Podcastkritik (72)

Unglaublich selten und unglaublich gut erklärt

True Crime war gestern, jetzt ist True Krankheiten. Und das finde ich viel spannender, als mir anzuhören, wer wieder jemanden wie umgebracht hat.

In „Unglaublich krank – Patienten ohne Diagnose“, dem Podcast mit der Schauspielerin Esther Schweins und dem Mediziner Martin Mücke, geht es um Seltene Erkrankungen, und nebenbei lernen wir noch eine Menge über Medizin, den menschlichen Körper und seine Funktionsweisen.

In den ersten Folgen war Schweins noch die, die durch die gute Dreiviertelstunde führte, die jede Folge dauert. Was angenehm war, denn Schweins vereint Intelligenz und Humor und hat noch dazu, wie ich finde, die schönste Stimme Deutschlands. Gut, das weiß sie offenbar auch selbst und haucht deshalb manchmal etwas zu sehr ins Mikrofon. Aber trotzdem höre ich ihr sehr gerne zu. Und mittlerweile wirkt auch ihr Host-Partner Mücke präsenter als zu Beginn, er grätscht auch mal rein. Insgesamt ein gutes Gespann.

Esther Schweins ist offensichtlich sehr interessiert an körperlicher und seelischer Gesundheit und an unterschiedlichen Heilungsmethoden. Mücke ist Mediziner mit eigener Praxis und Experte auf dem Gebiet der Seltenen Erkrankungen. Er ist seit vergangenem Jahr Direktor des Instituts für Digitale Allgemeinmedizin an der Universitätsklinik RWTH Aachen und Vorstandssprecher des Zentrums für Selten Erkrankungen Aachen.

Frustrierende Odyssee

Als Seltene Erkrankung (englisch: Orphan Disease) gelten Leiden, von denen nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen betroffen sind. Das sind oft Leute, die eine Odyssee hinter sich haben und von Spezialist zu Spezialist geschickt wurden, ohne eine Diagnose zu bekommen. Das ist nicht nur frustrierend für die Betroffenen, sondern doppelt kompliziert. Denn ohne Diagnose: keine Behandlung, kein Ende der Leiden, keine finanzielle Unterstützung.

Rund 6.000 dieser Seltenen Erkrankungen soll es geben, wahrscheinlich sind es noch mehr. Das Thema kommt einem bekannt vor – zumindest all jenen, die früher gerne „Dr. House“ gesehen haben, die Fernsehserie mit dem übellaunigen Humpeldoc. An ihr ist der Podcast offenkundig angelehnt, Schweins und Mücke gehen dennoch ihren ganz eigenen Weg.

Der Aufbau der Folgen ist immer gleich: Erst liest Esther Schweins eine geskriptete Geschichte vor. Darin geht es um den Einzelfall dieser Episode. Erzählerisch ist das sehr gut aufbereitet, wie eine spannende Kurzgeschichte. Sie basiert zwar auf einem wahren Fall, wurde aber verfremdet und ausgeschmückt. Fängt harmlos an, aber man weiß sofort: Vorsicht, gleich passiert etwas!

Dann unterbrechen die beiden Podcaster die Geschichte und sprechen über den Fall an sich und die Herangehensweise, also die Suche der Ärzte nach der Ursache. Dann kommt der zweite Akt der Geschichte, wieder vorgelesen. Dann wieder ein Gespräch, in dem es noch etwas in die Tiefe geht und die beiden Hosts auch mal in andere medizinische Felder abschweifen. Und dann der dritte Akt: die Auflösung des Falls.

Damit gelingt den Machern die Gratwanderung zwischen Sensationslust und Aufklärung, zwischen Ausbeutung von Einzelschicksalen zugunsten einer spannenden Geschichte und der Information anderer Menschen, die an Seltenen Erkrankungen leiden oder sie in ihrem Umfeld haben.

Das Eigenbrauer-Syndrom

Mittlerweile habe ich alle Episoden durchgehört und meine Familie regelmäßig am Esstisch mit den neuesten Geschichten aus dem Podcast behelligt. Weil das, was man da hört, einfach unglaublich ist, wie der Podcast-Titel „Unglaublich krank“ schon suggeriert. Zum Beispiel gleich der erste Fall.

Ein junger und beliebter Lehrer, verheiratet und Vater, verändert plötzlich sein Wesen. Er torkelt, wird seinen Schülern gegenüber aggressiv. Dann verursacht er einen Verkehrsunfall – und der Alkoholtest zeigt: zwei Promille. Alle sind sich einig: Der Mann muss Alkoholiker sein. Seine Frau verlässt ihn, seinen Job verliert er. Er zieht wieder zu seiner Mutter. Niemand glaubt ihm, dass er nicht krankhaft trinkt. Aber kann es eine andere Erklärung geben?

Ja, kann es. Denn (Achtung, Spoiler!) er hat sich auf einer Reise einen Hefepilz sozusagen eingefangen, der in seinem Körper gärt und somit seinen Blutalkoholspiegel nach oben treibt. Das ist das sogenannte Eigenbrauer-Syndrom – sobald der Lehrer Kohlenhydrate zu sich nahm, wurde im Körper Alkohol produziert.

Ist doch irre, oder? Was es alles gibt!

Die Fälle im Podcast werden natürlich verfremdet und ausgeschmückt, die Patientinnen und Patienten sind dadurch geschützt und die Geschichten umso spannender. Erstaunt hat mich, wie persönlich Esther Schweins in vielen Folgen wird, wie sie sich öffnet, von ihrem Privatleben erzählt, was sie meines Wissens sonst nicht macht. Hier aber berichtet sie zum Beispiel, wie sie einmal mit ihren (damals kleinen) Kindern am Strand war und nur einen Moment nicht aufpasste. Ihr Sohn lief ins Meer und geriet unter Wasser – zum Glück konnte sie ihn retten.

Genau das sind die starken Momente des Podcasts, wenn das Gespräch auf eigene Erfahrungen kommt, dann aber nicht die Sensationslust an diesem „Promi-Moment“ betont wird, sondern der Arzt übernimmt und sachlich erklärt, wie gefährlich Wasser für Kinder ist, wie schnell sie ertrinken können.

Mit Martin Mücke haben die Macher einen Mediziner gefunden, der nicht nur das nötige Fachwissen hat, sondern vor allem so reden kann, dass Nicht-Mediziner ihn verstehen können. Manchmal stockt er und man merkt: Er sucht nach allgemeinverständlichen Begriffen, anstatt im Medizinersprech mit lateinischen Vokabeln um sich zu werfen. Und doch bleibt der Podcast nicht an der Oberfläche – wenn etwa erklärt wird, was die Menopause im Körper einer Frau wirklich bewirkt. Gut, dass uns das mal jemand sagt, oder?

Aufklärung vom Pharmakonzern

Was mich auch immer zum Schmunzeln bringt: Wenn Esther Schweins zwischendurch eher alternative, angeblich sanfte Methoden anpreist, beziehungsweise auf das Heilwissen ihrer Oma zurückgreift – und Mücke sie erst reden lässt, dann aber doch mit Fakten und Schulmedizin dagegenhält. Ein gutes Gleichgewicht, das sicher auch viele Hörerinnen und Hörer anspricht.

Wichtig ist beiden, Gesundheitsmythen aufzudecken und zu informieren. Wir sollen also nicht den Kopf in den Nacken legen bei Nasenbluten, das bringt nichts. Und wir sollen auch nicht den aus Film und Fernsehen bekannten Heimlich-Griff anwenden, wenn ein Kind sich verschluckt. Lieber an den Füßen hochheben und umdrehen und auf den Rücken klopfen.

Ich habe mich beim Hören nur gefragt: Wie finanziert sich dieser Podcast? Dahinter stecken die Firma DvR Creative Consulting und – huch! – das größte japanische Pharmaunternehmen Takeda, gegründet 1781.

Ist das schlimm? Ich finde: nein. Das Unternehmen engagiert sich für die Heilung Seltener Erkrankungen. Denn auch, wer mit so etwas lebt, braucht natürlich Medikamente – wenn denn mal die Diagnose gestellt ist. Takeda ist in dieser Hinsicht Weltmarktführer – und macht natürlich eine Menge Umsatz damit. Dem Podcast allerdings schadet die Kooperation nicht. Hier wird nicht offensichtlich Werbung für Medikamente gemacht, sondern Aufklärung betrieben, und das sehr unterhaltsam. Daran kann ich nichts Schlechtes finden.

Und ingesamt am Podcast auch nicht. Ach, doch, eine Kleinigkeit: Das knapp eine Minute und damit viel zu lange Intro mit der Vorstellung der beiden Hosts überspringt mein Podcatcher zum Glück. Beim Bingehören kann das dann doch ziemlich nerven.


Podcast: „Unglaublich krank – Patienten ohne Diagnose“, produziert von DvR Creative Consulting

Episodenlänge: wöchentlich 45 Minuten

Offizieller Claim: Bleiben Sie gesund!

Inoffizieller Claim: Unglaublich, was es alles für Krankheiten gibt!

Wer diesen Podcast mag, hört auch: „Betreutes Fühlen“ und „Abenteuer Diagnose – der Medizin-Krimi-Podcast“

2 Kommentare

  1. Klingt sehr interessant, danke für die Besprechung! Eine kleine kritische Anmerkung: Bitte nicht dieses doofe Wort „Schulmedizin“ verwenden. In dem Zusammenhang könnte man von wissenschaftlicher, wissenschaftlich orientierter, wissenschaftsbasierter oder evidenzbasierter Medizin schreiben. Es geht ja nicht mal darum, alles daneben schlechtzumachen (auch wenn ich die Überprüfung von Omas Weiseheiten ebenso spannend wie nützlich finde), aber „Schulmedizin“ hat einen abwertenden Beiklang (Richtung konventionell), und genau mit der Intetention wurde das Wort ja seinerzeit auch etabliert.

    Am Sponsoring durch ein Pharmaunternehmen kann ich in dem Fall auch nichts ehrenrühriges erkennen. Grade mit Mitteln gegen Seltenen Erkrankungen lässt sich ja eben aufgrund ihrer Seltenheit eher wenig Geld machen (weswegen es ja auch oft an diesen Mitteln fehlt, weil sich die Forschung nicht lohnt). Und auch ohne nähere Recherche wage ich mal die Vermutung, dass auch der Weltmarktführer Takeda den Großteil seines Profits mit anderen Medikamenten macht.

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