Wochenschau (87)

Was haben die da oben gegen diesen einfachen Mann?

CDU-Politiker Friedrich Merz

In diesem Internet gibt es den ganz schrecklichen Ausdruck „Mimimi“, der jede Kritik, jeden Einwand, aber auch öffentliches Lamento als dünnhäutiges Gequengel abqualifiziert. Wenn man es jedoch als MeMeMe liest, dann passt es leider nur zu gut zu der Kommunikation von Friedrich Merz am Montag.

Mimimi-Merz ist in den ultimativen Merzerker-Modus gegen das „parteipolitische Establishment“ übergegangen. Mit Nebelkerzen um sich werfend behauptet er unter anderem, dass der CDU-Parteitag nur verschoben würde, um seine Kandidatur um den Parteivorsitz zu sabotieren.

Oha, diese Art Raunen kennen wir derzeit eher von deutschsprachigen Schlager- und Pop-SängerInnen.

Tatsächlich wird der geplante Präsenzparteitag am 4. Dezember in Stuttgart mit mehr als tausend Delegierten so nicht realisierbar sein, da einerseits gefährlich, angesichts der stark steigenden Infektionszahlen, andererseits auch ein komplett befremdendes politisches Signal, wenn alle zu mehr Kontaktlosigkeit ermahnt werden, aber dann doch tausend Menschen etwas veranstalten, was in seiner Dringlichkeit schwer vermittelbar ist.

Kurz: In der Hierarchie der zu berücksichtigenden Umstände der Wirklichkeit ist vielleicht eine hochinfektiöse und tödliche Pandemie doch noch einen Hauch relevanter, als der Umstand, dass Merz möglichst schnell in persona vor den Delegierten davon schwärmen kann, wie toll er ist.

Die Kampagne „Merz verhindern“

Aber für Merz scheint mit der Verschiebung eine Merzgrenze erreicht. Im Interview mit der Welt behauptete er: „Es läuft seit Sonntag der letzte Teil der Aktion ‚Merz verhindern‘ in der CDU. Und das läuft mit der vollen Breitseite des Establishments hier in Berlin.“

Der Impuls hinter diesem Vorwurf ist natürlich die Angst später nicht mehr von den Werten profitieren zu können, die er aktuell zu haben glaubt. Außerdem möchte er Armin Laschet keinen Zeitvorteil zugestehen. „Ich habe ganz klare, eindeutige Hinweise darauf, dass Armin Laschet die Devise ausgegeben hat: Er brauche mehr Zeit, um seine Performance zu verbessern“, erklärt Merz weiter in dem Interview.

Laschet kann sich als Macher präsentieren

Aus seiner Perspektive ergibt das tatsächlich Sinn: Der Winter wird Laschet zwangsläufig weitere Möglichkeiten bieten, sich zur Coronakrise zu verhalten. Gerade in einer Krisensituation kann sich ein Politiker (in einem Amt) mit performativer Entschlossenheit inszenieren. Diese Präsentation von Durchsetzungsvermögen steht Merz nicht als Mittel zur Verfügung. Es muss ihn außerordentlich stören, anderen die Machermomente überlassen zu müssen.

Deshalb ist er umso mehr darauf angewiesen, seine ganz eigenen symbolischen Handlungsgesten in die Berichterstattung zu holen, durch Sprechakte der Aufklärung und der Anschuldigung. Mit seiner Rhetorik in der Medientour durch „Morgenmagazin“, „Tagesthemen“, „heute journal“ und „Welt“ behauptet er, dass er endlich mal aufzeigt, was da hinterzimmerig tatsächlich so los sei – und dass er sich das vom Establishment nicht bieten lasse.

Er ahnt, dass ein im „Morgenmagazin“ kolportiertes Zitat wie „Es gibt Teile des Partei-Establishments, die verhindern wollen, dass ich Parteivorsitzender werde und damit wird jetzt auch dieser Parteitag verbunden“ natürlich zur teilbaren Kachel verwertet wird und so die Erzählung der Unfair-Behandlung digitale Verbreitung findet.

Es ist das klassische David-gegen-Goliath-Framing, was jedoch schon bei Trump immer hochgradig albern und unglaubwürdig wirkte. Bei seinem hufescharrenden Versuch seine ausbleibenden exekutiven Möglichkeiten durch mediale Auffälligkeit zu kompensieren, vergaloppiert sich Merz.

Denn wenn politischer Opportunismus, egozentristische Ungeduld, das Gefühl durch unkontrollierbare Umstände benachteiligt zu werden und die allgemeine Unsicherheitslage einer globalen Pandemie aufeinandertreffen, entsteht bei Merz eine fantastisch konspirative Ich-Bezogenheit, in der Gereiztheit und Kompetitivität zu politischer Hysterie werden.

Das war unter anderem zu sehen in dem „Tagesthemen“-Gespräch mit Caren Miosga, in dem Merz sein inneres Augenrollen unter Aufbringung aller politischen Professionalität bloß nicht sichtbar werden lassen wollte, als sie es wagte, mal nachzuhaken, was genau er denn nun eigentlich mit seiner Verschwörungserzählung meinte. (Schön übrigens auch, wie sie bewusst das zutreffendere Wort „Verschwörungserzählung“ nutzte und er es mit dem Wort „Verschwörungstheorie“ verschlimmbessernd nachjustierte.)

Um Merz geht es Merz nicht

Zumal er zu sehr darum bemüht war, sowohl im „heute journal“ als auch in den „Tagesthemen“, zu betonen, dass es natürlich nicht um ihn, Merz gehe, sondern um die Sache, denn er, Merz, halte ja mit fantastischen Werten seit zwei Jahren ohnehin durch und er, Merz, lasse sich ohnehin nicht zermürben und er Merz, dankt überhaupt allen, die ihn unterstützen, aber nein, um ihn, Merz, gehe es hier wirklich nicht.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie kurzschlüssig vor allem populistische Männer in der Politik reagieren, wenn sie das Gefühl haben, ihre Bälle würden wegschwimmen. Scheint eine Merzensangelgenheit.

Diese individuelle Ichbezogenheit kann und muss rein aus ideologischen Gründen durchaus Teil politischer Kommunikation beispielsweise neoliberaler Parteiakteure sein. Gerade die etablierte Riege Liberaler kann sich so erfolgreich als Antiestablishment inszenieren (ich schreibe wohlgemerkt hier nicht hin, dass sie es sind), weil es in ihrem Individualitätsanspruch kompatibel mit ihrer Programmatik ist.

Aber bei Merz gibt es da eine besondere Diskrepanz: Er, der zwar im politischen Herzen neoliberal ist, kommt performativ als bürgerlicher CDUler mit dieser oppositionellen Haltung an eine Grenze der Vermittelbarkeit: Es wirkt gerade für einen Konservativen, der eigentlich einen paternalistischen Gediegenheits-Traditionalismus der 60er-Jahre im teuren Merz-Mantel verkaufen will, erschreckend unerwachsen, derart larmoyant-konspirativ rumzuschmollen.

Außerdem, sagen wir es doch ganz offen: Die chinesische Regierung will halt einfach nicht, dass Merz Kanzler wird.

14 Kommentare

  1. Das Geraune vom Establishment erinnert mich an Richard Nixon. Der sah im angeblichen liberalen Washingtoner Establishment seine Erzfeinde. Direkt nach Amtsantritt ließ er durch Privatdetektive Material gegen Journalisten, Politiker
    und andere Ostküstenuniversitätsabsolventen zusammentragen. Das ganze gipfelte dann im Watergate-Skandal und seinem Rücktritt.
    Hoffentlich bleibt uns das erspart und es gibt keine Merzgefallene.

  2. Wie idiotisch eigentlich – erstens, im Vorfeld Ausreden für eine mögliche Wahlniederlage zu finden wirkt schon wenig zuversichtlich.
    Und zweitens, wenn die Merz wirklich verhindern wollen – Anfang des Jahres konnten sie ihn ja leider nicht wählen, weil der Gesundheitsminister so große Menschenansammlungen verboten hatte, und Merz im vollen Shatner-Mode so: „SPAAAAHHNNN!“ – aber jetzt ist blöderweise genau die zweite Welle, hachja, also WENN man Merz verhindern will, hören die damit ja nicht aus, weil der sie bei den Tagesthemen verpetzt. Niemand mag Petzen.

    Ansonsten liebe ich ja Wortspiele mit Merz; viel besser als mit Annegret Kampf-Knarrenbauer. Aber das darf kein Argument sein.

  3. Hier wurde es leider versäumt, aus Nebelkerzen Nebelmerzen zu machen. Hat etwa das Redakteursestablishment dieses Wortspiel verhindert, um den armen Millionär zu schaden? Und wer ruft jetzt Galileo Mystery an? So viele Fragen…

  4. Es ist immer wieder erstaunlich, wie kurzschlüssig vor allem populistische Männer in der Politik reagieren, wenn sie das Gefühl haben, ihre Bälle würden wegschwimmen.

    Ein wunderbares Bild :)

  5. Feiner Text. Dennoch sei schweren Merzens auf einen Fehler hingewiesen: Merzensangelgenheit. Nicht, dass davon jemand Bauchmerzen bekommt.

  6. Wenig Merzrevolution zu spüren. So wird er wohl nie zum CDU-Merzen aufsteigen. Er muss sich die Merzchen verkneifen.

  7. Rein kommerzielle Ausschlachtung der sicher schmerzhaften Wehwehchen eines einfachen Kommerzienrates aus dem Volke. Ganz un gar schröcklich!

  8. Erstens, 87??? Das ist der 87. Text von Samira El Ouassil auf Übermedien? Krass, ich lese die jedes mal mit dem Gefühl, wieder was Neues, Frisches zu bekommen und dann ist das hier schon so eine Institution. Krass gut.
    Zweitens, mir fehlt die Decodierung des „Partei Establishements“ in „Merkel“. Deswegen ja auch der Diktatur-Verweis.
    Hach, so auswendig gelernte, schön aufgesagte, strategisch vollgeladene Politiker-Statements sind herrlich. Da macht sich ein Hochwohlgeborener, der wirklich glaube, man wolle ihn „verhindern“ (Verhindern! Das heißt im Subtext, man muss etwas tun, denn sonst würde er alles erreichen, was er will.) zu seiner eigenen Aufsagepuppe.

  9. Kanzlerkandidat der Merzen.

    Nach dem Merkelzittern Merzrhythmusstörungen.

    Merz ist Trump(f).

    Trotzdem, ein Regierungschef muss mehr leisten als die Steilvorlage für Satireartikel. Hartbleiben.

  10. „Wer etwas Großes will, der muss sich zu beschränken wissen, wer dagegen alles will, der will in der Tat nichts und bringt es zu nichts.“
    Georg Wilhelm Friedrich Hegel

  11. „Privilegierte Menschen werden stets ihre völlige Auslöschung riskieren, bevor sie irgend einen bedeutenden Teil ihrer Vorteile abgeben.“
    John Kenneth Galbraith

  12. Dachte tatsächlich bei“Bälle wegschwimmen“ in Englisch…
    So Mr.Burns im Pool und Smithers muss sich um die abgängigen Dinger kümmern!
    Das machte das Bild rund…
    Und ein weiterer Gedanke war die Überlegung ob Samenbanken,wenn sie denn entsprechendes Material hätten, eine (hohe) Nachfrage nach Merz-Erbgut existieren würde…
    Dieser Gedanke würde „unfackable“ um weitere Dimensionen erweitern.
    Ich lass das mal so stehen…upsi!

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