Masken, Tests und andere Maßnahmen

„Bild“ prangert an, dass die Politik gegen Corona nicht das getan hat, wogegen „Bild“ gekämpft hat

Mit wenigen Worten hat der Bundesgesundheitsminister Anfang Juli dafür gesorgt, dass in der Fernsehsendung von „Bild“ die letzten verbliebenen Sicherungen durchbrannten. Im ARD-„Morgenmagazin“ hatte Jens Spahn dafür geworben, sich impfen lassen, aber hinzugefügt:

Wir werden sicherlich die Basis-Maßnahmen, die AHA-Regeln – und dazu gehört auch die Maske in bestimmten Bereichen – noch ’ne ganze Zeit brauchen.

„Das gibt’s doch nicht, Julian“, wutschnaubte Moderator Kai Weise daraufhin in Richtung seines damaligen Chefredakteurs. „Dass wir uns auch an diese Regeln halten müssen, auch wenn wir mittlerweile zu großen Teilen – 34 Millionen Deutsche – geimpft sind, voll durchgeimpft sind.“

Screenshot "Bild live": Wann hört der Regel-Wahnsinn endlich auf?

Julian Reichelt nahm den ihm zugespielten Empörungsball volley:

Die Frage, Kai, ist doch gar nicht: Warum müssen wir uns daran halten? Die Frage ist: Warum darf der Staat uns das eigentlich vorschreiben? (…) Ich bin doppelt geimpft. (…) Das Risiko, dass ich mich anstecke oder dass ich jemanden gefährde, ist de facto nicht existent. Zumindest nicht in einem Ausmaß, dass der Staat irgendein Recht hätte, mein Verhalten zu regulieren.

Er spricht inzwischen in einer Selbstverständlichkeit darüber, dass er mir vorschreiben kann, was ich mir ins Gesicht zu kleben habe oder wo ich lang zu gehen habe, oder wie fern ich mich von anderen Menschen zu halten habe, dass man merkt, dieses Menschenbild – wir können den Leuten einfach ohne jegliche Grundlage sagen, wie sie sich zu verhalten haben – hat sich eingeprägt, und ich hab das Gefühl, die Politik hat sich an diese Art und Weise, mit uns umzugehen, gewöhnt und hat Freude daran gefunden.

Auch die damalige Aufforderung von Staatsministerin Dorothee Bär, sich trotz Impfung weiter testen zu lassen, fand Reichelt einen unglaublichen Skandal:

Das heißt doch in der Übersetzung: Die Politik möchte gar keinen Ausweg aus dieser Pandemie aufzeigen. Sie möchten diesen Zustand erhalten, in dem sie (…) vorschreiben kann, was ich mir ins Gesicht zu kleben habe. Und ich finde, dafür gibt es keine Grundlage mehr, und wir müssen weg von diesem Weltbild und von diesem Menschenbild, dass wir eine Regierung haben, die uns einfach nach Gutdünken unsinniges Zeug vorschreiben darf.

Reichelt sprach von der Bundesrepublik als einem „autoritären Staat“ und forderte:

Wir müssen weg aus diesem Inzidenz-Weltbild. Dass wenn irgendwo irgendwer eine Krankheit bekommt, die für die Geimpften gar keine Relevanz mehr hat, auch nicht mit der Delta-Variante (…).

Reichelt deklamierte:

Wir haben Corona besiegt.

„Wieder nicht vorbereitet“

Das war am 8. Juli. Gut vier Monate später explodiert in Deutschland nicht nur die Zahl der Infizierten; auch die Zahl der schwer Corona-Erkrankten nimmt zu, Kliniken stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen, in manchen Regionen droht ein Kollaps des Gesundheitswesens.

Und „Bild“?

„Bild“ fragt heute: „Warum sind wir WIEDER NICHT VORBEREITET?“

Warum sind wir WIEDER NICHT VORBEREITET?

„Bild“ schreibt heute, dass Jens Spahn schon im Juli davor gewarnt habe, im Oktober könnte die Inzidenz-Marke von 800 überschritten werden. Doch statt etwas zu tun, „wurden Tests und Maskenpflicht zurückgefahren“.

„Bild“ prangert heute an: „Die Politik hat die Corona-Maßnahmen deutlich zurückgefahren. Und das, obwohl man ganz genau wusste, dass im Herbst die Zahlen explodieren.“

Das ist dasselbe Medium, das monatelang die Abschaffung der meisten Corona-Maßnahmen gefordert hat. Das gegen die Maskenpflicht wetterte. Gegen das Testen. Das ungefähr jede Warnung vor einer sich verschärfenden Situation als „Panikmache“ abgetan hat. Das behauptete, es handele sich um „Schreckenspropaganda, um einfach Menschen Angst zu machen“. Das dem immer wieder mahnenden Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach die Bezeichnung als Experte aberkennen wollte. Das versuchte, den Corona-Fachmann Christian Drosten zu diskreditieren.

Das im Juli, als Jens Spahn tatsächlich vor 800er-Inzidenzen im Herbst warnte, den Artikel darüber mit den Worten begann:

Kommt trotz aktuell niedriger Inzidenzen jetzt wieder Panikmache von der Regierung?

„Wahnsinn“

Den Ausschnitt aus der „Bild“-Live-Sendung, aus der die Zitate oben stammen, hat die Redaktion „Endlose Corona-Regeln: Wann hört der Wahnsinn auf?“ betitelt. Sie hat den Inhalt selbst so zusammengefasst:

Viele Menschen in Deutschland sind bereits gegen Corona geimpft – trotzdem fordern Politiker wie Jens Spahn und Karl Lauterbach weiterhin, dass die Bürger sich vorsichtig verhalten. Das findet BILD-Chefredakteur Julian Reichelt unmöglich.

Das Video verzeichnet allein bei Youtube fast 1,6 Millionen Aufrufe.

Den Gesundheitsminister, dem „Bild“ heute vorwirft, nicht genug gegen die vierte Welle getan zu haben, schrie „Bild“ damals an, weil er es gewagt hatte zu sagen, dass Abstandsregeln weiter gelten und Masken weiter getragen werden müssten.

Am 10. August forderte „Bild“ von der Kanzlerin auf der Titelseite „EINIGKEIT UND RECHT UND FREIHEIT“.

KANZLERIN, wir wollen EINIGKEIT und RECHT und FREIHEIT

Konkret unter anderem:

  • Gleiche Rechte für alle Menschen, Geimpfte und Ungeimpfte
  • Schluss mit Einschränkungen unserer Grundrechte
  • Wir wollen, dass jeder in die Kirche darf – oder ins Fußball-Stadion
  • Jeder kann sich impfen lassen, wir brauchen Ihre Vorschriften nicht

„Bild“ wütete gegen Maskenpflicht, Testpflicht und Auflagen für größere Veranstaltungen. „Bild“ sprach vom „Masken-Wahnsinn“:

Sobald jeder Erwachsene die Chance hatte, komplett geimpft zu sein, muss die Maskenpflicht fallen.

SO FREI WOLLEN AUCH WIR WIEDER LEBEN

„Bild“ berief sich bei seinen Forderungen auf Pandemie-Experten wie den Schauspieler Til Schweiger, die Sängerin Nena, den Textilproduzenten Wolfgang Grupp und den Historiker Hubertus Knabe. (Sowie FDP-Chef Christian Lindner.)

Der Warnung von Kanzleramtschef Helge Braun „vor angeblich drohenden 100.000 Neuinfektionen pro Tag im Herbst“ setzte „Bild“ die Empfehlung von Til Schweiger entgegen, die Regierung solle den Leuten lieber erklären, wie sie ihr „Immunsystem optimieren“ können, zum Beispiel durch Sport und Bewegung.

Den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF warf „Bild“ „Corona-Propaganda“ vor – zum Beispiel weil die „Tagesschau“ berichtete, dass die Zahl der Covid-Patienten auf den Intensivstationen zunahm. „Bild“ setzte dem die Einordnung von Hubertus Knabe entgegen, „die staatlich finanzierten Medien betätigen sich wie in Diktaturen vor allem als Sprachrohr der Regierung“.

„Falsch-Rechner“

Im September rechnete „Bild“-Meinungschef Filipp Piatov mit Helge Braun ab, weil der Ende Juli prognostiziert hatte:

Wenn sich Delta weiter so schnell verbreiten würde und wir keine enorm hohe Impfquote oder Verhaltensänderung dagegensetzen würden, hätten wir in nur neun Wochen eine Inzidenz von 850.

Neun Wochen später hielt der „Bild“-Mann dem Politiker vor, dass die Inzidenz nicht bei 850, sondern bei 70 liege, „Tendenz: fallend“.

Bitter: Helge Braun, einer der wichtigsten Köpfe hinter der deutschen Corona-Politik, hat sich um den Faktor ZWÖLF verrechnet.

Noch bitterer aber: Die Corona-Einschränkungen, die der falschen Rechnung folgten, bleiben trotzdem.

Absurd!

(…) trotz falscher Horror-Prognosen müssen Schüler weiter Maske tragen, müssen Bundesliga-Teams in halb leeren Stadien spielen, werden ungeimpfte Bürger aus Restaurants und Kinos ausgesperrt. (…)

Nennen wir die Dinge beim Namen. Die falschen Prognosen sind keine mysteriösen Fehlkalkulationen – es ist kalkulierte Panikmache.

Inzwischen liegt die Inzidenz immerhin bei 337, Tendenz: schnell steigend. Und inzwischen beklagt „Bild“ nicht mehr, dass Schüler weiter Maske tragen müssen, sondern dass Masken in den Schulen abgeschafft wurden.

„Voll-Alarm“

Noch am 4. November machte sich „Bild“ über den „Corona-Panik-Chor“ lustig:

Der Corona-Panik-Chor

Neben warnenden Äußerungen von Gesundheitsminister Jens Spahn, Bundeskanzlerin Angela Merkel und RKI-Chef Lothar Wieler stieß sich „Bild“ auch an einer Äußerung des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, der gesagt hatte: „Die pandemische Lage ist nicht beendet.“

„Bild“ erwiderte:

FAKT IST: Niemand hat die Pandemie für beendet erklärt.

Außer „Bild“.

Einer der Autoren jener Zeilen im November war „Bild“-Meinungschef Filipp Piatov. Das ist derselbe Piatov, der Anfang Juli geschrieben hatte:

Die Corona-Gefahr, wie wir Deutschen sie bislang kannten, ist vorbei!

Ein Kronzeuge von „Bild“ war damals Gerald Gaß (58), Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der „vor Alarmismus mit dem Begriff ‚4. Welle’“ warnte: „Das sorgt bei den Bürgern nur für die Angst, dass mit steigenden Fallzahlen die Intensivstationen wieder mit Covid-Patienten volllaufen.“ Dank der Impfung werde dies aber nicht eintreten.

„Bild“ machte sich diese Position zu eigen und kritisierte andere Politiker und Regierungsberater, die im Gegensatz dazu wieder „auf Voll-Alarm“ setzten.

Ebenfalls im Juli rief „Bild“ den Politikern zu: „Hört auf, ständig Angst zu schüren!“ („Andauernd wird gewarnt, gemahnt, Angst geschürt – als wären wir alle ungezogene kleine Kinder. Und als wäre die Coronalage noch genauso angespannt wie zu Jahresbeginn.“)

"Ich bin der festen Überzeugung, dass wir aufhören sollten, die Maske zu tragen"

Noch Anfang November fand „Bild“-Redakteurin Nena Schink, „dass wir aufhören sollten, die Maske zu tragen“. (Sie findet das immer noch.)

Monatelang wettert „Bild“ gegen die Politiker und Experten, die vor einem gefährlichen Corona-Herbst warnen. Nun, da die Lage für alle sichtbar eskaliert, fragt „Bild“, warum sie nicht das getan haben, wogegen „Bild“ die ganze Zeit gekämpft hat.

Man könnte versucht sein, das mit dem neuen Chefredakteur Johannes Boie zu erklären, aber für diese Art der Bigotterie braucht „Bild“ keinen Chefredakteurswechsel. Und zum Beispiel das Anprangern des angeblichen „Corona-Panik-Chors“ geschah schon unter seiner Leitung.

Julian Reichelt, der Chefredakteur, der die Berichterstattung von „Bild“ bis vor vier Wochen zu verantworten hatte, ist nicht mehr im Amt. Aber die anderen Leute, die immer wieder gegen Einschränkungen gewettert haben, sind es weiterhin, etwa Meinungschef Piatov und „Bild“-Live Chef Claus Strunz.

„Weiter so!“

Und einer der größten Fans von Reichelts Corona-Kurs war der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, Mathias Döpfner. Er muss sich seit Wochen für eine private Nachricht rechtfertigen, in der er Reichelt genau deswegen als den letzten aufrechten Journalisten in Deutschland bezeichnet hat, „der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt“. Seit diese Nachricht öffentlich wurde, versucht Döpfner sie als Ironie abzutun, jedenfalls entspreche sie nicht seiner Meinung und sei halt nur so privat dahingesagt.

Nicht nur privat so dahingesagt hat er allerdings seine Unterstützung für den publizistischen „Bild“-Kurs Reichelts. Wörtlich sagte er im März vor der Belegschaft:

Ich halte die publizistische Rolle, die Julian in den vergangenen Jahren gespielt hat, für extrem richtig und extrem wichtig für dieses Land.

Sein Kurs habe breiteste Unterstützung im Vorstand, im Aufsichtsrat und in den Shareholder-Committees. Döpfner rief Reichelt: „Weiter so!“ zu. Noch in der Pressemitteilung, in der das Unternehmen die Absetzung von Reichelt als Chefredakteur bekannt gibt, ließ sich Döpfner mit den Worten zitieren: „Julian Reichelt hat BILD journalistisch hervorragend entwickelt.“

Dieser journalistische Kurs von „Bild“ hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Menschen glauben, die Pandemie sei beendet, das Tragen von Masken sei überflüssig, das Verlangen von Tests sei völlig abwegig und hinter all den Maßnahmen stünden nur ein übergriffiger Staat und Politiker, die einfach ihre sadistische Lust ausleben wollen, die Bürger zu gängeln. Letztlich hat dieser journalistische Kurs von „Bild“ auch dazu beigetragen, dass die Corona-Lage jetzt noch schlimmer ist, als sie sein müsste.

26 Kommentare

  1. WÜRG!
    Ich weiß, das ist nicht gerade ein erhellender Kommentar. Aber mehr fällt mir dazu nicht ein.

  2. Sagt mir gerne, wenn ich übertreibe:
    Aber wenn Reichelt zitiert wird und neben dem erfolgreichen Versuch auch gefährliche Unwahrheiten verbreitet, sollte das dann nicht klargestellt werden, oder darf man hier voraussetzen, dass das jeder erkennt?
    Er bezeichnet das Risiko einer Übertragung des Virus nach vollständigem Impfschutz als „de facto nicht existent“.
    Die Impfung schützt vor schweren Verläufen bei Infektion (auch nicht jeden), nicht vor der Infektion an sich.
    Ich weiß nicht wie viele Menschen ich in den letzten Monaten bitten musste, mir nicht so auf die Pelle zu rücken und immer zur Antwort bekam: „Wie jetzt? Bin doch geimpft!“
    Man fragt sich dann, ob das purer Egoismus ist oder fehlendes Wissen.
    Und wenn ich dann so ein Zitat lese……

  3. Damit beweist die BILD, was sie am besten kann: Die Stimmung in der Bevölkerung aufgreifen und zuspitzen. Im Sommer war das der Wunsch nach Normalität, jetzt ist es der Wunsch nach Rettung vor Welle 4. Billig, aber wirkungsvoll.

  4. @JUB 68: Ja, vielleicht ist da was dran, dass ich nicht einfach voraussetzen sollte, dass man zumindest jetzt – Monate später – erkennt, wie falsch das war. Ich guck mal, ob ich einen Info-Kasten danebensetze oder so.

  5. @Jub68 (#3):

    Die Impfung schützt vor schweren Verläufen bei Infektion (auch nicht jeden), nicht vor der Infektion an sich.

    War Ihnen das klar, als Sie sich haben impfen lassen? Mir nicht. Habe im Mai und Juni Moderna bekommen und fühlte mich danach wesentlich sicherer als heute (Maske habe ich trotzdem getragen).

    Damals war von über 90 Prozent Schutz vor Ansteckung (!) die Rede, und die hohe Zahl der sog. Impfdurchbrüche erschien kaum denkbar. Mir ist erst vor kurzem klargeworden, dass diese Zahlen auf Versuchen mit dem Ur-Virus beruhten; nicht auf der Delta-Variante, die heute dominant ist.

    Ich finde es wichtig, sich diese Differenz klarzumachen. Reichelt hat auch damals schon Quatsch erzählt, eine völlige Sicherheit vor Ansteckung war nie versprochen. Aber rückwirkend zu behaupten, die Impfungen hätten nie vor Infektion schützen sollen, sondern nur vor schweren Verläufen – das stimmt halt auch nicht.

  6. @JUB 68
    Das ist auch nicht ganz richtig. Die Impfung (alle Impfstoffe) schützt auch davor, sich anzustecken und andere zu infizieren. Nicht zu 100%, was nie jemand behauptet hat, und durch die hohe Prävalenz der Delta-Variante auch nicht so gut, wie erhofft aber die Risikoreduktion ist schon erheblich. Müsste die Zahlen raussuchen aber es sind auf jeden Fall über 50% . Schon eine geringere Wirksamkeit würde Impfen weniger riskant machen als Nicht Impfen.

  7. @Kritischer Kritiker
    Betreff Schutz durch Impfung: Die Crux liegt halt in den Varianten, genau wie sie sagen. Ohne Delta hätten wir jetzt quasi Herdenimmunität bzw. einen Zustand, der dem effektiv sehr ähnlich wäre. Beim Wildtyp schützt die Impfung fast komplett vor Ansteckung und selbst bei Beta war diese geimpft sehr, sehr unwahrscheinlich. Einfach ein systematisches Problem, dass bei Einführung der Impfung Ende Dezember 2020 halt Aussagen mit Blick auf die vorherrschende Variante getroffen wurden. Und für Delta war es damals halt noch unbekannt. Da kann man ja auch niemanden wirklich einen Vorwurf machen. Aber halt Wasser auf die Mühlen der Schwurbler, die sich auf diese „falschen“ Versprechungen berufen.

    Allgemein:
    Die Verhaltenswissenschaft sagt ja, dass Menschen gerne ihr eigenes Fehlverhalten anderen vorwerfen. Es ist schon eine Ironie, dass die ganzen Schwurbler so oft „1984“ im Logo haben und sich auf die BILD berufen und nun aber diese so von heute auf morgen die vergangenen Aussagen ins Gegenteil verkehrt.
    (Eine weitere Ironie ist natürlich, dass sie jetzt sogar Recht haben, denn z.B. der Abbau der Impf- und Schnelltestzentren und Lockerung aller möglichen Vorschriften in stetig steigende Infektionszahlen waren wirklich unvernünftig. )

  8. „Nicht zu 100%, was nie jemand behauptet hat“
    Wenn das _nicht_ die Behauptung war, warum mussten Geimpfte nicht mehr getestet werden?
    Ja, 99% hätten auch gereicht.
    Ein Rettungsboot schützt auch nicht zu 100% gegen Ertrinken, aber deutlich besser als ein Rettungsring.
    Jetzt haben wie eine Impfung, die selbst bei 100% Impfquote ein Überfüllen der Intensivstationen nicht verhindern würde, also brauchen wir dieselben Maßnahmen wir vor Erfindung der Impfung. Lockdown, Masken, Tests von allen.

  9. Natürlich brächte Impfung plus Test mehr Sicherheit, wird ja gerade als „2G +“ diskutiert. Erschien in der Abwägung wohl bisher nicht zumutbar.
    Sollte man auf den Rettungsring verzichten, weil kein Boot vorhanden ist?
    Und die Aussage, dass 100% Impfquote überfüllte Intensivstationen nicht verhindern würden, möchte ich angesichts des Verhältnisses von Ungeimpften zu Geimpften in der Gesamtbevölkerung vs. deren Verhältnis bei intensivpflichtigen Covid-Patienten doch anzweifeln.

    Ist aber nicht nur müßig, das hier zu diskutieren, sondern auch off topic. Schuldigung.

    Zur BILD fällt mir außer resigniertem Kopfschütteln nix mehr ein.

  10. Und in zehn bis zwanzig Jahren jammert dann dieses Blatt, das einst „weg mit die Ö-KO-Steuer!“– und „Fünf Mark pro Liter Benzin – ich hup Dir was“-Aufkleber verteilt hat, darüber, dass wir uns nicht auf Klimawandel und Rohstoffknappheit vorbereitet haben.

  11. Die Nachteile und Gefahren durch Bild-Schreibe und Lesen derselben sind eigentlich gut bekannt, beispielsweise durch Günter Wallraff (Hilfsfond „Wenn Bild lügt, kämpft dagegen“) und Heinrich Böll („Die verlorene Ehre der Katharina Blum“) .

    Wir schütteln über Bild und die bunten Lügenblätter den Kopf, aber warum nicht mehr über die Käufer:innen und Leser:innen des Blattes? Und die Verkaufsstellen?

    Ein mir bekannter Buchhändler, der auch ein kleines Sortiment von Zeitschriften anbietet, sagte in meinem Beisein einmal zu einer Anfrage eines Laufkunden der nach der Bild fragte: „Veröffentlichungen des Springer-Verlages kommen mir grundsätzlich nicht ins Haus! “

    Mein Kommentar ist erstmal kein Boykottaufruf, trotzdem frage ich mich ernsthaft, warum hier nicht mehr Entscheidungen auf unterster Ebene gegen die Bild und bunte Blätter getroffen werden, die liegen (meinem subjektiven Eindruck nach) viel zu viel in sonst seriös wirkenden Fachbäckereien und medizinischen Praxen herum.

  12. @10
    So offt ist das nicht. Natürlich soll man nicht aufs Impfen verzichten, aber wenn vorher klar war, dass auch Geimpfte erkranken können, hätte man die Testpflicht für diese gar nicht erst aussetzen sollen.
    Ist nicht ganz das Problem von BILD, aber hängt damit zusammen.

  13. Ach, „Bild“ befindet sich doch mit der 180-Grad-Wende in bester Gesellschaft. Noch Mitte Oktober hielt Jens Spahn daran fest, trotz steigender Inzidenzen, solle die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ beendet werden. Heute mosert die CDU darüber rum, dass die noch nicht im Amt befindliche Koalition, die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ beenden will. Hat irgendjemand etwas davon gehört, dass die Idee ursprünglich aus den eigenen Reihen kam? Nö – wozu auch?

  14. @schiesser:

    Hat irgendjemand etwas davon gehört, dass die Idee ursprünglich aus den eigenen Reihen kam? Nö – wozu auch?

    Naja, dieser Twist wurde schon in den vergangenen Tagen in der Berichterstattung immer wieder erwähnt.

  15. @9 Mycroft

    Wenn das _nicht_ die Behauptung war, warum mussten Geimpfte nicht mehr getestet werden?

    Zunächst, weil die Politik sich die letzten Monate nicht gerade glorreich bewiesen hat.

    Aber dennoch, die Politik hat hier eine Entschuldigung für diese Vorgabe, dass man sich als Geimpfter nicht testen lassen musste.
    Versprochen wurde eine Sicherheit vor Infektion mit Impfung bei um die 90%.
    Damals waren die Inzidenzen nicht so hoch, damit war auch die Wahrscheinlichkeit, mit dem Virus in Kontakt zu kommen, nicht so hoch.
    Und als geimpfter Mensch war mit gutem Gewissen davon auszugehen, dass man zu etwa 90% vor Ansteckung geschützt ist.
    Jetzt gehen die Zahlen nach oben, was bedeutet, dass man trotzdem noch zu 90% geschützt ist, auch mit Delta. Nur, wegen der hohen Zahlen, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass man immer und immer wieder mit dem Virus in Kontakt kommt.

    Vielleicht hatte der Geimpfte vor drei Monaten in zwei Wochen 5 Mal Kontakt zum Virus, wegen der 90%igen Schutzwirkung hat das nichts ausgemacht.
    Heute kann der Geimpfte aber schon 50 Mal in zwei Wochen mit dem Virus in Kontakt kommen. Und vielleicht hat der Schutz bei 49 Kontakten auch eine Infektion verhindert.
    Aber beim 50. Kontakt hat er dann auch genug abbekommen, so dass der Virus sich festsetzen konnte.

    Deshalb sind ja jetzt zu Recht auch 2G+ Regeln im Gespräch, die Dank der Ungeimpften, die schon bei den 5 Begegnungen vor drei Monaten wahrscheinlich Virusschleudern wurden, jetzt eine nötige Maßnahme sind.

    Danke denen, dass sie unsere Freiheit so extrem Beschneiden.

  16. @ 6

    Nein, das war mir Ende Mai nach der zweiten Impfung nicht klar.
    Aber im Juni war das bereits klarer:

    ▶ Postmarketing- und Real-Life-Studien haben gezeigt, dass die Virusausscheidung bei Perso- nen, die sich trotz einer abgeschlossenen Impf- serie mit SARS-CoV-2 infiziert haben, stark re- duziert und damit das Transmissionsrisiko deutlich vermindert ist. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass Menschen nach ent- sprechender Exposition trotz Impfung sympto- matisch oder asymptomatisch infiziert werden können und dabei SARS-CoV-2 ausscheiden (nachgewiesen durch PCR-Testung).

    Finden Sie auf der Seite des RKI, wurde in der Form schon am 24.06.21 veröffentlicht. Es ist ein Unterschied ob der um seine Gesundheit besorgte Bürger in dieser Zeit nicht Bescheid wusste oder ein Journalist, der (leider auch wenn „BILD“ draufsteht) eine große Reichweite hat.

  17. @ JUB 68 (#17):

    Danke für das Zitat. Ich hätte diese Erkenntnis in meiner Erinnerung später verortet – kriege es aber auch nicht mehr in einen Kontext gebracht. Soweit ich das im Kopf habe, lief der Kippunkt im öffentlichen Bewusstsein über Israel: Erst Jubelmeldungen (Impfweltmeister hat Corona besiegt), dann Katastrophe (Infektionen gehen durch die Decke). Eher so Juli/August in meiner Wahrnehmung, aber das kann täuschen.

    Was die BILD betrifft: Der geht es nicht darum, über Fakten zu berichten, sondern Stimmungen zu bedienen. Das ist ihr Geschäftsmodell, und im Sommer lief es über „Bin geeimpft, will Freiheit!“. Nun läuft es über „Habe Angst, Politik ist Schuld!“ Erbärmlich, aber effektiv.

  18. #18
    Genau, problematisch ist, dass es beim „Bedienen von Stimmungen“ auch eine Bandbreite gibt.
    Wenn beim ohnehin schon aufgebrachten Wutbürger die Eskalationsspirale weiter hochgeschraubt wird, weil man seine Freiheit mit einem Tempolimit beschränken möchte oder ihm vegetarische Tage verordnen will, kann ich immer noch lächeln.
    Bei dem Thema nicht mehr.
    Artikel wie dieser erreichen aber hier überwiegend Leute, die BILD schon per se nie für eine seriöse Berichterstattung gelobt haben.
    Und Ihre Beschreibung des Geschäftsmodells der BILD sagt ja auch aus:
    Eine Stimmung muss im Grunde vorhanden sein, damit sie bedient und gepusht werden kann.

  19. „Zunächst, weil die Politik sich die letzten Monate nicht gerade glorreich bewiesen hat.“
    Achja, da war ja was.

    „Aber dennoch, die Politik hat hier eine Entschuldigung für diese Vorgabe, dass man sich als Geimpfter nicht testen lassen musste.“ Schon, aber wegen derselben Entschuldigung dachte der Durchschnittsmensch, dass die Impfung Immunität verleiht.

    „Und als geimpfter Mensch war mit gutem Gewissen davon auszugehen, dass man zu etwa 90% vor Ansteckung geschützt ist.“ Ok, ich zumindest verstehe das so, dass 90% aller Geimpften immun sind. Oder hatte das jedenfalls so verstanden, aber jetzt lese ich, wie Sie es verstehen, und jetzt weiß ich auch nicht.

    „Heute kann der Geimpfte aber schon 50 Mal in zwei Wochen mit dem Virus in Kontakt kommen. Und vielleicht hat der Schutz bei 49 Kontakten auch eine Infektion verhindert.“ Wenn eine Masernimpfung zu 98% schützt, verstehe ich das so, dass 98 von 100 Maserngeimpfte ihr Leben lang keine Masern mehr bekommen, egal, wie viele Kontakte mit Maserninfizierten sie haben. Und nicht bloß weniger Masern, sondern gar keine. Tetanusimpfung soll man alle 10 Jahre erneuern. Corona-Impfungen sind besser als gar nichts, aber nicht so gut wie viele andere.

    „Deshalb sind ja jetzt zu Recht auch 2G+ Regeln im Gespräch, die Dank der Ungeimpften…“ Viel zu spät. Zynisch, wie ich bin, stelle ich fest, dass ein infizierter Geimpfter seltener Symptome entwickelt und daher häufiger asymtomatisch ansteckend ist als ein infizierter ungeimpfter. D.h., wenn man mich als Geimpften nicht testen will, ist das ein Fehler. Und ja, dass war auch als Motivation gedachtet, Leute zum Impfen zu bringen, aber so eine Motivation wirkt offenbar nur begrenzt.

  20. …warum verzweifle ich gelegentlich an unserem Staat, der sowas zulässt?
    Pressefreiheit? Ohje.
    Fängt an, hört auf?
    Was machen Springer-, Burda-, Funke u.s.w. -Leutchen eigentlich privat.
    Abends vorm Badezimmerspiegel?
    Werde ich nie begreifen, wobei mir das mit der Yellow-Press noch Schnurz ist.
    Aber „B..d“ und Springer mit den höchsten gesellschaftlichen Auszeichnungen?
    Was BILDBLOG u. Übermedien schreiben: Es spornt sie eher an, nach meinem Eindruck.

    Wenn ich könnte wie ich wollte aber nicht darf…

  21. Testungen mit Antigen-Tests sind schlechter in der Lage Infektionen Geimpfter zu erkennen. Weil Geimpfte idR. kürzer-, und mit erheblich niedrigerer Viruslast infiziert sind.
    Nach etwa 6 Monaten ändert sich das, weil der Impfschutz, insbesondere bei durch Alter oder Krankheit immunsupprimierten Menschen dann bereits stark nachgelassen hat.
    Da in Israel die Impfkampagne früher erfolgte, können wir das alles live mitverfolgen.

    Es war richtig, die Testpflicht von 2-fach Geimpften aufzuheben. Fraglich ist, ob man sie jetzt wieder einführt. PCR Tests würden da mehr Sinn machen, sind aber nicht so niedrigschwellig verfügbar.
    Die meisten Antigen-Testungen der Geimpften wären aussagelos.
    Das sind komplett low-level Infos die jeder in 2 Minuten haben kann.
    Wenn aber immer noch viele, nicht wenige auch bei den Medien, Sachinformationen wie bei WünschDirWas von den Quellen beziehen, die das sagen, was sie gerne hören wollen, und wenn irgendwelche B-Promis mit IQ um Raumtemperaturlevel in fast jeder Zeitung nach ihrer Meinung zur Pandemie befragt werden, dann ist das halt schwierig mit der Informiertheit.
    Natürlich darf und muss man das Nichthandeln gegen die 4. Welle skandalisieren. Vielleicht aber nicht gerade diejenigen, die daran großen Anteil haben, dass das Wort „Freiheit“ zu einem Synonym für Verantwortungslosigkeit und Sozialdarwinismus verkommen ist.

  22. Ok, anders gefragt:
    Wäre die Virenlast eines _infektiösen_ Geimpften auch zu niedrig für einen Schnelltest? Außerdem ist eine unzuverlässige Methode besser als gar keine.

    Oder halt Lockdowns.

    Wenn Fußball Corona wäre, würde man ja auch keinen Torwart aufstellen sondern das Tor zunageln.

  23. Nein, niemand würde das Tor zunageln. In China vielleicht.
    Bei einem abnehmenden Grenznutzen gibt es eine Schwelle, ab der eine Maßnahme nicht mehr vertreten wird. Natürlich nach Prioritäten, die die jeweilige Politik gerade setzt.
    Wenn man sich aber das Juni 2021 Gutachten des „Expertenrates“ NRW zum weiteren Vorgehen in der Pandemie durchliest, wundert einen nichts mehr.
    https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/6._stellungnahme_expertenrat_corona.pdf

    „der vornehmliche Gebraucht einer bestimmten Art von Modellierungen (auf das „Infektionsgeschehen konzentrierte Modellanalysen“) mit einem unnötig übervorsichtigen Risikomanagement in Zusammenhang gebracht, das einer freiheitlichen Ordnung nicht angemessen sei.“

    1 Virologe ( ausgerechnet Streeck ), kein Epidemiologe, jede Menge Wirtschaft, Jurist de Fabio etc..
    Das kommt dabei raus, wenn man seine „Experten“ danach aussucht, welches Ergebnis man möchte. Und erzähle mir bitte keiner, dass ausgerechnet die BILD nichts davon mitbekommen hätte.

  24. „Nein, niemand würde das Tor zunageln.“ Ok, dass bezog sich nicht auf Lockdowns, sondern auf die Impfung.
    Statt einer Impfung, die Infektionen, schwere Verläufe und vor allem die Weitergabe des Virus‘ nicht immer verhindert, wie ein Torwart, der ja auch ab und zu ein Tor nicht verhindert, eine Impfung, die das zu fast 100% tut. Wie ein zugenageltes Tor. (Manchmal ist ein Brett lose.)

    Dass die Corona-Impfungen leider nicht so zuverlässig sind, wie man das von anderen Impfungen gewöhnt ist, ist nicht die Schuld der Politik, aber weil das ja „schon immer“ klar war, hätte man Impfzentren und Gratistests nicht abschaffen dürfen.

  25. Offen gestanden wundert mich hier die Empörung. „Bild“ ist ein Blatt ohne Moral und Anstand. Manche sagen Lügen – oder Drecksblatt dazu. Das wird mit diesem Beitrag genauso belegt, wie schon in zig anderen davor.
    Bei dieser Zeitung beten Sie Geld, Auflagenzahlen und ein reaktionäres Weltbild an – das ist und bleibt ihr Auftrag.
    Menschenleben von Ohnsorg, Dutschke… bis heute haben noch nie gezählt.
    Über dieses Blatt muss geschwiegen werden – deren Höchststrafe, für einen Klub von Zynikern.

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