„Bild“ findet nach Jahren erstmals Platz im Blatt für Presserats-Rügen
Bei „Bild“ wissen sie, wie man Geschichten so groß macht, dass niemand daran vorbeikommt. Sie wissen aber auch, wie man sie so gut versteckt, dass sie kaum einer bemerkt.
So hat das Blatt sich Ende September unauffällig zumindest teilweise einer lästigen Pflicht entledigt und in einem Rutsch gleich fünf Rügen veröffentlicht, die der Presserat für seine Berichterstattung im vergangenen Jahr ausgesprochen hat. „Bild“ verstößt immer wieder gegen den Pressekodex und hat sich in der gedruckten Zeitung – anders als online – seit über zwei Jahren nicht einmal mehr an die Pflicht gehalten, solche Rügen abzudrucken.
Die demonstrative Missachtung des Gremiums ist erstaunlich, weil der Presserat unter anderem vom Zeitungsverlegerverband BDZV getragen wird, dessen Präsident Mathias Döpfner auch Chef des Verlages Axel Springer ist, der die „Bild“-Zeitung herausgibt. Gründe wollte „Bild“ uns gegenüber nicht nennen.
Das Verhältnis zwischen „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt und dem Presserat scheint seit einiger Zeit zerrüttet; dennoch hatte Presserats-Geschäftsführer Roman Portack im Februar die Hoffnung geäußert, dass „Bild“ seiner Pflicht bald wieder nachkommen werde: Das Justiziariat von Axel Springer habe angekündigt, dass die fehlenden Rügen in der nächsten Zeit en bloc abgedruckt würden.
Es dauerte dann noch etwas länger, bis sich „Bild“ tatsächlich zu einem Teil dieses Schritts durchringen konnte. Auf Seite 8, neben einem großen, üppig bebilderten Bericht über eine Frau, die von einem Leoparden gebissen wurde, dokumentierte die Redaktion Ende September unter der lapidaren und für „Bild“-Verhältnisse winzigen Überschrift „Presserat 2020“:
Der Deutsche Presserat hat die Printausgabe von BILD im vergangenen Jahr fünf Mal gerügt.
So habe die Berichterstattung vom 6. und 7. Januar über einen Autofahrer, der in Südtirol in eine Personengruppe gerast war und sechs Urlauber getötet hat, unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes gegen die Presseethik verstoßen (Richtlinie 8.2 Pressekodex); dies unter anderem deshalb, weil für zwei Abbildungen der Unfallopfer keine Einwilligung der Hinterbliebenen eingeholt worden war.
Ferner hat nach Auffassung des Presserats ein Artikel vom 14. Januar über die Ermordung eines nicht hinreichend anonymisierten Ehepaares und dessen Sohnes die Persönlichkeitsrechte der Getöteten verletzt (Richtlinie 8.2 des Pressekodex); zudem sei der Sohn als anfangs der Tat Verdächtigter vorverurteilt (im Sinne von Ziffer 13 Pressekodex) worden.
Ein Beitrag vom 3. Juli über die innenpolitischen Spannungen in China und Hongkong wurde gerügt, weil das Zitat eines Dissidenten unzutreffend wiedergegeben wurde (journalistische Sorgfalt, Ziffer 2 Pressekodex).
Beanstandet wurde ferner ein Artikel vom 4. August über einen Mann, der nahezu nackt in der Münchener U-Bahn unterwegs gewesen war; der Presserat hielt die Veröffentlichung für eine Verletzung der Ziffern 1 und 8 des Pressekodex (Menschenwürde, Persönlichkeitsschutz).
Die Berichterstattung über den mehrfachen Kindesmord in Solingen vom 4. September mit Fotos vom Tatort und einer Abbildung des Bahnsteigs, auf dem die Mutter der getöteten Kinder Suizid begehen wollte, hat nach Meinung des Presserats gegen die Achtung des Privatlebens und der informationellen Selbstbestimmung verstoßen (Richtlinien 8.1, 8.2 und 8.7 Pressekodex).
Diese und weitere Beanstandungen haben wir hier dokumentiert.
Mehrere Rügen aus den Vorjahren hat „Bild“ immer noch nicht veröffentlicht, zum Beispiel die nicht für eine grob falsche Schlagzeile auf Seite 1 am 14. Dezember 2019, die wahrheitswidrig behauptete, ein „GEZ-Kassierer“, der „wegen offener Gebühren klingelte“, sei an der Haustür erstochen worden.
Und anders als „Bild“ suggeriert, sind damit auch die Rügen aus dem Jahr 2020 nicht komplett. Es fehlt die Beanstandung einer Seite-1-Schlagzeile, die besonders viel Wirbel ausgelöst hatte:
Der Artikel ist am 26. Mai 2020 erschienen und vom Presserat am 11. September 2020 wegen „mehrerer schwerer Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht“ gerügt worden, taucht aber in der „Bild“-Übersicht über die Presseratsrügen 2020 nicht auf.
Eigentlich sollen Rügen übrigens „zeitnah“ veröffentlicht werden.
Verstöße von Polizisten sollen von Polizisten verfolgt werden.
Der früher in einen Parteispendenskandal verwickelte Schäuble soll als Bundestagspräsident Parteispenden kontrollieren.
Und die Presse soll auf die Einhaltung von journalistischen Standards aufpassen.
Entdeckt jemand den Fehler?
#1 Ja. Der Fehler liegt bei Ihrem etwas schiefen Vergleich. Die Bild passt ja nicht auf sich selbst auf, sondern ein u.a. von Verlagen getragenes Gremium. Und das hat die Bild-Berichterstattung beanstandet. Dass die Bild die Rügen nicht oder spät abdruckt, ist nur teilweise ein Problem der Aufpasser.
Trotzdem hat #1 einen Punkt, denn dieses Gremium hat unter anderem aufgrund seiner kollegialen Stellung offenbar ein Autoritätsproblem.
Das mit dem „Autoritätsproblem“ würde ich mal gerne näher erläutert bekommen. Die Nichtachtung von Presserats-Rügen durch die BILD kann man doch kaum dem Presserat anlasten.
Autoritätsproblem hin, Autoritätsproblem her. Ich sehe keine sinnvolle Alternative zum Presserat. Wer soll die Presse sonst kontrollieren? Die einzige Möglichkeit, die mir einfällt, wäre der Staat. Kann mir nicht vorstellen, dass das irgendwer wirklich will.