Die Autorin
Lisa Kräher hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und lebt als freie Journalistin und Filmemacherin in Nürnberg.
Im Herbst des vergangenen Jahres waren sie ein bisschen sauer in der Redaktion. Weil ihr Heft nicht bei den Lesern angekommen war. Da tippen sie Seite um Seite voll, und dann können die Menschen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit das nicht lesen. „Ist sich die JVA Moabit zu fein, den Inhaftierten unser Druckerzeugnis zu geben?“, fragt der „Lichtblick“ in der nächsten Ausgabe. Und prangert an, wie sie in der JVA Berlin-Moabit mit der Redaktion in der JVA Berlin-Tegel und ihrer Zeitung umgehen.
„Der Lichtblick“ ist ein anzeigen- und spendenfinanziertes Heft, das viermal im Jahr erscheint. Nach eigenen Angaben ist es nicht nur die auflagenstärkste (7.500 Stück) Gefangenenzeitung der Republik, sondern auch die „einzige unzensierte“. Die JVA Tegel zahlt zwar Druck und Versand, kontrolliert aber vor Erscheinen nicht, was die Redaktion so schreibt. Presserechtlich verantwortlich sind seit der Gründung im Jahr 1968 allein die Inhaftierten.
Mehr als 60 solcher Gefangenenzeitungen erscheinen in Deutschland. Aus der JVA Chemnitz kommt zum Beispiel die Zeitschrift „Haftleben“, in Stuttgart gibt es das „Stammheimler Blättle“, und in Zwickau die „Gitterpost“. Allerdings werden die meisten Hefte von den JVA-Leitungen herausgegeben, seltener von den Gefangenen. Und wenn, dann reden die Gefängnisleitungen beim Inhalt mit – außer eben beim „Lichtblick“.
Hier entscheidet die Anstaltsleitung lediglich über neues Personal, das die Redaktion vorschlagen darf. Drei bis fünf Kollegen arbeiten derzeit in der Redaktion, alles keine Journalisten, bis sie hier landeten. Bis zu zwölf Stunden am Tag recherchieren und schreiben sie nun, für einen kleinen Lohn, wie das bei Arbeit im Gefängnis üblich ist.
Bei den Recherchen stoßen sie allerdings schnell an Grenzen. Private E-Mail-Adressen sind tabu, sowieso das ganze Internet. Bisher sind die Redakteure vor allem auf Kontakte nach „draußen“ angewiesen, zu Leuten, die etwas für sie googeln oder Unterlagen ausdrucken und per Post schicken. Das ändert sich aber offenbar demnächst. Im Zuge eines Pilotprojekts soll die Redaktion bald eingeschränkten Internetzugang bekommen. Digitale Netzwerke, Kontaktbörsen oder Porno-Seiten werden von vornherein gesperrt.
Optisch wirkt „Der Lichtblick“ etwas oll, dafür gibt es seit einigen Jahren in der Mitte des Hefts nicht mehr nur Frauen mit nackten Brüsten, sondern auch Männer mit Sixpack als herausnehmbares Poster für die Zelle. Das Heft darauf zu reduzieren, wäre aber falsch.
Hauptsächlich erscheinen dort Artikel zu Gefangenenthemen: über die Ausbildung in Haft, über Gerichtsurteile, oder Ratgebertexte, zum Beispiel wie eine Verfassungsbeschwerde abläuft oder Gefangene Masken beantragen können, um sich vor Covid19 zu schützen. Daneben schreiben Anwält*innen und Gefangene Gastbeiträge, und auf den hinteren Seiten suchen Inhaftierte Brieffreundschaften oder die lebenslange Liebe.
Vor allem ist „Der Lichtblick“ aber dafür bekannt, dass er kritisch berichtet, wenn aus seiner Sicht etwas schief läuft im Vollzug. Wenn es Inhaftierten erschwert wird, zu wählen, oder wenn ein Bus für den Gefangenentransport zwar so gesichert ist, dass keiner abhauen kann – aber Sicherheitsgurte für die Insassen fehlen und der Bus dann einen Unfall baut. Wie im August vorigen Jahres in Neubrandenburg geschehen.
Und nun also der Streit mit Moabit. „Zahlreiche Beschwerden“ habe die Redaktion von Inhaftierten dort erhalten, die fragten, wo ihr „Lichtblick“-Exemplar bleibe. Dabei war die aktuelle Ausgabe längst verschickt. Aber das kennen sie schon in der Redaktion: In der Vergangenheit sei es „in auswärtigen Anstalten bereits mehrfach vorgekommen, dass ,Der Lichtblick‘ als gefährlich im Rahmen der Sicherheit und Ordnung einer Anstalt eingestuft wurde“, schreibt der „Lichtblick“ in seinem Artikel darüber.
Am Telefon ist der „Lichtblick“-Redakteur aus der JVA Tegel bemüht, nicht alle Justizvollzugsanstalten über einen Kamm zu scheren. Es gebe viele Anstalten, in denen die Auslieferung gut klappe, und mittlerweile gebe es auch eine Erklärung aus Moabit. Angeblich hatten Mitarbeiter*innen der JVA es bloß versäumt, die Hefte zuzustellen. Auch andere Zeitungen, die Insassen in Moabit abonniert haben, seien zu dieser Zeit nicht ausgehändigt worden.
„In diesem Fall war’s wohl Faulheit“, sagt Bach. Die JVA habe Besserung gelobt, und die Ausgabe mit dem kritischen Artikel über Moabit sei offenbar regulär verteilt worden. Aber das Verhältnis sei dennoch zerrüttet.
In der aktuellen Ausgabe betont der „Lichtblick“, „dass das Grundrecht aus Art. 5 GG auch für Inhaftierte gilt“. Doch: „Dass wir immer wieder drängen und auf Antworten bestehen, gefällt denen nicht“, sagt Bach. Die JVA Moabit beantworte, im Gegensatz zu den anderen Berliner Haftanstalten, keine ihrer Anfragen mehr. Nachdem es im Dezember dort einen Corona-Ausbruch gegeben hatte, erfuhr der „Lichtblick“, dass sich Mitarbeiter*innen der JVA nicht an Hygienevorschriften hielten. Bach und seine Kollegen wollten der Gefängnisdirektorin dazu Fragen stellen. „Aber man hat uns gesagt: Wir sprechen nicht mit euch, wendet euch an die Senatsverwaltung.“
Die bestätigt auf Anfrage, dass sie nun für die JVA Moabit antworte. „Wir behandeln den ‚Lichtblick‘ wie alle anderen Medien“, sagt Sebastian Brux, Pressesprecher der Berliner Senatsverwaltung für Justiz. Es gebe auch „keinen politischen Willen, den ‚Lichtblick‘ nicht zuzustellen“. In Berliner Haftanstalten werde die Zeitung an alle Gefangenen verteilt, die ihn bestellt haben. Und der „Lichtblick“ sei dort auch nicht als „gefährlich“ eingestuft.
Andernorts scheint das aber so zu sein. „Ich habe das Gefühl, dass man den Gefangenen da oft Steine in den Weg legen will, nach dem Prinzip: Sollen sie doch klagen!“, sagt Henning Ernst Müller, Professor für Strafvollzugsrecht in Regensburg. Die Strafvollzugsgesetze der einzelnen Bundesländer ermöglichen es den Anstalten, Artikel zu zensieren.
Meist würden diese „generalklauselartig“ angewendet, sagt Müller. Klar, in bestimmten Fällen könne das Argument des „Vollzugsziels“ greifen. Etwa, wenn ein inhaftierter Bankräuber eine Story über den größten Bankraub der Geschichte liest. Oder über die Verbreitung von Drogen. Oder über Sexualdelikte. Sowas steht aber gar nicht im „Lichtblick“, sondern eher im „Stern“.
Bei manchen Texten komme es tatsächlich vor, dass Anstalten einzelne Seiten herausnähmen, das Blatt also doch zensierten, sagt Redakteur Bach. Das würden ihnen Inhaftierte immer wieder mitteilen. „Der ‚Lichtblick‘ ist vielen Anstalten ein Dorn im Auge.“ Sie seien als Redaktion immer bestrebt, dass die Leser die Hefte erhalten, in Bayern oder Baden-Württemberg sei es dennoch „an der Tagesordnung, dass unsere Ausgaben angehalten werden, wenn negative Vollzugspresse geschrieben wird“.
Als Beispiel nennt Bach einen als „Leserbrief“ betitelten Gastbeitrag einer Inhaftierten der JVA im bayerischen Aichach aus dem Jahr 2018. Sie beklagt dort die Zustände in der Frauenvollzugsanstalt. Von „Machtmissbrauch“ ist die Rede und von fehlenden Weiterbildungsperspektiven. Es sind schwere Vorwürfe. Deshalb wäre es journalistisch wohl angebracht (und vielleicht wirkungsvoller) gewesen, wenn der „Lichtblick“ dazu einen eigenen Beitrag gebracht hätte – anstatt den „Leserbrief“ eins zu eins abzudrucken.
Andreas Bach verteidigt die Redaktion: „Bevor wir Leserbriefe bringen, gucken wir immer erstmal, ob da was dran ist, sammeln Hinweise, die die Vorwürfe untermauern.“ Das sei auch in diesem Fall so gewesen. Zu übertriebene oder zu persönliche Anliegen hätten ohnehin keinen Platz im Heft. Von der Presse „draußen“ habe er aber immer wieder den Eindruck, dass sie Gefangene nicht so gern in den Vordergrund stelle. „Der Lichtblick“ hingegen mache das. Doch warum hat die JVA Aichach die Zeitung nach Erscheinen des Briefs angehalten, wie Andreas Bach sagt?
Florian Lindemann, Sprecher des Bayerischen Justizministeriums, geht darauf auf Anfrage nicht konkret ein. Er sagt, Strafgefangene hätten grundsätzlich das Recht, Zeitschriften in angemessenem Umfang durch Vermittlung der Anstalt zu beziehen – auch den „Lichtblick“. Dass dieser den Gefangenen im bayerischen Justizvollzug generell nicht ausgehändigt würde, sei ihm nicht bekannt. „Das Gesetz ermöglicht es der Anstaltsleitung aber, einzelne Ausgaben oder Teile von Zeitschriften anzuhalten, wenn sie die Erfüllung des staatlichen Resozialisierungsauftrags oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erheblich gefährden würden.“
In Bayern regelt das Artikel 70 des Strafvollzugsgesetzes. Ob Zeitschriften angehalten würden, hänge „von den Umständen des Einzelfalls und der aktuellen Sicherheitslage“ ab, sagt Lindemann. Ein Beispiel seien etwa Briefe von Privatpersonen, denen Zeitschriften beigefügt sind. Dies könne dazu führen, dass Drogen ins Gefängnis geschmuggelt werden, „pulverisierte Betäubungsmittel unter der Briefmarke oder unter Aufklebern“ oder Briefpapier, das in „flüssigen oder verflüssigten Drogen getränkt“ worden sei. Gerade stark bedrucktes Papier habe sich als schwer kontrollierbar erwiesen.
Aber es gibt auch andere Begründungen: In der JVA Burg in Sachsen-Anhalt etwa kam der „Lichtblick“ mal bei einem Inhaftierten nicht an, weil er sich die Zusendung nicht hatte genehmigen lassen. Bedienstete der JVA könnten nicht jedes Heft auf Gefahren kontrollieren, so das Argument der Anstalt. Das Landgericht Magdeburg erklärte das für rechtswidrig. In einem anderen Fall in Sachsen erhielt ein Gefangener „Spiegel“ und „Computerbild“ nicht, weil es vonseiten der JVA den Verdacht gab, dass er darüber verschlüsselte Nachrichten erhält. Der Gefangene klagte und bekam Recht, der „Lichtblick“ berichtete darüber.
Auch Andreas Bach kennt solche Probleme. Er ist erst seit ein paar Monaten beim „Lichtblick“ in der JVA Tegel, zuvor saß er in der JVA Bützow in Mecklenburg-Vorpommern und suchte schon vor dort aus den Kontakt zur Redaktion. „Jegliche Korrespondenz zwischen mir und ‚Lichtblick‘ wurde als gefährlich eingestuft“, sagt Bach. So hielt die JVA Bützow ein Schreiben mit einem Text über die Anstalt von Andreas Bach an.
Lisa Kräher hat bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ volontiert und lebt als freie Journalistin und Filmemacherin in Nürnberg.
Die Anstaltsleitung war der Ansicht, dass dort „grob unrichtige bzw. erheblich entstellende Darstellungen von Anstaltsverhältnissen abgebildet“ wurden. Der „Lichtblick“ genieße besondere Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit und sei daher in der Lage, dem Ansehen der Vollzugsbehörde erheblichen Schaden zuzufügen. Bach stellte bei Gericht einen Antrag, den Brief weiterzuleiten. Das Landgericht Rostock lehnte das ab. Aktuell liegt die Sache zur Entscheidung beim Oberlandesgericht Rostock.
Bachs Ton in dem Brief mit dem Beitrag „Hemmungslos, maßlos, gesetzlos – Die bunte Willkür der JVA Bützow“ ist nicht gerade sachlich. Aber wie soll die „Lichtblick“-Redaktion auf Missstände in Vollzugsanstalten aufmerksam werden und dazu recherchieren, wenn Post wie diese abgefangen wird? Nur auf Umwegen kam Bachs Text in der Redaktion doch noch an. Der „Lichtblick“ druckte den Brief dann zwar nicht wörtlich ab, schrieb aber über dessen Inhalt und vor allem darüber, wie die JVA Bützow damit umging.
In einem anderen Fall wurde ein Brief von „Lichtblick“ an Andreas Bach angehalten. Es ging darin um einen Besuch Bachs in Tegel und um Unterlagen, die er der Redaktion zur Verfügung gestellt hatte. Auch dagegen ging Bach vor. Landes- und Oberlandesgericht lehnten seinen Antrag jeweils ab. Im Dezember vorigen Jahres hat Bach Verfassungsbeschwerde eingereicht.
„Der Lichtblick berichtet über fragwürdige Praktiken in den Anstalten und wie sich Gefangene wehren“, sagt der Professor für Strafvollzugsrecht Müller. „Das passt den Anstalten nicht, weil Gefangene aus anderen Anstalten dann auf die Idee kommen könnten, sich auch zu beschweren. Klar, muss man sich jeden Einzelfall angucken, aber ich nehme wahr, dass Anstalten relativ eng mit diesem Thema umgehen. Und das nicht immer aus lauteren Motiven. Es geht ihnen manchmal darum, den Alltag in der eigenen Anstalt und im Umgang mit den Gefangenen nicht komplizierter zu machen.“
Für Müller liefert das Blatt wertvolle Einblicke. „Das ist eine tolle Zeitung“, sagt er. „Ich bekomme so als Außenstehender einen Einblick in den Justizvollzug aus Sicht der Strafgefangenen, der für mich als Wissenschaftler sehr interessant ist und den ich sonst nicht bekäme.“ Gerade weil die Gefangenen frei schreiben, „das gibt es ja in keiner anderen Anstalt“.
Müller glaubt, die wenigsten JVA-Entscheidungen gegen die Zustellung des „Lichtblicks“ hätten wohl Bestand vor Gericht. Tatsache ist aber auch: Die wenigsten betroffenen Gefangenen suchen den Weg vors Gericht. Aus Sicht des Strafvollzugsexperten ist das Argument, die Resozialisierung sei durch bestimmte Inhalte gefährdet, ohnehin altmodisch. In Freiheit sind sie schließlich auch wieder damit konfrontiert. Mit Zeitungen, dem Internet. „Ich finde es grundsätzlich positiv, dass sich ein Gefangener mit seinen Rechten befasst“, sagt Müller. „Aufmüpfig zu sein, Sachen zu lesen, die ihn betreffen, ist ein gutes Zeichen – auch in Bezug auf Resozialisierung.“
Sollte einer der Übermedienmacher (natürlich nach einem krassen Justizirrtum) mal in Tegel einsitzen müssen, lauert dort zumindest eine fachgerechte Beschäftigung!
#1
Und Holger ruft dann ausnahmsweise mal nicht an, sondern backt einen Kuchen mit einer Feile und kommt höchstselbst zu Besuch.
@MFD (#2):
Toll, jetzt habe ich Herrn Rosenkranz vor Augen, wie er sich mit verknoteten Bettlaken an der Fassade abseilt; Suchscheinwerfer zucken über den Hof, eine Sirene heult… Ich sollte weniger schlechte Filme gucken!
Im Ernst: Schöner Text über eine eher abseitige Form von Journalismus. Für die Gefangenen wichtiger als z.B. Obdachlosenmagazine für Obdachlose – weil sie selbst die Zielgruppe sind und nicht die Außenwelt. Reibungen mit der Knastleitung sind wohl unvermeidbar, wenn es wirklich um die Interessen der Insassen gehen soll – ein bisschen wie bei einer Schülerzeitung, wenn sie sich offen über die Lehrer beschwert.
P.S.: Ich wünsche dem Lichtblick, dass sich ein straffällig gewordener Mediengestalter für das Layout findet. Pin-up-Girls und -Boys können sie gerne behalten, aber die Typographie macht Kopfweh.
@1: Müsste schon ein extrem krasser „Justizirrtum“ sein, denn der Weg nach Tegel führt in der Regel über ein paar Monate wenn nicht gar Jahre Moabit.
Hmm, in anderen Ländern sitzen viel mehr Journalisten hinter Gittern.
Ich fürchte aber, deren Gefängniszeitungen haben’s trotzdem schwerer, wenn es sie überhaupt gibt…
#5. Dass es woanders schlimmer ist, rechtfertigt aber nicht die Missstände hier und es gibt auch keinen Grund, sie zu verharmlosen, zu verschweigen oder zu ignorieren.
„Dass es woanders schlimmer ist, rechtfertigt aber nicht die Missstände hier…“ Habe ich auch nicht behauptet.
Bei der Überschrift habe ich erst an ganz was anderes gedacht.