Die Podcast-Kritik (60)

Drinnen bleiben? Kein Problem für die Drinnies.

Podcastkritik "Drinnies"

Es gibt Podcasts, die schaffen es trotz der großen Konkurrenz, relativ schnell bekannt – und dann auch gehört zu werden. „Drinnies“ gehört für mich dazu. Ich kam nicht mehr um diesen Podcast herum. Immer wieder landete er vor meinen Füßen, wie so ein Stöckchen, das mir der Hund dauernd hinlegt. Also hab ich ihn mir halt dann doch mal angehört. Und ich habe es nicht bereut.

„Wir hoffen, es geht Euch gut – und wenn nicht, ist es auch ok“: Das ist die Begrüßungsformel von Giulia Becker und Chris Sommer. Die beiden „Drinnies“ zeichnen die Folgen in ihrer Kölner Dachgeschosswohnung auf, quatschen über dies und das, lachen viel und werden auch gerne mal ernster.

Ah, denken Sie, also schon wieder einer dieser Laberpodcasts? Ja, schon. Aber nicht nur. Denn ein wenig ist das Ganze auch Therapie. Und nicht zuletzt Comedy. Giulia und Chris gehören einer gar nicht so seltenen Spezies an, von der wir selten hören – und zwar im doppelten Sinne: den „Drinnies“. Drinnies sind introvertiert und verlassen ihre Komfortzone eher ungern. Sie müssen sich überwinden, zum Pfandflaschenautomaten zu gehen, bei einem neuen Arzt einen Termin auszumachen oder einen fremden Menschen anzusprechen. Und ich sage jetzt laut und deutlich: Ich bin so ein Drinnie!

Es ist ok, kein Partymonster zu sein

Den beiden zuzuhören fühlt sich ein wenig an, als wären wir eine Selbsthilfegruppe, wobei die Introvert-Therapie auf keinen Fall einziger Bestandteil des Podcasts ist. Aber er hat mir in manchem die Augen darüber geöffnet, warum ich so bin wie ich bin. Etwa warum ich lieber im Schrank podcaste, als auf einer Bühne zu stehen. Und warum mir die Corona-Pandemie irgendwie eher gut getan hat: weil ich mich viel seltener überwinden musste, in diese komische Welt rauszugehen.

Wer sind diese beiden Menschen, die da reden? Giulia und Chris schreiben für Comedy-Formate. Sie gehört zum Autorenteam der Bildundtonfabrik, einer Produktionsfirma, die für ZDF wie Netflix arbeitet, steckt mit hinter Böhmermanns „Magazin Royale“-Sendungen oder der ZDF-Corona-Miniserie „Drinnen: Im Internet sind alle gleich“, ihr Debütroman “Das Leben ist eins der Härtesten” gewann 2019 bei der lit.cologne. Auch Chris liefert für Böhmermann, als Teil des „Kroymann“-Teams gewann er 2020 den Deutschen Fernsehpreis. Und: Er ist Schweizer, was auch gerne thematisiert wird.

Mit dem Podcast begannen sie pünktlich zur Pandemie, als sie auf einmal noch mehr Zeit als sonst in ihrer Wohnung verbrachten. Sie haben damit gleich einen Volltreffer gelandet und den Deutschen Podcastpreis in der Kategorie „Bestes Talk-Team“ abgeräumt.

Damit Struktur in die Episoden kommt, haben sich Giulia und Chris verschiedene Kategorien ausgedacht. Zum Beispiel den „Introverttipp“, das sind Ratschläge wie dieser: Wenn wir Introvertierte an der Supermarktkasse gestresst sind, weil uns die nächste Kundin schon den Einkaufswagen in die Hacken schiebt, am besten das Gemüse ganz ans Ende des Bandes legen – dann dauert die ganze Wiegerei lange genug, um in Ruhe alles einpacken zu können. Mir sind die meisten Tipps nicht neu, aber ich bin ja auch schon lange eine Drinnie.

Der „Snack der Woche“ ist für mich kein unbedingtes Muss, aber dennoch nett anzuhören. Da geht’s um Leckereien, die uns das Auf-der-Couch-Lümmeln versüßen oder versalzen. Und da es da draußen so viele Introvertierte gibt, wird auch der „Drinnie des Monats“ gekürt: Hörerinnen und Hörer steuern per Email Geschichten aus ihrem Alltag bei. All das führt dazu, dass wir merken: Wir sind nicht allein. Wir sind viele. Und wir können uns ruhig auch selber auf den Arm nehmen und über unser Verhalten lachen.

Dieses wunderbare Wir-Gefühl

Irgendwie erstaunlich, dass noch niemand uns Drinnies, uns Nicht-Rampensäue, als Zielgruppe ausgemacht hat. Dabei haben wir doch eigentlich mehr Zeit als andere, weil wir eben nicht ständig das Abenteuer suchen. Introvertierte Menschen sind leise. Dementsprechend machen sie auch nicht gerne auf sich aufmerksam. Schön, dass dieser Podcast das ändert und uns nun zeigt: Es ist nicht schlimm, so zu sein. Gut, es passt vielleicht nicht gerade in unsere Leistungsgesellschaft, aber es ist dennoch ganz einfach nur menschlich.

Wie bei einem guten Laberpodcast schließt man Giulia und Chris ins Herz und hat das Gefühl, mit ihnen oben unterm Dach zu sitzen. Und das war bei mir schon nach den ersten zwei Folgen so. Wer denkt, das ist einfach, der irrt: Ich habe schon extrem viele Laberpodcasts nach wenigen Hörminuten abgebrochen, weil mir die Menschen so unsympathisch waren. Das ist zwar Geschmackssache, aber gerade diese ungezwungene und lockere Plauderei ist wirklich eine hohe Kunst. Und damit dementsprechend selten.

Schließlich stellt sich so ein Wir-Gefühl eigentlich nur ein, wenn man sich wirklich mag und sehr, sehr gut kennt. Auch deshalb machen gerade die Running Gags, die Anspielungen, die kleinen Seitenhiebe Freude beim Hören. Für mich ein Podcast, wie er sein soll. Und: Ich habe nach jeder Folge bessere Laune als davor. Das ist doch schon mal was.


Podcast: „Drinnies“ von Giulia Becker und Chris Sommer

Episodenlänge: ca. 40 Minuten, wöchentlich

Offizieller Claim: „Der Podcast aus der Komfortzone.“

Inoffizieller Claim: Es ist nicht schlimm, introvertiert zu sein. Wir sind viele!

Wer „Drinnies“ mag, hört auch: „Fest & flauschig“ und „Gemischtes Hack“

4 Kommentare

  1. Die Kritik finde ich schön geschrieben und treffend. Ich liebe den Podcast sehr.

    Deswegen erstaunt es mich, dass „Fest & flauschig“ und „Gemischtes Hack“ als Podcasts genannt werden, die Fans von Drinnies auch gefallen würde. Denn genau die breitbeinige und ego-besoffene Selbstdarstellung jener Podcaster ist es ja, was Giulia und Chris nicht haben.

    Aber da ja Geschmäcker verschieden sind hier meine persönlichen Favoriten:
    – Das kleine Fernsehballett (Kuttner & Niggemeier)
    – Genial kriminell (Rützel & Behnisch)
    – Salon Holfernes (Judith Holofernes)
    – Die Nielz Bokelberg Erfahrung (ebendieser)

  2. Liebe Jutta, es freut mich, dass Dir die Kritik gefällt! Die beiden unten erwähnten Podcasts bezogen sich mehr auf das Genre der Laberpodcasts – Salon Holofernes und Nielz Bokelberg Erfahrung haben ja immer einen Interviewgast, soweit ich weiß, das liegt für mich dann eher im „Hotel Matze“-Universum und weniger beim reinen Laberpodcast, wo man zwei Menschen zuhört, die man mag (oder auch nicht). Einigen wir uns also gerne auf das monothematische aber wunderbare „Das kleine Fernsehballett“ mit Übermediens very own Stefan Niggemeier! Larissa

  3. Ah, stimmt – bei dem Genre passen dann eher „Herrengedeck“ o.ä. und keine Interview-Formate.

    Abgemacht, Larissa, wir einigen uns auf auf Team Sarah & Stefan : )

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