gut aus.
Er möchte etwas zur Belebung und Öffnung des öffentlichen Diskurses beitragen. Sein Kennzeichen ist die Eingemeindung von allem und jedem. Es geht bei ihm zu wie in einer lauten Kneipe, aus der niemand verwiesen wird. Diesen Gemeinschaftsgedanken kultiviert er auch in seinen hoch aktiven Communities auf allen nur erdenklichen Plattformen.
Hanouna ist längst mehr als ein Programmangebot, sondern für viele Teil des alltäglichen Gesprächs und längst ein entscheidender medialer Machtfaktor. Während die amtlichen politischen Sendungen im öffentlich-rechtlichen französischen Fernsehen vor allem auf Fehlervermeidung ausgerichtet sind und stets die gleichen Journalisten zu Gast haben, die die immer gleichen Politikerinnen und Politiker befragen, geht es bei Hanouna weit lebensnäher zu. Sein Panel besteht weder aus Experten noch aus sorgfältig kuratierten Betroffenen, sondern ist eine bunte Mischung unterhaltsamer Bürgerinnen und Bürger.
In seiner Wahlnachlesesendung brach Hanouna ein großes französisches Tabu und fragte seine Panelisten, was sie denn eigentlich wählen. Als einer zugab, für die unglückselige konservative Kandidatin Valérie Pécresse gestimmt zu haben, jubelte Hanouna frech: „Endlich haben wir ihn gefunden! Stoppt die Suchmeldung, der Pécresse-Wähler wurde entdeckt!“
Zu Beginn des Wahlkampfes etablierte er ein neues, politisches Format „Face à Baba“ – Baba ist der Name, mit dem Hanounas Mutter ihn immer ruft; sie ist eine wichtige Stimme in seinem Universum und kommt auch oft per Telefon zu Wort. Baba trug für dieses demokratische Hochamt dann keine Lederjacke mehr, sondern einen präsidialen Dreiteiler.
In der ersten Runde kam es dann zu einem Schlagabtausch zwischen dem Kandidaten der Linken, Jean-Luc Mélenchon, und dem der extremen Rechten, Éric Zemmour. Nachdem sich beide versichert hatten, dass sie wirklich gewillt sind, miteinander zu reden, hob ein elend langes gegenseitiges Gebelle an, das selbst der gute Baba nicht mehr schön moderieren konnte. Die Folge wurde zum Symbol für diesen Wahlkampf, der einfach viel zu extrem geraten war und jene Themen verfehlte, die die Franzosen eigentlich bekümmern. Der bis dato gut im Rennen liegende Zemmour tat sich jedenfalls keinen Gefallen, sich derartig aufzuregen – man erkannte in dieser Sendung sein wahres Gesicht deutlicher und folglich schrecklicher als in all den anderen, glatten Formaten.
Doch in der Kampagne zum zweiten Wahlgang tat sich ein Problem auf. Amtsinhaber Emmanuel Macron weigerte sich, zu „Face à Baba“ zu kommen. Die Vorgeschichte Hanounas und das Unvorhersehbare seines Formats passen nicht in das En-Marche-Konzept eines minimalistischen Wahlkampfs, der spät begann, wenig Themen setzt und eine einzige Debatte vorsieht. Weil die Regulierungsbehörde aber vorschreibt, dass in Wahlkampfzeiten alle KandidatInnen die gleiche Sendezeit eingeräumt werden muss, fiel mit der Absage von Macron auch die Sendung mit Marine Le Pen ins Wasser.
Seinem Stil treu bleibend, machte Hanouna dieses Problem nicht mit sich und seinen Chefs aus, sondern trug das Dilemma seinem Panel vor, bat alle um ihre Meinung. Manche rieten dazu, Le Pen dennoch einzuladen, um Druck auf Macron auszuüben. Schließlich sei es bei einer so knappen, so wichtigen Wahl ganz wesentlich, auch die jüngeren Zuschauer einzubinden, und die schauen nun mal Hanouna.
Trotz seiner immensen Eitelkeit, seinen Ressentiments und zahlreichen Marotten erweist sich Hanouna in seinen Formaten als humanistischer und republikanischer als die antiseptischen, ewig langen und kreuzlangweiligen staatlichen Politformate. Es würde umgekehrt auch den französischen Parteien, dem Parlament und der Regierung ganz gut tun, jene Diversität zu imitieren, die so viele Menschen in Frankreich an den Formaten von Hanouna schätzen.
Dieser Artikel scheint mir wenig kritisch gegenüber Hanouna. In der letzten Jahren gehört er den Leuten, die die rechtsextremen Thesen salonfähig und bei jungen Leuten banalisiert hat. Er moderiert auf dem Sender C8, Eigentum vom Milliardär Bolloré, der ganz brutal seine neuen gekauften Medien managt und unverhohlen recht-extremen Positionen ausdrücken lässt. In den letzten Monaten waren wenige Sendungen ohne Erwähnung des Neo-Faschists Zemmour, ganz vorne vor allen anderen Kandidaten (über 40% der Zeit im letzten Oktober und November). Er hat stark beigetragen, Zemmour als glaubwürdiger Kandidat zu machen.
Zémmour -> Zemmour