Macht und Manipulation (3)

Unter 1, 2 oder 3: Wenn „Kreise“ sprechen können

Macht die Bundeskanzlerin den Medien Vorgaben? Manipulieren Journalist:innen die Öffentlichkeit? Hendrik Wieduwilt war Hauptstadtjournalist und Ministeriumssprecher. Er beschreibt in dieser Serie die alltäglichen Tricks und Mechanismen, mit denen Medien beeinflusst werden und uns beeinflussen.


Jeden Tag bauen Journalisten Codes in ihre Texte ein, die Eingeweihte verstehen, für alle anderen aber Vernebelungen sind, sozusagen kleine Scharaden für die Öffentlichkeit. Auch beim Abzug des westlichen Militärs aus Afghanistan konnte man diese besondere Form der Pressearbeit beobachten. Diesen Feenstaub kann man sich aber leicht aus den Augen reiben – hier steht, wie das geht.

Sie, liebe Leserinnen und Leser, können die kleinen Absprachen zwischen Medien und Politik praktisch jeden Tag entdecken. Nicht mit Hilfe irgendwelcher Verschwörungsblogs, sondern ganz einfach: durch kurzes Googeln.

Kreise des Verteidigungsministeriums

Der Tag, an dem ich diesen Text beginne, ist der 26. August. Ich gebe die Zauberformel „Kreise des“ bei Google News ein. Siehe da, eine Meldung des Bayrischen Rundfunks. Dort steht unter anderem:

„Die deutsche Luftbrücke soll am Freitag eingestellt werden, berichtet das Wirtschaftsmagazin ‚Business Insider‘ unter Berufung auf Kreise des Verteidigungsministeriums und des Auswärtigen Amts.“

Der Ausdruck „Kreise“ – früher häufiger „gut informierte Kreise“ – evoziert ein Bild: Da hat ein Journalist einen Draht in die obersten Bundesbehörden. Hat jemand geplaudert? Hat man sich in einer Tiefgarage getroffen, um Unterlagen von einer anonymen Quelle zu bekommen? So wie der von Robert Redford verkörperte Journalist Bob Woodward in der Watergate-Verfilmung „Die Unbestechlichen“ von seinem Informanten „Deep Throat“?

Robert Redford in „Die Unbestechlichen“, 1976 Foto: Imago / United Archives

Ohne dem „Business Insider“ zu nahe treten zu wollen: Das wahrscheinlichere Szenario ist banaler. Im Regelfall heißt „Kreise“ schlicht: Pressestelle. Mit einem feinen Unterschied zur normalen Presseauskunft: Die Sprecherinnen und Sprecher erlegen dem Medium auf, die Information nicht direkt dem Ministerium zuschreiben – wohl aber: den „Kreisen“. Man verabredet also, so zu tun, als gäbe es ein Leck, einen unerkannten Whistleblower, dabei ist es einfach Pressearbeit.

Dieses Verfahren ist auch international üblich. Bei meiner kleinen Google-News-Recherche taucht etwa auch eine Nachricht des „Guardian“ auf, gemeldet von der „Tagesschau“:

„Großbritannien will einem Medienbericht zufolge die Evakuierungsflüge in den nächsten 24-36 Stunden beenden. Das US-Militär benötige noch zwei bis drei Tage, um seinen Einsatz auf dem Flughafen in Kabul abzuschließen und der britische Abzug der Streitkräfte solle 24 Stunden vor den Amerikanern beendet sein, berichtet die Zeitung ‚The Guardian‘ unter Berufung auf Kreise des britischen Verteidigungsministeriums.“

Auch hier wird es sich nicht um ein Leck handeln – sondern um gezielte Information der Öffentlichkeit durch die Pressestelle. Im Englischen heißt „Kreise“ übrigens nicht weniger diffus „sources“, Quellen. Auch außerhalb der Politblase nutzen Medien den Trick, wenn von „nahestehenden Personen“ von Prominenten die Rede ist oder das ominöse „Umfeld“ zu Wort kommt.

Unter 1, 2, 3

Damals, noch in der Bonner Politikblase, bildete sich eine noch differenziertere Sprachregelung heraus: Man spricht von „Unter 3“, „Unter 2“ und „Unter 1“. Das bezieht sich auf § 16 in der Satzung der Bundespressekonferenz.

Pressestellen der Ministerien sagen also im Gespräch mit Journalisten, „die Luftbrücke wird Freitag eingestellt, aber das ist ‚unter 2′“. Zitieren ist demnach erlaubt, aber nur verschleiert – eben, indem man die Information den „Kreisen“ zuschreibt. „Unter 1“ bedeutet, dass Sprecher oder Politiker direkt zitiert werden dürfen. „Unter 3“-Informationen wiederum sind nur für den Hinterkopf des Journalisten, dürfen also gar nicht aufgeschrieben werden.

Tür mit dem Sendungslogo von „1, 2 oder 3“
Unter „1, 2 oder 3“ Screenshot: ZDF

Diese Regeln gelten nicht nur in kleinen Runden oder Telefonaten, sondern auch bei der Regierungspressekonferenz. Sie wird von der Bundespressekonferenz ausgerichtet, einem Verein von Journalisten. Auch dort kommt es gelegentlich zu „Unter 3“-Statements, vor allem bei Bezügen zu Nachrichtendiensten. Dann müssen sämtliche Aufnahmen eingestellt werden. Sogar die Übertragungskamera für die von außerhalb zugeschalteten Mitglieder der Bundespressekonferenz drehen dann ab auf eine blaue Anzeigetafel mit dem Schriftzug „Unter 3“, zudem wird ein Piepton eingeblendet.

Mehr Informationen mit „Unter 2“

Jetzt werden Sie sich vielleicht fragen: Was soll das Theater?

„Unter 2“ ermöglicht der Bundesregierung, Informationen preiszugeben, auch wenn sie es eigentlich nicht will oder darf. Wenn etwa Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer „Unter 1“ ein Datum für den Truppenabzug benennen würde, könnte man sie daran messen, ob sie den Termin einhalten kann. Wenn die Information von „Kreisen des Verteidigungsministeriums“ stammt, weiß zwar auch jeder, was gemeint ist – für eine politische Attacke reicht das aber nicht.

Solche Situationen gibt es in der Politik oft, wenn etwa Entscheidungen politisch getroffen, aber noch nicht formal beschlossen sind, wie zum Beispiel die politische Einigung auf eine Gesetzesformulierung. Die Öffentlichkeit bekommt also mehr Informationen, als wenn es so einen Deal wie „Unter 2“ nicht gäbe. Zwar haben Journalisten auch rechtliche Ansprüche auf Informationen. Allerdings dauern solche Verfahren lange, sie sind teils kostspielig und helfen bei weitem nicht in allen Fällen.

Auch „Unter 3“-Informationen können Regierungshandeln transparenter machen: Sie dienen dazu, dass Journalisten Zusammenhänge besser verstehen und Sachverhalte einordnen können. Man kann versuchen, auch „Unter 3“-Informationen in die Öffentlichkeit zu schummeln, etwa durch einen Kommentar (dann sieht es aus wie eine brillante Journalistenanalyse), oder man munkelt von „dem Vernehmen nach“ oder „steht zu vermuten, dass“.

Manches, was in den Medien nach Spekulation klingt, ist also gar keine. Wenn es um harte Fakten geht, riskieren Journalisten durch zu präzises „Spekulieren“ allerdings, dass sie die „Unter 3“-Verabredung brechen und damit als nicht vertrauenswürdig gelten.

Stöcke in die Speichen werfen

Für die Regierenden hat die Abrede ebenfalls große Vorteile, besonders bei rivalisierenden Koalitionspartnern: Ein Minister kann Informationen durchstechen (lassen), ohne gleich mit offenem Visier die Regierungsbank zu verraten. Es ist Teil der Machtmechanik, dass sich die Kabinettsmitglieder auf diese Weise gegenseitig Stöcke in die Speichen werfen. Das ist bisweilen etwas albern, weil absolut jeder im politischen Berlin diesen Code versteht. Aber es reicht eben nicht aus für einen handfesten Koalitionskrach – denn bewiesen ist ja nichts. Und das Medium verschweigt seine Quelle natürlich. Als müsste es „Deep Throat“ in der Tiefgarage schützen.

Ebenfalls unter „Unter 3“ laufen Gespräche, in denen die Kommunikatoren auf Leitartikler und Glossisten einreden, um Debatten in eine bestimmte Richtung zu drehen (der „Spin“).

Hauptstadtjournalismus ist also manchmal ein Laientheater, das einen Film mit Robert Redford nachspielt. Aber es ist ein Theater, dass auf diese Weise eben mehr berichten kann als ohne solche Abreden.

Die Praxis ufert allerdings aus, weil sie je nach Situation für alle Insassen der Berliner Blase praktisch ist: Journalisten und ihr Medium können mit ihren „Quellen“ protzen – obwohl sie sich in Wirklichkeit nur in der Gunst der Pressestelle sonnen. Die Pressestelle wiederum kann kommunizieren, ohne sich angreifbar zu machen. Sie regelt auch die Lautstärke der Nachricht nach Belieben: „Kreise“ kann unter Umständen das Momentum verstärken, wenn es nach einer tollen Investigativarbeit klingt. Oder ein Sprecher drückt sich vor einer Antwort, indem er sie auf „unter 2“ herunterstuft – letztes Mittel in der Regierungspressekonferenz, wenn der Druck zu hoch ist.

Echter Investigativjournalismus

Natürlich ist nicht alles Theater: Es gibt durchaus echten Investigativjournalismus. Damit trotz enormem Produktionsdruck auch noch richtig gewühlt wird, haben viele Redaktionen dafür eigene Ressorts und Teams gegründet. Dort recherchiert man nach alter Kunst, telefoniert also mögliche Quellen ab, trifft sich mit Menschen zum Hintergrundgespräch, stellt vielleicht sogar Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz, kurz: IFG. Manchmal trifft auch der stinknormale Parlamentskorrespondent seine Quellen an unauffälligen Orten – also einmal nicht im Restaurant Borchardt und oder dem Einstein Unter den Linden –, bekommt dort einen Stapel kopierter und teilanonymisierter Dokumente in die Hand gedrückt und kann danach einen großen Scoop landen.

Damit ein Fake-Leck („Kreise“) überhaupt von echten Whistleblowern unterscheidbar ist, müssen Journalisten ihre Leistung sprachlich hervorheben: Wer wirklich Woodward-mäßig etwas geschafft hat, schreibt dann von „zugespielten Unterlagen“, einem „Beamten, der jedoch anonym bleiben möchte“ oder ähnlichem.

Die PR der Ministerien und Behörden nutzt das System der „Kreise“ inzwischen so gern, dass es zu Auswüchsen führt: Oft kommt es vor, dass ein Ministerium ein Dutzend Journalisten einlädt, ein Staatssekretär – flankiert von anderen Beamten aus Fachabteilungen – lang und breit eine Sachlage erklärt, sogar Papiere austeilt und dann, kurz vor Abschied, flötet die Sprecherin aus dem Off: „Ach so, das ist alles ‚unter 2‘, ne?“. Das führt zu langen Gesichtern bei den Journalisten, denn die „Kreise“-Abrede funktioniert reichlich schlecht, wenn alle Medien zugleich über „Kreise“ berichten.

Als Bodo Ramelow in einer mehrstündigen Plauderei auf der Audio-App Clubhouse prahlte, in einer Konferenz mit der Kanzlerin sich die Zeit mit dem Handyspiel „Candycrush“ zu vertreiben, argumentierte er danach mitunter, das Gespräch sei „unter 3“ einzustufen. Hier zeigte sich die schleichende Pervertierung des Prinzips: „Unter 2“ ist eigentlich ein von Journalisten erfundenes Werkzeug, kein PR-Tool der Pressestellen.

Dennoch beschweren sich die wenigsten Redakteure. Das ist verständlich: Man möchte ja auch beim nächsten Termin am Tisch sitzen, wenn die „Kreise“ sprechen.

8 Kommentare

  1. Danke für den Artikel!
    Sehr informativ und nachvollziehbar.

    Mehr davon, weniger Podcastbesprechungen. Die Platte springt, ich weiß.

  2. @AndererMax

    Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, es sind doch ganz andere Autor:innen. Geschmäcker sind verschieden und es darf doch jeder Übermedien so genießen, wie sie es möchten.

  3. „Sie dienen dazu, dass Journalisten Zusammenhänge besser verstehen und Sachverhalte einordnen können.“ Das ist in der Tat ein Aspekt von „unter drei“. Zuweilen geht es aber auch um das Gegenteil der vorgeblichen Absicht, Transparenz zu schaffen: Das vermeintlich privilegierte Wissen wird versiegelt, der Journalist bekommt einen Maulkorb – und ist zuweilen noch stolz darauf.

  4. @Christian Knatz (#4):

    Ohne die „Unter 3“-Ansage hätte der Journalist dieses Wissen aber gar nicht – er könnte es nicht als Grundlage für seine Recherchen verwenden und es wäre viel effektiver versiegelt. Und um Transparenz geht es bei „Unter 3“ eigentlich überhaupt nicht. Die ist beim Spiegelspiel von Politik und Presse ein schwieriger Begriff,

    Funfact: „Unter 3“ kann auch schiefgehen: Mein Chef berichtete Journalisten mal in einem Hintergrundgespräch „Unter 3“ von einem Thema, dass wir ein paar Wochen später setzen wollten – wir wollten sie schon mal drauf anspitzen. Einer der Anwesenden hat das „Unter 3“ ignoriert, und am nächsten Tag stand die Sache groß in der Zeitung. Der betreffende Journalist wird seitdem nicht mehr zu Hintergrundgesprächen eingeladen, aber das Thema war für uns verbrannt.

    @Hendrik Widuwilt:

    „Im Regelfall heißt ‚Kreise‘ schlicht: Pressestelle.“

    Oft ist das so. Meiner Erfahrung nach stammen „Unter 2“-Infos aber häufig von Abgeordneten oder leitenden Beamten, die sich einzelne Journalisten gewogen halten wollen und ihnen deshalb vorab was stecken, was der Rest erst im Nachhinein erfahren soll: „Hör ma‘, morgen passiert das und das. Kannste bringen, sachst‘ aber nich‘, wo de das her hast, ne?“ Das sind dann die „Kreise“ in ihrem ursprünglichen Sinne – es gibt sie noch. ;-)

    Manchmal ist das mit der Pressestelle abgesprochen, manchmal entspringt es aber auch einer spontanen Laune beim Treffen in der Raucherecke – und das kann für die Pressestelle dann peinlich werden.

    Ganze Hintergrundgespräche oder PKs „Unter 2“ habe ich persönlich noch nicht erlebt. Kommt mir tatsächlich ziemlich absurd vor.

  5. Als jemand, der nicht im Bereich Journalismus arbeitet, bin ich sehr dankbar für den Artikel. Mir war zwar aufgefallen, dass mit den „Kreisen“ zwar eine gewisse Regelmäßigkeit in Inhalt und Formulierungsweise einhergeht – Dass die Regeln dazu aber dermaßen klar und bekannt sind, wusste ich nicht. Ich hatte mich auch schon gewundert, warum sogar die Tagesschau Informationen zitiert, die bekannte Zeitungen aus „Kreisen“ bezogen hatten – Aber wenn derart überschaubar ist, was solche Formulierungen bedeuten, ergibt das mit einem Mal Sinn.
    Was glauben Sie, wie verbreitet dieses Wissen in der Bevölkerung ist?
    Beste Grüße

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