Der Autor
Nils Minkmar ist Publizist. Er war Redakteur bei „Willemsens Woche“, der „Zeit“, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und dem „Spiegel“. Seit Mai 2021 ist er fester Autor des Feuilletons der „Süddeutschen Zeitung“.
Nils Minkmar ist Publizist. Er war Redakteur bei „Willemsens Woche“, der „Zeit“, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und dem „Spiegel“. Seit Mai 2021 ist er fester Autor des Feuilletons der „Süddeutschen Zeitung“.
Der Bundestagspräsident gab den Ton vor. Am vergangenen Sonntag in Offenburg benannte er das geheime Motto des ganzen Wahlkampfs: Es gelte, sagte er zum Auftakt der heißen Phase, „die Probleme der Menschen in diesen Zeiten ernst zu nehmen.“ FDP-Chef Christian Lindner wusste in der ZDF-Sendung „Wie geht’s, Deutschland?“, dass wegen der Zukunft der Pflege in 500.000 Haushalten „die Menschen in Sorge sind“. Und Armin Laschet tröstete sich nach dem mäßigen Echo auf seine Performance im RTL-„Triell“ folgendermaßen: „Es haben ja fünf Millionen Menschen zugeschaut, um die geht es mir.“
Die förmliche Beschwörung und korrekte Bezeichnung der Sache kam dann aber von einem Veteranen der Berichterstattung in derselben Sendung. RTL-Nachrichtenmann Peter Kloeppel sprach von den „Menschen draußen im Lande“ – so, wie sich das gehört und zu Helmut Kohls Zeiten schon hieß.
Denn jede Saison hat ihr Thema und ihr Fabelwesen. Eltern kennen es: An Weihnachten ist viel vom Christkind die Rede, davor vom guten Nikolaus und dann, den Rest des Jahres gar nicht mehr. Da niemand die beiden je gesehen hat, kann man den Kindern alles Mögliche erzählen. Etwa später ist es der Osterhase, der die Gespräche in der Familie dominiert, wenn geplagte Eltern den Kindern erläutern müssen, dass ein Hase ja nicht sehr viele Geschenke tragen kann. Nur in diesen Wochen gibt es Fragen über Fragen bezüglich des Aussehens, des Wesens und der sonstigen Eigenschaften dieser Folklorefiguren. Alle vier Jahre kommt dem Begriff des „Menschen“ diese Qualität zu und auch dann ist es wie in der Volkskultur: Je mehr man davon redet, desto ominöser wird der Gegenstand.
Vor meiner Tür erklärt der lokale CDU-Bundestagskandidat auf seinem Plakat recht forsch: „Der Mensch macht’s“. Damit erteilt er eine Absage an all jene, die glauben oder fordern, das Kapuzineräffchen solle es machen oder ein Roboter. Vermutlich ist es in dem Sinne gemeint, dass der Mensch den Unterschied macht, also ausmacht, worauf es ankommt, denn dass Mensch Politik macht, Probleme löst oder gar regiert, das gibt der gegenwärtige Wahlkampfmensch so gar nicht her.
Menschen haben Sorgen, Probleme und Ängste, es handelt sich offenbar, wenn man dem sorgenvollen Diskurs der Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer lauscht, um eine besondere Spezies: Lieb, aber auch bisschen doof. Und stur. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Gibowski erklärte es dem „Spiegel“: Merkels Stil unterscheide sich in den Augen der Wählerinnen und Wähler wohltuend von dem ihres Amtsvorgängers Gerhard Schröder und seines Stellvertreters Joschka Fischer, das bringe ihr Anerkennung:
„Anders kann man sich Merkels ungebrochenen Erfolg – trotz aller Fehler, die sie gemacht hat – nicht erklären. Die Menschen wollen diesen Machostil nicht, sie wollen nicht von Machos regiert werden.“
Man lernt also, dass Menschen selbst keine Machos sind und Machos keine Menschen.
Es scheinen scheue Wesen zu sein, die sich aber freuen, wenn sie irgendwo erwähnt oder angesprochen werden. Vielleicht von den Plakaten der „Linken“ die „Gerechtigkeit für Mensch und Klima“ versprechen? Ein ausgeprägter Scharfsinn wird den Menschen nicht unterstellt, denn dem Naturphänomen Klima ist das Konzept der Gerechtigkeit schnuppe, dem Menschen allein ist es wichtig, in einem angenehmen Klima zu leben.
Je mehr vom Menschen die Rede ist, desto größer scheint der Wunsch durch, auch etwas über ihn zu erfahren, daher ist der Wahlkampf eine Form der praktischen Anthropologie. Zahllos sind die Berichte über Kandidaten, die von Tür zu Tür gehen, um Menschen zu treffen oder von Regionalzeitungen, die ihre Leserinnen und Leser danach befragen, was „die Menschen“ so möchten. Ein bisschen beschleicht einen der Verdacht, man hätte wichtige Entwicklungen verpasst und es sei längst Allgemeinwissen, dass sich auf Erden sehr viel andere anthropomorphe Wesen aus anderen Galaxien tummeln, sonst würde es ja „wir Menschen“ heißen.
Der Mensch ist auf jeden Fall mit Vorsicht zu genießen. So erklärt jede und jeder Politprofi noch im Schlaf, Politik für „die Menschen“ zu machen – mutige Abgrenzung gegen jene die meinen, man solle Politik für Konsonanten, Pullover oder Siamkatzen machen – aber niemand rühmt sich damit, Politik als Mensch zu machen. Der Satz „Sie übt ihr Amt als Mensch aus“ liest sich doch wie ein verschleierter Hinweis auf spätes Aufstehen und Wutanfälle.
Besonders menschenwild wird es im Fall von Naturkatastrophen, Kriegen und Krisen, denn dann, in Not und ohne Überblick, gehen Bürgerinnen und Bürger, Mütter, Väter, Jungs und Mädchen völlig in das zu umsorgende Kollektiv „die Menschen“ auf. Politikerinnen und Politiker sind dann in ihrer liebsten Rollere derer, die sich
um Menschen kümmern.
Die Transformation der Wählerinnen und Wähler, Bürgerinnen und Bürger zu „den Menschen“ geht einher mit einem veränderten Rollenverständnis der gewählten Amts- und Mandatsträger: Sie vertreten nach diesem Verständnis nicht mehr spezifische Interessen oder fechten Kämpfe aus, sondern sind für totale Humanität zuständig. Die „Menschen“ haben keine gegensätzlichen Interessen mehr, die man ausgleichen müsste, für die man Kompromisse suchen sollte, sondern sind existentiell verloren und bedürfen der Politik, um klar zu kommen.
Politik ist nicht „die Menschen“, gibt ihnen aber gütigerweise den Vorzug vor „der Wirtschaft“ oder „dem Ausland“. Poltikerinnen und Politiker, die sich als Menschensorger verstehen, sind die moderne Form der Seelsorger. In Zeiten leerer Kirchen und zunehmender Vereinsamung bekleiden sie die Funktion säkularer Priester: Menschen sind ihre Schäfchen.
Tja, bei uns hängt Peter Stein von der CDU mit dem Slogan: „Einfach Mensch“ q.e.d.
ich habe körperliche schmerzen angesichts der „apostroph-typographie“ des aufmacherbilds.
@Frank
Komisch. Denn da ist er für das weglassen eines „e“ ausnahmsweise mal korrekt gesetzt.
@Peter Sievert: Das Problem ist ein typographisches: Dass da auf dem Wahlplakat ist kein Apostroph (’), sondern ein einfaches schließendes Anführungszeichen (‘).
Verstehe. Interessant, dass die so einen Fehler machen. Ist ja, selbst wenn man will, gar nicht so einfach, das Apostroph per Tastatur falsch herum hinzukriegen. Danke für den Hinweis.
(Es als sprachästhetisches „Problem“ zu bezeichnen würde ich allerdings weiterhin in Frage stellen. Aber ich bin ja auch kein Germanist^^ )
Nils Minkmar ist ja ein echter Top-Journalist. Könnt ihr ihm überhaupt ein angemessenes Honorar zahlen? ;-)
@Frank (#2):
Zumal es gar kein Apostroph ist, sondern ein einfaches Abführungszeichen…