Aktenaffäre

Nach „Ausforschung“ von Journalisten: Datenschutz-Verfahren gegen Stasi-Unterlagenbehörde

In der Aktenaffäre um tausende unrechtmäßig herausgegebene Seiten mit Stasi-Informationen über Journalisten und Gewerkschafter hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz ein Verfahren gegen den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen eröffnet. Das bestätigte der Datenschutzbeauftragte auf Anfrage von BuzzFeed News und Übermedien.

Zuvor hatten BuzzFeed News und Übermedien Recherchen veröffentlicht, wonach Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde Redaktionen dabei geholfen haben sollen, Mitglieder und Funktionäre der größten deutschen Journalisten-Gewerkschaft DJV „auszuforschen“. Zu diesem Ergebnis war eine interne Prüfung der Stasi-Unterlagenbehörde selbst gekommen. Auch die „Berliner Zeitung“ hatte berichtet.

Wie nun bekannt wurde, hat Ulrich Kelber, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), kurz nach der Veröffentlichung ein datenschutzrechtliches Prüfverfahren in die Wege geleitet. Dem Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, wurde ein Fragenkatalog übersandt mit einer ungewöhnlich kurzen Bearbeitungsfrist von nur einer Woche. Seit dem 7. Mai liegt Jahns Antwort im Haus von Kelber vor. Sie bestätigte die Vorwürfe und Recherchen – und stellt den Bundesdatenschutzbeauftragten offenbar nicht zufrieden.

Wie eine Sprecherin Kelbers auf Anfrage von BuzzFeed News und Übermedien erklärte, wurde die Behörde von Roland Jahn „um Übermittlung ergänzender Unterlagen gebeten, um sich selbst ein Bild vom Antragsgegenstand und den durchgeführten Recherchen machen zu können. Im Anschluss hieran wird zu prüfen sein, ob die bisher durch BStU getroffenen Maßnahmen ausreichend sind, oder weiterer Handlungsbedarf besteht, der erforderlichenfalls auch mit aufsichtsrechtlichen Maßnahmen durchzusetzen wäre.“

Dem Bundesdatenschutzbeauftragten stünden in diesem Falle umfangreiche Mittel zur Verfügung. Neben Anweisungen kann er auch Beanstandungen oder Verwarnungen aussprechen und sogar Geldbußen verhängen – auch gegen andere Behörden.

Eine Mitarbeiterin im Archiv der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin-Lichtenberg Foto: Imago

Private Informationen herausgegeben

Grundlage für die nun eingeleitete Prüfung waren Hinweise darauf, dass Medienanträge einiger weniger Redaktionen in der Stasi-Unterlagenbehörde auch dann bearbeitet wurden, wenn sie erkennbar unzulässig waren – und so teils privateste Informationen die Behörde verließen.

In einem konkreten Fall war demnach ein unzulässiger Medienantrag der „Bild“-Zeitung wie ein zulässiger Antrag behandelt worden. Er hatte zunächst 20 Personen umfasst, war allerdings immer und immer wieder erweitert worden, sogar durch den Sachbearbeiter der Behörde selbst, so dass er am Ende 164 Personen umfasst habe, zu denen in der Behörde dann Unterlagen durchforstet wurden, darunter solche zu Ehepartnern, Eltern oder Kindern.

Am Ende seien rund 1.000 Seiten Unterlagen mit teils privaten Informationen aus der Stasi-Unterlagenbehörde herausgegeben worden. Auch zur Zusammenarbeit der Behörde mit einer Reporterin des rbb stehen Vorwürfe im Raum.

Darüber hinaus wurde offenbar eine Rede, die der Vorsitzende des DJV Berlin 2015 auf einem Verbandstag gehalten hatte in der BStU als Tonaufzeichnung und Teil-Abschrift gespeichert und ausgewertet – dabei war die Rede weder öffentlich, noch hätte sie aufgezeichnet werden dürfen. Als der Betroffene Auskunft darüber erhalten wollte, wer Unterlagen über ihn abgefragt bzw. erhalten hat, hatte sich der Bundesbeauftragte Roland Jahn persönlich von einer privaten Mailadresse eingeschaltet, um dies zu verhindern. „Es ist nicht die Aufgabe der Behörde, rechtswidrig zustande gekommene Tonaufnahmen in den Datenbestand aufzunehmen. Das ist ja Stasi 2.0“, kritisiert der Verwaltungsrechtler Cord Heinichen, der den Betroffenen vertritt.

Rechtswidrig? Rechtskonform? Beides?

Unmittelbar nachdem BuzzFeed News und Übermedien die Vorwürfe veröffentlicht hatten, erklärte die Stasi-Unterlagenbehörde gegenüber „Bild“, die Herausgabe der mehr als 1.000 Seiten sei „rechtskonform“ gewesen – und widersprach damit ihrem eigenen internen Gutachten. Zahlreiche Nachfragen von BuzzFeed News und Übermedien wurden danach durch die Behörde nicht mehr beantwortet, die Pressesprecherin war telefonisch nicht erreichbar, Rückrufbitten blieben unbeantwortet.

Der Antwort der Stasi-Unterlagenbehörde auf die Fragen des Bundesdatenschutzbeauftragten ist nun allerdings kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass die BStU ihre rechtliche Bewertung der Vorgänge geändert und die Vorfälle als „rechtskonform“ eingestuft habe. Vielmehr, so eine Sprecherin Kelbers, werde darin erklärt, die Vorgänge seien Gegenstand einer internen Prüfung gewesen, die zu dem Ergebnis gekommen sei, dass sowohl der Antrag als auch die Bearbeitung in der Behörde rechtswidrig gewesen seien und der Vorgang „damit eine unzulässige Gruppenabfrage darstellte“. Damit hätten auch die als Antwort herausgegebenen Unterlagen die Behörde ohne Rechtsgrundlage verlassen – genau wie wir es berichtet hatten.

Aus der internen Prüfung, die den gesamten Vorgang für rechtswidrig hält

Von einer Rückforderung der Unterlagen von dem Antragsteller sei damals abgesehen worden. Innerhalb der BStU habe man jetzt jedoch „aufgrund der aktuellen Debatte“ nochmals auf die geltenden Richtlinien und Anforderungen des Datenschutzes hingewiesen.

Scharfe Kritik vom DJV, Grütters schweigt

Auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) hatte sich eingeschaltet, nachdem die Vorgänge bekannt wurden. Der Bundesvorsitzende Frank Überall schrieb am 24.04. Kulturstaatsministerin Monika Grütters – die die Dienstaufsicht über die Stasi-Unterlagenbehörde innehat – einen Brief, zwei Tage später veröffentlichte der DJV eine Pressemitteilung. Darin sprach er von einer „Aktenaffäre“ und einem „Generalverdacht“ gegen DJV-Mitglieder und forderte umfassende Aufklärung.

Ein Sprecher des DJV erklärte auf Anfrage von BuzzFeed News und Übermedien, bislang habe man noch keine Antwort bekommen. Stattdessen habe man, allerdings auch nur auf Nachfrage, lediglich erfahren, dass Grütters das Schreiben zur Beantwortung weitergegeben habe – an Roland Jahn.

Fragen von BuzzFeed News und Übermedien an die Kulturstaatsministerin blieben bislang unbeantwortet. Man habe zunächst eine Stellungnahme des BStU angefordert und wolle während der laufenden Bearbeitung nicht Stellung nehmen, hieß es aus der Behörde.

Offener Brief von Betroffenen

Mittlerweile haben sich auch Betroffene zu Wort gemeldet, die von der Stasi-Unterlagenbehörde unrechtmäßig ausgeforscht worden waren. In einem offenen Brief an den DJV Berlin JVBB, dem viele Betroffenen angehören oder angehörten, kritisieren sie den Landesverband scharf, weil der sich, anders als der Bundesvorstand, bislang öffentlich nicht zu den Ausforschungen seiner Mitglieder geäußert habe:

„Wir erwarten vom Vorstand, Maßnahmen zu ergreifen, die Rechte seiner Mitglieder durchzusetzen. Dazu gehören Beschwerden beim Landesdatenschutzbeauftragten Berlin und beim Kultursenator, ebenso bei der Intendanz und Chefredaktion des rbb sowie bei der Verlagsgeschäftsführung des Springer-Verlags und der Chefredaktion der Bild-Zei­tung. Wir verlangen, dass der Vorstand uns bei weiteren Schritten sowohl gegen den BStU als auch gegebenenfalls gegen die Bild-Zeitung und den rbb in Sachen Persön­lich­keitsrecht und Datenschutz individuellen persönlichen Rechtsschutz gewährt.“

Der Chefredakteur des rbb, David Biesinger, antwortete den Verfassern des Briefes am Mittwoch. Er wies die Vorwürfe, dass der Sender fast 50 Funktionäre des damaligen DJV Berlin abgefragt habe, zurück und erklärte, dass die interne Prüfung in der Stasi-Unterlagenbehörde keine Anträge des rbb zum Gegenstand gehabt habe. Es habe sich für den rbb um eine „eine rechtmäßige und gerechtfertigte Recherche“ gehandelt.

Ende einer Ära, kein Ende der Kontrollen

Der Aktenskandal überschattet das Ende der Amtszeit von Roland Jahn. Mitte Juni geht er nach mehr als zehn Jahren in den Ruhestand. Den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen löst dann ein Bundesbeauftragter für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag ab. Die Stasi-Unterlagenbehörde wird ins Bundesarchiv überführt. Rund 900 Mitarbeiter arbeiten im Bundesarchiv, rund 1.300 in der Stasi-Unterlagenbehörde.

Könnten mit dem Umzug all die nun aufgetauchten Fragezeichen zum Umgang der Behörde mit bestimmten Redaktionen hinfällig werden? Nicht, wenn es nach dem Bundesdatenschutzbeauftragten geht: „Unabhängig vom Ergebnis des konkreten Einzelfalls, wird BfDI auch die Bearbeitung von Medienanträgen zum Gegenstand der nächsten Kontrolle des BStU/des Bundesarchivs machen“, stellt eine Sprecherin klar.

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