Digital Markets Act

Der Streit über Presseverlage zeigt deutlich, was bei der EU-Gesetzgebung falsch läuft

Vergangene Woche hat die Europäische Union eine Einigung über ein Kernvorhaben der Plattformregulierung erzielt: den Digital Markets Act. Er enthält Vorschriften für digitale Unternehmen mit besonderer Marktmacht, sogenannte Gatekeeper, die einen außergewöhnlich reichweitenstarken Plattformdienst betreiben, zum Beispiel ein Smartphone-Betriebssystem, ein Soziales Netzwerk, einen Messenger-Dienst oder eine Suchmaschine. Anders als das traditionelle Wettbewerbsrecht, das vor allem im Nachhinein eingreift, soll der Digital Markets Act Marktmissbräuchen vorbeugen und kleineren Wettbewerbern den Einstieg in Plattformmärkte erleichtern.

Präsidentin Ursula von der Leyen und ihre EU-Kommission Claudio Centonze / EU

Ein nobles Vorhaben – doch die letzte Verhandlungsrunde am vergangenen Donnerstag wurde überschattet von einer Debatte über das Leistungsschutzrecht für Presseverleger. In letzter Minute brachte die EU-Kommission einen Änderungsvorschlag für den Digital Markets Act ins Spiel, der Suchmaschinen und Soziale Netzwerke verpflichtet hätte, Verlagen einheitliche Tarife anzubieten, mit denen Ausschnitte aus Presseartikeln bezahlt werden sollen, die in Suchergebnissen oder Social-Media-Posts angezeigt werden.

Erst am Tag des letzten Trilogs, also der informellen Verhandlung zwischen EU-Kommission, Europaparlament und -Rat, in der der endgültige Kompromiss über den Gesetzestext ausgehandelt wurde, machte das Nachrichtenportal „Euractiv“ diesen Vorstoß öffentlich und führte ihn auf Lobbying durch Verlegerverbände zurück.

„Must-Carry-Must-Pay“

Bereits seit der EU-Urheberrechtsreform von 2019 gilt in der ganzen EU ein Leistungsschutzrecht, das es Presseverlagen ermöglicht, die Nutzung von Ausschnitten aus Presseartikeln durch Online-Dienste einzuschränken. Ziel der Verlegerverbände, allen voran des Springer-Verlags, der das Leistungsschutzrecht 2009 erfand, war es stets, nicht nur diese Ausschnitte aus Presseartikeln mit einem Preisschild zu versehen, sondern gleichzeitig Unternehmen wie Google oder Facebook dazu zu verpflichten, diese kostenpflichtigen Inhalte auch anzuzeigen.

Die Argumentation der Verlegerverbände: Wenn Verlagsinhalte in Suchergebnissen und Facebook-Postings auftauchten, bereicherten sich Google und Facebook ungerechtfertigt an den Investitionen der Medienhäuser – würden die Inhalte dagegen nicht angezeigt, sei das eine unfaire Ausnutzung der Marktmacht der Plattformen und eine Unterdrückung der Pressefreiheit. Die einzig faire Lösung sei, Plattformen zu verpflichten, Verlagsinhalte anzuzeigen und für diese zu zahlen – eine Must-Carry-Must-Pay-Verpflichtung, oder zu deutsch: eine Lizenz zum Gelddrucken für die Verlage.

Dieses Ziel verwirklichte die EU-Urheberrechtsreform nur halb: Wissenschaft und Zivilgesellschaft warnten, dass das Leistungsschutzrecht die Informationsfreiheit einschränken und sich nachteilig auf kleine Medien auswirken würde, die besonders große Anteile ihrer Leser*innen durch Links in Suchmaschinen oder Sozialen Netzwerken gewinnen.

Angesichts der umfassenden Kritik stutzten Europaparlament und EU-Ministerrat den ursprünglich sehr weitgehenden Vorschlag des damaligen Digitalkommissars Günther Oettinger (CDU) zurück. (Ich gehörte damals zum Verhandlungsteam im Europaparlament.) Der Berichterstatter des Europaparlaments, Axel Voss (CDU), konnte sich mit seinem Vorschlag nicht durchsetzen, Verlage dazu zu zwingen, Geld für das Leistungsschutzrecht zu verlangen. Auch betonte die EU-Kommission im Zuge der Umsetzung des Leistungsschutzrechts in nationale Gesetze, dass die Verlage zwar Geld für die Anzeige von Artikeln verlangen können, es aber keinerlei Kontrahierungszwang geben dürfe.

Mit anderen Worten: Wie hoch der Preis liegt und ob überhaupt Geld verlangt wird, bleibt dem Verlag überlassen. Und wenn dieser Preis einer Plattform zu hoch ist, kann sich das betreibende Unternehmen jederzeit dafür entscheiden, den kostenpflichtigen Inhalt nicht anzuzeigen.

Nach ihrem Teilerfolg in der Urheberrechtsreform verfolgten die Verlegerverbände ihr Ziel „Must Carry – Must Pay“ weiter. Erst im November blitzten die Verlegerverbände mit ihrem Versuch ab, eine Verpflichtung der Plattformen zur Anzeige von Presseartikeln in einem anderen Gesetzesvorhaben zu verankern, dem Digital Services Act.

Digital Markets Act als fehlendes Puzzlestück

Die EU-Institutionen hatten sich vorigen Donnerstag schon fast vollständig auf den Digital Markets Act geeinigt, nur wenige Fragen waren noch offen: unter anderem, ob ausschließlich App-Stores faire, angemessene und nichtdiskriminierende Zugangsbedingungen für alle Apps anbieten müssten, so die Position von EU-Kommission und Ministerrat. Oder ob diese Prinzipien des diskriminierungsfreien Zugangs auch für andere Arten von marktmächtigen Plattformen gelten sollten, wie das Europaparlament es verlangte.

Am letzten Verhandlungstag präsentierte nun die EU-Kommission ihren nie zuvor diskutierten „Kompromiss“: Neben dem fairen Zugang zu App-Stores sollten Suchmaschinen und Soziale Netzwerke – unter den Gatekeepern also Google und Facebook – faire Vergütungsregeln für die Anzeige von geschützten digitalen Inhalten ihrer gewerblichen Nutzer aufstellen. Mit diesen Unternehmen, also den Presseverlagen, müssten die Plattformen auf deren Wunsch nach Treu und Glauben verhandeln. Bei Verstößen könnten sich die Verlage an einen unabhängigen Schlichtungsmechanismus wenden und die Kommission würde die Einhaltung der Regeln überwachen.

Europaparlament unbeeindruckt von Lobbyvorschlag

Es ist offensichtlich, dass dieser „Kompromiss“ wenig mit der Ausgangsvorschrift zu tun hat, bei der es darum geht, dass Plattformen, insbesondere Apples App-Store, nicht beliebig hohe Gebühren von den von ihnen abhängigen Drittanbietern verlangen dürfen. Beim Leistungsschutzrecht fordern jedoch die Presseverlage, also die Drittanbieter, Gebühren von den Plattformen, nicht umgekehrt. Dennoch schien der Ministerrat unter Vorsitz der (als rechteinhaberfreundlich bekannten) französischen Regierung bereit, den Vorschlag mitzutragen. Gestoppt wurde er schließlich durch den Widerstand der Europa-Abgeordneten, die noch am Abend der Verhandlung ihren Unmut über den Lobbyvorschlag auf Twitter kundtaten.

Stattdessen einigte man sich nach acht Stunden Verhandlung am späten Abend auf einen Kompromiss nahe an der Parlamentsposition: App-Stores, Suchmaschinen und Soziale Netzwerke müssen faire, nichtdiskriminierende Bedingungen für den Zugang zu ihren Dienstleistungen definieren. Das bedeutet: Sie dürfen nicht willkürlich Unternehmen ausschließen und auch keine beliebig hohen Gebühren für den Zugang verlangen.

Eine Verpflichtung dieser Plattformen, andere Unternehmen dafür zu bezahlen, dass sie ihren Dienst nutzen, ergibt sich daraus selbstverständlich nicht. Doch das stellte der französische Staatssekretär für Digitales, Cédric O, bei einer Pressekonferenz am Freitag anders dar: Selbstverständlich sei die Vergütung für Inhalte Teil der fairen Zugangsbedingungen, erklärte er. EU-Kommissarin Margrethe Vestager antwortete ausweichend, EU-Abgeordnete widersprachen.

Kommission macht sich zum Handlanger der Verlage

Trilogverhandlungen sind eigentlich dazu da, einen Kompromiss zwischen den Positionen der beiden europäischen Gesetzgebungsorgane zu finden: zwischen den direkt gewählten Abgeordneten des Europaparlaments und den im Rat vertretenen nationalen Regierungen. Die EU-Kommission spielt dabei eine vermittelnde Rolle. Davon kann in diesem Fall aber keine Rede sein, denn eine Regelung zum Leistungsschutzrecht fand sich weder im Gesetzesvorschlag der EU-Kommission für den Digital Markets Act, noch in den Verhandlungsmandaten von Europaparlament oder Rat.

Was verleitete also die Kommission dazu, einen Lobbyvorschlag der Presseverlage so spät in den Verhandlungen aus dem Hut zu zaubern, dass der Chefverhandler des Europaparlaments noch am Tag der letzten Verhandlung angab, diesen Text noch nie zu Gesicht bekommen zu haben? Darüber kann vorerst nur spekuliert werden, doch spätestens nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens wird die Kommission über diese Frage nach der Informationsfreiheitsverordnung Auskunft geben müssen.

Es ist wohl der Berichterstattung von „Euractiv“ zu verdanken, dass es der EU-Kommission nicht gelungen ist, das Leistungsschutzrecht in den Digital Markets Act hineinzumogeln. So hatten die Abgeordneten zumindest noch wenige Stunden Zeit, sich über den Vorschlag zu informieren. Der Druck auf schnelle Einigung ist im Trilogformat groß: Vertreter*innen von EU-Kommission, Parlament und Rat schließen sich gemeinsam in einen Raum ein und kommen erst wieder heraus, wenn ein Kompromiss gefunden ist. Oft geschieht das erst spät in der Nacht, dabei gewinnt nicht unbedingt die Seite mit den besseren Argumenten, sondern die mit dem besseren Sitzfleisch.

Unter größtem Stress müssen die Verhandlungsparteien die Implikationen der von ihnen verhandelten Kompromisse erfassen und abwägen. Textvorschläge können nicht mehr von unabhängigen Expert*innen überprüft oder in die Muttersprachen der Abgeordneten übersetzt werden, ehe diese eine Entscheidung treffen müssen. Umso wichtiger ist es, dass die Kommission in dieser Gemengelage tatsächlich ihre Aufgabe als Vermittlerin zwischen zwei gegensätzlichen Positionen wahrnimmt, anstatt sich selbst zur Agentin von privaten Interessengruppen zu machen.

Trilogverfahren macht EU anfällig für Lobbyismus

Vorgänge wie die Verhandlung des Digital Markets Acts werfen die Frage auf, warum die EU überhaupt auf das informelle und gänzlich intransparente Trilogverfahren setzt, um Gesetze auf den Weg zu bringen. In den EU-Verträgen steht eigentlich etwas anderes: Demnach gibt es ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren mit drei Lesungen. Änderungsanträge werden dabei fristgerecht eingereicht, transparent in Ausschüssen und schließlich in einem Vermittlungsausschuss diskutiert und einzeln im Plenum abgestimmt. So kann man es auf der Webseite des Parlaments nachlesen.

Um bei besonders unkomplizierten, unkontroversen Gesetzen Zeit zu sparen, wurde das Trilogverfahren etabliert, bei dem sich Parlament und Rat schon vor der ersten Lesung absprechen und einfach den gleichen Gesetzestext verabschieden. In diesem Fall ist das Gesetz schon nach erster Lesung beschlossen. Das geht natürlich nur, wenn bei der Endabstimmung nichts mehr geändert wird. Entweder stimmen Parlament und Rat also dem gesamten, bereits vorverhandelten Paket zu – oder der Deal ist geplatzt.

Schleichend hat sich dieses Trilogverfahren über die Jahre für alle EU-Gesetze etabliert. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren wird praktisch nicht mehr angewandt. Die Verabschiedung von Trilogergebnissen gilt nur noch als Formsache. Das Ergebnis dieser Praxis: Entwurfsfassungen der Gesetze, an die wir uns alle halten müssen, bleiben selbst den Abgeordneten bis zur letzten Minute verborgen und müssen im Nachhinein mühsam durch Projekte wie „Black Box EU“ von FragdenStaat.de an die Öffentlichkeit gezerrt werden. Politiker*innen müssen sich Nächte in Marathonverhandlungen um die Ohren schlagen, bei denen natürlich jede Menge Fehler passieren.

Im besten Fall kommen dabei mehrdeutige Gesetzestexte heraus, über deren Bedeutung sich die Beteiligten schon am Folgetag in der Presse streiten. Was diese Gesetze wirklich bedeuten, entscheidet dann Jahre später der Europäische Gerichtshof. Im schlechtesten Fall können Lobbyverbände mit einem kurzen Draht zu Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) die Schwäche der Triloge gezielt nutzen, um Partikularinteressen durchzusetzen. Der aktuelle Streit über Presseverlage zeigt also deutlich, was bei der EU-Gesetzgebung falsch läuft – und deshalb geändert werden sollte.

4 Kommentare

  1. „Unter größtem Stress müssen die Verhandlungsparteien die Implikationen der von ihnen verhandelten Kompromisse erfassen und abwägen. Textvorschläge können nicht mehr von unabhängigen Expert*innen überprüft oder in die Muttersprachen der Abgeordneten übersetzt werden, ehe diese eine Entscheidung treffen müssen.“

    Das ist grundsätzlich kein Problem: Bei Abstimmungen können die Abgeordneten auf derartige Weise zustandegekommene Gesetzesvorschläge ja einfach ablehnen. Wenn sie Anstand hätten, dann müssten sie das sogar tun.

    Das Problem ist vielmehr, dass Regierung und Parlament ihre Rollen nicht ausfüllen: Die Regierung gibt die gewünschten Gesetze vor und die Abgeordneten kommen diesen Vorstellungen geflissentlich nach. Legislative und Exekutive also vertauscht. Dass die Regierungen damit kein Problem haben, versteht sich von selber, warum die Abgeordneten dabei mitspielen, ist für mich schleierhaft. Angst vor Jobverlust bei der Vergabe der Listenplätze zur nächsten Wahl darf bei den (Ruhe-)Bezügen für Parlamentarier kein Argument sein.

  2. „…warum die Abgeordneten dabei mitspielen, ist für mich schleierhaft. “

    Ich verstehe Ihre Pauschalkritik nicht. Die Abgeordneten haben doch gerade nicht mitgespielt:

    „…important to mention that the European Parliament has just prevented a proposal that had privileged press publishers.“

    Text nur überflogen?

  3. #2: Meine Kritik war allgemeiner Natur, dass die Kommission bzw die Regierungen viel zu oft mit sowas durchkommen, auch wenn sie hier ausnahmsweise nicht damit durchgekommen sind. Man denke zB an das Theater bei den Brexit-„Verhandlungen“.

    Das habe ich aber nicht deutlich genug gemacht, sorry.

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