Podcast-Kritik (68)

Bilder im Kopf

Podcastkritik: Augen zu. (Glückliche Figur)


Kunst mit geschlossenen Augen sehen? Das ist wieder so eine Idee, die mir gefällt: Ein Kunstpodcast, bei dem es nichts zu sehen gibt. Obwohl das Sehen bei den großen Gemälden der Geschichte so naheliegend wäre.

Statt YouTube-Kanal also ein Audio-Podcast. Die Gemälde werden nur beschrieben (und manchmal hilft auch eine schnelle Internet-Bildersuche). Warum das trotzdem wunderbar funktioniert? Weil Kunst eben doch meistens unser Herz anspricht und nicht nur unser Gehirn. Und weil es zwei grandiose Moderatoren übernommen haben, uns auf diese Reise mitzunehmen.

„Die Zeit“ hat verstanden, was Podcasts ausmacht. Kreative Ideen, gute Hosts und manchmal eben auch ein langer Atem, um ein Nischenpublikum für sich zu gewinnen. Bei „Augen zu“ kann ich all diese Häkchen setzen. In jeder Episode setzen sich Giovanni di Lorenzo und Florian Illies mit einem Künstler oder einer Künstlerin auseinander. Ja, wieder zwei Männer, die da am Mikrofon sitzen. Ist nicht neu. Gibt’s zu oft. Und an dieses Gespann musste ich mich auch erstmal gewöhnen.

Erstmal warm werden

Die sichere Bank ist natürlich Giovanni di Lorenzo. Chefredakteur „Die Zeit“, Moderator der Talksendung „3 nach 9“ bei Radio Bremen, ein kluger Mann mit samtweicher Stimme, italienischem Charme und tonnenweise journalistischer Erfahrung. Ihm gegenüber sitzt Florian Illies. Kunsthistoriker, Buchautor, Journalist und auch mal Verleger des Rowohlt Verlages. Illies scheint erstmal nicht anzukommen gegen di Lorenzo: seine Stimme klingt sachlich und eher monoton, er ist der Mann für Fakten, nicht für Emotionen, er lässt die Informationen für sich sprechen und verliert sich manchmal in Aufzählungen, bevor die Lorenzo wieder reingrätscht. Aber ist es wirklich so?

Kurz gesagt: Nein. Denn diesem Podcast muss man Zeit geben. Man muss warm werden mit diesen beiden Herren, ihnen eine Chance geben. Vor allem Illies. Der entfaltet seinen Charme subtiler als sein Gegenüber, ebenso seinen Humor, aber beides ist da.

Die beiden Moderatoren ergänzen sich bei näherem Hinhören perfekt: Herz und Hirn will ich nicht sagen, denn beide besitzen offensichtlich diese Organe und können sie auch nutzen. Aber Illies hat eben kunsthistorisches Wissen, er kann einordnen, erklären, erinnern. Di Lorenzo vertritt dagegen eher uns Laien – zwar äußerst interessiert an Kunst und mit viel Wissen zu den jeweiligen Sujets, aber mit einem doch gefühlsbetonten Ansatz. Die Bilder müssen zu ihm sprechen. Er sagt Dinge wie: „Die Bilder von Vermeer berühren mein Herz nicht.“ Egal wie handwerklich perfekt sie sein mögen. Di Lorenzo macht seine journalistischen Hausaufgaben und gibt Details der Lebensumstände der Maler und Malerinnen zum Besten, erklärt, in was für einer Zeit sie lebten, und ob sie mit ihrer Kunst damals schon Geld verdienen konnten.

„Was ist Kunst? Was bringt sie uns?“

„Wenn du die Augen zumachst, an was denkst du dann, wenn du an Caravaggio denkst“ – so beginnt eine Folge des Podcasts. So beginnt eigentlich jede Folge des Podcasts, mit dieser Frage nach dem ersten Bild, das uns vor Augen kommt, wenn wir den Namen eines großen Künstlers hören. Das kann Joseph Beuys sein (di Lorenzo ist von ihm „fasziniert und abgestoßen zugleich“) oder Tamara de Lempicka, Lotte Laserstein oder Botticelli, van Gogh oder Vermeer. Die männlichen Künstler sind in der Überzahl, so ist es auch in den Museen dieser Welt, aber es fällt auf, dass die beiden Moderatoren sich Mühe geben, auch Künstlerinnen wie Paula Modersohn-Becker nicht zu vergessen.

Beim Reden über die Bilder und den Menschen, der sie erschaffen hat, werden en passant auch Fragen zur Kunst im Allgemeinen geklärt: „Was ist Kunst?“, „Was bringt sie uns?“ oder auch „Wie funktioniert der Kunstmarkt?“ und „Was wollte der Kubismus?“ oder auch „Kann man das Werk vom Künstler trennen?“.

Dann gibt es den Telefonjoker, eine Person, die die Episode ergänzt und mit Farbe füllt. Otto Schily kann das sein, der zu Joseph Beuys politischer Rolle spricht, oder auch die Urenkelin von Tamara de Lempicka. Telefonjoker sind Mitarbeiter großer Auktionshäuser oder der Leiter der Uffizien in Florenz. Einmal aber auch Wolfgang Joop, als Zeitzeuge der Kunstwelt von Andy Warhol in New York. Es „war eine unbegreifliche Zeit“, schwärmt dieser, die Szene habe ihn aber auch verängstigt. „Es passierte so viel auf einmal“, sagt er, Hedonismus und Revolution in einem. Und schon hat man ein Bild vor Augen, zu welcher Zeit Warhol seine Werke schuf.

Pro und Contra Hopper

Interessant wird es natürlich immer dann, wenn sich die beiden Moderatoren nicht einig sind oder wenn einer von beiden den Künstler nicht mag. Beispiel: Edward Hopper. Das ist der amerikanische Maler, der durch das Bild eines Eck-Diners berühmt wurde, bei Nacht, trist und einsam. „Ich liebe Hopper sehr“, sagt Giovanni di Lorenzo gleich zu Beginn der Folge. Dann erzählt er von diesem Mann, der ein unspektakuläres, glückliches und langweiliges Leben gelebt habe. Zeitgleich mit Picasso auf die Welt gekommen, stabile familiäre Verhältnisse. Di Lorenzo berichtet von den Stationen von Hoppers Leben, und hinterher bleibt das Bild eines Mannes zurück, den ich vorher nicht kannte – nur seine Gemälde. Zwei Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise, das ist der historische Hintergrund dieses Künstlerlebens.

Florian Illies grätscht dazwischen mit Faktenwissen, dass Hopper „Sonnenschein auf einer Wand“ malen wollte, er „hält seinen Stil (…) mit einer stoischen, fast sturen Weise“. Sturkopf, Eigenbrötler, Solitär – so wird Hopper von Illies und di Lorenzo charakterisiert. „Er verkörpert eine ganz neue Sichtweise auf Amerika, und das ist es, was seine Kunst ausmacht“, fasst Illies zusammen.

Begeistert ist er dennoch nicht. Also beschreiben die beiden erstmal einige der Bilder. Die Frauen hätten Barbie-Gesichter, sagt Illies. Die beiden pendeln zwischen Vita und Werk, von Ehekrise bis kommerziellem Erfolg. Aufgezeichneter Telefonjoker dieser Folge ist Lisa Zeitz, Chefredakteurin der „Weltkunst“, die selber lange in den USA gelebt hat. Sie habe in Amerika das wiedererkannt, was sie aus Hoppers Werken schon kannte. „Ich finde, dass in jedem Werk von Hopper eine große Sehnsucht steckt“, sagt sie. Gegen Ende der Folge geht es noch darum, wo die Bilder heute sind – nicht in Privathand, sondern nur in Museen. Zu sehen also in den USA. Und Obama hatte zwei Landschaftsbilder im Oval Office hängen, ergänzt di Lorenzo, der Meister der Anekdote.

Vielleicht doch mal wieder ins Museum?

„Wir wollen Sie anstecken für Kunst mit geschlossenen Augen aber gespitzten Ohren“, sagen die Moderatoren, und zumindest mich haben sie längst infiziert. Am Ende jeder Folge erzählen sie, wo man die Bilder des behandelten Künstlers oder der Künstlerin im Original sehen kann, und ich würde mich am liebsten sofort in den Zug setzen und hinfahren. Sogar bei Künstlern, die ich eigentlich nicht mag, weil ihre Werke zu opulent, zu vollgestopft, zu theatralisch sind – oder schlichtweg immer wieder aus Bibelszenen bestehen. Denn jetzt weiß ich, wer hinter diesen Bildern steckt, wer da wie gelitten, gemalt und gelebt hat.

Zugegeben, das ist alles sehr feuilletonistisch. Es ist kein Podcast, den ein Massenpublikum hören wird. Aber vielleicht lassen sich durch die Episoden ein paar Menschen davon überzeugen, mal wieder in ein Museum oder in eine Galerie zu gehen. Denn die Kunstgeschichte wird durch die Anekdoten und die Verknüpfung von Emotion und Faktenwissen lebendig. Und genau da sind wir wieder beim Moderatoren-Duo: Illies ist der perfekte Gegenpol zu di Lorenzo. Und je mehr Zeit man ihm gibt, desto besser schlüpft er in die ihm zugedachte Podcast-Rolle. Da sagt er dann plötzlich durchaus emotionale Sachen wie: „Ich habe ihn (Caravaggio) verehrt und bin aus dem Staunen nicht rausgekommen.“


Podcast: „Augen zu“, produziert von Pool Artists.

Episodenlänge: jeweils circa 60 Minuten, 14-tägig.

Offizieller Claim: Am Ende hat jeder auch mit geschlossenen Augen den Kopf voller Bilder.

Inoffizieller Claim: Zwei Männer schaffen es, uralte Gemälde lebendig werden zu lassen.

Wer diesen Podcast mag, hört auch: „Finding van Gogh“ und „Blinded by Rembrandt“

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