Wochenschau (94)

Alles kann, nichts darf?

Keine Sorge! Das wird hier keine dauerhafte he-said-she-said-Clubhouse-Events-Nächerzählungskolumne. Dafür haben wir ja Twitter. Was jedoch an diesem Wochenende auf der Ebene politischer Kommunikation und bei der journalistischen Aufbereitung eben dieser Ebene passiert ist, bietet dann doch einiges, das über die iPhone-heiligen Räume des Clubhouses hinausgeht.

Denn die Fragen, die hier relevant werden, sind trotz dieser neuen App ganz alte, jedoch nicht minder wichtige:

  1. Wie und wann dürfen JournalistInnen PolitikerInnen zitieren?
  2. Kann sich ein Politiker oder eine Politikerin hinter dem Türschild „Klubhaus“ verstecken?
  3. Wie eng sollten PolitikerInnen und JournalistInnen in ihrer Freizeit zusammen rumhängen?
Foto: Nick Fewings/Unsplash

Aber erstmal eine Rückschau auf das digitale Dramolette in drei Akten:


Erster Akt

Am vergangenen Freitag findet auf der neuen Audio-Chat-Plattform Clubhouse ein Event statt, an dem sich unter anderem Ministerpräsident Bodo Ramelow, Nachwuchspolitikerin Lilly Blaudszun, Kevin Kühnert und „Bild“-Journalist Paul Ronzheimer beteiligen. Das Thema ist Trashtalk, es soll um popkulturelles Rumgeblödel gehen, es wird über Pizza und Heidi Klum gesprochen. Irgendwer öffnet irgendwann für alle hörbar eine Flasche. Es wird „Bella Ciao“ gesungen. Ein digitales Fläzen mit PolitikerInnen und JournalistInnen – nur dass ein bisschen mehr als tausend ZuhörerInnen anwesend sind. Und in dieser entspannt-fröhlichen Situation verrät Bodo Ramelow zunächst – beim staksigen Versuch, sich etwas an das jüngere Publikum ranzuonkeln -, dass er während der Ministerpräsidentenkonferenz das Puzzle-Computerspiel „Candy Crush“ spiele; etwas später nennt er die Bundeskanzlerin in einem Nebensatz „das Merkelchen“.

Zweiter Akt

Am Samstagmorgen veröffentlicht „Welt am Sonntag“-Chefredakteur Johannes Boie einen Artikel über Ramelows befremdliche „Candy Crush“-Aktivitäten und kritisiert den offenen Sexismus in Form des abwertenden Ausdrucks für die Kanzlerin. Am Samstagabend motzt Ramelow daraufhin Boie bei Clubhouse in einem Raum namens „Das ist die Bar“ an – es fällt das Wort „Scheiße“, dreitausend Menschen lauschen. Ramelow kritisiert, dass seine Aussagen aus dem Kontext gerissen worden seien, fühlt sich falsch abgebildet. Auf Twitter betont er, dass es ein lockeres Gespräch mit jungen Leuten gewesen sei, zudem zieht er öffentlich Lilly Blaudszun als Kronzeugin heran, um zu bestätigen, dass er nichts Sexistisches gesagt hat. (Ich lachte.)

Auch einige JournalistInnen finden es hinterher gar nicht gut, dass aus der Clubhouse-Runde zitiert wurde.

Ebenfalls in diesem Talk am Samstag versucht aus der Ferne Paul Ronzheimer den CDU-Auf-und-Absteiger Philipp Amthor dazu zu bringen, etwas über den Korruptionsvorwurf gegen ihn und über das Unternehmen Augustus Intelligence zu sagen, aber Amthor kann sich durch Singen des Pommernlieds vor der Beantwortung dieser weiterhin unbeantworteten und sehr wichtigen Frage drücken. Endlich sind mal alle so richtig „simply authentisch“.

Dritter Akt

Am Sonntagnachmittag erklärt eine geduldige Gesprächsteilnehmerin – in einem vom Journalisten Tilo Jung moderierten Raum – Bodo Ramelow, warum „das Merkelchen“ ein sexistischer Ausdruck sei. Und man kann Ramelow tatsächlich beim Erkenntnisprozess zuhören. Zudem gestattet er, aus diesem Gespräch zu zitieren. Kurze Zeit später entschuldigt er sich zudem auf Twitter für seine Wortwahl.

To be continued…


Eine erste rein handwerkliche Frage nach diesem zugegeben etwas komplizierten multimedialen Drama: Durfte der Journalist Ramelow zitieren?

Kurze Antwort: Ja, klar.

Lange Antwort: Ja, aber. Es werden auf Clubhouse zwar Community Guidelines ausgewiesen, die das Aufzeichnen und Zitieren aus den Clubhouse-Räumen untersagen, woraus sich möglicherweise eine Art Gentlemen’s Agreement ergibt, dass die Gespräche „unter drei“ stattfinden.

Hier ein kurzer Exkurs in das journalistische Selbstreglementierungsjargon: Findet ein Gespräch „unter 1“ statt, kann man einfach direkt zitieren und den Namen der Person nennen, die die Aussage getätigt hat. „Unter 2“ bedeutet: Eine Information darf verbreitet werden, es darf gesagt werden, aus welchem Umfeld die Information stammt, aber es darf niemand namentlich zitiert werden. „Unter 3“: Die Information ist vertraulich und darf nicht öffentlich verwertet werden, sie dient einer Journalistin oder einem Journalisten lediglich zum besseren Verständnis einer Situation. Die Bezeichnungen 1 bis 3 gehen auf die Reihenfolge in dem betreffenden Absatz in der Satzung der Bundespressekonferenz zurück.

Im Pressekodex steht auch noch was dazu und zwar: „Die vereinbarte Vertraulichkeit ist grundsätzlich zu wahren.“

Bei publizistischer Relevanz kann die berichterstatterische Freiheit überwiegen, wenn ein Interesse der Öffentlichkeit an der Information besteht. Jurist Hendrik Wieduwilt dröselt das hier zum Nachhören medienrechtlich auf.

Als Politiker und Person des öffentlichen Interesses eine kommunikative Privatheit auf Clubhouse zu erwarten, ist allerdings genauso, wie wenn man in seiner Twitter-Bio „hier privat“ schreibt und denkt, das sei rechtsgültig. Und natürlich hat es eine nachrichtliche Relevanz, wenn ein Ministerpräsident die Kanzlerin als „Merkelchen“ abwertet.

Aber die AGB

Interessant ist die Wehmut einiger JournalistInnen, die meinen, dass die authentische Freiheit und der Charme der Clubhouse-Gespräche abhanden kommen, wenn zu viele Inhalte von dort an die breitere Öffentlichkeit durchgestochen wird. Dabei dürfen JournalistInnen bei all der empathischen Kumpeligkeit und fläzigen Samstäglichkeit nicht vergessen, dass es immer eine kritische Distanz zwischen politischer und publizistischer Sphäre geben muss.

Nur weil PolitikerInnen dank Clubhouse eine gut gelaunte und plauderige Form für sich entdeckt haben, sollten Medienschaffende sich nicht von dieser Couchigkeit einlullen lassen. Man kann nicht die Illusion einer Verschwiegenheit in teilöffentlichen Räumen nur deshalb verteidigen wollen, weil man befürchtet, dass PolitikerInnen sonst nicht mehr geil flapsig sprechen würden. Das käme einer selbstgewählten Erpressbarkeit gleich.

Zudem: Wie sehr würde es den Vorwurf des Elitarismus und der Kungelei zwischen JournalistInnen und PolitikerInnen bestätigen, wenn kritische und für die Öffentlichkeit relevante Informationen eben nicht kommuniziert würden? Nur die paar tausend Menschen, die das Glück haben, ein iPhone zu besitzen, und das Glück (oder Pech) haben, in den Telefonbüchern von PolitikerInnen oder JournalistInnen oder Agenturtypen zu stehen, und das Glück haben, in das digitale Soho House eingeladen zu werden, dürfen über Ramelows pandemische Gaming-Präferenzen und Wortwahl in Kenntnis gesetzt werden? Während der Rest der Bevölkerung einfach das Pech der Uninformiertheit hat? No iPhone, no Info.

Danke für den Präzedenzfall

PolitikerInnen können und sollen selbstverständlich alles artikulieren, was sie wollen, aber eine Plattform wie Clubhouse entbindet sie nicht von der Verantwortung für das Gesagte. Genauso sollten sich JournalistInnen aufgrund der Dynamik solch einer App die unsichtbare, notwendige Barriere zwischen Presse und Politik nicht allzu einfach weglabern oder wegsingen lassen.

Derartige Verhandlungen und Fragen – wie, wann, wo, was gesagt werden darf – kennen wir bereits von anderen neueren und älteren Medien und Plattformen, die unser Sprechen, Denken und Verhalten unter neue Bedingungen stellen. Analog zu Nietzsche, der sagte, dass unser Schreibzeug mit an unseren Gedanken arbeitet, könnte man sagen: Die Audioplattform verplappert sich mit an unseren Gedanken.

Bei diesem Ge- und Verplappern ist ein lehrbuchhafter Präzedenzfall entstanden. Und da aufgrund der Neuartigkeit und des Hypes um die App im Vorhinein keine Aushandlung und Auseinandersetzung darüber stattfinden konnte, was die Spielregeln oder Gepflogenheiten sind, wissen nun alle: Bei den Debattenräumen auf Clubhouse handelt es sich nicht um Kamingespräche; ein Austausch vor 3000 Menschen kann kein Hintergrundgespräch unter drei sein.

7 Kommentare

  1. Hat Frau El Ouassil eigentlich Aktien bei Clubhouse? Wenn nicht, hat sie definitiv ein neues Hobby…

  2. In diesen Zeiten ist man ja für jede Abwechslung dankbar, insofern habe ich die Diskussion über Ramelow als sehr unterhaltsam empfunden. Der absolute Höhepunkt war dabei Paule Ronzheimers Sperrung bei Clubhouse und sein Gejammer darüber auf Twitter, ganz großes Tennis.
    Für mich ist Clubhouse zum Glück keine Verführung, nutze ich doch kein iPhone, sondern ein veganes Smartphone aus streng biologischem Anbau!

  3. #1,#3
    Ich finde schon wie KK, dass der dritte Artikel in Folge (inklusive Podcast) nen gewisses Muster an den Tag legt^^ Da ist die Vorstellung, dass Frau El Ouassil täglich 1-2h Stunden im Clubhouse zubringt, doch wirklich nicht abwegig.
    Als Leser/Hörer dieser Beiträge, der null Berührung mit Clubhouse hat, sieht man von außen ja umso neutraler die Irrelevanz, kurzfristigen Hype und wahrscheinlich baldige Vergänglichkeit von Clubhouse. Umso mehr kontrastiert die ausgiebe Berichterstattung dazu.
    Stichwort Aktien: Dass Clubhouse, wie im Podcast ausgeführt, mit 100 Millionen Dollar bewertet ist, finde ich höchst amüsant. „Phantasie“ ist eigentlich genau das richtige Wort, das für solche Bewertungen genutzt wird.

  4. #4 Klar, stimmt schon. Ohne das kräftige Mittun von Herrn Ramelow wäre Artikel no.3 mutmaßlich wohl gar nicht erschienen. Insofern ist’s ja aus Mediensicht schon relevant, n’est ce pas? Allerdings, und da würde ich Ihnen zustimmen: wie durch Hype einerseits und breitbeinige Tapsigkeit andererseits solch eine Relevanz erst entsteht, entbehrt nicht einer gewissen Komik.

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