Proteste gegen Lukaschenko

Sind ARD und ZDF in Belarus präsent genug?

Paul Ronzheimer ist on fire. Als der stellvertretende „Bild“-Chefredakteur Mitte voriger Woche für „Bild live“ drei Demonstrant*innen in Minsk interviewt, spricht er nicht nur mit seiner Stimme, sondern auch mit den Händen, ja, sein ganzer Oberkörper ist Bewegung. Eine Minute und 39 Sekunden dauert das Video, in deren Verlauf Ronzheimers Präsenz die Demonstrant*innen in den Hintergrund rücken lässt. Bald schon sieht man zwei von ihnen nicht mehr, weil der Performer im Weg steht. Am Ende dann: niemand mehr zu sehen. Stattdessen Bilder von Verletzten, von Hämatomen, wie so oft in den vergangenen Tagen. Sie sind stärker als das, was im Hintergrund geredet wird.

Schockierende Bilder, emotionale Ansprache – Ronzheimer liefert, was sowohl im Boulevardjournalismus als auch bei Twitter gefragt ist. Und die Ereignisse in Belarus geben viel Material her für emotionale Berichterstattung, weil die Sicherheitskräfte die Protestierenden so brutal behandeln. Ronzheimer schreckt nicht davor zurück, Bilder dieser Brutalität auszustellen.

Mit seiner leidenschaftlichen Art der Berichterstattung aus Minsk hat Ronzheimer nicht nur dafür gesorgt, dass ihn andere Medien als Belarus-Experten präsentieren, er hat sich auch in linksliberalen Kreisen einen Ruf erworben, den „Bild“-Führungskräfte dort normalerweise nicht genießen. Der WDR-Journalist und frühere taz-Redakteur Martin Kaul etwa twittert:

Die Publizistin und Grünen-Politikerin Marina Weisband setzt noch einen drauf, wenn sie schreibt: „Oft, wenn es in der Welt brennt, bin ich auf die Berichte von @ronzheimer angewiesen.“

Und auch ihr Parteikollege Cem Özedemir, der gute Gründe hätte, nicht auf „Bild“-Inhalte zu verweisen, lässt sich von einem Beitrag Ronzheimers dazu animieren, es dann doch zu tun. *)

Aber wieso sollten Mediennutzer in Deutschland auf Springers rasenden Ronzheimer „angewiesen“ sein, wie Weisband es nahe legt? Ihren Tweet setzte sie am 17. August ab. Zuvor war Belarus beispielsweise im „heute journal“ (ZDF) vom 13. bis 15. August das zweite große Thema in der Sendung, am 16. sogar der Aufmacher. Wie am 17. und 19. und 23. August. Dass ein Auslandsthema jenseits von Trump und Brexit so regelmäßig und prominent in einer wichtigen deutschen Nachrichtensendung platziert wird, ist äußerst ungewöhnlich.

Marina Weisband hat ihre Kritik an Medien jenseits von „Bild“ später größtenteils zurückgenommen. Ihre Formulierung sei „unvollständig“ gewesen, schrieb sie. Sie habe vor allem betonen wollen, wie wichtig es sei, dass Journalisten vor Ort seien.

Reisebeschränkungen machen’s kompliziert

Und darüber zu diskutieren, ist grundsätzlich eine sehr gute, nachvollziehbare Idee. Denn die meisten für Belarus zuständigen Korrespondent*innen sind derzeit nicht vor Ort, sondern berichten von Moskau aus. Allerdings aus ebenso nachvollziehbaren Gründen: Wegen der Corona-Reisebeschränkungen kommen Ausländer, die beispielsweise nach Belarus wollen, zwar raus aus Russland – zumindest über den Landweg –, aber wann sie wieder rein dürfen, ist unklar. Weil nicht abzusehen ist, wann Russland die Reisebeschränkungen aufhebt.

Im Detail sind die Gründe noch komplexer. Bei Ina Ruck zum Beispiel, einer der bekanntesten Korrespondentinnen der ARD. Seit 1995 berichtet sie aus den USA und Russland, derzeit leitet sie das ARD-Studio in Moskau. Tibet Sinha, stellvertretender Leiter der Programmgruppe Zeitgeschehen, Europa und Ausland im WDR, sagt:

„Die Studioleiterin ist nicht nur die erste Korrespondentin, sondern agiert gleichzeitig wie die Geschäftsführerin eines mittelständischen Unternehmens, für das 30 bis 40 Leute arbeiten.“

Das spiele in Moskau eine ganz andere Rolle als bei den ARD-Studios in Paris und London. „Ina Ruck ist Ansprechpartnerin für das Außenministerium. Genehmigungsanträge für alle möglichen organisatorischen Fragen müssen zum Beispiel von ihr unterschrieben werden.“ Das müsse man bei der Beurteilung der Situation berücksichtigen.

Eine Woche nach der Präsidentschaftswahl entschied sich der WDR, Jo Angerer aus dem Studio Moskau nach Belarus zu schicken. Sinha sagt: „Als sich die Lage zugespitzt hat, haben wir uns nach einer ausführlichen Abwägung dafür entschieden, dass wir es riskieren – obwohl er möglicherweise für mehrere Monate nicht nach Russland zurückkehren kann.“

Angesichts dessen, dass Präsident Alexander Lukaschenko seit vergangenem Sonntag noch stärker unter Druck steht als vorher, war das keine falsche Entscheidung.

ZDF ohne eigenen Korrespondenten in Belarus

Für das ZDF ist weiterhin kein Korrespondent vor Ort. Phoebe Gaa, Studioleiterin in Moskau, sagt: „Wir haben in Minsk ein Team mit langjährigen Mitarbeitern unseres Studios – Kollegen mit russischen Pässen, die also nicht den Reisebeschränkungen unterliegen. Die beliefern uns mit Material und Einschätzungen von vor Ort.“

Schalte in der Sendung ZDF heute zur Korrespondentin Phoebe Gaa nach Moskau
Wegen der Proteste in Belarus schaltet das ZDF am 17.08. zur Korrespondentin Phoebe Gaa – nach Moskau Screenshot: ZDF

Gaa und und ihr Korrespondentenkollege Christian Semm haben beide eine Akkreditierung für Belarus. Dass sie diese nicht nutzen, hat zumindest im Kern ähnliche Gründe wie bei der ARD. Normalerweise arbeiten im Moskauer ZDF-Studio drei Korrespondenten, derzeit sind es aber nur zwei. Der dritte Mann sitze „seit Mai auf gepackten Koffern in Mainz“, sagt Studioleiterin Gaa. Der Grund: natürlich die Corona-Reisebeschränkungen. Wenn das Studio aber auf unbestimmte Zeit mit nur einer Korrespondent*in besetzt wäre, weil der oder die andere sich in Belarus aufhielte, könne man auf „unvorhergesehene Ereignisse in diesem großen Berichterstattungsgebiet nicht reagieren“, sagt Gaa. Zwölf Länder deckt das Studio Moskau ab.

Am Donnerstag ergab sich dann so eine unvorhergesehne Breaking-News-Situation, als der russische Oppositionelle Alexej Nawalny nach einem mutmaßlichen Giftanschlag in Lebensgefahr geriet.

Die „Zeit“-Korrespondentin Alice Bota, die von Moskau aus über Belarus berichtet, sagt, andere Kolleg*innen könnten aus familiären Gründen keine Dienstreise antreten, von der nicht absehbar ist, wann sie zu Ende sein wird. Oder wollten es nicht riskieren, dass sie zu einem Zeitpunkt außer Landes sind, zu dem sie eigentlich in Moskau sein müssten, um ihr Jahresvisum zu verlängern.

Der WDR hat auch an anderer Stelle schon zu spüren bekommen, welche Folgen die Reisebeschränkungen für den Auslandsjournalismus haben können. „Unsere US-Hörfunk-Korrespondentin Antje Passenheim ist im März nach Deutschland ausgereist und saß dann hier für fast vier Monate fest“, sagt Tibet Sinha. Diese Begleitumstände werden die Berichterstattung aus anderen Ländern noch sehr lange beeinflussen – nicht nur bei der Präsidentenwahl in den USA.

Alles viel weniger problematisch?

Frederik Pleitgen, der für CNN in Belarus ist, kritisiert die Argumentation vieler Kollegen. Er schreibt bei Twitter:

„Zeit“-Redakteurin Bota sagt dazu: „Wir haben am Freitag mit dem Außenministerium gesprochen. Sollte ich ausreisen, wird man mich nicht wieder einreisen lassen, so die Auskunft.“ Jede Journalist*in habe eine Art „Aufpasser“ im Außenministerium, offenbar sei dort für Pleitgen jemand anders zuständig als für sie.

„Wenn ARD und ZDF wegen Coronaregeln niemanden aus Moskau schicken können, dann können sie Leute aus anderen Büros versuchen einzufliegen“, twittert Pleitgen.

Das ZDF versuche dies „seit Wochen“, und zwar „auf allen erdenklichen Wegen“, kontert Phoebe Gaa. Für Reisen von Deutschland nach Belarus gibt es keine Corona-bedingten Beschränkungen. Der einreisende Berichterstatter bräuchte aber eine Akkreditierung. Die für Belarus sei lange relativ einfach zu bekommen gewesen, sagt Tibet Sinha vom WDR. Seit der Wahl sei das aber praktisch unmöglich. „Da geht keiner mehr ans Telefon.“

Einreiseverbot für fünf Jahre

Ohne eine Akkreditierung einzureisen, sei zudem „lebensgefährlich“, sagt „Zeit“-Redakteurin Bota. „Abgesehen davon, riskiert man ein mehrjähriges Einreiseverbot.“ Wer Belarus regelmäßig als Berichterstattungsgebiet abdecken müsse, könne sich das nicht erlauben.

Der freie Kameramann Gerald Gerber, der aus privaten Gründen in Belarus weilte, sich angesichts der Lage vor Ort dann aber entschied, dort zu filmen, erhielt ein Einreiseverbot für fünf Jahre.

Vor wenigen Tagen wurden 17 ausländische Journalisten am Flughafen Minsk abgewiesen, wie die European Federation of Journalists berichtet. Auch Gordon Repinski, stellvertretender Chefredakteur von „The Pioneer“, war betroffen.

Wichtige Infos über Belarus – aus Warschau

Einer der wichtigsten Informationsverbreiter zu den Protesten in Belarus hält sich ironischerweise auch nicht im Land auf, sondern in Warschau: Stepan Putilo, einer der Betreiber des Telegram-Kanals Nexta. In Belarus drohten ihm bis zu 15 Jahre Haft, sagt der Netzaktivist gegenüber der ARD.

Nexta ist nur einer der „einschlägigen Telegram-Kanäle, auf denen man zahlreiche Videos zu den Protesten findet“, wie ZDF-Korrespondentin Gaa sagt. „Die müssen wir verifizieren, bevor wir damit arbeiten. Dabei können die Kollegen vor Ort helfen, indem sie Kontakt aufnehmen zu jemanden, der in einem Video zu sehen ist, oder der Person, die das Video gepostet hat. Wir müssen dem Reflex widerstehen, schnell etwas raushauen zu wollen.“

So können Informationsketten heute aussehen: In Polen sammelt ein Team von Gegnern des Lukaschenko-Regimes per Telegram eingehende Nachrichten aus Belarus – 200 pro Minute, wie Putilo selbst sagt. Diese versucht das Team dann zu verifizieren. Was Nexta davon verbreitet, wird von Mitarbeitern eines öffentlich-rechtlichen deutschen Senders in Russland und Belarus erneut überprüft – eine kleine Auswahl gelangt dann von dort ins deutsche Fernsehen und hiesige Timelines.

Sind ARD und ZDF im Netz zu wenig sichtbar?

Neben der Frage, wie wichtig ein Korrespondent vor Ort ist, wirft die Debatte um die Belarus-Berichterstattung, die Marina Weisband angestoßen hat, noch eine weitere Frage auf, die auch darüber hinaus relevant ist: Sind die Öffentlich-Rechtlichen mit ihrer Auslandsberichterstattung im Netz zu schwach vertreten?

„Die Zeiten, in denen wir das Netz nur als Promo-Plattform betrachtet haben, sind schon lange vorbei“, sagt Tibet Sinha vom WDR. Er verweist unter anderem auf die Redaktion von „Weltspiegel Digital“, die nicht nur dafür zuständig ist, dass die wöchentliche Muttersendung präsent ist, sondern auch andere Auslandsthemen der ARD digital publiziert.

Zu den Inhalten, die die Redaktion fürs Netz produziert, gehören der Podcast „Weltspiegel Thema“ und das Facebook-Format „Drei Fragen, drei Antworten“, das jeweils mit einem TV- oder Hörfunk-Korrespondenten der ARD produziert wird. Außerdem koppelt das Team, wie es andere TV-Redaktionen auch tun, aus Beiträgen fürs lineare Fernsehen netzgerecht portionierte Teile aus – etwa eine Passage über einen Arbeiter eines Minsker Traktorenwerks aus einer „Weltspiegel Extra“-Sendung.

In der Morgenkonferenz der WDR-Auslandsredaktion werde immer zuerst darüber diskutiert, was über den Tag für die digitalen Kanäle geplant sei, sagt Tibet Sinha.

Kampf um Aufmerksamkeit

Offenbar gibt es aber Teilöffentlichkeiten, die diese Arbeit von ARD und ZDF nicht oder kaum wahrnehmen. Als Demian von Osten aus dem ARD-Studio Moskau auf die Kritik Weisbands reagierte, konterte ein Nutzer: Wer sich in Echzeit über das Geschehen in Belarus informiere, warte nicht auf die Berichte im „Weltspiegel“ oder in der „Tagesschau“, sondern nutze „den ganzen“ Tag Telegram, Youtube-Livekanäle und Twitter. Diese Zielgruppe werde von „RT/Ruptly, BILD und anderen fragwürdigen Medien“ wesentlich besser bedient als von den Öffentlich-Rechtlichen.

Ruptly ist eine in Berlin ansässige Videoagentur, die zum Netzwerk von RT (vormals Russia Today) gehört und pro Stunde mehr als ein halbes Dutzend News-Clips plus ein, zwei Live-Streams zum weltweiten Nachrichtengeschehen ins Netz stellt. Dass zahlreiche Echtzeit-News-Rezipienten vor allem bei fragwürdigen Anbietern ihre Informationen finden, ist gewiss ein Problem. Aber Öffentlich-Rechtliche können sich auch nicht auf einen Wettlauf mit Medien einlassen, die einen ganz anderen Unternehmenszweck haben. ARD und ZDF sind weder Nachrichtenkanäle noch Nachrichtenagenturen.

Auf welche Strategie sollten die Öffentlich-Rechtlichen setzen? Tibet Sinha vom WDR antwortet mit einer Gegenfrage: „Muss man auf jeder Plattform in gleich starkem Maße aktiv sein?“ Bei Twitter seien jene unterwegs, „die ohnehin gut informiert sind“. Aber „bei Instagram erreichen wir eine Zielgruppe, die wir erreichen müssen, weil sie sonst vielleicht gar keinen Zugang zu wichtigen Nachrichten bekäme“.

Bei Instagram liegt die „Tagesschau“ mit 2,1 Millionen Abonnent*innen weit vor anderen deutschen Medien. Und auch der Account von „ZDF heute“ (665.000) erreicht beispielsweise noch mehr als der von „Bild“ (542.000). Was die Instagram-Reichweite angeht, stehen die Öffentlich-Rechtlichen also tatsächlich besser da, als es ihr Image vermuten lässt.


Nachtrag, 18.09. In einer früheren Version des Textes hieß es, dass Cem Özdemir „Reklame“ für „Bild“-Inhalte gemacht hätte. Wir haben das geändert: Er „verwies“ nun auf „Bild“-Inhalte.

47 Kommentare

  1. Nimm doch mal bitte jemand den Herrn Kaul freundlich beiseite und erklär ihm in einfachen Worten, wie Bild so tickt und funktioniert und warum genau sie jemanden wie seinen „lieben Kollegen Paule“ so beschäftigen und agieren lassen wie sie es tun und so knallige Action Features bringen anstatt journalistisch wertvolle Ausgewogenheit und Tiefe, und warum dieses Blatt und sein Inhalt zutiefst schäbig und verachtenswert ist. Überraschenderweise scheint der Mann das nicht wirklich auf dem Schirm zu haben, sonst würde er entsprechende Kritik wohl kaum so grotesk blind als „Geätze“ diffamieren. Das mit den sich nicht gegenseitig die Augen aushackenden Krähen ist im bundesdeutschen Journalismus offenbar nach wie vor ein leider ernsthaftes Problem.

  2. „erklär ihm in einfachen Worten, wie Bild so tickt und funktioniert“

    Mit einfachen Worten? Nichts leichter als das.
    Die BILD funktioniert und tickt so wie der SPIEGEL, die ZEIT, der STERN und die Prantl-Prawda.

    Gern geschehen. Freut mich, dass ich helfen konnte.

  3. Scheint, als kennt Fixundfoxi nur die BILD.
    Oder er blendet beflissentlich aus, wie das Geschäftsmodell der BILD aussieht und wie Lüge und Meinungsmache die Arbeit der BILD beherrschen. Aber heute ist es ja groß in Mode, alle Medien über einen Kamm zu scheren.

  4. ich glaube eher, dass wir hier eine Diskrepanz in der Selbstinszenierung haben.
    Es gibt „cocky“ JournalistInnen, die ohne viel nachzudenken, einfach reingehen und dann hoffen können, von Gerhard Schröder gerettet werden zu können.
    Dann gibt es die analytisch korrekt arbeitenden JournalistInnen, die ohne Tricks rein und wieder raus wollen: Und mehr kann man von Menschen nicht erwarten.

    Man kann dann gerne die „HeldInnen“ herausstellen, darf aber nicht über die anderen schlecht denken oder reden

  5. @FixundFoxi: Sie haben die Lektionen der Propaganda aber gut verinnerlicht. Man bestreitet nicht die Vorwürfe, sondern behauptet einfach, das würden doch alle so machen.
    Nein, tun sie nicht. So wie BILD arbeitet in Deutschland nur BILD.

  6. Das ist genau das Problem, was Rezo in seiner „Zerstörung der Presse“ angemahnt hat. Seriöse Medien müssen sich von BILD-Methoden glaubhaft distanzieren und nicht noch ihre Lautsprecher verteidigen, sonst denken Leute wie FixundFoxi, dass sowieso alle gleich sind.

  7. Vielen Dank für den Artikel und ein paar Einblicke hinter die Kulissen.
    2 Anmerkungen habe ich noch dazu: 1. haben die ÖR meiner Ansicht nach nicht nur deshalb ein Problem, weil Sie aufgrund sorgfältigerer Recherche langsamer sind, sondern weil Sie nach wie vor die falschen Formate entwickeln beziehungsweise immer noch auf dem Stand sind, dass Sie eine TV-Produktion machen und dann diese oder Teile davon irgendwo auf social media zweitverwerten wollen (und zwar auch noch sehr lieblos, ist wohl eher der Job für Cutter-Praktikanten). Das man auch aus seinen Kernproduktionen brauchbare Formate entwickeln kann zeigt z.B. CNN oder NowThis News auf Youtube (es soll hier um die Form gehen, nicht um den Inhalt).
    2. „Aber Öffentlich-Rechtliche können sich auch nicht auf einen Wettlauf mit Medien einlassen, die einen ganz anderen Unternehmenszweck haben.“ – da hier ja offensichtlich private News-Netzwerke (wenn man es so nennen will) als „Medien“ den Öffentlich-rechtlichen entgegengestellt werden, stellt sich mir schon die Frage, welche wichtigen anderen Unternehmenszwecke den ÖR denn in die Quere kommen, wenn Sie Nachrichten (wie die Privaten) produzieren sollen. §11, Abs. 1 Satz 2 sagt zumindest „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen um-fassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben.“

  8. @Gastbeitrag: „… dass [die öffentlich-rechtlichen] eine TV-Produktion machen und dann diese oder Teile davon irgendwo auf social media zweitverwerten wollen“ – entspricht das nicht genau dem Staatsvertrag, und alle privaten Medien haben sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, dass die ÖR „online first“ auch nur denken dürfen?

  9. Schön, dass Ihr Euch so zum Thema BILD bekämpft.
    Ich hätte da ein Frage an den Autor:
    Kann man rauskriegen, wie Roitzheim es angestellt hat, dass er scheinbar ungestört berichten kann?
    Im Text heißt es: „Der einreisende Berichterstatter bräuchte aber eine Akkreditierung. Die für Belarus sei lange relativ einfach zu bekommen gewesen, […]. Seit der Wahl sei das aber praktisch unmöglich. “
    Hatte er Glück und er hat noch eine bekommen und ist früh genug eingereist? Weiter unten im Text heißt es Journalisten wurden inzwischen abgewiesen. Oder geht er volles Risiko, wie andere im Text beschriebene Journalisten?
    Gibt es dazu irgendwelche Erkenntnisse?
    Danke
    Gruß
    Martin

  10. „Belarus“
    Das Wort nervt. Man schaltet auch nicht nach Hrvatska, nicht nach Eesti oder Suomi, und berichtet nicht aus Eire, Cesko oder Magyarorszag.

    Mir scheint das eher dem Zwecks zu dienen, dass man besondere Verbundenheit, tiefgehende Beziehungen sowie weitreichende Kenntnis über die Bevölkerung und deren Haltung suggerieren will.
    Wie man uns jahrzehntelang völkerrechtswidrige Kriege im Nahen Osten immer mit „Verteidigung des Friedens am Hindukusch“ süsslich untergeschoben hat, obwohl man eigentlich nur Afghanistan zerbombt hat und das ebenfalls „am Hindukusch“ liegende Pakistan aus geschäftlichen Gründen aussen vor liess, obwohl Bin Laden vermutlich von Anfang an dort Unterschlupf fand. Aber wenn der Ankermann immer so tut als wäre er dort aufgewachsen oder habe sein halbes Leben dort verbracht wirkt das so seriös.

    Eine Spielart des zum Modewort gewordenen „Framing“.

  11. @10, B. K.: Ein typisches Beispiel für Faktenfeindlichekit. Die Journalisten bezeichnen Belarus schlicht deshalb so weil es Belarus heißt. Mit nur ein wenig googlen hätten sie 2 pdfs des deutschen auswärtigen Amtes und des österreichischen Außenministeriums finden können, in denen die Staatennamen sowie die Bezeichnung der Bürgerinnen und Bürger der Staaten aufgelistet sind. Beiden Listen hätten sie ohne Probleme die Bezeichnung „Republik Belarus“ oder kurz „Belarus“ entnehmen können (auch wenn im deutschen Verzeichnis eine Fußnote auch noch die „alte“ Bezeichnung erlaubt). Aber bitte, lassen sie sich von anderen nicht in ihrer eingemauerten Haltung stören.

  12. @11 Calafati
    Dann habe Sie auch eine Erklärung, warum das auswärtige Amt dann die anderen von mir genannten Länder nicht beim richtigen Namen nennt?
    Die heissen nunmal mit korrektem Staatennamen Hrvatska, Eesti, Suomi, Eire, Cesko und Magyarorszag. Auf der Seite des AA aber Kroatien, Estland, Finnlad, Tschechien und Ungarn.

    Selber faktenfeindlich?

  13. Vielleicht sollte man sich fragen, wie man die Konsumenten wieder davon überzeugt, sich statt stündlich überholten Videoschnipseln, seltenere, aber dafür längere und fundierte Stücke zu geben.

    Die Tagesschau geht da leider seit einiger Zeit den entgegengesetzten Weg und füllt ihre Seiten mit immer mehr FAQ anstatt Hintergrundberichten und teilweise einem Dutzend halbgaren Texten am Tag zu einem Thema – gerne auch mal öfter jetzt mit Fragezeichen nach der guten alten Bild-Methode („Ist Martin (38) wirklich kein Kätzchenmörder?“).

    Wer sich ohne Not auf dieses Spielfeld begibt, muss sich halt dann nicht wundern, wenn er von den Erfahreneren ausgespielt wird.

  14. „Belarus“
    Das Wort nervt.

    Mich auch.
    Vor zwei Wochen erläuterte jedoch auf radioeins ein Historiker (?), die Bezeichnung käme vom alten Begriff der Kiewer Rus her, der nun mal andere Gebiete umfasste, als das heutige Russland, von dem „Weißrussland“ ja nur ein Sowjetunions-Rest sei (so habe ich es jedenfalls verstanden).

    Er verwies darauf, dass noch im 2.Weltkrieg, das Gebiet als Weißruthenien bezeichnet worden wäre.
    Spätestens da kam ich zu dem Schluss, dass es Gründe geben könnte, nicht mehr von Weißrussland zu sprechen.

  15. @#8: Es ging mir nicht um ein „online first“, die ÖR dürfen gerne weiterhin Linearfernsehen als ihren Kern betrachten. Aber bitte nicht einfach ihre TV-Produkte in handliche Stücke zerhacken und irgendwo noch Mal raufladen, wenn man Web 2.0 machen will, sondern eigene Formate im Netz entwickeln, mit der dort üblichen Bildsprache, Geschwindigkeit, Länge, Texten, Bildern, …
    Mittelalte Menschen, die vor blauem Hintergrund Texte vom Teleprompter ablesen, braucht auf Youtube niemand. (Btw., selbst die altehrfürchtige Deutsche Welle macht es besser, auch wenn da auch sehr viel Luft nach oben ist)

  16. @#16: Ohne Medienpolitiker zu sein, aber ich glaube ernsthaft, dass die ÖR höchstens im Ausnahmefall „eigene Formate im Netz entwickeln“ darf, als Experiment oder probeweise. Vielleicht ändert sich das mit dem neuen Medienstaatsvertrag, aber wie gesagt, ich bin kein Profi – jemand anders hier?

  17. Weißrussland wird jetzt aus Solidarität mit der Bevölkerung Belarus genannt, und diese „Belarusinnen und Belarusen“. Das „s“ ist stimmhaft. Bitte nicht Belarus*innen, also Belarus’innen. Deutsche werden fast unvermeidlich das „s“ im Auslaut stimmlos aussprechen, und dann klingt es wie Belaruss’innen, also wie ein Sonderfall der Standardruss’innen.

    Spanien, Kroatien und die ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken werden weiterhin so genannt, wie sie in D. immer genannt werden, weil die keine Diktaturen sind und daher keine Solidarität verdienen.

    Ich hoffe doch sehr, dass die Belarusinen und -rusen uns demnächts auch Deutsche nennen werden, und nicht die ableistische Ableitung von „stumm“.

  18. @Kapenpohl: Wie lange haben Sie sich dagegen gewehrt, nicht mehr von der Tschechei zu sprechen? Und wenn Sie erst herausfinden, dass man auch nicht mehr von Elfenbeinküste, Zaire, Swasiland und Tanganjika spricht…

  19. Was für ein Problem haben hier eigentlich einige?
    Auch ich habe mich im Rahmen der jüngsten Berichterstattung über die häufige Bezeichnung „Belarus“ gewundert.
    Als moderner Mensch habe ich danach gegoogelt und Erklärungen dafür gelesen, ein paar wurden hier schon zitiert. Die haben mir eingeleuchtet und mir bricht kein Zacken aus der Krone, wenn ich fürderhin nur noch Belarus sage, egal ob ich das richtig ausspreche oder nicht.
    Und wenn die Kroaten mir eine gute Begründung liefern, das Land nur noch beim Eigennamen Hrvatska zu nennen, werde ich auch das tun.

  20. @Frank Reichelt:
    Die gute Begründung wäre, dass gleiches Recht für alle gelten sollte.

    Es wird mit zweierlei Maß gemessen.

  21. @Mycroft
    Offenbar machen andere Länder das gleiche Recht aber gar nicht geltend. Den Kroaten ist es anscheinend egal, dass wir Kroatien sagen, also bleibe ich dabei.
    Sie konstruieren hier den allseits bekannten Strohmann.
    (Das wollte ich schon immer mal schreiben, danke für die passende Gelegenheit.)

  22. „Offenbar machen andere Länder das gleiche Recht aber gar nicht geltend.“
    Im Unterschied zu den Belarusen? Wann und bei wem wurde das geltend gemacht?
    Und vor allem, war das Lukaschenka oder die Opposition?

    Ziemlich offensichtlich hat man hiesigerseits einfach beschlossen, „Weißrussland“ mit „Belarus“ zu ersetzen. Was dann reine Willkür ist.

  23. „Was für ein Problem haben hier eigentlich einige?“

    Ich denke, das Problem ist weniger „Belarus“. Sondern mehr, dass einem die Amokläufe der Sprachreinigungskommandos immer mehr auf den Zünder gehen.

    Weißrussland ist ein seit Jahrzehnten etablierter Begriff. Man kann ihn verwenden, weil er ganz gut zur Eigenbezeichnung passt. Und man kann ihn ohne Gewissenbisse verwenden, weil er keine, besonders keine negative Wertung im Hinblick auf das Land beinhaltet oder evoziert.
    Bis jetzt habe ich noch nie gehört, dass die Wei … äh … Belorus*_Innen (m/w/d) ein Problem damit hätten.
    Warum also nicht dabei bleiben?

    Die Begründungen für die Sprachreinigung sind doch ziemlich weit hergeholt und nicht gerade konsistent.
    Mit der gleichen Begründung müssten die Nachrichtensprecher nicht mehr Russland sagen, sondern Rossijskaja Federazija, zumindest Russländische Föderation.
    Tun Sie es?

  24. @19: Elfenbeinküste ist weiterhin mehrheitlich im Gebrauch, genau so wie Ivory Coast im Englischen. Der frühere Präsident fand es in den 1980ern einfach nur verwirrend, auf internationaler Ebene so viele unterschiedliche Bezeichnungen anzutreffen. Vom Bedeutungsgrad sind die aber i. d. R. gleichwertig – zumal „Côte d’Ivoire“ für Deutsche auch noch recht ungewohnt zu schreiben und zu sprechen wäre.
    Swasiland hat sich in Eswatini umbenannt, auch das heißt aber „Land der Swasi (Volksgruppe)“. Ein zentrales Argument waren Verwechslungen im Englischen zu Switzerland – auch das dürfte deutsche Sprecher nicht tangieren. Bei Zaire oder Tanganjika hat sich dagegen inhaltlich bzw territorial etwas geändert.

    Noch mal zum eigentlichen Thema: Wenn eine erfahrene und gute Journalistin wie Ina Ruck einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeitszeit wie eine „Geschäftsführerin eines mittelständischen Unternehmens“ verbringen muss, läuft offenbar strukturell etwas schief.

  25. @fixundfoxi: Worüber regen Sie sich denn auf? In welchem Zusammenhang wurde Ihnen denn der Gebrauch des Wortes „Weißrussland“ verboten? Benutzen Sie es doch bitte weiterhin, dann kann man leicht und schnell einordnen, wes Geistes Kind Sie sind! Oder regen Sie sich darüber auf, dass jetzt in Nachrichten mehrheitlich „Belarus“ verwendet wird? Wollen Sie das verbieten oder unterbinden? Wäre das dann aber nicht genau Sprachreinigung bzw. Cancel Culture?
    @schnellinger: ich schätze die community hier, weil hier niemand „kleingebrüllt“ wird, auch wenn die Meinungen mancher schwer zu ertragen sind. Ich hoffe da sind bei Ihnen einfach mal die Pferde durchgegangen.

  26. „Ich denke, das Problem ist weniger „Belarus“. Sondern mehr, dass einem die Amokläufe der Sprachreinigungskommandos immer mehr auf den Zünder gehen. “
    Sind diejenigen, die bei sowas auf die Barrikaden gehen, eigentlich dieselben, die im Supermarkt ausrasten, weil sie nach ner Payback-Karte gefragt werden?

  27. Entschuldigt, wenn ich Ihr Geplänkel kurz unterbreche… offensichtlich kennen sich manch Kommentierende hier schon länger und pflegen gut und gern ihre Abneigungen, aber… wes Geistes Kind ist man denn, wenn man das Wort Weißrussand (weiter) verwendet?
    Ich gebe zu, dass der Wechsel von Weißrussland zu Belarus auch an mir erst ziemlich vorbeiging. Ich hab gerade nochmal geschaut aber selbst die Wikipedia hat den Artikel über Belarus (noch) mit Weißrussland überschrieben. Ich kann mich täuschen, aber ich meine zu Beginn des ganzen Themas Wahl in Belarus sprach „alle Welt“ (i.S. von alle Medien) noch von Weißrussland. Als ich dann das erste Mal von Belarus las, hielt ich das noch für ’ne Modeerscheinung. Wie damals, als die FAZ stets und ständig von Usama Bin Ladin (oder so ähnlich) schrieb. Aber gut… ich selbst scheine öfters mal hinterherzuhinken, was diese Namensdinger angeht. Ich weiß noch wie erstaunt ich 2008 war, als die Terroranschläge in Mumbai waren und ich nicht fassen konnte, dass ich mehr als zehn Jahre nicht mitbekommen habe, dass es Bombay nicht mehr gab.
    Aber bitte, Gastbeitrag, schreiben Sie nicht in einem Satz „wer verbietet es Ihnen denn…“, um schon im nächsten Satz den Leuten eine falsche Gesinnung zu unterstellen. Das ist zwar netter, aber genauso blöde wie Schnellingers Ausfälle. Danke!

  28. Wer „Mumbai“ sagt, übernimmt das Wording der religiösen Rechten.
    Aber wenn, dann bitte auch „Mollywood“ sagen.

    Wobei ich mich frage, ist das nicht „typisch deutsch“?
    Wenn jemand aus D. z.B. sagt, dass man eine Stadt nicht mehr mit dem Namen aus der Gründungszeit bezeichnen solle, sondern mit dem, den auch die Einwohner benutzen, insbesondere, wenn der alte Name buchstäblich „Kolonie“ bedeutet, würde dann das halbwegs interessierte Ausland nicht sagen: „Alles klar, kleinkarierte Besserwisserei gepaart mit der Forderung, dass sich alle an die Regeln zu halten haben – das ist ja typisch deutsch!“?
    Statt: „Okok, Euretwegen sagen wir jetzt auch ‚Köln‘. (Ist das ein Wort oder ein Geräusch?)“?
    Ich mein ja bloß…

  29. @Mycroft

    Dass das nur wegen religiösen Rechten passiert halte ich für verkürzt. Die Umbenennung von Städten ist auch ein Akt postkolonialistischer Emanzipation.

    Köln ist ein witziges Beispiel, weil der Name immer noch der gleiche ist, nur über die Zeit durch Dialekt verändert. Die Stadt wurde nicht zwischendurch umbenannt.

  30. Weißrussland wurde auch nicht zu Belarus „umbenannt“.

    Die Änderung von Bombay zu Mumbai ist in Indien nicht so unumstritten wie in D. die Änderung von Colonia Claudia Ara Agrippinensium nach Köln (amtliche Schreibweise seit 1919). Dem Rest der Welt ist es ziemlich egal. Aber ja, der Name in der eigenen Sprache ist eine Emanzipation von der Kolonialzeit. Das eine Land heißt übrigens in den meisten Landessprachen nicht Indien, sondern Bharat oder eine Ableitung davon. Indien ist ein europäisches Wort, was man ausgerechnet von den ionischen Griechen übernommen hat, die kein H aussprechen können. Trotzem sagen hierzulande die, die die Stadt Mumbai nennen, immer noch Indien, obwohl Bharat seit über 2.000 Jahren so heißt, Mumbai aber erst seit 20 oder so.

    Und das ist meine Kritik:
    1. die Art und Weise, wie man mal einen Namen in der Landessprache verwendet und mal nicht, ist völlig willkürlich und inkonsequent.
    2. die Verwendung von Namen in der Landessprache wird weniger als Verbesserung durch Präzision begründet, sondern vor allem als moralisch besser (und selbst, wo Präzision vorgeschoben wird: wer denkt, Weißrussland sei ein Teil des heutigen Russlands, könnte auch denken, dass Niedersachsen ein Teil von Sachsen sei).
    Das heißt, dass man alle, die den „falschen“ Namen verwenden, als Rassisten oder sonstwie schlechte Menschen främt. Ok, kann ja sein. Aber moralisches Verhalten darf nicht inkonsequent und willkürlich sein.

  31. @Mycroft

    1. Es ist nicht willkürlich, sondern ein Ausdruck von Diplomatie, Macht und Identitätsgefühl. Dass sich im Sprachgebraucht der Name für etwas ändert setzt voraus, dass erstens jemand einen anderen Namen wählt oder bevorzugt und zweitens, dass jemand darauf hört. Bestehende Namen werden sonst weiterverwendet, weil es keinen Grund zum Wechsel gibt.

    Die Umbenennung Bombays war ein nationalistischer Akt, aber aus unserer Perspektive ist es eben das Recht der indischen Verwaltung, den Namen zu ändern. Ob man das hierzulande mitmacht ist eine Frage der Diplomatie oder der Bequemlichkeit.

    Die Umbenennung Kölns vollzog sich schleichend im Mittelalter, während nach 1800 laut Wikipedia ein rheinisch-preußischer Streit darüber entbrannte, ob es Cöln oder Köln heißen sollte. Ein Berliner 1930 hat vielleicht immer noch Cöln geschrieben.

    Indien hat seinen Namensursprung im Sanskrit, bevor es über das Griechische nach Europa kam, von daher würde ich gar nicht mal sagen, dass das nur Kolonialsprache ist. Aber selbst wenn, Englisch ist immer noch eine von zwei offiziellen Amtssprachen und Indien hat sich nach dem Ende der britischen Kolonie nicht vollständig von Großbritannien getrennt, sondern ist dem Commonwealth wieder beigetreten. Insofern hat die indische Verwaltung nichts dagegen, wenn das Land hier Indien genannt wird. Wenn sie aber aus irgendeinem Grund Englisch als Amtssprache verbannen und sich Bharat nennen, dann wird es vermutlich nicht lange dauern, bis unser Außenministerium und dann auch Zeitungen etc den neuen Namen annehmen, weil sich das aus diplomatischem Respekt eben gehört.

    Um schließlich wieder auf Belarus zurückzukommen: es sollte darauf ankommen, wie sich Weißrussen oder Belarusen selbst bezeichnet sehen wollen, und wenn sie oder stellvertretend ihre Regierung (ich weiß, mit einer Diktatur ist sowas problematischer) sich auf etwas geeinigt hat, dann kann über diplomatische Kanäle darauf hingewirkt werden, dass wir nach und nach unseren Sprachgebrauch ändern. Ich denke, dass genau das passiert ist. Das Außenministerium nutzt mindestens seit letztem Jahr die offizielle Bezeichnung Belarus und sofern man das Außenministerium als diplomatische Richtlinie versteht, schadet es nicht, deren Bezeichnungen zu übernehmen, so wie es immer mehr Redaktionen machen.

    2. Ich habe auch den Eindruck, dass die Namensdiskussion moralisch aufgeladen ist. Wobei ich immer noch nicht verstehe, wieso. Teilweise wirkt es auf mich so, als denken Leute, die bloße Verwendung von Belarus könne einen Diktator stürzen.

  32. Indien hat dieselbe Wurzel wie „Hindu“, Angehörige/r des Hinduismus‘, bzw. „Hindi“, die häufigste einheimische Sprache. Es ist aber keine Eigenbezeichnung, also ist es natürlich Kolonialsprache. Wenn nicht, wäre das eine willkürliche Unterscheidung. Und sie nennen ihr Land Bharat, genau, wie andere Menschen ihr Land Belarus nennnen. „Insofern hat die indische Verwaltung nichts dagegen, wenn das Land hier Indien genannt wird.“ Oder, es ist denen einfach egal? So, wie es Deutschen egal ist, dass Deutschland nirgends Deutschland genannt wird (außer in D. und dem deutschsprachigen Ausland), und die meisten Menschen schon Köln vs. Cöln egal war, weil Cologne/Colonia etc. ja schon immer mit C geschrieben wurde und min. zwei Silben hat, aber in zivilisierten Sprachen drei?

    Indien ist natürlich außerdem „problematisch“, weil sehr viele Einwohner des so bezeichneten Landes keine Hindus sind, kein hindi sprechen oder beides. Im Vergleich dazu ist „Weißrussland“ noch harmlos.

    „Ich denke, dass genau das passiert ist.“ Ich nicht. Bzw., wenn diplomatische Kreise möchten, dass alle Welt Belarus sagt, warum sollte man das nicht offen so kommunizieren? Nebenbei, welchen Nutzen versprechen sich die, die das forderten? Und bedeutet das weißrussische Wort für „deutsch“ eigentlich immer noch „stummisch“? Und umgekehrt, wenn sich „Weißrussland“ beschwert hätte, andere Länder aber nicht, wäre es trotzdem konsequent, logisch und daher richtig, andere Länder in der Landessprache zu benennen.

    „Wobei ich immer noch nicht verstehe, wieso.“ Ist ein bisschen so wie Fähnchen bei Twitter, vermute ich. Man zeigt Solidarität mit extrem wenig Aufwand, möchte aber trotzdem als guter Mensch wahrgenommen werden.

  33. Ernsthafte Frage:
    „Belarussische Oppositionspolitikerin Kolesnikowa festgenommen“ (SZ Artikel gerade eben)

    Wäre es nicht „Belarusische …“?
    Sprich, kommt das „rus“ von „russisch“ oder nicht?

  34. @Anderer Max #40

    Es stammt alles von derselben altertümlichen Bezeichnung für gewisse osteuropäische Gebiete ab, die wiederum nach dem Volk der Rus benannt wurde. In der Wikipedia ist das verständlich zusammengefasst und entspricht so auch dem gemeinsamen Nenner aller Äußerungen von Historikern und Sprachforschern, die ich dazu kenne.

    Da aber nun im Hochdeutschen die neue deutsche Rechtschreibung auch der Aussprache folgt (insbesondere bei s-Lauten, s. weiße | weise | wisse | wiese), gäbe es bei beiden Herleitungen eh nur eine korrekte Form mit zwei s, welche den Umgang mit dem Wort korrekt wiedergibt. Es handelt sich bei der ganzen Sache meiner Meinung nach um eine Scheindiskussion, da es weder inhaltlich (bela | biela | weiß; rus | russ) noch historisch (eine etwaige abwertende Verwendung von Weißrusse) einen Aufhänger gibt. Der einzige Aufhänger ist der, dass sich (einige/viele/alle?) Weißrussen nicht als Russen verstanden sehen wollen, so wie Südafrikaner zwar Afrikaner, Südsudanesen aber (seit einigen Jahren) keine Sudanesen (mehr) sind.

    An den tatsächlichen Problemen mit dem prorussischen Autokraten ändert das natürlich überhaupt nichts.

  35. @41: Danke!
    „Belarussen“ ist einfach nur ungewohnt, meine Frage hatte keine politische Dimension. Wenn ich es richtig verstanden habe hat das „rus“ sowohl in „Russland“ als auch in „Belarus“ den gleichen historischen Ursprung. Also meinerseits alles cool.
    Scheindiskussion jein – Klar ändert das Alles überhaupt nichts an realen Zuständen, aber man kann ja mal drüber reden, wenn gerade schon ein genereller Switch von „Weißrussland“ zu „Belarus“ stattfindet. Nix für ungut!

  36. @Anderer Max #43

    Ja, aber grammatikalisch ist das halt Unsinn, wenn man nicht auch die Aussprache ändert, vgl. Rosen. Die Einheimischen kann man da auch schlecht heranziehen, weder die einen, noch die anderen, denn die sprechen den s-Laut in ~russland anscheinend in allen Varianten stimmlos.

  37. @ vonFernseher:
    Ich dachte, man müsse die Aussprache ändern?
    Also, dass es sich auf „Busen“ reimt und nicht auf „Bussen“?

    Sprache ist ein Haufen inkonsistenter, unlogischer und völlig kontra-intuitiver Regeln und Ausnahmen.

  38. @Mycroft
    Müsste man wohl, wenn man eine solche Schreibung durchsetzen will. Ich kann aber, wie gesagt, nicht sehen, wo man damit einer Forderung der weißrussischen Bevölkerung/Opposition/Intelligenzija nachkäme, denn die haben in ihrer Sprache ja gar kein Problem damit, langen Vokalen das stimmlose s folgen zu lassen. Wir haben ja für so etwas das ß; ich sehe aber keinen der Verfechter Belaruß schreiben.

  39. „Ich kann aber, wie gesagt, nicht sehen, wo man damit einer Forderung der weißrussischen Bevölkerung/Opposition/Intelligenzija nachkäme“
    Nun, ich vermute weiterhin, dass das komplett ohne weißrussischen Imput entschieden wurde.

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