Podcastkritik (69)

„WTFM 100,Null“: „What the fuck“-Momente beim Zuhören

"WTFM 100, Null" macht das Podcast-Menschchen sehr glückklich.

Seit Anfang November sendet „WTFM 100,Null“, ein satirischer Radiosender. Er kombiniert die Merkwürdigkeiten von Menschen, die mehr oder weniger professionell in Mikrofone sprechen, ergänzt um viel Humor und musikalische Blödelei, etwas Absurdität und eine Prise Kritik. Zack, fertig, der laut Eigenbeschreibung „wahrscheinlich wunderlichste, irrwitzigste und brüllkomischste Radiosender überhaupt“.

Wobei das schon der erste kleine Seitenhieb ist: Das passiert natürlich nicht in einem UKW-Programm, sondern in einem Podcast, als eigenständige Sketch-Show mit Meta-Ebene. Früher hätte das wahrscheinlich als Element in einer echten Radioshow getaugt – Grüße gehen an Ken J. aus Krefeld. Aber im Jahr 2021 publizieren die Macher*innen ihre Show einfach selbst, als Podcast. Nimm das, Rundfunk!

Im Ernst: Für mich ist „WTFM 100,Null“ einer der wenigen Podcast-Starts der letzten Zeit, der seine vollmundige Eigenbeschreibung nicht meilenweit unterläuft, sondern sogar noch übertrifft. Der Podcast ist absurde Unterhaltung für Viel-Hörer*innen. Und diese Unterhaltung bricht, so ganz nebenbei, noch aus der braven Gesprächigkeit deutscher Podcasts aus, die kreativen Möglichkeiten des Mediums auslotend.

Auf die Zwölf

Genug der Vorschusslorbeeren: Hinter „WTFM 100,Null“ steht die Wundertütenfabrik beziehungsweise das Comedy-Ensemble Luksan Wunder. Am ehesten von Youtube bekannt für das satirische Kurzformat „Korrekte Aussprache“. In dem wird ein Name wie etwa „Xavier Naidoo“ erst maximal falsch ausgesprochen, aber im unbeirrbar überbetonten Habitus einer vermeintlich besserwissenden Oberstudienrätin. Gekürt wird das Ganze dann von der Verwendung in einem lächerlichen Beispielsatz: „Chaiwir Nudais Markenzeichen ist ein Aluminiumhut.“

Wer über so etwas lachen kann, ist in diesem Satire-Podcast genau richtig.

In der zweiten WTFM-Folge schlittern wir „fresh in the morning, fresh in den Tag, hauptsache fresh“ schon in die hinterste Ecke der Privatradio-Hölle. Natürlich inklusive eines Effekt- und Jingle-Anfalls, der für ein unangenehmes Zucken im Ohr sorgt. Wer kennt keine „fresheste Morning-Show Deutschlands“, in der eine „Moderatorin Mariella“ den „geschätzten Kollegen Tobi“ als Sidegag anmoderiert? Woraufhin der „Tobinator“ nur gekünstelt lacht: „Na, was wird denn da geschätzt an mir, liebe Mariella?! Die Größe etwa? Das war nur ein Witz! Ein Fun-Witz, denn mit Witz und Fun kommt man nämlich am freshesten in den Tag, liebe Leute!“

Natürlich ist bei „WTFM 100, Null“ viel solcher Humor mit dem Holzhammer zu hören – und das ist gut so. Wie sollte es bei einer Radiosatire auch anders sein? Manche Figuren und Gewohnheiten im realen Radio sind ja fast schon Realsatire.

Dadurch müssen manche Sketche von WTFM zwangsläufig dermaßen überzeichnet sein, dass sie fast hilflos wirken. Ich muss trotzdem lachen, obwohl ich vermutlich nicht mal alle Anspielungen und Seitenhiebe durchsteige.

Beim Hören habe ich den Eindruck, dass sich der Humor wie ein Chamäleon an die Originale anpasst: So bekommen die unauthentischen, weil dauergutgelaunten Radiomoderator*innen auch die groben, sehr lauten Gags ab.

Leise, aber beißende Kritik

Was aber nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass in den fiesen Überspitzungen von “WTFM 100,Null” auch viel Detailliebe steckt. Manchmal kommt der Humor eben nicht mit dem Holzhammer, sondern fein dosiert mit der Pinzette. Ich unterstelle den Macher*innen: Wer so genau persifliert, muss vorher schon genau zugehört haben. Manchmal vermutlich unter Qualen.

Der Radioszene mangelt es chronisch an wahrnehmbarer Kritik in den anderen Medien. Das mediale Nichtgesehen- und Nichtbeachtetwerden, das ist die große Kränkung der durchaus eitlen Radiomacher*innen, spätestens seit der Erfindung des Fernsehens. Gut, dass jetzt wenigstens ein paar Nerds für einen fiktiven Radiosender die Ohren spitzen. Immer, wenn bei WTFM zwischen zwei Szenen gesprungen wird, ist eine Sprachassistentenstimme zu hören: „Sendersuche läuft“. Könnte auch eine Drohung sein.

Das alles wird eingebettet in satirische, auch mal ganz ordentlich gegen die Musikindustrie austeilende Songs, die für sich genommen schon ein Fest sind. Mein Highlight: Der Mumblerap von MC Lauterbach in Folge 4, der eigentlich nur eine großartige Collage der Worte „also, die, quasi, also, äh“ von Karl Lauterbach ist. Das geht weit über einfache Radiosatire hinaus.

Fake-Radio, Fake-Werbung, Fake-Songs

Zwischendurch dürfen bitterböse Fake-Werbespots nicht fehlen. WTFM wirbt für Käsemöhren, Katzenfutter („aus Katzen, kein Katzenfutter!“) und für Anti-Aging-Creme mit Adrenochrom („natürlich gemolkene Zirbeldrüsen-Extrakte aus dem frischesten und jüngstem Humanmaterial, ausschließlich aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen, kinderleicht!“).

Aber keine Sorge, auch öffentlich-rechtliche Radiosender bekommen ihr Fett weg. In der ersten Folge gibt „Deutschlandfunk Yolo“, das fiktive junge WTFM-Programm, Kultur- und Veranstaltungstipps. Mit einem Sprecher, der so überdeutlich spricht, dass keine Wortendung auch nur in die Nähe von Alltagsmündlichkeit kommt.

„Hallo, ihr Husos. Dlf Yolo represented heute wieder und bringt euch nicen Radiocontent und News von der Street und cooles Hood-Life, no cap. Cringe kriegt ihr woanders. Hier wird geflexxt, ihr Lelleks.“ Anschließend sind die Verkehrsnachrichten – im echten Dlf übrigens abgeschafft – zu hören, gewürdigt als erstaunlich eingängiger Cloudrap mit Autotune-Gejammer: „Wagen im Graben am Kamener Kreuz. Falschfahrer A9. Alter, frag mal den Boy. Rapapapam macht das Streufahrzeug!“

Die schönsten und schlimmsten Audio-Pannen

In der Sendung „Gefühlvolle Gespräche mit Betti Lar“ gibt es einen Interview-Unfall zu hören: Eine Sabine Rückert, die mit ihrem bayerisch rollendem „R“ nicht müde wird, in der „Hörbar Lar“ auf jede Frage zu antworten, dass sie doch stellvertretende Chefredakteurin der „Zeit“ sei und außerdem einen „Pott-Cast“ habe, der „Zeit Verbrechen“ hieße und überaus erfolgreich sei. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind bei WTFM nicht rein zufällig, sondern klar beabsichtigt.

Dazwischen – für das geneigte Ohr der Kenner*innen – gibt es auch etwas subtilere Gags. Wenn beispielsweise die für die Nachrichten und die Presseschauen im Deutschlandfunk typischen, bedeutungsschwangeren Atempausen exaltiert zur Schau gestellt werden. Nur für eine halbe Sekunde – aber doch lang genug, um das Augenzwinkern hören zu können. Oder wenn der tägliche Astronomie-Tipp „Sternzeit“ des Senders für seinen Hang zur Bildungssprache im Nominalstil aufs Korn genommen wird.

Eine hörbar ans Öffentlich-Rechtliche angelehnte Diskussionsrunde zu Kunst und Kultur fragt sich in Folge 4: „Was ist das Relevante am System, was ist das Systematische an der Relevanz und was ist das Relevante am System?“

Dazu begrüßt der Moderator die Gäste, darunter einen schwer atmenden „Imperativ-Dramaturgen und Schauspiel-Kaligrafen“, einen „Henri-Böring-Preisträger für hermetische Lyrik“ und Franziska Elisabeth Manitoba, „eine Frau“. Dann startet der Moderator „so frech wie medias in res cognitans mit einer ganz direkten – und direk-tierten an Sie – Frage: Ist das Theatersystem systemrelevant?“

Wer darüber jetzt nicht lachen kann, moderiert halt selbst eine Kultursendung.

Der Podcast, den niemand brauchte – bis jetzt

Und ja, dieser Satire-Podcast ist tatsächlich noch viel absurder. Ein wilder wie bunter Trip durch die Radiolandschaft. Das Feuerwerk aus Szenen, Songs und Stimmen lässt für keine Sekunde nach.

Was bei allem Feuerwerk aber keinesfalls untergehen sollte: „WTFM 100,Null“ ist mit viel Liebe und Aufwand produziert. Eine Ironie-Ebene extra, bitte: Handwerklich steckt in den liebevoll produzierten Witz-Miniaturen des Podcasts wahrscheinlich weitaus mehr Mühe als in den „Originalen“, die veräppelt werden.

Klar: Die Zielgruppe der Gags besteht wahrscheinlich eher aus geübten Vielhörer*innen von Radio und Podcast. „WTFM 100,Null“ traut seinen Hörer*innen, ja, mutet ihnen viel zu – aber keineswegs auf unangenehme Weise.

Nach den gut zwanzig Minuten jeder Episode bleibt jedenfalls der Eindruck, deutlich mehr und länger gehört zu haben. Und die absolut trügerische Sicherheit, einen Höreindruck von den echten Formaten bekommen zu haben. So glaubwürdig ist die Show.

Was die Meme-Compilation für Youtube ist, das ist WTFM für das bisher komplett Meme-untaugliche Medium Radio. Ich wusste vorher nicht, dass ich diesen Podcast brauche – aber jetzt bin ich dankbar, dass es WTFM gibt!


Podcast: WTFM 100,Null – Die Radio-Podcast-Show von Luksan Wunder

Episodenlänge: jeweils circa 20 Minuten, wöchentlich

Offizieller Claim: „WTFM 100,Null ist der wahrscheinlich wunderlichste, irrwitzigste und brüllkomischste Radiosender überhaupt.“

Inoffizieller Claim: Hau den Radio-Lukas, während Freddie Mercury „Radio Goo goo, Radio Gaga“ singt

Wer „WTFM 100,Null“ mag, …
… hört auch „Podcasts, der Podcast“ bei Spotify; „Das Podcast-UFO“ insgesamt und insbesondere die Folge „Hinter dem Mikrofon“
… und kann sich auf Instagram wahrscheinlich für „oer.memes“ und „Privatradiouschi“ begeistern

4 Kommentare

  1. Danke für den Tipp. Teilweise schon hart flachwitzig, aber bei der Bundesligakonferenz hat’s mich gerissen. Zurück zu Bernd.

  2. Selbst, wenn ich 95% der Vorlagen nicht kenne, musste ich einmal bei der Besprechung lachen.
    Ansonsten stellt mein innerer Spießer fest, dass es „Schauspiel-Kalligrafen“ heißen müsste, sofern nicht ein Adeliger der chemischen Substanz oder indischen Göttin gemeint sein soll.
    (In dem Fall habe ich den Witz nicht gerafft.)

  3. Habe gestern die ersten beiden Folgen hintereinander weg gehört und Tränen gelacht. Danke für diese Podcast-Empfehlung.

  4. Die heimatlosen Wandernazis, die ein Zigeunerleben führen, sind wirklich die einzige Erklärung. Danke für dieses Juwel :-)

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