Die Umfragen-Politik der „Welt am Sonntag“
Am vergangenen Sonntag machte die „Welt am Sonntag“ auf ihrer Titelseite mit dieser dramatischen Schlagzeile auf:
Man sollte denken, dass nichts leichter wäre, als herauszufinden, auf welchen Zahlen diese Schlagzeile beruht. Entweder durch Lektüre der „Welt am Sonntag“. Oder, notfalls, durch Nachfrage bei der Redaktion.
Im Aufmacher der Zeitung steht folgendes:
Der holprige Impfstart in Deutschland und der lange Lockdown mögen auch für den Ansehensverlust der Bundesregierung verantwortlich sein. Im Juni übertraf die Rate der zustimmenden Äußerungen zur Politik der Kanzlerin noch die der ablehnenden um 54 Punkte, inzwischen ist dieses Plus auf 23 geschrumpft. Diese Netto-Zustimmung für die Bundesregierung insgesamt fiel von plus 38 auf 20.
Auf diese Zahlen scheint sich die Überschrift zu beziehen: Im Vergleich zu vor acht Monaten (!) überragt die Zustimmung zur Politik der Kanzlerin und der Bundesregierung die Ablehnung nicht mehr ganz so sehr.
Weil mir nicht klar war, aus welchen Umfragen diese Werte stammen (in dem Artikel ist von mehreren die Rede), habe ich einfach bei einem der vier (!) Autoren nachgefragt. Der wollte sie mir aber nicht beantworten, sondern leitete meine Frage an die Unternehmenskommunikation weiter.
Nachdem ich von der nichts hörte, fragte ich bei Christian Senft nach, der sonst auch für „Bild“ nicht spricht. Der teilte mir schließlich mit, dass man bei Axel Springer solche Fragen grundsätzlich nicht beantworte.
Fragen wie die, aus welcher Meinungsumfrage die Ergebnisse stammen, mit denen die „Welt am Sonntag“ aufmacht. Okay.
Weniger, aber immer noch viel Lob für Merkel
Ich hatte auch gefragt, ob man mir die konkreten Zustimmungs- und Ablehnungswerte aus dieser Umfrage mitteilen könnte. Denn nur die Differenz dieser beiden Werte anzugeben, ist ja eigentlich eine bei uns eher unübliche Größe.
Auch das wollte die „Welt am Sonntag“ mir nicht sagen.
Inzwischen aber habe ich die Daten der Umfrage gefunden, die der „Welt am Sonntag“ am vergangenen Sonntag noch „exklusiv“ vorlag: Die Kommunikationsberatung Kekst CNC hat sie durchgeführt.
Sie hat auch die einzelnen Zahlen veröffentlicht, nach denen ich die „Welt am Sonntag“ gefragt hatte. Auf die Frage, wie gut oder wie schlecht Angela Merkel bzw. die Bundesregierung auf die Coronavirus-Krise reagiert haben, fielen die Antworten so aus:
Urteil | Merkel | Bundesregierung |
---|---|---|
sehr gut | 19,7 | 7,7 |
ziemlich gut | 32,8 | 29,9 |
weder gut noch schlecht | 16,3 | 27,2 |
ziemlich schlecht | 12,7 | 20,2 |
sehr schlecht | 17,1 | 13,2 |
weiß nicht | 1,4 | 1,9 |
Quelle: Kekst CNC
Die Überschrift „Mehrheit der Deutschen stellt Merkel ein gutes Zeugnis im Umgang mit Corona aus“ wäre für die „Welt am Sonntag“ vermutlich trotzdem nicht in Frage gekommen.
(Wohlgemerkt: Die Menschen wurden zwischen dem 11. und 21. Februar gefragt. Ich würde vermuten, dass die Anworten in der Umfrage heute deutlich negativer ausfallen.)
Aber natürlich ist es auch eine Nachricht, wenn die Zustimmung für die Kanzlerin „drastisch sinkt“, und tatsächlich ist die Richtung der Kurve eindeutig:
Die „Welt am Sonntag“ malt ein Bild von einer schlechten Stimmung in der deutschen Bevölkerung und beruft sich dazu – in diesem Fall klar ersichtlich – auf die Kekst-CNC-Umfrage:
53 Prozent der Deutschen sind unzufrieden mit der Art der Verimpfung der Impfstoffe. (…) Während in Deutschland nur 26 Prozent mit dem Impfprozedere zufrieden sind, liegt die Zustimmung in Großbritannien bei 76 Prozent.
Schaut man in die Quelle, wird klar: Das ist nicht ganz falsch. Gefragt wurde konkret allerdings nicht nach der „Art“ der Verimpfung oder dem „Prozedere“, sondern der Geschwindigkeit. 28 Prozent der Deutschen fanden es „genau richtig“ (aber verwirrenderweise auch 14 Prozent „zu schnell“).
Gute Werte für die Bundesregierung
Aber wenn wir schon beim Ländervergleich sind: Wie zufrieden sind denn die Menschen in den anderen untersuchten Ländern mit ihrem jeweiligen Regierungschef und der jeweiligen Regierung, was den Umgang mit der Corona-Krise angeht?
Stellt sich heraus, dass Angela Merkel (die mit dem „drastischen“ Zustimmungsrückgang in der „Welt am Sonntag“-Schlagzeile) die besten Werte von allen hat. Bei der Zustimmung zur jeweiligen Regierung ist es genauso:
Land | Differenz zwischen positiven und negativen Urteilen | |
---|---|---|
Präsident/Regierungschef | (Bundes)Regierung | |
Deutschland | +23 | +20 |
Großbritannien | -13 | -11 |
USA | +15 | -6 |
Schweden | -17 | -14 |
Frankreich | -15 | -13 |
Japan | — | -23 |
Quelle: Kekst CNC
Wer hätte das gedacht? „Welt am Sonntag“-Leser nicht.
Die Schufa als Meinungsforschungsinstitut?
Übrigens erwähnt das Blatt in seinem Aufmacher auch noch „eine repräsentative Befragung der Wirtschaftsauskunftei Schufa für WELT AM SONNTAG“ zur Politik der Virusbekämpfung. Das fand ich erstaunlich – warum sollte eine Zeitung eine Wirtschaftsauskunftei mit zweifelhaftem Ruf damit beauftragen, eine repräsentative Umfrage durchzuführen?
Auch dazu wollte mir die „Welt am Sonntag“ keine Auskunft geben. Zum Glück ist die Schufa anders als Springer nicht an konzernweite Schweigegelübde gebunden und teilte mir mit, dass sie die Umfrage gar nicht im Auftrag der „Welt am Sonntag“ gemacht habe. Es handele sich nur um eine der Umfragen, die die Schufa regelmäßig aus eigenem Antrieb in Auftrag gibt. Durchgeführt wurde sie vom Marktforschungsinstitut Nordlight Research. Man habe die Ergebnisse der „Welt am Sonntag“ bloß vorab zur Verfügung gestellt.
Naja, okay.
Aber „Welt“-Sprecher Senft bittet mich um Verständnis, dass man sich „zu Hintergründen und Details von Recherchen sowie zu redaktionellen Entscheidungsprozessen grundsätzlich nicht äußert“.
Umfragen, die Gewicht haben, nennt man ‚Wahlen‘, die meisten anderen dienen dem spin doctoring.
Es fällt auf, dass Springer seit längerem vor allem wegen der schleppenden Impferei Druck auf Merkel macht: warum ausgerechnet da?
Dabei sind die korrupten Unionsabgeordneten, die sich die Taschen mit Provisionen für Maskengeschäfte vollmachen, ein viel deutlicheres Signal für den Zustand ihrer Regierung. Einer der jetzt geschassten, Georg Nüsslein von der CSU, stv. Fraktionsvorsitzender und wichtiger Gesundheitspolitiker, durfte im November anlässlich der Ermächtigung im Bundestag prominent sprechen:
„Das Ursprungsanliegen dieses 3. Bevölkerungsschutzgesetzes war die Grundlegung einer Impfpflicht, nochmals, nein, ähm, Impfstrategie“.
Eigentlich ganz interessanter Ablauf:
Grundlegung einer Impfstrategie->schleppendes Impfen->Springer-Kampagne->weggekegelte Impfstrategen
Was steckt dahinter?
Auf Twitter war ja auch die Grafik zu sehen, dass nur etwa 30% der Deutschen unzufrieden sind mit der Shutdownverlängerung, aber geschätzt wurde dieser Anteil von den gleichen Befragten auf gut 50%.
Nun sehen wir mal ganz konkret am Beispiel, woher solch eine Fehlwahrnehmung kommt. Dankeschön.
Der Anspruch von Springer ist ja auch, Meinung zu machen, nicht sie darzustellen.
Jetzt mal ganz ehrlich:
Warum sollte ein Springer-Medium auf eine Anfrage von Übermedien antworten? Herr Niggemeier and Friends haben sich eindeutig gegen Springer positioniert und lassen keine Gelegenheit aus, sich auf Twitter über „Bild“ und Co. lustig zu machen. (Meistens aus Gründen) Aber aus deren Sicht würde ich Übermedien auch mit einer nichtssagenden Floskel abspeisen. Warum von dem Kakao durch den man gezogen wird auch noch trinken?
@4 Meinen Sie die Frage ernst?
Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert?
In unserer Firma machen wir uns einen Spaß daraus, jedem noch so unvernünftigen Kunden ganz in Ruhe zu erklären, wie der Hase läuft. Das machen wir, weil wir über den emotionalen Umständen unserer Kunden stehen. Wir liefern Daten und wer die Daten nicht versteht, bekommt sie von uns erklärt. Wir könnten uns gar nicht leisten, unseren Kunden immer wieder zu antworten, dass wir grundsätzlich keine Auskünfte geben, um dem Kunden zu helfen, der zu doof ist, die Daten von alleine zu verstehen. Wir würden gefeuert werden, wenn wir so mit Kunden umgehen würden. Selbst wenn man den Kunden schon als renitent kennt, die Außenwirkung und das Prinzip des Service gehen vor.
Während ich selber einer Zeitung wie der Welt jahrelang Mails um die Ohren gepfeffert habe, in denen ich die Eignung von ihren Journalisten in Frage gestellt und die Pro-AfD Moderation in den Kommentarspalten kritisiert habe, stellt Herr Niggemeier hier einfache und nachvollziehbare Fragen. Sollte er diese Fragen unter einem Pseudonym stellen, weil er sich zuvor „gegen Springer positioniert“ hat? Sind wir hier im Krieg oder wieso sollte man keine vernünftigen Fragen mehr beantworten
Weil sie vom „Feind“ stammen?
Aber ich kann verstehen wo diese Denke herkommt. Ob Frank Reichelt oder Julian Reichelt, Informationskrieg gefällt den Reichelts. Den Feind würde ich auch immer mit nichtssagenden Auskünften abspeisen, nicht dass er noch den Krieg gewinnt…
Ich habe mich schon gefragt, wer sich wohl hier als erster nicht entblödet, die zufällige Namensgleichheit, für die ich absolut nichts kann, mit negativer Konnotation zur Sprache zu bringen.
Und siehe da: We have a Winner!
@Frank Reichelt: Nun könnte man aber schon denken, dass gerade ein journalistisches Unternehmen den Wert von kritischem Journalismus (und das heißt auch: nervige Fragen von Leuten, die einem nicht unbedingt gewogen sind) zu schätzen wüsste.
Ich bin jetzt zu faul, das rauszusuchen, aber ich wette, es gibt staatstragende Sonntagsreden von Springer-Chef und Zeitungsverleger-Präsident Döpfner zu dem Thema.
Ist jetzt wenig überraschend, dass ein Springer-Medium eine Umfrage solange interpretiert bis ein ihr genehmes Ergebnis herauskommt. Leider ist diese Vorgehensweise auch in seriösen Zeitungen gang und gäbe. Und nicht immer liegt das am bösen Willen: Wenn ich mir da so manche „Studie“ ins Gedächtnis rufe, die auf der Titelseite der Süddeutschen zum besten gegeben wurde….
Oft mischen sich ungültige Vorannahmen mit vollkommer Abwesenheit von Statistikkompetenz und mangeldem Fachwissen. Heraus kommt dann Mumpitz. Aber die Überschrift knallt.
@#5 und #6: Unabhängig vom Inhalt der Kommentare finde ich Angriffe aufgrund des Namens ungefähr so gut wie die aufgrund von Hautfarbe, Alter, Geschlecht, soziale Herkunft etc.: unterste Schublade, ganz ehrlich.
Wir wissen ja, dass die Worte von Herrn Döpfner in Interviews und auf Verbandstagen und das Handeln seiner Journalisten bei den diversen Publikationen nicht selten in krassem Widerspruch zueinander stehen. Sie haben das ja auch schon öfter herausgearbeitet.
„In unserer Firma machen wir uns einen Spaß daraus, jedem noch so unvernünftigen Kunden ganz in Ruhe zu erklären“ Das ehrt Sie und Ihre Firma, aber bei BILD/Übermedien ist die Vernunft etwas anders verteilt, fürchte ich.
Wobei ich jetzt auch die Frage zu einer Statistik für etwas weniger kritisch hielte wie die nach den unverpixelten Fotos traumatisierter Kinder bspw., aber ich bin auch nicht Chefredakteur einer Zeitung.
Im Idealfall wäre ein Medium froh, dass irgendwer kritisch liest und auf Fehler hinweist.
Im Idealfall würde man ja – darauf angesprochen, dass die Quelle einer Umfrage nicht genau hervorgeht – schnell zumindest online den Mangel beheben und sich beim Nachfragenden bedanken.
Im Idealfall würde man es erst recht so machen, wenn der Fragende ein doch nicht ganz unwichtiger Medienjournalist ist.
Aber Medien des AS-Verlags sind alles andere als ideal.
Hinweis: Fehlt da ein Wort im 6–letzten Absatz: „ Stellt sich heraus, dass Angela Merkel (die mit dem „drastischen“ Zustimmungsrückgang in der „Welt am Sonntag“-Schlagzeile) die besten Werte von allen hat. “ ? Muss da ein „Es“ an den Anfang?
Eigentlich ja, wobei man das nach meinem Sprachgefühl auch weglassen kann.