Der Film „Lovemobil“ hat Preise gewonnen, wurde nominiert, wurde gefeiert. Der vom NDR koproduzierte Film begleitet angebliche Sexarbeiterinnen, die ihre Dienstleistungen in Wohnmobilen an einer niedersächsischen Landstraße anbieten. Die Betonung liegt auf: angebliche.
Denn wie das NDR-Magazin „Strg_f“ enthüllte, basiert der Film zu großen Teilen auf nachgestellten Szenen – und zwar nicht nachgestellt von Prostituierten, Zuhältern und Freiern, sondern teilweise von (Laien-)Schauspieler*innen. Einigen soll selbst nicht klar gewesen sein, dass sie in einem Dokumentarfilm mitwirkten. Sie dachten wohl, es handelte sich um einen fiktionalen Film.
Trotzdem verteidigt Sabine Rollberg bei „Holger ruft an“ den Film von Regisseurin Elke Lehrenkrauss. Rollberg betreute als Professorin den Diplomfilm von Lehrenkrauss. Sie sagt, dass es eine systemische Fehlentwicklung beim Dokumentarfilm und in den für ihn zuständigen Redaktionen gäbe: „Und dieser Film ist ein Symptom dieser Fehlentwicklung.“
Filme müssten heute vorab viel zu sehr durchgescriptet werden, Macher*innen müssten vorab in einem Exposé festlegen, wie der Film am Ende aussehen soll. Es gebe keinen Platz mehr zum Experimentieren, keinen Platz mehr für Authentizität, keinen Platz mehr für Abweichungen vom Drehbuch.
„Das ist die Krux heute am Dokumentarfilm: Wir alle wissen ja nicht, wie die Welt sich entwickelt und dreht, aber im Dokumentarfilm muss man vorher der Redaktion erzählen, wie die Welt wahrscheinlich aussehen wird, wenn ich sie drehe.“
Nur: Entschuldigt das Lehrenkrauss? Entbindet sie das von ihrer Verantwortung über ihre Arbeitsweise aufzuklären? Und gehen die Zuschauer*innen bei einem Dokumentarfilm nicht davon aus, dass die Realität da abgebildet wird? Auch darüber spricht Rollberg mit Holger Klein in unserem Podcast.
(Sie können den Podcast auch über die Plattform oder App Ihrer Wahl hören. Hier ist der Feed.)
Die Gesprächspartnerin
Sabine Rollberg war Redakteurin beim WDR für „Weltspiegel“, „Kulturweltspiegel“, arbeitete als ARD-Auslandskorrespondentin, dann Chefredakteurin bei Arte, wechselte dann vom Journalismus zum Dokumentarfilm, betreute als Arte-Beauftragte des WDR zahlreiche international preisgekrönte Dokumentarfilme, unterrichtete an der Kunsthochschule für Medien, lebt nun im Ruhestand in Freiburg und unterrichtet an der dortigen Universität Dokumentarfilm und Journalismus. Sie betreute als Professorin den Diplomfilm von „Lovemobil“-Regisseurin Elke Lehrenkrauss.
„Filme müssten heute vorab viel zu sehr durchgescriptet werden, Macher*innen müssten vorab in einem Exposé festlegen, wie der Film am Ende aussehen soll.“
Das kann es doch nicht sein. Wenn das Ergebnis der Recherche schon feststehen soll, bevor man überhaupt damit anfängt, ist das ja nicht mehr ergebnisoffen.
Aber immerhin verstehe ich jetzt, wieso beim Mensa-Podcast genau die Vorurteile bestätigt wurden, die die Podcasterin vorher hatte.
Mögliche Motive von Frau Lehrenkrauss werden in dem Gespräch gut herausgearbeitet; aber bei allen möglichen Defiziten auf Seiten der Sender: Ich finde es erschreckend, wie Frau Rollberg, die „Dokumentarfilm“ unterrichtet(!), die Fehler von Frau Lehrenkrauss herunterspielt und sie als Opfer der Journalisten von STRG_F und der Süddeutschen Zeitung sieht. Sie spricht eher wie ein Fan, als wie eine objektive Beobachterin.
Woher weiss sie denn, dass Frau Lehrenkrauss „das alles so erlebt hat“?
Der Vorwurf, dass die Darsteller:innen in dem Glauben gelassen wurden, sie wirkten an einem Spielfilm mit, kam leider gar nicht zur Sprache.
und was woll das Gerede von der „jungen Regisseurin“? Frau Lehrenkrauss war 40 Jahre alt, als der Film rausgekommen ist.
Schönes Interview mit guten Einblicken in die Zusammenarbeit von Filmemachern und dem öffentlich rechtlichen Rundfunk. Mir fehlt allerdings eine Einordnung von zwei Punkten:
* Sabine Rollberg sagt im Interview, dass im Film über einen Mord berichtet werde und sogar Zeitungsausschnitte gezeigt würden, die darüber berichten. Sie sagt weiter, dass der Bericht von Strg_f behaupte, dass es diesen Mord nie gegeben habe. Ja was denn nun? Das muss sich doch klären lassen.
* Es geht beim „Lovemobil“-Skandal ja insbesondre darum, dass Elke Lehrenkrauss bewusst getäuscht hat. Niemand wusste offiziell, dass die Szenen nachgestellt sind. (Der NDR-Readakteur hätte es vielleicht erkennen müssen, aber es wurde ihm nicht offiziell gesagt.) Sabine Rollberg sagt nun aber im Interview, dass Jury-Begründungen die hybride Struktur des Films „Lovemobil“ besonders würdigen. Ich verstehe das so, dass damit die Mischung aus nachgestellten Szenen und echten Szenen gemeint ist. Stimmt das? Gibt es in den Jury-Begründung bereits Hinweise darauf, dass den Jurys völlig klar war, dass die Szenen teilweise nachgestellt waren?
Übermedien: Könnt ihr die Aussagen von Sabine Rollberg in diesen beiden Punkten vielleicht nochmal einordnen?
„Das kann es doch nicht sein. Wenn das Ergebnis der Recherche schon feststehen soll, bevor man überhaupt damit anfängt, ist das ja nicht mehr ergebnisoffen.“
Es ist nicht selten sogar viel schlimmer. Und es trifft auch die Formate, die eher journalistisch sind (und von Frau Rollberg ein wenig abschätzig betrachtet werden). Redaktionen sind dann nicht zufrieden mit dem, was ist, und sie hätten es gerne dramatisiert. Da wird selbst bei einer dokumentarischen Langzeit-Beobachtung vor dem Drehbeginn schon nach Plot Points gefragt. Oder es taucht der Wunsch auf, die Hauptprotagonisten mögen doch bitte im Film eine Wandlung durchmachen. Das wirkliche Leben soll drehbuchgerecht werden.
Es gab auch schon Fälle, wo Redakteure Honorare und Budgets gekürzt haben, weil sie sich bestimmte Szenen versprochen hatten, von denen aber nie die Rede war und die man allenfalls getürkt hätte drehen können. „Aber das habe ich doch neulich bei RTL2 auch gesehen“, war ein ZDF-Redakteur vor ein paar Jahren mal sehr erbost. Klar könnte man dagegen gerichtlich vorgehen, aber dann verschließt man sich alle Türen.
Das alles ist Alltag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Auch, weil es so mutige Redakteurinnen wie Frau Rollberg kaum noch gibt. Und weil es keine Kultur innerhalb der Sender gibt, die freie Regisseurinnen oder Autoren tatsächlich wertschätzt.
Okeeee.
Einfach nur: okeeeeeeee.
Aber dann sind die Schauspieler, die Joko und Klaas in ihrem _Unterhaltung_sformat einsetzten, und die walischen Fischotter aus Schottland echt pillepalle.
(Dass der Hauptprotagonist eine Wandlung durchmachen soll, ist einfach eine Frechheit.)
„Pingback: LOVEMOBIL-Affäre: die Gründe, die Folgen – Daniel Bouhs“
Wenn man den verlinkten Podcast zusätzlich anhört, bekommt man ein deutlich differenzierteres Bild, schön den Fall aus verschiedenen Perspektiven zu hören, v.a. weil ich mich in dem Bereich gar nicht auskenne.
Meine Güte, ist das alles deprimierend.
Deprimierend wie Frau Rollberg vielleicht aus persönlichen Gründen versucht, Frau Lehrenkrauss in Schutz zu nehmen. Die doch nicht nur „versäumt“ hat, den Auftraggeber über ihre Fälschungen zu informieren (und es sind doch Fälschungen!), sondern danach in Interviews gelogen hat, dass sich die Balken biegen.
Deprimierend, wie Frau Rollberg ausführt, dass (zusammengefasst) wir in einem neuen Dokumentarfilm tatsächlich nur noch geskriptete oder zumindest gezielt gefilterte Inhalte zu sehen bekommen, die schon vor der Produktion (inklusive der Ergebnisse) von den Auftraggebern freigegeben worden sind. „Ergebnisoffene Recherche? Das gab es früher mal.“ Also dass wir als Zuschauer jetzt schon vorab wissen, dass wir da nur eine manipulierte Version der Realität zu sehen bekommen. Welchen Grund soll man dann noch haben, sich sowas anzuschauen?
Seit Jahren schon kotzen mich diese immer gleichen Dokus an, bei denen sich die beteiligten Journalisten selbst in den Vordergrund spielen mit diesen unsäglichen nachgedrehten Szenen (Journalist sitzt vor Computer und guckt erschreckt. „Da entdecke ich etwas ganz überraschendes“), Beispiele zuhauf ironischerweise auch in dem STRG_F-Film (Mitarbeiter telefonieren angeblich live vor der Kamera, Leute fahren durch Berlin, Leute stehen vor Zaun und rufen „Uschi!!!“), ganz entsetzlich auch alles von Hajo Seppelt und Co. Ich fühle mich als Zuschauer verarscht, weil doch klar ist, dass das alles nachgedreht und inzeniert wurde. Und bin misstrauisch, weil ich mich frage, ob die anderen Inhalte der Dokus auch so zurechtmanipuliert wurden. Von Frau Rollberg erfahre ich nun: stimmt! Denn die Ergebnisse dieser dramatisch und spannend inszenierten Recherchen im Film stehen ja eh schon vorher fest.
Deprimierend. Aber so ist das heutzutage. Weil ja die Quote stimmen muss. Und alle machen mit, man muss ja von was leben. Und wir dürfen am Ende diese Scheiße auch noch bezahlen.
Einfach nur deprimierend.
@Ingo S. (#7):
Stimme zu. Wenn das wirklich alles SO gang und gäbe ist… na dann können wir das ganze Genre auch dichtmachen. Die Selbstverständlichkeit, mit der man davon ausgehen muss, bei Dokumentarfilmen(!) eine vorgegebene „Story“ eingetrichtert zu bekommen, macht mich ehrlich gesagt wütend.
Zumal wenn es erst ein anderes Filmemacherteam braucht, um den Schwindel zweifelsfrei aufzudecken. Bis dahin lügen sowohl Regisseurin als auch Sender uns weiter ins Gesicht, dass das alles authentisch die Realität abbilde. Was ist das anderes als Manipulation des Publikums?
Es sind Gelegenheiten wie diese, bei denen ich die „Lügenpresse“-Rufer plötzlich verstehen kann – wahrlich kein angenehmer Moment.
@Überfall:
Das mit der „Lügenpresse“ hatte ich auch schon im Kopf, aber das weckt natürlich falsche Assoziationen.
Ich versuche nur, das, was Frau Rollberg im Gespräch gesagt hat, zuende zu denken. Vielleicht interpretiere ich das auch falsch.
Sie sagt, „ergebnisoffene Recherchen“ habe es früher mal gegeben, heute müssten die kompletten Inhalte eines Dokumentarfilms inklusive der Ergebnisse vorab bekanntgegeben werden, sonst gibt’s kein Geld dafür. Und die Entscheidung hänge im Wesentlichen von der erwarteten Zuschauequote ab. Ich unterstelle mal, dass es auch weitere Kriterien gibt, z.B. möchte sicher niemand Werbekunden provozieren oder politische Verwerfungen verursachen.
Wenn es die Quote ist, dann wäre die Frage, was gute Quoten bringt und die Zuschauer zum Ansehen weiterer Dokus anregt. Beispiel: Wenn ich ein passionierter Autofahrer bin und es mal wieder um Verkehr und Klimaprobleme geht. Da schaue ich mir lieber eine Doku an, die mir sagt, dass Autos immer weniger Umwelt- und Klimaschäden verursachen und man nur auf ein E-Auto umsteigen muss, das man mit Ökostrom auflädt, und dann kann man guten Gewissens weiter damit rumfahren. Was mich nerven würde, wäre eine Doku, die z.B. belegen würde, dass wir unser komplettes Verkehrskonzept ändern müssten und dass privater Autoverkehr immer eine hohe Umwelt- und Klimabelastung (plus all der anderen bekannten Probleme) bedeutet und dass E-Autos klimatechnisch überhaupt nichts bringen und überhaupt, dass ein Ökostromvertrag im Prinzip reiner Etikettenschwindel ist. Ist übrigens so.
Also, so vermute ich, wird das Geldvergabegremium lieber die erstere Version wählen, um keine Zuschauer zu vergraulen, denn man möchte nunmal lieber die eigene Überzeugung oder sein Wunschdenken bestätigt haben als die eigene Lebensweise infrage stellen zu müssen. Und nebenbei verdient man mit Autowerbung ordentlich Geld.
Wenn es um Prostitution geht, so werden die meisten Zuschauer das nur durch Hörensagen kennen, und da habe ich auch erstmal ein Bild von armen, notleidenden und wehrlosen Frauen vor Augen, die von skrupellosen Zuhältern erpresst werden und für widerliche Freier eklige Dinge tun müssen. Irgendwelche Differenzierungen irritieren da nur und verwässern die Message, also dreht man das so hin, dass es passt.
Das lässt sich auf beliebige andere Themen erweitern und ist jetzt auch bestimmt sehr pauschal, aber mir kommt es tatsächlich so vor, als werde heutzutage viel mehr Mainstream versendet, der nirgendwo so richtig aneckt.
Nun bevorzuge ich selbst aber Filme/Dokus/Reportagen, die weh tun, aus denen ich was Neues lerne und die mich selbst herausfordern. Die mich dazu bringen, meine Überzeugungen und meine Lebensweise zu überdenken. Und fürchte, dass ich das, wenn überhaupt, heutzutage nur noch in „Alternativmedien“ finden kann, wo man halt selbst sein Misstrauensradar schulen und benutzen muss. Und das ist eine sehr unbefriedigende Alternative.
Wir bestellen unsere Realität bei Ihnen und wenn Sie die nicht einfach abfilmen können, sondern inszenieren müssen und sich dabei auch noch erwischen lassen, dann werden wir öffentlich über Sie entäuscht sein. Die Realität ist die Ideologie in den Köpfen unserer leitenden Angestellten und wir schicken Sie da raus, um sie zu finden. Exakt das w a r es mit Relotius. Bei ‚Jaegers Grenze‘ erklärte man Moreno und Relotius vorher, welche Geschichten sie bitte finden sollte und letzerer ging hin und fand sie einfach. Geliefert wie bestellt. Bei ‚Lovemobil‘ störte dann nur, dass es rauskam. Oder nicht mal das. Dass es auch für den normalen Zuschauer zu sehen gewesen wäre, wenn der in dem ganzen Wirrwarr von gescripteter Fictionfaction noch irgendwie durchblicken würde. Aber ist auch egal. W i r sagen Ihnen, was Sie zu finden haben und wenn der Schwindel auffliegt, lassen wir Sie im Regen stehen. Ideologie essen Seele auf. Von Film, Regisseur und Redakteur.
„Filme müssten heute vorab viel zu sehr durchgescriptet werden, Macher*innen müssten vorab in einem Exposé festlegen, wie der Film am Ende aussehen soll.“
Das kann es doch nicht sein. Wenn das Ergebnis der Recherche schon feststehen soll, bevor man überhaupt damit anfängt, ist das ja nicht mehr ergebnisoffen.
Aber immerhin verstehe ich jetzt, wieso beim Mensa-Podcast genau die Vorurteile bestätigt wurden, die die Podcasterin vorher hatte.
Mögliche Motive von Frau Lehrenkrauss werden in dem Gespräch gut herausgearbeitet; aber bei allen möglichen Defiziten auf Seiten der Sender: Ich finde es erschreckend, wie Frau Rollberg, die „Dokumentarfilm“ unterrichtet(!), die Fehler von Frau Lehrenkrauss herunterspielt und sie als Opfer der Journalisten von STRG_F und der Süddeutschen Zeitung sieht. Sie spricht eher wie ein Fan, als wie eine objektive Beobachterin.
Woher weiss sie denn, dass Frau Lehrenkrauss „das alles so erlebt hat“?
Der Vorwurf, dass die Darsteller:innen in dem Glauben gelassen wurden, sie wirkten an einem Spielfilm mit, kam leider gar nicht zur Sprache.
und was woll das Gerede von der „jungen Regisseurin“? Frau Lehrenkrauss war 40 Jahre alt, als der Film rausgekommen ist.
Schönes Interview mit guten Einblicken in die Zusammenarbeit von Filmemachern und dem öffentlich rechtlichen Rundfunk. Mir fehlt allerdings eine Einordnung von zwei Punkten:
* Sabine Rollberg sagt im Interview, dass im Film über einen Mord berichtet werde und sogar Zeitungsausschnitte gezeigt würden, die darüber berichten. Sie sagt weiter, dass der Bericht von Strg_f behaupte, dass es diesen Mord nie gegeben habe. Ja was denn nun? Das muss sich doch klären lassen.
* Es geht beim „Lovemobil“-Skandal ja insbesondre darum, dass Elke Lehrenkrauss bewusst getäuscht hat. Niemand wusste offiziell, dass die Szenen nachgestellt sind. (Der NDR-Readakteur hätte es vielleicht erkennen müssen, aber es wurde ihm nicht offiziell gesagt.) Sabine Rollberg sagt nun aber im Interview, dass Jury-Begründungen die hybride Struktur des Films „Lovemobil“ besonders würdigen. Ich verstehe das so, dass damit die Mischung aus nachgestellten Szenen und echten Szenen gemeint ist. Stimmt das? Gibt es in den Jury-Begründung bereits Hinweise darauf, dass den Jurys völlig klar war, dass die Szenen teilweise nachgestellt waren?
Übermedien: Könnt ihr die Aussagen von Sabine Rollberg in diesen beiden Punkten vielleicht nochmal einordnen?
@Mycroft
„Das kann es doch nicht sein. Wenn das Ergebnis der Recherche schon feststehen soll, bevor man überhaupt damit anfängt, ist das ja nicht mehr ergebnisoffen.“
Es ist nicht selten sogar viel schlimmer. Und es trifft auch die Formate, die eher journalistisch sind (und von Frau Rollberg ein wenig abschätzig betrachtet werden). Redaktionen sind dann nicht zufrieden mit dem, was ist, und sie hätten es gerne dramatisiert. Da wird selbst bei einer dokumentarischen Langzeit-Beobachtung vor dem Drehbeginn schon nach Plot Points gefragt. Oder es taucht der Wunsch auf, die Hauptprotagonisten mögen doch bitte im Film eine Wandlung durchmachen. Das wirkliche Leben soll drehbuchgerecht werden.
Es gab auch schon Fälle, wo Redakteure Honorare und Budgets gekürzt haben, weil sie sich bestimmte Szenen versprochen hatten, von denen aber nie die Rede war und die man allenfalls getürkt hätte drehen können. „Aber das habe ich doch neulich bei RTL2 auch gesehen“, war ein ZDF-Redakteur vor ein paar Jahren mal sehr erbost. Klar könnte man dagegen gerichtlich vorgehen, aber dann verschließt man sich alle Türen.
Das alles ist Alltag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Auch, weil es so mutige Redakteurinnen wie Frau Rollberg kaum noch gibt. Und weil es keine Kultur innerhalb der Sender gibt, die freie Regisseurinnen oder Autoren tatsächlich wertschätzt.
Okeeee.
Einfach nur: okeeeeeeee.
Aber dann sind die Schauspieler, die Joko und Klaas in ihrem _Unterhaltung_sformat einsetzten, und die walischen Fischotter aus Schottland echt pillepalle.
(Dass der Hauptprotagonist eine Wandlung durchmachen soll, ist einfach eine Frechheit.)
„Pingback: LOVEMOBIL-Affäre: die Gründe, die Folgen – Daniel Bouhs“
Wenn man den verlinkten Podcast zusätzlich anhört, bekommt man ein deutlich differenzierteres Bild, schön den Fall aus verschiedenen Perspektiven zu hören, v.a. weil ich mich in dem Bereich gar nicht auskenne.
Meine Güte, ist das alles deprimierend.
Deprimierend wie Frau Rollberg vielleicht aus persönlichen Gründen versucht, Frau Lehrenkrauss in Schutz zu nehmen. Die doch nicht nur „versäumt“ hat, den Auftraggeber über ihre Fälschungen zu informieren (und es sind doch Fälschungen!), sondern danach in Interviews gelogen hat, dass sich die Balken biegen.
Deprimierend, wie Frau Rollberg ausführt, dass (zusammengefasst) wir in einem neuen Dokumentarfilm tatsächlich nur noch geskriptete oder zumindest gezielt gefilterte Inhalte zu sehen bekommen, die schon vor der Produktion (inklusive der Ergebnisse) von den Auftraggebern freigegeben worden sind. „Ergebnisoffene Recherche? Das gab es früher mal.“ Also dass wir als Zuschauer jetzt schon vorab wissen, dass wir da nur eine manipulierte Version der Realität zu sehen bekommen. Welchen Grund soll man dann noch haben, sich sowas anzuschauen?
Seit Jahren schon kotzen mich diese immer gleichen Dokus an, bei denen sich die beteiligten Journalisten selbst in den Vordergrund spielen mit diesen unsäglichen nachgedrehten Szenen (Journalist sitzt vor Computer und guckt erschreckt. „Da entdecke ich etwas ganz überraschendes“), Beispiele zuhauf ironischerweise auch in dem STRG_F-Film (Mitarbeiter telefonieren angeblich live vor der Kamera, Leute fahren durch Berlin, Leute stehen vor Zaun und rufen „Uschi!!!“), ganz entsetzlich auch alles von Hajo Seppelt und Co. Ich fühle mich als Zuschauer verarscht, weil doch klar ist, dass das alles nachgedreht und inzeniert wurde. Und bin misstrauisch, weil ich mich frage, ob die anderen Inhalte der Dokus auch so zurechtmanipuliert wurden. Von Frau Rollberg erfahre ich nun: stimmt! Denn die Ergebnisse dieser dramatisch und spannend inszenierten Recherchen im Film stehen ja eh schon vorher fest.
Deprimierend. Aber so ist das heutzutage. Weil ja die Quote stimmen muss. Und alle machen mit, man muss ja von was leben. Und wir dürfen am Ende diese Scheiße auch noch bezahlen.
Einfach nur deprimierend.
@Ingo S. (#7):
Stimme zu. Wenn das wirklich alles SO gang und gäbe ist… na dann können wir das ganze Genre auch dichtmachen. Die Selbstverständlichkeit, mit der man davon ausgehen muss, bei Dokumentarfilmen(!) eine vorgegebene „Story“ eingetrichtert zu bekommen, macht mich ehrlich gesagt wütend.
Zumal wenn es erst ein anderes Filmemacherteam braucht, um den Schwindel zweifelsfrei aufzudecken. Bis dahin lügen sowohl Regisseurin als auch Sender uns weiter ins Gesicht, dass das alles authentisch die Realität abbilde. Was ist das anderes als Manipulation des Publikums?
Es sind Gelegenheiten wie diese, bei denen ich die „Lügenpresse“-Rufer plötzlich verstehen kann – wahrlich kein angenehmer Moment.
@Überfall:
Das mit der „Lügenpresse“ hatte ich auch schon im Kopf, aber das weckt natürlich falsche Assoziationen.
Ich versuche nur, das, was Frau Rollberg im Gespräch gesagt hat, zuende zu denken. Vielleicht interpretiere ich das auch falsch.
Sie sagt, „ergebnisoffene Recherchen“ habe es früher mal gegeben, heute müssten die kompletten Inhalte eines Dokumentarfilms inklusive der Ergebnisse vorab bekanntgegeben werden, sonst gibt’s kein Geld dafür. Und die Entscheidung hänge im Wesentlichen von der erwarteten Zuschauequote ab. Ich unterstelle mal, dass es auch weitere Kriterien gibt, z.B. möchte sicher niemand Werbekunden provozieren oder politische Verwerfungen verursachen.
Wenn es die Quote ist, dann wäre die Frage, was gute Quoten bringt und die Zuschauer zum Ansehen weiterer Dokus anregt. Beispiel: Wenn ich ein passionierter Autofahrer bin und es mal wieder um Verkehr und Klimaprobleme geht. Da schaue ich mir lieber eine Doku an, die mir sagt, dass Autos immer weniger Umwelt- und Klimaschäden verursachen und man nur auf ein E-Auto umsteigen muss, das man mit Ökostrom auflädt, und dann kann man guten Gewissens weiter damit rumfahren. Was mich nerven würde, wäre eine Doku, die z.B. belegen würde, dass wir unser komplettes Verkehrskonzept ändern müssten und dass privater Autoverkehr immer eine hohe Umwelt- und Klimabelastung (plus all der anderen bekannten Probleme) bedeutet und dass E-Autos klimatechnisch überhaupt nichts bringen und überhaupt, dass ein Ökostromvertrag im Prinzip reiner Etikettenschwindel ist. Ist übrigens so.
Also, so vermute ich, wird das Geldvergabegremium lieber die erstere Version wählen, um keine Zuschauer zu vergraulen, denn man möchte nunmal lieber die eigene Überzeugung oder sein Wunschdenken bestätigt haben als die eigene Lebensweise infrage stellen zu müssen. Und nebenbei verdient man mit Autowerbung ordentlich Geld.
Wenn es um Prostitution geht, so werden die meisten Zuschauer das nur durch Hörensagen kennen, und da habe ich auch erstmal ein Bild von armen, notleidenden und wehrlosen Frauen vor Augen, die von skrupellosen Zuhältern erpresst werden und für widerliche Freier eklige Dinge tun müssen. Irgendwelche Differenzierungen irritieren da nur und verwässern die Message, also dreht man das so hin, dass es passt.
Das lässt sich auf beliebige andere Themen erweitern und ist jetzt auch bestimmt sehr pauschal, aber mir kommt es tatsächlich so vor, als werde heutzutage viel mehr Mainstream versendet, der nirgendwo so richtig aneckt.
Nun bevorzuge ich selbst aber Filme/Dokus/Reportagen, die weh tun, aus denen ich was Neues lerne und die mich selbst herausfordern. Die mich dazu bringen, meine Überzeugungen und meine Lebensweise zu überdenken. Und fürchte, dass ich das, wenn überhaupt, heutzutage nur noch in „Alternativmedien“ finden kann, wo man halt selbst sein Misstrauensradar schulen und benutzen muss. Und das ist eine sehr unbefriedigende Alternative.
Wir bestellen unsere Realität bei Ihnen und wenn Sie die nicht einfach abfilmen können, sondern inszenieren müssen und sich dabei auch noch erwischen lassen, dann werden wir öffentlich über Sie entäuscht sein. Die Realität ist die Ideologie in den Köpfen unserer leitenden Angestellten und wir schicken Sie da raus, um sie zu finden. Exakt das w a r es mit Relotius. Bei ‚Jaegers Grenze‘ erklärte man Moreno und Relotius vorher, welche Geschichten sie bitte finden sollte und letzerer ging hin und fand sie einfach. Geliefert wie bestellt. Bei ‚Lovemobil‘ störte dann nur, dass es rauskam. Oder nicht mal das. Dass es auch für den normalen Zuschauer zu sehen gewesen wäre, wenn der in dem ganzen Wirrwarr von gescripteter Fictionfaction noch irgendwie durchblicken würde. Aber ist auch egal. W i r sagen Ihnen, was Sie zu finden haben und wenn der Schwindel auffliegt, lassen wir Sie im Regen stehen. Ideologie essen Seele auf. Von Film, Regisseur und Redakteur.