PR für Ritter Sport

Wie man eine neue Schokoladensorte in alle Medien bringt

Wahrscheinlich hätte die Firma Ritter Sport ihr neues Produkt, das zu 100 Prozent aus Kakao besteht, einfach ohne Probleme als „Schokolade“ auf den Markt bringen können. Aber wer will das schon, wenn er ein neues Produkt lanciert: Aufsehen vermeiden?

SCHOKOLADEN-SCHWACHSINN DES JAHRES
Ausriss: „Bild“

Und so fand der Schokoladenhersteller einen Weg, die Nachricht, dass er ein neues Produkt auf den Markt gebracht hat, in fast alle deutschsprachigen Medien zu bringen. Es begann, wie so viele Geschichten dieser Art, in der „Bild“-Zeitung. Am Montag versprach sie schon auf der Titelseite den „SCHOKOLADEN-SCHWACHSINN DES JAHRES“.

Im Inneren behauptete „Bild“, was Ritter Sport behauptete: Dass die neue Schokolade nicht Schokolade heißen dürfe, weil sie keinen Zucker enthält. Die deutsche Kakao-Verordnung definiere „Schokolade“ als Erzeugnis aus Kakaoerzeugnissen und Zuckerarten, und weil die neue Sorte „Cacao Y Nada“ (Kakao und nichts) ausschließlich mit Saft aus der Kakaobohne gesüßt werde, dürfe sie nur als „Kakaofruchttafel“ verkauft werden.

Diese Schokolade darf nicht Schokolade heißen
Ausriss: „Bild“

Dazu gab es ein Zitat mit markigen Worten des Unternehmenschefs, der das vermeintlich rückständige Lebensmittelrecht anprangerte, und vom Unternehmen später auch in einer Pressemitteilung verbreitet wurde.

Eine Zuckerart, die keine Zuckerart ist?

Am Montagmittag stieg die Deutsche Presseagentur (dpa) in die Berichterstattung ein und sorgte so für die größtmögliche Verbreitung der vermeintlichen Nachricht. Auch sie übernahm die Behauptungen von Ritter Sport und meldete auf deren Grundlage:

Ritter Sport verkauft eine Schokolade, die nicht so heißen darf.

Am Montagnachmittag ergänzte dpa die eigene Meldung um eine „nähere Erklärung zur Zuckerart“, was eine interessante Formulierung ist, denn wenn man den Saft aus der Kakaofrucht, den Ritter Sport verwendet, als Zuckerart versteht, könnte man das Produkt dann nicht auch als Schokolade bezeichnen?

Nein, behauptete dpa: Es müssten „bestimmte Arten von Zucker“ sein, „an die enge Kriterien angelegt werden“. Das behauptet auch Ritter Sport. „Lebensmittelrechtlich muss Schokolade immer einen Anteil konventionellen Zucker haben“, schreibt das Unternehmen. Doch das ist falsch: In der Kakaoverordnung ist ausdrücklich die Rede davon, dass als Zuckerarten „auch andere als die in der Zuckerartenverordnung aufgeführten Erzeugnisse“ gelten können.

Am Montagabend veröffentlichte dpa eine weitere Version der Meldung, diesmal ergänzt um eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft: Das Ministerium könne „nicht erkennen, dass bei der Herstellung von Schokolade nicht auch natürlicher Kakaosaft zum Süßen verwendet und das Erzeugnis unter der Bezeichnung ‚Schokolade‘ in den Verkehr gebracht werden dürfe“, hieß es nun in komplizierter doppelter Verneinung.

Doch diesen Widerspruch zur Ritter-Sport-Darstellung vergrub dpa tief im fünften Absatz seiner Meldung – und tat vorher so, als existiere es gar nicht. Der Titel blieb unverändert: „Ritter Sport verkauft eine Schokolade, die nicht so heißen darf“, und die Behauptungen des Unternehmens behandelte dpa weiterhin als Tatsache.

Eine Umbenennung, die keine Umbenennung ist

Die Geschichte über den angeblichen Irrsinn, dass deutsche Gesetze ausgerechnet das Weglassen von Zucker bestrafen, fand derweil größte Verbreitung in den Online-Medien, die teilweise eigene Fehler und Ungenauigkeiten hinzufügten. So behauptete „Der Westen“, das Clickbait-Portal der Funke Mediengruppe, Ritter Sport habe das neue Produkt „umbenennen“ müssen, obwohl es nie anders hieß. Im Content-Inflations-Netzwerk der Ippen-Gruppe malte man sich aus Suchmaschinenoptimierungsgründen aus, wie das schokoladenartige Produkt „in den Regalen von Lidl, Kaufland, Edeka oder anderen Supermärkten“ liegt, dabei liegt es dort gar nicht.

„Cacao y Nada“ ist nur im Shop in der Ritter-Sport-Zentrale und online erhältlich. Vorerst hat das Unternehmen nämlich nur 2300 Tafeln produziert – und fast so viele Artikel darüber.

Am Dienstag fehlte die Geschichte von der Schokolade, die angeblich nicht Schokolade heißen darf, in kaum einer Zeitung. Die meisten Blätter übernahmen eine frühe dpa-Version, in der noch nicht einmal der Widerspruch des Ministeriums auftauchte. Manche brachten die Geschichte sogar prominent auf ihrer Titelseite, markiert als „schräge Meldung“ („Neue Westfälische“) oder „kuriose Nachricht“ („Münchner Merkur“).

Zeitungsausrisse "Schokolade darf nicht Schokolade heißen"

In der FAZ recherchierten gleich zwei Redakteure zum Thema und fügten den Zitaten und Behauptungen von Ritter Sport immerhin den Hinweis zu, dass das Unternehmen schon mit einer winzigen Prise Zucker die (angeblichen) Schranken der Kakaoverordnung umgehen könnte:

Insofern nutzt das Familienunternehmen die Regelung auch für eine entsprechende Öffentlichkeitswirkung.

Aber auch die FAZ tat so, als sei eindeutig, dass „Cacao y Nada“ nicht Schokolade genannt werden dürfe – obwohl sie darauf hinwies, dass sich im Angebot jeder Manufaktur eine Tafel finde, „die aus hundert Prozent Kakaomasse besteht und dort trotzdem Schokolade heißt. Womöglich sind diese Unternehmen zu klein und fliegen unter dem Radar der Behörden“, mutmaßt die FAZ.

Auch die „Welt“ recherchierte selbst und referierte die Behauptungen von Ritter Sport immerhin mit journalistischer Distanz. Sie zitierte eine Lebensmittelrechtlerin, die erklärt, warum sich im Handel „zuckerfreie Schokolade“ finde: Die Sorten enthielten in der Regel „Zuckerzusatzstoffe“, die das ermöglichten. Ob das nicht auch für die Ritter-Sport-Variante gelten könnte, lässt die „Welt“ offen.

Eine Fake-News, die ein PR-Stunt ist

Am Mittwoch grätschte die „Wirtschaftswoche“ in die allgemeine PR-Welle für Ritter Sport: Sie hatte ein längeres Interview mit Bundesernährungsministerin Julia Klöckner geführt und von ihr ein Zitat bekommen, das offenbar auch dpa am Montagabend schon vorlag:

„Die Kakaoverordnung begrenzt die Verwendung zuckerhaltiger Zutaten nicht auf bestimmte Zuckerarten. Deshalb müsste ein Produkt, das natürlichen Kakaosaft verwendet, nach Einschätzung unseres Ministeriums auch unter der Bezeichnung Schokolade verkauft werden dürfen.“

Von einer Ritter-Sport-Sprecherin ließ sich die „Wirtschaftswoche“ erklären, dass die Süße aus dem Kakaosaft „keiner Zuckerart gemäß der Zuckerarten-Verordnung“ entspreche – dabei ist die Zuckerarten-Verordnung gar nicht relevant.

Die „Wirtschaftswoche“ erklärte die Kommunikation von Ritter Sport zu „Fake News“ und meldete alles unter dem erstaunlich zugespitzten Zitat:

„Ritter-Sport-Kreation mit Kakaozucker ist Schokolade“

Am Donnerstag schrieb der Branchendienst „Meedia“ über die Sache („Fake News als PR-Stunt“) und kritisierte, dass der Ritter-Sport-Chef mit der Aktion „das Klischee der handlungsunfähigen und inkompetenten Politiker und Gesetzgeber“ bediene.

Der „Tagesspiegel“ berichtete über den „Hype um die neue Ritter Sport“: Auf eBay würden über 50 Euro für eine 57-Gramm-Tafel gezahlt.

Mutmaßlich ebenfalls am Donnerstag (eine Datumsangabe fehlt) korrigierte der „Spiegel“ online seine Meldung – „umfangreich“, wie es in einer Anmerkung unter dem Text zusammen mit einer Bitte um Entschuldigung nun heißt.

Eine Meldung, die nicht in Ordnung ist

Nach einer Anfrage von Übermedien ruderte auch dpa zurück und veröffentlichte mehr als drei Tage nach der Ursprungsmeldung eine Berichtigung. Aus dem Titel:

Ritter Sport verkauft eine Schokolade, die nicht so heißen darf

wurde nun:

Ritter Sport: Wir verkaufen eine Schokolade, die nicht so heißen darf

In einer neuen Meldung berichtete dpa über die „Verwirrung“ um das Produkt:

Hersteller Ritter Sport hat Irritationen mit der Ankündigung ausgelöst, eine Schokolade auf den Markt bringen zu wollen, die formal in Deutschland nicht als solche bezeichnet werden dürfe. Nach dem Bundesernährungsministerium widersprach am Donnerstag auch das in Baden-Württemberg für die Lebensmittelüberwachung zuständige Landesverbraucherschutzministerium der Darstellung des Unternehmens mit Sitz in Waldenbuch bei Stuttgart. Zwei von der Deutschen Presse-Agentur befragte Juristen wiederum stützten die Argumentation des Unternehmens, das auf Anfrage selbst ebenfalls nicht von seiner Haltung abweichen wollte.

Das Unternehmen wies gegenüber dpa den Vorwurf zurück, „sich einen PR-Gag geleistet zu haben“.

dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger sagt auf unsere Anfrage:

„Unsere Meldung von Montag war handwerklich einfach nicht in Ordnung. Wir haben zwar recherchiert und die entsprechenden rechtlichen Grundlagen in der Kakaoverordnung, der Zuckerverordnung und der EU-Durchführungsverordnung gegengecheckt. Aber vor allem am Anfang des Textes haben wir nicht ausreichend deutlich gemacht, dass wir hier die Darstellung des Unternehmens wiedergeben. Und natürlich hätten wir den Widerspruch des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zentral im Lead einbauen müssen.“

Das Wort „Schokolade“ fehlt übrigens nicht nur auf der Verpackung der neuen 100-Prozent-Sorte. Die Vorderseiten der bekannten Ritter-Sport-Schokoladen kommen auch ohne das Wort aus und heißen gar nicht Schokolade, sondern nur „Halbbitter“, „Edel-Vollmich“ oder „Kokos“. Das Wort „Schokolade“ findet sich nur klein auf der Rückseite.

Ein Rätsel, wie die Kundinnen und Kunden trotzdem seit Jahren mit diesen Produkten umzugehen wissen.

12 Kommentare

  1. Das erinnert mich an meine Zeit bei der Lebensmittelüberwachung, als wir uns auch mit solch spannenden Problemen herumgeschlagen haben, in Bäckereien und Imbissstuben auf Mäuse- und Kakerlakenjagd gegangen sind, und Chipstüten, Konservendosen und andere Lebensmittelbehältnisse mit sehr fragwürdigem Zusatzinhalt zugeschickt bekommen haben.

  2. Auf die Meldung bin ich vor wenigen Tagen selbst reingefallen, obwohl ich es nicht so recht geglaubt habe, da ich schon zu oft in meinem Leben zuckerfreie Schokolade gegessen habe. Aber eigentlich war es mir egal. Ich wundere mich in Sachen Lebensmittelbezeichnungen eh über nichts mehr. Diese emotionsbeladenen Diskussionen über Hafermilch, die Haferdrink heißen muss, obwohl alle Welt Hafermilch sagt (während Kokosmilch Kokosmilch bleibt), pflanzlichen Joghurt mit Joghurtkulturen, der nicht Joghurt heißen darf und Veggieburger, die schon seit meiner Jugend (lange ist’s her) so hießen und, ein Wunder, es auch tatsächlich offiziell noch dürfen, sind doch einfach nur noch grotesk. (Über Insektenburger, die bei uns im Supermarkt in der Tiefkühltruhe liegen, hat sich seltsamerweise noch kein Fleischverband beschwert, obwohl das auch nicht original ist. Hauptsache Tier drin, oder wie?) Als ob Verbraucher*innen nicht schlau genug wären, pfanzliche von tierischen Produkten zu unterscheiden. Steht doch immer fett drauf, was es ist. Oder eben Schokolade zu erkennen, ob mit oder ohne Zucker. Egal!

  3. Da hat sich wohl die Werbeabteilung von der Berichterstattung zu Lemonaid inspirieren lassen, hat dann aber bemerkt, dass sich wahrscheinlich nie ein Verbraucherschutzamt drüber beschweren wird, und kurzerhand selbst den Skandal ausgerufen…

  4. An der Börse würde man dafür wegen Kursmanipulation ins Gefängnis gehen, wenn man absichtlich eine unwahre Pressemitteilung in Umlauf bringt… schwache Kür, dass das praktisch niemand geprüft hat vor Ververöffentlichung und selbst jetzt die DPA das nicht ordentlich aufklärt.

    Auf der anderen Seite möchte ich Tobias widersprechen. Bürokratiefeindlichkeit ist en vogue seit Jahren. Wir können aber im Großen und Ganzen dankbar sein, dass wir nicht im Wilden Westen leben, sondern in einer geregelten Welt, in der wir der Willkür der Unternehmen ausgeliefert sind. Manche Einzelphänomene wirken seltsam, aber das Gesamtgebilde aus Industriestandards ist sehr wertvoll, ein langer und wirksamer Arm des Rechtsstaates. Es ist ein kurzer Weg sich darüber lustig zu machen, wie manche Dinge bürokratisch geregelt sind, hin zur Meinung, dass Urteile der Justiz nicht dem Gesetz, sondern einem Volksempfinden entsprechen sollten. Dann lieber an der Verbesserung womöglich falscher Regeln mitwirken.

  5. @ Peter Sievert (#4):

    Sehe ich auch so. Eigentlich muss man diesen PR-Coup bewundern. Da nimmt sich jemand die empörungsträchtigen Anti-Schummelei-Kampagnen á la „Der goldene Windbeutel“ von Foodwatch zum Vorbild, kehrt die Zielrichtung um und appelliert an das Ressentiment des „gesunden Volksempfindens“ gegen eine vermeintlich irre gewordene Bürokratie (Stichwort „Gurkenkrümmungs-Verordnung“) – fertig ist die Kampagne, die eine stinknormale, wahrscheinlich mäßige Schokolade als nicht nur zuckerfreies, sondern auch rebellisches Superprodukt verkauft. Wir lassen uns die Schoki nicht verbieten, jawoll!

    Dass die Bildzeitung auf sowas einsteigt, ist klar (die hätte sich das auch selbst ausdenken können). Die dpa oder der Spiegel hätten aber genauer hinscheuen müssen, um ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.

  6. Zack: ich war dabei und bin der Nachricht voll aufgesessen.
    Schön, hier aufgeklärt zu werden!

  7. Vergessen hat die Presse scheinbar auch den Piperonal Skandal in der Ritter Sport Nuss Schokolade. Wie das Unternehmen sich damals gegeben hat, war äußerst unsympathisch, intransparent und verdummend. Bei meinem Griff ins Regal vermeide ich daher diese Produkte.

  8. Fleischkäse ist kein Milchprodukt.

    Wer das durchschaut, lässt sich von Hafermilch auch nicht verwirren.

  9. @#8, Alex: habe mich da mal reingelesen und am Ende hat Ritter Sport gewonnen, weil es keinen Beweis der SW gab. Ich finde deine Aussage hier dementsprechend schwach und werde nächste Woche mal ne RS für meine Kinder kaufen obwohl ich bekennender, aber seit vier Jahren abstinenter Schokosüchtiger bin.

  10. Wenn man das Ganze mal kurz auf sich wirken lässt, kann man dennoch zwei Punkte kritisch anmerken:

    1. Die KakaoV definiert Schokolade in der Tat dahin, dass es sich um ein „Erzeugnis aus Kakaoerzeugnissen und Zuckerarten“ (beliebiger Art, § 2 Abs. 5) handeln müsse (Anlage 1 Nr. 3 lit. a). Warum muss in Schokolade unbedingt Zucker enthalten sein?

    2. Wieso muss eine Verordnung mit einem wirklich begrenzten Regelungsgehalt in einer Weise formuliert sein, dass sie ohne Beziehung anderer Regelungen des EU-Rechts und das Nachverfolgen diverser Hin- und Herverweisungen überhaupt nicht verständlich ist? Die gewählte Regelungstechnik ist so nicht nötig und anwenderfeindlich.

  11. Und die österreichische „Qualitätszeitung“ „Die Presse“ schreibt 3 Tage (!) nach Erscheinen des Übermedien-Textes noch einen Text über das Thema, den der Pressesprecher von Ritter Sport nicht besser hätte formulieren können. Nicht nur, dass die Schokolade hier nicht Schokolade heißen darf, nein:
    „Das Unternehmen konzentriert sich indes lieber auf den Inhalt seines Produkts als auf dessen Bezeichnung, und nimmt die Sache mit Humor. „Das ist keine Schokolade“, heißt es auf der Homepage.
    Betont wird vielmehr die nachhaltige Idee dahinter. Während sonst in der Regel nur das Innere der Frucht – also die Kakaobohne – verwendet und der Rest entsorgt wird, wird dabei auch das Fruchtfleisch vollständig genutzt. (…)
    Die neue Sorte ist auf 2300 Tafeln limitiert. Zu kaufen gibt es sie vor Ort in Waldenbuch und im Onlineshop. In Österreich soll es sie beim Meinl am Graben in der Wiener Innenstadt geben – solange der Vorrat reicht.“

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