Presserat: Funkes Clickbaiting-Portal bedroht Ansehen der Presse
Für diesen Artikel habe ich den Presserat missbraucht.
Ich habe mich bei ihm über drei Artikel des Online-Angebots „Der Westen“ beschwert, und die Rechtsabteilung der Funke Digital GmbH hat das gleich durchschaut. Sie teilte dem Presserat mit, dass der Beschwerdeführer (also ich)
offensichtlich versuche, den Presserat für seinen eigenen Feldzug gegen ihm unerwünschte Medien zu instrumentalisieren. So greife er mit seiner Beschwerde nicht etwa einzelne Veröffentlichungen an, sondern richte sich vielmehr gegen das Portal als solches. Er berufe sich etwa darauf, DERWESTEN schade dem Ansehen der Presse. Diese Überzeugung habe er auch auf dem von ihm betriebenen Internetportal „ÜBERMEDIEN“ ausführlich dargelegt und für eigene Veröffentlichungen genutzt. Über die publizistische Ausrichtung eines Portals als solches zu urteilen, sei jedoch nicht Aufgabe des Presserats. Schon deswegen sei die Beschwerde zurückzuweisen.
So gibt der Presserat die Stellungnahme von Funke wieder. Richtig daran ist, dass ich hier schon mal ausführlich über die Masche von „Der Westen“ berichtet habe (und nicht nur ich). Und dass ich das Geschäftsmodell insgesamt für zutiefst unseriös halte.
(Den Vorwurf, den Presserat durch Beschwerden zu „missbrauchen“, hatte bereits vor über zwölf Jahren Axel Springer gegenüber dem BILDblog erhoben. Das Plenum des Presserates hat das förmlich zurückgewiesen.)
„… verstoßen in grober Art und Weise gegen Sorgfaltspflicht“
Beschwert habe ich mich beim Presserat aber beispielhaft über drei konkrete Artikel, oder genauer: ihre Überschriften, mit denen „Der Westen“ seine Leserinnen und Leser bewusst in die Irre führte und zum Beispiel falsch suggerierte, dass sich der Sohn von Michael Schumacher über den Gesundheitszustand seines Vaters geäußert habe.
Der Beschwerdeausschuss gab mir recht:
Die Mitglieder sind übereinstimmend der Auffassung, dass die Überschriften der Artikel geeignet sind, bei den Userinnen und Usern einen falschen Eindruck vom Inhalt der Beiträge hervorzurufen. (…) Keine der drei Überschriften ist (…) durch den Inhalt des jeweiligen Beitrages gedeckt. (…) Die Überschriften verstoßen damit in grober Art und Weise gegen die journalistische Sorgfaltspflicht und stellen eine eklatante Form von Clickbaiting dar, die geeignet ist, das Ansehen der Presse zu beschädigen.
„Der Westen“ hat gegen die Ziffern 1 und 2 des Pressekodex verstoßen. Unter Ziffer 1 werden „die Achtung vor der Wahrheit“ und „die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit“ als „oberste Gebote der Presse“ definiert. Ziffer 2 steht unter dem Oberbegriff „Sorgfalt“ und verbietet es unter anderem, den Sinn von Informationen durch die Überschrift zu verfälschen.
Leser-Einladung durch Cliffhanger
Interessant ist, was die Funke Digital GmbH im Beschwerdeverfahren grundsätzlich zum Thema Clickbaiting sagte – und wie sie die einzelnen Überschriften rechtfertigte. Der Presserat gibt ihr Statement wie folgt wieder:
Grundsätzlich (…) solle eine Überschrift neugierig machen und die Leser einladen, die damit beworbenen Texte zu lesen, ähnlich einem Cliffhanger. Sie könne und müsse nicht alle Details der Veröffentlichung verraten. Der Umstand, dass eine Überschrift so gewählt ist, dass sie die Neugierde der Nutzer des Portals anspreche, führe nicht dazu, dass die wahrhaftige Unterrichtung der Leser in Mitleidenschaft gezogen würde oder die Glaubwürdigkeit der Medien beeinträchtigt wäre. (…)
Michael Schumachers Gesundheit
Eine der Überschriften, die – wie man es bei Funke formulieren würde – „nicht alle Details der Veröffentlichung“ verrät, ist diese:
Das Zitat Mick Schumachers aus der Überschrift lautet vollständig:
„Die Gesundheit aller geht vor. Deswegen wurde unser Benefiz-Fußballspiel auf den 9. Oktober 2020 verlegt. Ich hoffe, ihr seid dabei!“
Er meint die Veranstaltung „Champions for Charity“ zugunsten der Dirk-Nowitzki-Stiftung, die eigentlich am 17. Mai stattfinden sollte. Mit Michael Schumacher oder seinem Gesundheitszustand hat sie nichts zu tun.
Funke stellt gegenüber dem Presserat fest,
dass die Leser von DERWESTEN sich für alle Neuigkeiten [über die Familie Schumacher] interessierten. (…) Es sei nicht die Absicht der Redaktion gewesen, zu suggerieren, dass es Neuigkeiten zu Michael Schumachers Gesundheitszustand gebe. Vielmehr seien auch seine Kinder durch die eigenen Leistungen zwischenzeitlich regelmäßig Gegenstand der Berichterstattungen und ihre Aussagen fänden Beachtung. Verständlicherweise stünden sie aber immer noch in erster Linie wegen ihres Vaters im Rampenlicht. Aus diesem Grund sei in der Überschrift die Verbindung hergestellt worden. Die angegriffene Berichterstattung sei daher wahrheitsgemäß und am Informationsinteresse der Leser orientiert.
Laura Müllers Haare
Der zweite von mir angegriffene Artikel handelt davon, dass Laura Müller, die Partnerin des Schlagersängers und Realitydarstellers Michael Wendler, angekündigt hat, sich eventuell in Zukunft die Haare schneiden zu lassen.
„Der Westen“ machte daraus folgende Überschrift:
Funke erklärte dem Presserat:
Viele Leser interessierten sich auch für kleine Details wie die Tatsache, dass Laura Müller Schluss mit ihrer langen Haarpracht mache. Allein diese Ankündigung stehe im Mittelpunkt der Berichterstattung der im vorliegenden Fall kritisierten Veröffentlichung. Die angegriffene Berichterstattung sei daher wahrheitsgemäß und am Informationsinteresse der Leser orientiert.
Geheime Lager
Drittes Beispiel in meiner Beschwerde war ein Artikel mit dieser dramatischen Überschrift:
Im so angekündigten Artikel geht es um die staatliche Ernährungsnotfallvorsorge. Weder gibt darin irgendjemand irgendetwas zu, noch ist die Existenz dieser Lager mit Getreide, Erbsen, Reis, Linsen und Kondensmilch geheim – nur ihre Standorte sind es zum Schutz vor Plünderungen. Das Überschriften-Zitat „Es wurden geheime Lager angelegt, um…“, wie auch immer es weitergehen würde, hat sich „Der Westen“ ausgedacht.
Funke räumte gegenüber dem Presserat ein, dass der Artikel in Kombination mit der gewählten Überschrift „nicht den üblichen redaktionellen Standards entspreche“. (Mit den „üblichen redaktionellen Standards“ sind hier mutmaßlich nicht die üblichen redaktionellen Standards gemeint, sondern nur die redaktionellen Standards der Clickbait-Angebote von Funke.) Er sei online inzwischen nicht mehr abrufbar.
Worin genau der Verlag in diesem Fall dann doch ein Problem sah, geht aus der Dokumentation des Presserates nicht hervor, aber Funke meint ohnehin, dass die Veröffentlichung „dennoch presseethisch nicht zu beanstanden“ sei:
Der Leser des Beitrages werde wahrheitsgemäß über die vom Staat vorgehaltenen Lebensmittellager unterrichtet. Die Tatsache, dass solche Lager existierten, dürfte für viele Bürger auch neu sein und werde vom Staat in der Regel nicht kommuniziert. Allein aus dem Umstand, dass aber nicht die Existenz der Lager an sich, sondern nur deren Standorte tatsächlich „geheim“ seien, lasse sich hier noch kein Verstoß gegen die Ziffern 1 und 2 des Pressekodex feststellen. Im Gesamtkontext erschließe sich dem Leser die Bedeutung, und eine Irreführung sei nicht zu befürchten.
„Der Westen“ scheint inzwischen alle drei vom Presserat gerügten Artikel gelöscht zu haben.
Vielen Dank fürs Nicht-Locker-Lassen in dieser Sache. Da zahlt man gerne seinen Steadybeitrag :-) Danke auch für die Statements der Funke-Anwälte; ich konnte beim Lesen herzhaft lachen.
Haben Funke-Anwälte Knochen?
Ich meine, sich so zu verbiegen, setzt doch voraus, ein Weichkörper ohne Rückgrat zu sein, oder?
@Schmidt123:
Anwält*innen vertreten die Interessen ihrer Mandant*innen. Die Forderung, sie sollten Rückgrat zeigen und nicht den Blödsinn, den ihre Mandant*innen meinen erklären zu müssen, vortragen, verkennt die Rolle von Rechtsanwält*innen im deutschen Rechtssystem (und ihre ökonomische Abhängigkeit) – und untergräbt die Rechte von Beschuldigten. Nicht umsonst gibt es die Einrichtung der Pflichtverteidigung.
@martinf: Das stimmt, aber in diesem Fall ist es die eigene Rechtsabteilung des Unternehmens, und die müsste eigentlich nicht einmal tätig werden, weil es gar kein juristisches Verfahren ist. Insofern hinken vielleicht manche Vergleiche mit Pflichtverteidigern u.ä.
Es wird Zeit, dass es für die unzähligen Verfehlungen (nicht nur Clickbait, auch die viele Fake-News) von Funke-, Springer-, Burda- und die vielen andern Medien nicht nur Rügen vom Presserst sondern wirklich empfindliche Geldstrafen gibt. Dann hören diese Lügen vielleicht endlich mal auf.
Ist der Presserat denn überhaupt für Boulevardzeitungen zuständig?
Das ist doch „bloß“ epische Literatur und keine Presse.
Was Caro in Kommentar #5 andeutet, wäre der Worst Case, der passieren könnte: Daß sich aufgrund solcher Fälle in Deutschland tatsächlich eine Mehrheit dafür findet, die Freiheit der Presse einzuschränken.
Was bei den Titeln der Regenbogenpresse und der Clickbait-lastigen Web-portale und auch bei vielen Texten des Bild-„Zeitung“ manchem durchaus wünschenswert erscheinen mag, würde sich dies bei tatsächlicher Realisierung aber wohl eher gegen die kleinen Blätter wenden. Schon jetzt klagen Firmen häufig wegen Urheberrechtsverletzungen gegen Lokalzeitungen, wenn sie kritische Berichterstattung verhindern wollen. Und in der Linkliste des Bildblog findet man eine Erklärung von Wort „Lawfare“, mit dem man bezeichnet, daß Neonazis gegen Freie Journalisten auf Unterlassung klagen, wenn diese in ihren Berichten nicht alles lückenlos beweisen können.
Wir brauchen also keine Einschränkung der Pressefreiheit, sondern ganz im Gegenteil noch bessere Garantien der Pressefreiheit. Und wir werden solche Auswüchse wie hier geschildert aushalten müssen.
Es wäre natürlich schön, wenn die Leser (die Nutzer des World Wide Web) sich dieser Machenschaften bewusst wären und nicht auf die Clickbait-Teaser hereinfassen. Aber diese Hoffnung ist wohl ebenso utopisch wie der Wunsch, es möge niemand mehr auf Spam-Mails reagieren.
Und das ist das eigentlich traurige an der ganzen Angelegenheit: Diese verzerrenden und in die Irre führenden Überschriften scheinen sich tatsächlich finanziell zu lohnen.
Ich möchte Herrn Niggemeier virtuell auf die Schulter klopfen.
Wieder einmal gut gemacht! Danke für Ihren Einsatz!
Funke/Der Westen und andere haben mit dem Clickbaiting noch Erfolg.
Die Rechnung geht so: Noch klicken viele diese Artikel, wenden sich aber mit der Zeit ab, weil sie regelmäßig enttäuscht werden. Es ist ja doch nicht so, wie es geteasert wurde.
Aber, es kommen noch andere neue Leser nach und das geht einige Zeit gut: Die Neuen gleichen die Abgänger aus, sozusagen.
Aber irgendwann spricht sich rum, dass das Angebot nichts ist und die Publikation geht unter.
Ich hoffe aber, dass es andere rechtzeitig merken und umschwenken. Die Ippen-Gruppe macht zur Zeit zum Beispiel die Online-Präsenz der Frankfurter Rundschau/Frankfurter Neuen Presse kaputt mit dieser Form des Clickbaiting oder indem Werbung nur noch sehr schwer im Voraus zu erkennen ist
„in diesem Fall ist es die eigene Rechtsabteilung des Unternehmens, und die müsste eigentlich nicht einmal tätig werden“
Von der Aufmachung des Portals aufs Innere geschlossen, ist die Redaktion vermutlich ein Großraumbüro, ausgestattet wie ein Call Center, in dem Praktikanten und Tagelöhner unter der Aufsicht des Bürovorstehers Tag für Tag die Versatzstücke zusammenschieben. Heute machen Kevin und Chantalle die Headlines, und bitte nicht so lahmar…ig wie vorige Woche.
Die Buchhaltung übernimmt die Funke-Zentrale, die kümmert sich auch um kommerzielle Beschwerden (Werbekunden).
Alle anderen Beschwerden gehen automatisch in die Rechtsabteilung. Vielleicht ist das der einfache Grund, weshalb kein Chefredakteur, sondern die Rechtsabteilung antwortet.
Die prüfen nur, ob die Eingabe das Potenzial zu wirtschaftlichen Schäden hat. Wenn nein, regeln die das inner Viertelstunde mit ein paar Textbausteinen. Der Anwalt ist geschockt, entsetzt, empört und überhaupt, dass jemand die Mandantschaft angreift. Business as usual.
Im Übrigen schließe ich mich dem Kommentar von Daniel Rehbein (7.) an.
Funke Mediengruppe: Darum sind das allesamt riesengroße …
Wer Klickbaiting nicht erkennt, sollte es lernen, ansonsten ein Guter Kommentar von Mr. Rehbein! Ich finde zwar gut, den Presserat wieder drauf zu stupsen aber der ist nun mal ein genauso zahnloser Tiger wie alle anderen „Regulatoren“ ob es BaFin, Datenschutz, Umweltschutz oder sonstige Behörden und Ministerien sind.
Insofern wäre ein Abschied vom Neo liberalen Thatcherism und der „Selbstregulierung“ schon ein Denkansatz den man verfolgen kann.
Immerhin wurde ja angeblich gelöscht, dafür sitzen in diesem Moment wieder Tintensklaven und formulieren den nächsten Klickbait.
„dafür sitzen in diesem Moment wieder Tintensklaven und formulieren den nächsten Klickbait.“
Natürlich. Aber das geht nicht ewig so. Irgendwann findet sich keiner mehr, der ein tolle Geschichte vermutet unter einer Headline wie
KAY-TORBEN FAND EINEN GOLDHAMSTER – WAS ER DANN ERLEBTE WIRD SIE SCHOCKIEREN.
„Es sei nicht die Absicht der Redaktion gewesen, zu suggerieren, dass es Neuigkeiten zu Michael Schumachers Gesundheitszustand gebe.“
Ahaha. Der war gut.
Lügen sollten Konsequenzen haben!
Warum sollte nicht ein spezielles Mediengericht mit politisch unabhängiger Staatsanwaltschaft darüber im öffentlichen Interesse urteilen können, was eine vorsätzliche Lüge ist? Mit Geldstrafen als Konsequenz. Vielleicht als Geschworenengericht mit Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen.
Dass die Justiz missbraucht wird, um gegen unliebsame Berichterstattung vorzugehen, ist ja ohnehin schon der Fall. Diesem Missbrauch würde also dadurch nicht erst die Tür geöffnet.
Ich finde, eine liberale Demokratie tut sich keinen Gefallen, sich zu sagen „Wir sind eine liberale Demokratie, deswegen müssen wir damit leben uns nach Strich und Faden belügen zu lassen.“ Wie man am Beispiel USA sieht, kann so ein Verständnis von Liberalität in den autoritären Staat führen.
@15: Naja, das ist ja das Problem: Die lügen ja nicht. Die suggerieren mit der Überschrift nur einen anderen Inhalt, als der Text nachher tatsächlich hergibt.
„was eine vorsätzliche Lüge ist“ wissen die ganz genau und diese Überschriften sind das Resultat daraus.