Podcastkritik (76)

Mal weghören: Drei Podcasts, um der harten Realität zu entfliehen

Mein Kollege Sandro Schroeder hat seine jüngste Podcast-Kolumne vor zwei Wochen so begonnen:

„Natürlich hätte ich in dieser Podcast-Kritik den Krieg in der Ukraine einfach ausklammern können. Gelegenheiten für Eskapismus bietet das Medium zur Genüge. Irgendein Promi-Laberformat hätte sich schon gefunden. Es hätte sich aber falsch angefühlt.“

Ich kann das gut nachvollziehen. Vieles wirkt seit Beginn des Krieges in der Ukraine unsinnig, unwichtig. Auch ich habe meine Podcast-Aboliste umgestellt, habe Politikformate und Ukraine-Podcasts neu abonniert. Ich höre sie, während ich mit Doomscrolling beschäftigt bin, stundenlang. Doch mehr und mehr merke ich: Es tut mir nicht gut.

Es ist eine Gratwanderung für uns alle im Moment: Irgendwie den Alltag zu bewältigen, obwohl wir wissen, dass nicht weit von uns ein Krieg herrscht, in dem Familien auseinandergerissen und Menschen getötet werden. Als Journalistin kann ich nicht anders, ich muss auf dem Laufenden sein, auch wenn ich mir manchmal lieber die Decke über den Kopf ziehen würde.

Und dann kommen auch noch die netten Übermedien-Kollegen und erinnern freundlich an die Abgabe dieser Kolumne.

Ich möchte, ich kann gerade keine neuen Podcasts hören. Aber: Wenn es sich zu Kriegsbeginn falsch anfühlte, wie Sandro Schroeder schrieb, so fühlt es sich jetzt extrem richtig an, den vielen Kriegsnachrichten auch mal zu entfliehen. Gerade weil ich merke, dass es ungesund ist, sich fast ausschließlich mit akuten und möglichen Gefahren zu beschäftigen, möchte ich drei Podcasts empfehlen, die ablenken, wenigstens für ein paar Stunden. Vielleicht haben Sie ja auch das Bedürfnis. Deshalb, auf geht’s: Drei „Klassiker“, die zumindest mir immer gute Laune machen und Kraft geben.

„Wie war der Tag, Liebling?“

Seit mehr als 15 Jahren gibt es diesen Podcast. Also fast seit Anbeginn der deutschen Podcastzeit. Damals war es eigentlich noch kein richtiger Podcast: Radiomoderator Kristian Thees rief in seiner SWR3-Sendung seine beste Freundin Anke Engelke an und quatschte mit ihr ein paar Minuten über „dein Geschichtchen des Tages“ und dieses Schnipselchen wurde online gestellt.

Seither hat sich vieles verändert: Das Schnipselchen dauert nun meistens eine Dreiviertelstunde, erscheint zweimal pro Woche und ist ein richtiger Podcast, so wie er sein soll: sympathisch, informativ, manchmal albern, oft ernst, und mit Protagonisten, die sich wirklich kennen und mögen. Die Community spielt auch eine große Rolle. Sie wird mit dem Vorlesen der sogenannten „Hörer-Erektionen“ (=Reaktionen) gewürdigt.

Mir tut dieser Podcast so gut, weil Anke Engelke und Kristian Thees sehr viel über Kunst und Kultur sprechen, die schönen Dinge des Lebens: Gedichte, Theater, Bücher. Und zwar nicht verkopft, die beiden offenbaren auch mal Wissenslücken, die andere Öffentlichkeitsmenschen nach der Produktion rausschneiden würden, um nicht blöd dazustehen. Es ist also wirklich, als würden sich zwei Freunde am Nebentisch eines Cafés unterhalten, und ich würde zufällig dieser Unterhaltung folgen. Der Unterschied: Im Café würde ich mich zurückhalten, die beiden zu verbessern. Beim Podcast schreie ich gerne mal rein, wenn ihnen der Name eines Schauspielers nicht einfällt.

Die Rollen sind klar abgesteckt: Engelke ist die Frau, die sich für Arthouse-Filme interessiert, kein Smartphone besitzt, (Karten-)Spiele liebt und vegan lebt. Thees ist der modernere Mann, der Gedichte mag, mit seiner Freundin Anke brav ins Theater geht und beim Vorlesen schöner Geschichten aufblüht. Beide verbindet die Liebe zur Stadt New York, die immer wieder Thema ist. Bei all den derzeit perfekt produzierten und massentauglichen Podcasts ist es wohltuend, dieses chaotische und liebevolle Stückchen Freundschaft zu hören – und das seit so vielen Jahren. Wir, die „Lieblinge“, wachsen cabospielend (einer von viiielen Insidern) mit.

„Sträter Bender Streberg“

Ein klassisches Laberformat, und das meine ich nicht böse. Nie.

Drei Freunde unterhalten sich. Und ich habe lange überlegt, ob ich diesen Podcast empfehle oder die „Mikrodilettanten“, die eigentlich dasselbe  tun, und die ich auch sehr mag. Aber diesmal gewinnen die „SBS“.

Die Drei sprechen (auch mal mit prominenten Gästen) über Kinofilme, Serien, Comics, Hörspiele und was große Jungs halt sonst noch interessiert. Aufgezeichnet in einem Comicbuchladen und auch bei Youtube zu sehen, ist die Hörversion dennoch ein richtiger Podcast und irgendwie „Big Bang Theory“ zum Hören. Wenn auch ohne Physiker.

Komiker Torsten Sträter kennt man aus dem Fernsehen und von der Bühne, wo er mit seinem bemützten Kopf und ganz in schwarz gekleidet lustige Texte vorträgt. Hier ist er meist in der Rolle des grummeligen Herrenschneiders zu hören, der die meisten Filme und Serien erst noch schauen muss, aber eine Koryphäe in Sachen „Batman“ ist. Komiker Hennes Bender ist der etwas nervige kleine Bruders in diesem Trio, der in der Regel aber am besten vorbereitet ist. Und Drehbuchautor Gerry Streberg ist der angenehme Ruhepol mit viel Film- und Fernsehwissen und einem guten Witze-Timing.

Eigentlich höre ich diesen Podcast vor allem deswegen, weil ich mir dann viele Marvel-Filme und Actionserien sparen kann. Schön verrissen von den Dreien weiß ich anschließend genug, um in der (derzeit nicht besuchten) Kantine darüber mitreden zu können – ohne meine Zeit mit einem schlechten Film vergeudet zu haben. Natürlich wird auch mal gelobt, außerdem verraten die Drei, was im Kino und Fernsehen (aus ihrer Perspektive) ein Flop ist und was wirklich sehenswert.

„Hotel Matze“

Okay, ein alter Hut. Nein, sagen wir lieber freundlicher: ein Klassiker!

Diesen Podcast kann ich niemandem mehr als Geheimtipp weismachen. Aber er ist halt auch wirklich gut. Klassisches Interviewformat, Matze Hielscher als Gastgeber, ein prominenter Mensch als sein Gegenüber. Hielscher hat eine sonore, angenehme Stimme und eine unaufgeregte Art. Und er ist unglaublich gut auf seine Gäste vorbereitet.

Was mir besonders gut gefällt: Hielscher hebt sich die naheliegenden Fragen meist für den Schluss auf – und fängt erstmal damit an, seine Gäste kennenzulernen. Weniger über deren Schaffen, sondern über deren Einstellung zum Leben. Was als harmloses Gespräch beginnt, wird meist schnell zu einer tiefergehenden Therapiestunde.

In der kürzlich erschienenen Episode mit dem Bestseller-Autor Benedict Wells, der selten Interviews gibt und nicht wirklich gern über sich redet, wird das besonders deutlich. Der eher zurückhaltende Gast erzählt über drei Stunden lang und kann es am Ende selbst nicht glauben.

Natürlich fragt Hielscher die Meilensteine des Autoren-Lebens ab, Wells‘ Erfolge. Aber das ist nur die Pflicht. Die Kür ist, dass er Wells entlockt, welcher Mensch hinter dem Promi steckt – und was diesen geprägt hat: die Zeit im Internat, das schwierige Verhältnis zu seinen Eltern, sein Namenswechsel, sein Geburtstag am 29. Februar, den es nur so selten gibt. Es geht auch darum, dass Wells nicht ewig Autor sein möchte, sondern noch etwas Neues ausprobieren will – vielleicht ein Philosophie-Studium. Und auch der Host selbst steht Rede und Antwort, zum Beispiel, wenn Wells Hielscher fragt, weshalb er seine Karriere als Musiker aufgegeben habe.

Ich habe zwar nicht alle Episoden gehört, aber bis jetzt hatte ich nie das Gefühl, dass sich die Gesprächspartner nicht mögen. Die Unterhaltungen sind immer auf Augenhöhe. Und alle waren bereit, sich zu öffnen. Das ist eine Gabe, die Matze Hielscher hat: Er gibt seinen Gästen ein gutes Gefühl – und uns Zuhörer:innen auch. Das kann ich gerade gut gebrauchen.

2 Kommentare

  1. Zu Hotel Matze:
    Ja, Hielscher ist ein super lieber Kerl.
    Aber Nein, das hat alles nichts mit tiefergehender Therapiestunde zu tun.
    Es nervt auf Dauer sogar, weil es im Grunde immer das gleiche ist. Menschen aus der Medienbranche auf der Suche nach sich selbst.
    Das ist für mich tatsächlich mittlerweile mein Aufreger-Podcast, weil ich immer denke, klar kommt jetzt das und das, wie im Grunde bei jedem anderen auch.
    Und was mich dann zusätzlich noch aufregt, sind die Monatsspecials mit seinem Kumpel Philip Siefer. Da ist dann wieder diese Suche von Dudes aus der immer gleichen Blase.
    Plus deren zigfacher Erwähnung, wie die beiden denn als Gründer das alles so sehen.
    Und da frage ich mich echt, wie lange kann man eigentlich Gründer sein? Das sind Unternehmer, die irgendwie in ihren Gründungs-Mythos stecken geblieben sind aber dabei glauben, sich so unendlich weiter zu entwickeln.

    Meine Worte tun mir tatsächlich etwas Leid, weil ich Hielscher als Menschen wirklich mag und ihn total nett finde. Und die Podcasts mich neben dem Aufregen gleichzeitig auf der seichten Schiene abholen. Den kann man halt wirklich sehr gut nebenher hören, weil man im Grunde nie wirklich was verpasst, wenn man mal nicht 100% hinhört. Und Hielscher bekommt überall so viel Lob, dass ich hoffe, so einen kleinen Rand, der darf auch mal drin sein.
    Und gerade gestern erst habe ich mit einem Freund zusammen gesessen und mich ähnlich über den Podcast aufgeregt, so dass ich jetzt, wo der Podcast hier erwähnt wurde, einfach noch mal aufregen musste.

    Sorry dafür und gerne mal da rein hören, so schlimm ist es dann doch nicht.

  2. Danke für den zaghaften und freundlichen Widerspruch. Kann ich verstehen! Ich höre in der Tat auch nur die Interviews. Und gerade die jüngste Folge mit dem zurückhaltenden Benedict Wells hat gezeigt, dass Matze Hielscher wirklich sehr nah an Menschen rankommt. Das gefällt mir. Aber: Podcasts müssen nicht allen Menschen gefallen, wir sind jetzt einfach freundschaftlich anderer Meinung. Liebe Grüße und weiterhin frohes Hören!

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