Die Podcast-Kritik (49)

Gute Geschichte-Erzähler

Diese Kolumne wird viele Menschen nicht interessieren. Menschen, die nicht auf Flohmärkte gehen, weil sie dort nur alten Krempel sehen. Die beim Beräumen von Kellern, Dachböden und Wohnungen alles in einen Müllcontainer werfen. Die „Bares für Rares“ nur unter Zwang anschauen würden, niemals eine historische Serie schauen und in der Schule bei der ersten Gelegenheit Geschichte abgewählt oder geschwänzt haben.

Das ist die eine Hälfte. Die andere verliert sich beim Schmökern in alten Fotoalben, hält im Urlaub an Antikläden an, gibt für alte Möbel mehr Geld aus als für neue – und hört möglicherweise Geschichts-Podcasts.

Gerade in einer Zeit, in der Museen genauso geschlossen sind wie Kneipen, muss man seine kleinen Ausflüge in der Fantasie machen. Mit Geschichts-Podcasts geht das gut.

„Geschichten aus der Geschichte“

In diesem Podcast wird wild herumgesprungen. In Epochen, Jahrhunderten, Ländern, Kontinenten. Das kann durchaus anstrengend sein – wer sich für den Hochstapler und Trickbetrüger interessiert, der den Eiffelturm verkaufte, den holt der merowingische Bruderkrieg vielleicht nicht unbedingt vom Sofa hoch – aber ich empfinde das als Vorteil. Denn hier stolpert man immer wieder in ein Thema, von dem man keine Ahnung hatte und nicht wusste, dass es einen dann doch interessiert.

Die Amerikaner haben ein schönes Wort dafür: Serendipity-Effect. Das Finden eines nicht gesuchten Schatzes. Und wer ihn noch nicht kennt, für den ist „Geschichten aus der Geschichte“ vielleicht so ein Schatz.

Er ist in diesem Feld schon ein Podcast-Urgestein, denn es gibt ihn seit über vier Jahren und er marschiert stramm auf die 300. Folge zu. Früher hieß er „Zeitsprung“, aber den Namen musste er im Herbst 2020 wegen eines Urheberrechtsstreits wechseln.

Die Macher sind Historiker: Daniel Meßner arbeitet in der Öffentlichkeitsarbeit der Uni Hamburg; Richard Hemmer hat sich auf das Mittelalter spezialisiert und berät Film- und Fernseh-Produktionsfirmen, die alten Stoff verfilmen, damit ihre historischen Figuren die richtige Kleidung tragen, das richtige Essen essen und die richtigen Dinge sagen. Seit 2015 erzählen sich die beiden im Wechsel eine „Geschichte aus der Geschichte“ (hm, naja), und der eine weiß nicht, welche Geschichte der andere mitbringt. Es kann um Könige und Kriege gehen, um berühmte und vergessene Personen, oft aber auch das große Ganze, um Zusammenhänge und Bezüge zum Hier und Jetzt.

Schön ist, dass die beiden Macher den Podcast nicht nur episodisch angehen, sondern immer wieder Meta-Themen bearbeiten. Dass es im 17. Jahrhundert eine enorme Nachfrage nach Muskat gab, lernt man in Folge 279, aber eigentlich lernt man hier viel mehr über Kolonialmächte und Handelsmonopole.

Die Folgen dauern meist eine halbe bis dreiviertel Stunde und sind damit gut geeignet für einmal Badewanne, eine Runde laufen gehen oder das Abendessen zubereiten – am besten mit Folge 21: einem Ausflug in die Architekturgeschichte, denn in dieser Folge geht es um die Erfindung der Einbauküche.

„Das geheime Kabinett“

Ebenfalls wild durch alle Zeiten, Orte und Themen podcastet „Das geheime Kabinett“. Manche Folgen sind Gespräche mit Gästen, andere sind vorgelesene Skripte. Letzteres ist natürlich maximal reduziert, ohne aufwendige Produktion, ohne Storytelling, Narration, aber das ist auch mal ganz wohltuend – man muss sich darauf einlassen. Der Versuch, Unterhaltung und Wissensvermittlung unter einen Hut zu bringen gelingt mal besser, mal wirkt es ein bisschen bemüht, aber manche Folgen packen einen schon aufgrund ihres Themas.

Dieser Podcast geht ganz enorm beeindruckenden Fragen nach, die ich mir in keinem Museum und keiner Kneipe jemals selbst gestellt hätte. Zum Beispiel: Warum in einem Kloster Eselscheiße als Reliquie verehrt wurde. Warum „die primären Geschlechtsmerkmale der männlichen Götter und Heldenfiguren“ antiker Statuen „immer so klein“ sind. Ob Hitler wirklich Sexpuppen für Soldaten in Auftrag gegeben hat. Es gibt eine kleine Kulturgeschichte des Stinkefingers. Eine Folge über Mumien in Brandenburg. Und unter dem schönen Titel „In your face“ lernen wir, ob es die Pestmasken wirklich gab.

Kurzum: Man hat ja keine Ahnung, was alles Geschichte ist, und wer Smalltalk-Material für die nächste Familienfeier oder Kollegenrunde braucht: Here you go!

Die Folgen, in denen ein Skript vorgetragen wird, sind nicht flott, aber auch nicht langatmig, die wechselnden Gesprächspartner aber tun dem ganzen dann doch schon gut, zumal die Gespräche weder allzu streng noch verkopft sind. So fühlt sich vieles von dem, was man da hört, so gar nicht verstaubt und weit weg an. „Das geheime Kabinett“ ist keine professionelle Produktion, hinter der ein großes Team und ein Berg Technik steht, aber sie ist mit Leidenschaft gemacht. Klüger macht sie auch.

„Anno Punkt Punkt Punkt“

Dieser Podcast ist genau genommen einer über Geschichtsforschung, weniger über fertig geschriebene Geschichten und Geschichte – denn in diesem Podcast sind Historikerinnen und Historiker zu Gast und sprechen über ihre laufenden Forschungen.

Es geht um Geschichte und Erinnerung in Computerspielen, um die Umweltpolitik der Nachkriegs-Bundesrepublik, um Robbenjagd, um Real Madrid oder um Frauenpaare im Bürgertum um 1900.

Wie viel Freude das macht, hängt sehr vom Gast ab. Manche Gespräche sind etwas hölzern, weil Wissenschaftler*innen mitunter so ihre Probleme haben, sich einfach auszudrücken und auf den Punkt zu kommen. Wer eine berufliche Biographie an einer deutschen Hochschulen durchläuft, bekommt nicht selten eine wenig unterhaltsame Ausdrucksweise antrainiert, und Unwissenschaftlichkeit ist ein Vorwurf, den beinahe alle Wissenschaftler*innen fürchten, wenn sie nicht gerade als Public Scientists erprobt sind.

Auch die Interviewführung könnte besser sein. Dem Lerneffekt aber tut das alles kaum Abbruch: Als Einstieg in die einzelnen Themen, als Einblick in die Arbeit von Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaftlern und als regelmäßigen Blick über den Tellerrand ist das ein absolut taugliches Angebot.

Fast 70 Folgen sind inzwischen draußen, sie sind eine bis anderthalb Stunden lang und hier findet man sie alle.

Podcasts über Archäologie

Archäologie übt auf viele Menschen eine Faszination aus. Die Vorstellung, tief unter der Erde Spuren früherer Siedlungen, Überreste von Kriegen oder, natürlich, Münzen, Schmuck und andere Schätze zu finden, bringt Menschen, überwiegend Männer, dazu, sich online Metalldetektoren zu kaufen und ihre Freizeit piepsend, buddelnd und pinselnd zu verbringen. Den Profis ist das ein Graus, und warum, das lernt man in „Angegraben“: Denn Archäologen arbeiten sehr langsam und sehr bedacht.

So ist auch dieser Podcast. „Angegraben“ hat keinen Unterhaltungsanspruch, hier geht es um Wissensvermittlung. Er wird gemacht von Mirco Gutjahr und hat nach einem Webseiten-Umzug leider nur noch vier Folgen. Da es nur sehr wenige Podcasts über Archäologie gibt, will ich ihn hier trotzdem empfehlen, denn man lernt hier wirklich viel – und vielleicht kommen demnächst ja neue Folgen.
Wem das nicht reicht, dem sei noch der Podcast des Archäologischen Museums Hamburg ans Herz gelegt, in dem Mitarbeiter des Museums über laufende und abgeschlossene Grabungen und Funde berichten.

„Troja Alert“

Troja Alert ist zweierlei: Ein Erzählpodcast. Und ein Format rund um Sagen und Mythen. Diese können aus dem germanischen, dem keltischen, dem altgriechischen oder dem hebräischen Raum stammen, oder auch aus ganz anderen Kulturen.

Von dem etwas düsteren, drückenden Intro darf man sich nicht täuschen lassen: Die Gespräche sind leichtfüßig – aber lang. Mindestens anderthalb Stunden, manche Folgen kratzen auch an der Drei-Stunden-Marke. Das hier muss man sich vornehmen.

Hier bekommt man keine Vorlesung – zumindest könnte ich mich nicht daran erinnern, dass einer meiner Geschichts-Dozenten jemals gesagt hätte, zwei Feldherren hätten „Beef“ miteinander, so wie hier der Konflikt zwischen Agamemnon und Achilles beschrieben wird.

Aber das ganze ist schon etwas speziell. Zum einen, weil Altertum und Antike wirklich wirklich wirklich weit weg sind von unserer Denk- und Lebenswelt. Zum anderen, weil anderthalb- bis drei Stunden Gespräch zu Themen weitab der eigenen Denk- und Lebenswelt sich nicht mal so eben weghören. Klar, das ist hier auch nicht der Anspruch, man muss es halt nur vorher wissen. Wer sich für Sagen und Mythen interessiert, vielleicht schon etwas Vorwissen mitbringt und durchformatierte Produktionen nicht so gern mag, kommt hier auf seine Kosten.

„Auf den Tag genau“

Wer nicht so viel Zeit hat oder wen die täglichen Nachrichten viel zu sehr aufregen, für den oder die hält der Podcast-Gott auch eine Kleinigkeit bereit, und eine ganz zauberhafte noch dazu: Auf den Tag genau“.

Hier wird jeden Tag eine Zeitungsnachricht vorgelesen – eine von vor hundert Jahren. Fragen, Diskussionen und Debatten, die Berlin und Deutschland 1920 bewegt haben. Und was soll man sagen: So viel hat sich gar nicht geändert. Knapp fünf Minuten, jeden Tag, professionell gesprochen – die kleine Zeitreise für jeden Tag.


Es gibt natürlich noch viele, viele weitere Geschichts-Podcasts. Öffentlich-rechtliche wie „Eine Stunde History“ von DRadio Wissen, unendlich viele semi-professionelle und solche aus der freien Szene und noch viel, viel mehr englischsprachige. Einige haben wir hier schon empfohlen, wie zum Beispiel „The Memory Palace“, der durch eine liebevoll-verspielte Produktion auffällt, „Mensch Mutta“ über das Leben als alleinerziehende Mutter in der DDR und den „Staatsbürgerkunde“-Podcast über den Blick der Nachwende-Geborenen auf das Leben im Leben hinter der Mauer. Wer weiter und viel mehr hören will: Eine lange und immer noch unvollständige Übersicht gibt es hier und hier.

3 Kommentare

  1. Ein nicht immer hundertprozentig ernsthafter, aber dafür umso unterhaltsamerer Geschichtspodcast wäre auch „Half-Arsed History“ von Riley Knight. Die Themen sind teilweise bizarr und sehr oft von Ecken der Welt, von denen man in der Schule viel zu wenig gehört hat. halfarsedhistory.net

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