Zu Besuch in der Landesmedienanstalt

Jugendschützer Eumann: „Auch ich habe mal ein Anrecht auf Vergessen“

Marc Jan Eumann ist sauer. „Dass Anbieter mit solch enormer Reichweite deutsches Recht ignorieren, trotz offenkundiger Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, ist nicht hinnehmbar“, sagt er. Die Anbieter, die er meint, sind vier große Porno-Seiten im Internet – frei zugänglich für alle, egal welchen Alters. Ein Klick und los. Doch geht es nach Eumann, ist damit bald Schluss.

Marc Jan Eumann
Marc Jan Eumann bei einer Pressekonferenz in Berlin im April 2019. Foto: Felix Zahn/photothek.net/imago

Eumann ist Chef der Landesmedienanstalt in Rheinland-Pfalz, die den privaten Rundfunk und Internetanbieter überwachen soll, und er ist Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), einem gemeinsamen Organ aller 14 Landesmedienanstalten. Sie prüft Verstöße und entscheidet über die Folgen für die Unternehmen. Was in diesem Fall allerdings mehr als ambitioniert ist. Man könnte auch sagen: ein nahezu aussichtsloser Kampf.

Auf der einen Seite: die Behörde, auf der anderen: die Unternehmen mit Sitz in Zypern. Auf der einen Seite: das deutsche Jugendschutzgesetz, auf der anderen: der weltweite Raum des Internets. Jugendschützer Eumann und der Landesmedienanstalt in NRW, die hier federführend ist, geht es darum, die Porno-Portale zu einer effektiven Altersverifikation auf ihren Seiten zu verpflichten. Die sieht das deutsche Recht auch vor. Ausländische Firmen aber, gerade solche, fühlen sich davon so gar nicht angesprochen.

Wie das ungleiche Duell ausgeht? Ungewiss. Man sei bereit, „den Weg weiterzugehen und alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen“, sagt Eumann. Er will es zumindest versuchen. Und er ist auf diese Weise zurück in den Schlagzeilen.

Chef der LMK: Wie hat Eumann das geschafft?

Wenn der 54 Jahre alte Sozialdemokrat in den vergangenen Jahren in Medien auftauchte, war er allerdings oft nicht Absender deutlicher Kritik, sondern deren Empfänger: ein Spendenskandal während seiner Zeit im Kölner SPD-Vorstand, eine Affäre um seine Doktorarbeit, zuletzt der Eklat um seine Wahl zum Direktor der rheinland-pfälzischen Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK).

Wer Eumanns Wikipedia-Artikel nur kurz überfliegt, kann sich der Frage kaum erwehren, wie es jemand mit dieser Historie geschafft hat, heute bei einem Jahresgehalt von rund 120.000 Euro an vorderster Front für mehr Jugendschutz im Internet zu streiten.

Auf der Suche nach einer Antwort geht es in einen schmucklosen Bau im Ludwigshafener Westen. Hier, etwas versteckt zwischen Hauptfriedhof, Fast-Food-Restaurants und dem Parkplatz einer Moschee, sitzt die LMK. Eumann empfängt mit freundlicher Skepsis – und bittet um Verständnis, dass er bei Fragen nach der Vergangenheit etwas schmallippiger werde. Schließlich sei das alles abgehakt, ausreichend besprochen und eindeutig geklärt: „Ich glaube, dass ich nach all den Jahren auch mal ein Anrecht auf Vergessen habe.“

Einerseits hat er Recht: Im Kölner Spendenskandal stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren 2004 ein; Eumann musste ein Bußgeld von „um die 5.000 Euro“ zahlen. Auch seinen Doktortitel durfte er am Ende behalten. Der Vorwurf hatte „Selbstplagiat“ gelautet, weil Eumann ungekennzeichnet große Teile seiner Magisterarbeit übernommen hatte. Der Dortmunder Fakultätsrat konnte nach einer Untersuchung aber keine Täuschungsabsicht erkennen. Und Teile der Wissenschaftscommunity hatten darauf hingewiesen, dass diese Praxis damals weniger eine Ausnahme als vielmehr die Regel gewesen sei.

Sein Doktorvater fühlt sich getäuscht von ihm

Andererseits bleibt bisweilen ein Beigeschmack – zumindest in der Öffentlichkeit. Nach Abschluss des Selbstplagiatsverfahrens sprach sein Doktorvater Horst Pöttker in der FAZ davon, dass er sich von seinem Doktoranden getäuscht fühle. Und über die Spendenaffäre schrieb der „Kölner Stadtanzeiger“ zehn Jahre später in einer Rückschau: „Nur ein Quittungsempfänger wird den Skandal überleben: Der heutige Staatssekretär Marc Jan Eumann kämpft sich mit einer Vorwärtsstrategie und Glück aus dem Spendenstrudel.“ Während andere Genossen Fraktionsverbote erhielten, machte Eumann Karriere.

Und der Eklat um die Wahl zum LMK-Direktor im sozialdemokratisch regierten Rheinland-Pfalz? Die sorgte 2017 für Diskussionen, weil eine Findungskommission ohne öffentliche Ausschreibung und jegliche Transparenz allein den Kandidaten Eumann präsentiert hatte. Weil der nach dem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen gerade seinen Job als Medienstaatssekretär losgeworden war, kamen schnell Vorwürfe der Ämterpatronage auf.

Doch auch das liegt hinter ihm. Letze Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verfahren wischte das Oberverwaltungsgericht des Landes beiseite. Auf die Klüngel-Vorwürfe reagierte die Politik Ende 2018 zudem mit einer Änderung des Landesmediengesetzes: Die Direktorenstelle muss künftig öffentlich ausgeschrieben werden. „Das ist auch richtig so“, sagt Eumann heute. „Ich habe volles Verständnis für diese Forderung. Aber damals war die Rechtsgrundlage einfach eine andere und das sollte man auch zur Kenntnis nehmen.“

Der Vorwurf: Doppelmoral

Aber wie bei den Angelegenheiten zuvor ging es auch hier in der öffentlichen Debatte um mehr als die juristische Dimension. Kritiker warfen Eumann vor allem Doppelmoral vor. Der Grund: Als Medienstaatssekretär in NRW war er maßgeblich an einer Änderung des dortigen Landesmediengesetzes beteiligt gewesen, die von Beobachtern als eindeutig parteipolitisch motiviert beurteilt wurde. Denn die neuen Voraussetzungen für den Direktorenposten machten eine Wiederwahl des amtierenden CDU-Mannes Jürgen Brautmeier unmöglich. Unter anderem mussten Kandidaten nun Volljuristen sein, zudem sollten politische Amtsträger eine Karenzzeit von 18 Monaten einhalten.

Der Historiker Eumann erfüllte bei seiner eigenen Wahl keines dieser Kriterien. Zwar galten diese in Rheinland-Pfalz nicht, dass aber der Kandidat die eigenen politischen Überzeugungen einfach ignorierte, sorgte für Unverständnis. Fragt man Eumann heute danach, kann er diese Kritik zwar nachvollziehen, anders handeln würde er deswegen aber nicht. „Das ist eben Föderalismus“, lautet eine seiner Lieblingsantworten darauf. Und außerdem sei er als Staatssekretär ja nicht Teil der gesetzgebenden Gewalt gewesen.

Auch in der Politik will inzwischen niemand mehr etwas von den alten Geschichten hören, geschweige denn sich zitieren lassen. Schon gar nicht, wenn es um moralische Maßstäbe geht oder die Transparenzansprüche der Bürgerinnen und Bürger bei der Besetzung solcher Ämter. Damals war das anders, da hagelte es Kritik. Nun heißt es aus der Opposition, die scharfe Debatte im rheinland-pfälzischen Landtag sei seinerzeit bloß Teil einer Pflichtempörung gewesen, wie sie von den Regeln des politischen Betriebs nun mal eingefordert werde: „Wir hätten es bestimmt auch nicht anders gemacht.“

Der ehrgeizige Strippenzieher

Was nicht gegen geltendes Recht verstößt, ist auch erlaubt – man muss kein Idealist sein, um den Blick in den Maschinenraum der Politik bisweilen ernüchternd zu finden. Wer die öffentliche Person Marc Jan Eumann aber wirklich verstehen will, muss sie in genau diesem Kontext betrachten. Als Teil eines politischen Betriebs, für den Begriffe wie Klüngel und Absprachen keine Schimpfworte sind, solange sie sich in einem rechtlichen Rahmen bewegen.

Eumann beherrscht diese Gratwanderung offenbar ziemlich gut. Er gilt als ausgesprochen ehrgeiziger Strippenzieher, als jemand, der genau weiß, wie und mit wem er seine Ziele erreichen kann. „Er hat sein Handwerk im Hinterzimmer gelernt“, sagt einer, der ihn aus der nordrhein-westfälischen Landespolitik kennt. Politik bestehe für Eumann vor allem aus Netzwerken.

Einige Beobachter finden das gar nicht schlecht. „Politik kann eben nicht immer auf dem Marktplatz stattfinden“, sagt ein erfahrener SPD-Mann. Und der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Frank Überall, vertritt die Meinung, dass Demokratie ohne „positiven Klüngel“ gar nicht machbar sei. Bleibt nur die Frage, ob Bürgerinnen und Bürger das teilen.

Mehr als nur ein Netzwerker

Es wäre dennoch zu einfach, Eumann auf die Rolle des cleveren Netzwerkers zu reduzieren. Vielmehr gilt er auch auf Bundesebene als einer der fähigsten Medienfunktionäre. Vertreter von Politik und Journalismus schätzen ihn als klugen Kopf, der sich tief in Themen einarbeiten könne und zu kontroversen und fundierten Diskussionen in der Lage sei.

Immer wieder hat er sich auch deutlich und kenntnisreich zu Themen wie Netzpolitik und Medienvielfalt positioniert und eigenständige Projekte angeschoben. Sein Plan für eine nordrhein-westfälische Stiftung zur Förderung von Lokaljournalismus wurde etwa vor Jahren scharf kritisiert – heute hingegen gilt stiftungsfinanzierter Journalismus als echte Alternative zu den überkommenen Erlösmodellen der Branche.

Dass es dem Medienprofi Eumann also nicht um die Sache ginge, wäre falsch. Eher scheint es, dass ihm der persönliche Erfolg im Zweifel wichtiger als die Sache ist. Das legt etwa ein Interview im Deutschlandfunk nahe, dass er im Dezember 2017, kurz nach seiner Wahl zum LMK-Direktor führte. Die kritischen Fragen der Journalistin hatten im spürbar nicht gepasst, also referierte Eumann, „zum Stil“ gehöre auch, „dass Sie mir einfach mal gratulieren, dass ich diese Wahl gewonnen habe“. Das sorgte auch für viel Amüsement.

Aufbruchstimmung in Rheinland-Pfalz

Eumann weiß natürlich, dass er diesen Ausfall nicht rechtfertigen kann, ohne sich erneut aufs Glatteis zu begeben. Selbstverständlich sei das ein Fehler gewesen, sagt er heute. Mehr zu seinen damaligen Beweggründen will er allerdings nur bei zugesicherter Vertraulichkeit sagen – wirklich besser macht es diese Erklärung dann allerdings nicht. Stattdessen gibt er an, von der Debatte um die Umstände seiner Wahl überrascht worden zu sein: „Ich hätte eher gedacht, dass meine früheren Thesen zur Zentralisierung der Landesmedienanstalten für Diskussionen sorgen würden“, sagt er.

Von solchen Plänen ist jetzt aber keine Rede mehr – im Gegenteil. Eumann hat in den vergangenen beiden Jahren viel dafür getan, um der rheinland-pfälzischen Anstalt auf der nationalen Landkarte wieder ein stärkeres Profil zu verpassen. Dazu zählt auch seine Wahl zum Vorsitzenden der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), als der er jetzt als Kämpfer gegen die ungesetzmäßigen Praktiken der zypriotischen Pornoportale in Erscheinung tritt.

Der erfahrene Politstratege und Selbstvermarktungsprofi hat offenbar genau erkannt, was die lokalpatriotischen Rheinland-Pfälzer von einem wie ihm erwarten. Wieder sichtbar werden, den Ruf der Provinz ablegen. Eumann weiß, wie das geht. Seine sorgfältig gepflegten Netzwerke in Landes- und Bundespolitik beeindrucken die Mitglieder der LMK-Versammlung.

Dank flexiblen Teams statt starren Abteilungen und zeitgeistigen Projektmanagement-Methoden herrscht auf einmal geradezu Start-up-Atmosphäre auf den Gängen. Immer wieder ist in Gesprächen die Erleichterung darüber zu spüren, dass endlich jemand frischen Wind in die angestaubte Anstalt gebracht hat. Die LKM sei in den Jahren zuvor regelrecht „eingeschlafen“ gewesen, jetzt spüre man eine Aufbruchstimmung.

Transparent, mitnehmend, motivierend

„Der Start war sicherlich auch für die Kolleginnen und Kollegen nicht ganz einfach“, sagt Eumann. „Es war ja nach all den Diskussionen nicht klar, was da jetzt für einer kommt. Aber das spielt jetzt alles keine Rolle mehr.“

Tatsächlich konnte er auch einige jener Versammlungsmitglieder von sich überzeugen, deren Stimmen er bei seiner Wahl nicht erhalten hatte. Transparent und immer ansprechbar sei der neue LMK-Direktor, heißt es dann, er wisse seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu motivieren.

Zudem beziehe er die Ausschüsse der Versammlung rechtzeitig und auf Augenhöhe mit ein und sei keiner, der die Mitglieder vor vollendete Tatsachen stelle. Selbst in CDU-nahen Kreisen lässt man sich nicht mehr zu einem schlechten Wort über den Sozialdemokraten hinreißen: Er leiste schlicht beeindruckende Arbeit.

Somit hat Eumann offenbar bereits einen Teil dessen eingelöst, was er in seiner Bewerbungsrede im Dezember 2017 versprochen hatte: „Feedback-Kultur“ und einen „dialogischen Führungsstil“ wollte er mitbringen, zudem müsse sich die LMK vor allem im Jugendmedienschutz profilieren. Neue Positionspapiere zu den weiteren Kernbereichen der Anstalt – Medienkompetenz, Medienförderung und Bürgermedien – hat die Versammlung außerdem vor wenigen Wochen verabschiedet.

Höhere Ambitionen?

Bleibt die Frage, ob sich ein ehemaliger Staatssekretär mit kolportierten Ministerambitionen wirklich auf Dauer mit dem Direktorenposten einer eher grauen Behörde zufrieden gibt. Oder ob sich Eumann durch seinen engagierten Auftritt in Rheinland-Pfalz und den Kampf gegen die Porno-Portale bald wieder für höhere Aufgaben empfehlen will.

Fragt man Eumann danach, lächelt er bloß und zitiert aus dem Hollywood-Klassiker Casablanca: „Ich plane nie soweit im Voraus.“ Es fällt schwer, dahinter keine Ironie zu vermuten.

7 Kommentare

  1. Keine schlechte Leistung, damit durchzukommen. Insbesondere auch vor dem Hintergrund der erzürnten Einlassungen des Doktorvaters und der meiner Meinung nach an dieser Stelle wirklich glasklaren Promotionsordnung der TU Dortmund. Dagegen steht Frau Gifffey wirklich sehr solide da.

  2. Sehr angenehm, dass der Autor die Kontroverse um die Person Eumann einfach nur sachlich zusammenfasst, ohne selbst zu bewerten.

    Dennoch hat der Mann definitiv den falschen Job, er gehört als Abgeordneter ins europäische Parlament.
    „Eumann, der EU-Mann“ … bitte nicht hauen.

  3. Klüngelingeling, Klüngelingeling, hier kommt der Eumann. Lebt DJV-Chef Frank Überall schon zu lange in Köln? Oder sollte er tatsächlich definieren können, wo die Grenzen zwischen „positivem Klüngel“ und negativem Klüngel verlaufen?

  4. Man kann sogar der SPD nahestehen und dennoch feststellen, dass besonders die Kölner SPD über Jahrzehnte hinweg immer wieder solche Typen wie Eumann hervorgebracht hat. Machtarroganz verbunden mit einer typischen „Mir kann keiner was nachweisen“-Attitüde. Es hat Gründe, dass die Kölner diese Partei abgewählt haben – eine Partei, die zu großen Teilen immer noch glaubt, die Stadt sei quasi ihr natürliches Eigentum.

    Dank an Alexander Graf für den Artikel.

  5. Gemessen an seinem bisherigen Lebenslauf ist es nachgerade empörend, dass Herr Eumann als Chef der Landesmedienanstalt in Rheinland-Pfalz offenbar einen guten Job macht.
    Zum Glück ist ihm die Kontrolle des privaten Rundfunks und der Jugendschutz völlig schnuppe und er macht das nur um sich zu profilieren und für höhere Aufgaben zu empfehlen.
    Mein Weltbild bleibt also intakt, tröstlich!

  6. Boah, was für eine Hassfigur. Ist mir ja beinahe egal, ob der Typ nun ideologisch verbohrt oder doch bloß ein profilierungssüchtiger Karrierist ist. Ich wünsche ihm jedenfalls jeden erdenklichen Misserfolg in seinem Anti-Porno-Kampf, damit in Deutschland nicht bald wie in China Pornografie nur noch via VPN und dergleichen zugänglich ist. (Denn da es einfach keine praktikablen Systeme der Altersverifikation gibt, läuft es genau darauf hinaus.) Zur Hölle mit dieser Comstockerei!

    Wie wäre es denn mal, unbrauchbares Recht zu reformieren, anstatt es auf Biegen und Brechen durchsetzen zu wollen? Ok, macht man beim „Leistungsschutzrecht“ ja auch nicht. Oder beim Verwertungsrecht. Oder beim Betäubungsmittelrecht…

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