Sturm „Zeynep“

Live-Schalten aus dem Orkan: „Kein Bild der Welt ist es wert, dass wir hier weiter stehen“

In der Nacht von Freitag auf Samstag ist ein schwerer Orkan durch Europa gezogen, und auch Deutschland wurde heftig davon getroffen. Meteorologen und Behörden hatten früh davor gewarnt, zu Fuß oder mit dem Auto unterwegs zu sein, was viele auch befolgten. Außer natürlich Journalisten.

Alle Fernsehsender, ob privat oder öffentlich-rechtlich, hatten Reporter:innen losgeschickt, und die standen dann da, am Strand, aufm Deich oder direkt am Hamburger Hafen, um zu berichten, was jeder wusste und ja auch sah: Es stürmt. In perfekten Text-Bild-Scheren beteten sie immerzu runter, dass Polizei und Behörden „eindringlich“ darum bitten würden, sich nicht dort aufzuhalten, wo sie gerade rumwackeln, nämlich im Freien.

Das Genre der Sturm-Reportage ist nicht neu. Schon 2020 zum Beispiel, als Sturm „Sabine“ übers Land zog, haben wir den Irrsinn festgehalten. Es gibt viele dieser Bilder, aus aller Welt; auch welche, auf denen Reporter:innen irgendetwas abkriegen, das gerade so rumfliegt.

Natürlich ist es der Job von Journalisten, auch die Auswirkungen solcher Naturereignisse zu dokumentieren. Aber müssen sie sich dafür in Gefahr bringen? Müssen sie vormachen, wovor sie gleichzeitig warnen? Oder anders gefragt: Würde jemand ins Abklingbecken eines Atomreaktors tauchen, um davor zu warnen, dass Radioaktivität nicht ganz ungefährlich ist?

Wenn zum Beispiel der Reporter, der für das „heute journal“ in Norddeich ausharrt, sagt, es sei „wirklich lebensgefährlich, sich weiter draußen aufzuhalten“ – wäre das dann nicht der Zeitpunkt, an dem man besser reingeht? Oder an dem irgendein Chefredakteur anweist, das zu tun?

Und gilt dasselbe nicht für die „Tagesthemen“, deren Reporter live in der Sendung sagt, er und sein Kamerateam hätten sich gerade hinter einen Strandkiosk gerettet, weil „die ersten Sachen durch die Luft geflogen sind“? Ein anderes Kamerateam, lässt er noch wissen, sei bereits „weggerannt“ (!), „weil die Straßenabsperrungen sich denen entgegen geschoben haben“.

Und wenn die RTL-Reporterin von der Feuerwehr gebeten wird, endlich in ihr Hotel zu gehen, von dessen Fassade sich bereits Teile gelöst hatten – ist es dann so schlau und überhaupt nötig, sich auf den Balkon dieses Hotels zu stellen, um noch eine Live-Schalte fürs RTL-„Nachtjournal“ zu machen?

Vielleicht muss man es sehen, um die Absurdität zu begreifen – also bitte:

Nach Kritik teilte das ZDF via Twitter lediglich mit:

Ein „sicherer Ort“ inmitten eines Sturms, an dem einer der Reporter dann von Lebensgefahr spricht.

Die Moderatoren stehen währenddessen in ihren Studios, warm und trocken, und staunen lächelnd über die Kollegen da draußen. Sie loben die Tapferkeit da an der Wetterfront, die ruhige Hand der Kameraleute, und dass „Bild und Ton perfekt“ seien, obwohl es doch so stürme. Angeblich sorgen sie sich auch um die Sicherheit ihrer Leute, aber wie groß kann diese Sorge sein?

Einen „Bild“-Reporter hatten sie auf den Brocken im Harz kommandiert, weil es da naturgemäß immer besonders abgeht. Dort stand er dann also und sprach, dies sei „kein Ort, an dem man sich aufhalten sollte, wenn es nicht unbedingt notwendig ist“ – und als vermeintliche Notwendigkeit schob er hinterher: „wenn man gerade eine Live-Schalte machen soll“.

Mag sein, dass diese Bilder paradoxerweise zeigen, wie berechtigt die Warnungen sind, nicht rauszugehen. Aber eigentlich braucht diese Schalten niemand. Man sieht dort, zumal nachts, kaum mehr als Reporter:innen, die sich noch gerade so halten können. Was natürlich mitunter lustig anzusehen ist (Guck die Haare, haha!) – aber alles, was dort berichtet wird, ließe sich auch aus einem sicheren Zimmer senden.

Ein anderer „Bild“-Reporter sagte in einem klarsichtigen Moment, „kein Bild der Welt“ sei es „wert, dass wir jetzt hier gleich weiter stehen“, deshalb wolle er sich in Sicherheit bringen – nach der Schalte. Erst mal abliefern, worum es ja ausschließlich geht: nicht um Information, sondern um geile Bilder.

Nachtrag, 22.2.2022. Der ARD-Reporter hat uns darauf hingewiesen, dass das zweite Kamerateam, das weggerannt ist, nicht zur ARD gehörte. Dieser Eindruck konnte in der Schalte entstehen. Wir haben das im Text entsprechend korrigiert.

4 Kommentare

  1. Interessanterweise hatte Jörg Kachelmann gestern im Spiegel-Interview gefordert, es möge viel mehr solcher Berichterstattung geben, am besten Live-Streams, um die Bevölkerung zu sensibilisieren.
    https://www.spiegel.de/panorama/joerg-kachelmann-ueber-sturmtief-zeynep-so-sterben-die-meisten-menschen-baum-auf-kopf-oder-baum-auf-auto-a-2841ac54-002a-4d07-9519-80be51bfb933
    Zitat von gestern:
    „In den USA würden ab heute Nachmittag sämtliche Fernsehsender nur über den Sturm berichten, und die Korrespondenten wären mit Puschelmikrofonen auf alle nord- und ostfriesischen Inseln verteilt. Ich möchte nicht wissen, wie das heute in Deutschland laufen wird.[…]“
    Offenbar hatte er da eine etwas falsche Wahrnehmung.

  2. Vielleicht hatte Herr Kachelmann eine falsche Wahrnehmung bzw. Erwartung an den deutschen Fernsehjournalismus – aber ich finde, Herr Kachelmann hat recht und nicht Herr Rosenkranz. Man *muss* das wirklich zeigen und dabei eindringlich waren: „Nicht nachmachen!“ Die deutschen Fernsehsender sind doch finanziell ganz gut ausgestattet – sollten die ihre Journalisten nicht so ausrüsten können, dass denen möglichst nichts passiert? Es gibt doch auch Berichte aus Kriegsgebieten. Solange die Journalisten das freiwillig machen, dafür angemessen ausgerüstet sind und bezahlt werden, sehe ich kein Problem.

  3. @ Hans-Ulrich Ihm: Puh. Ernsthaft? Wie freiwillig tun Sie denn so Sachen, die Ihr Arbeitgeber von Ihnen erwartet? Und was ist denn eine „angemessene Ausrüstung“ während eines Orkans? UHU Alleskleber?

  4. Der Meta-Mechanismus der Medien ist, die Erzeugung von Aufmerkamkeit. Das geht über Katastrophe, Bedrohung, Sex- and Crime, Klatsch und Tratsch, Krisen, Probleme, Spektakuläres, Prominente, Personenkult, Stereotyen, Aufregung, Brot und Spiele….
    Mit dieser Methode werden Sendezeiten und Seitenzahlen vollgebracht. Wir befinden uns deswegen in einen in einem permanenten Krisenmodus, ein ruhiges , abwägendes Berichten über die Welt findet kaum statt, es gibt eine totale Asymetrie in der Aufmerkamkeit. Deswegen unterstütze ich jetzt Übermedien, dass dieser „Sensations“-Jornalismus kritisch begleitet wird. Ich drücke euch / uns die Daumen dass ihr / wir gehört werden.

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