Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn Donald Trump recht hätte. Dann wäre Corona in den USA unter Kontrolle und auf dem Weg zu verschwinden.
Er hat nicht recht, und ich sage das mit der Autorität eines Menschen, der anderen Menschen glaubt als Donald Trump.1)Dieser Satz ist missverständlich und gleichzeitig in jedem Fall richtig (ich glaube Menschen, die nicht Donald Trump sind. Er glaubt Menschen, denen ich nicht glaube). Geil, wa? In Wahrheit weiß ich nämlich überhaupt nichts über die Pandemie in den USA. Ich war seit einem Jahr nicht einmal mehr dort, und ich war überhaupt noch nie in einem amerikanischen Krankenhaus. Ich habe keinen einzigen Corona-Kranken oder gar Toten mit eigenen Augen gesehen.
Der Autor
Michalis Pantelouris ist Journalist, Buchautor und seit Anfang 2020 stellvertretender Kreativdirektor von „GQ“. Zuvor hat er die Redaktion des Joko-Winterscheidt-Magazins „JWD“ geleitet. Für Übermedien annotiert er jetzt regelmäßig die Medienwelt.
Alles, was ich glaube zu wissen, kommt aus Quellen, denen ich zu glauben beschlossen habe. Gleiches gilt übrigens für den Klimawandel, Börsenkurse, Airbags und Familienrecht. Wenn ich hier also Dinge über Trumps Corona-Politik schreibe oder über den Klimawandel, ist das dann überhaupt Journalismus? Was genau gibt mir eigentlich das Recht, meinen Quellen zu glauben und anderen nicht? Ich bilde mir ein, Dinge zu wissen, aber genau genommen habe ich sie meist einfach irgendwem geglaubt.
Man könnte sagen, dass die Fähigkeit zu glauben es dem Menschen ermöglicht hat, sich zur vorherrschenden Spezies auf dem Planeten zu machen.2)Wahrscheinlich haben es alle gelesen, aber in dem wunderbaren Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ argumentiert Yuval Noah Harari extrem elegant und überzeugend, die konstituierende Fähigkeit wäre sogar noch einfacher die, über Dinge kommunizieren zu können, die es nicht gibt. Das einfachste Beispiel dafür ist Geld, das nur einen Wert hat, weil wir alle gleichzeitig glauben, es hätte einen.3)Nein, das ist nicht abhängig davon, dass ein Staat diesen Wert garantiert, auch bei Bitcoin glauben wir es. Das ist ein Paradoxon: Die Fähigkeit, Trump zu glauben, ist Ausdruck der größten Macht des Menschen, nämlich sich in großen Gruppen zu organisieren. Sie führt außerdem zu Kreuzzügen und Hygiene-Demos. Wegen ihr können wir sowohl globale Lieferketten bauen als auch Selbstmordattentate verüben. Und obwohl ich finde, dass es einen Unterschied gibt zwischen zum Beispiel dem Glauben an Sternzeichen und dem Glauben an Atomphysik, kann ich persönlich beide Glauben genau genommen weder beweisen noch widerlegen.4)Es gibt übrigens einen Dr. Michalis Pantelouris, der es bei der Atomphysik kann, aber das ist mein Cousin. Es ist also kompliziert.
Die Wahrheit – um mal einen philosophischen Begriff sehr nachlässig in die Diskussion einzuführen – ist, dass Menschen eine so riesige Menge Faktoren in ihre Entscheidungen einbeziehen, dass das Ergebnis nur noch gefühlt werden kann. Das ist kein Nachteil, es ist Ausdruck der größten Expertise, dass man fühlt, wenn irgendetwas fischig ist, bevor man genau weiß, was.5)Außer wenn Fisch fischig ist, dann riecht man es zuerst. Wem wir Glauben schenken, kann unendlich viele Ebenen haben.
Für Journalisten und die Marken, die journalistische Werke veröffentlichen, sollte Glaubwürdigkeit grundsätzlich das höchste Gut sein, denn wir leben davon. Allerdings haben wir sehr offensichtlich in unserer Medienlandschaft zwei Dinge unterschätzt: Einer gefühlten Wahrheit ist mit Argumenten6)Es gibt übrigens eine merkwürdige Tendenz, Fakten mit Argumenten zu verwechseln nur noch sehr schwer beizukommen. Und gefühlte Wahrheiten sind kein schlechtes Geschäftsmodell.
Wer jemals eine Nacht mit Jetlag in einem amerikanischen Hotel gelegen und Fox News geschaut hat, der lebt danach mit dem schizophrenen Gefühl, einerseits plötzlich jenes dunkle Amerika verstanden zu haben, das einen Präsidenten wie die rachsüchtige Möhre Donald Trump unterstützt – andererseits aber die Welt nicht mehr zu verstehen. Die Erklärung ist relativ simpel: Fox arbeitet sehr umfassend mit gefühlten Wahrheiten, die mit unserer Wahrnehmung von Realität nicht in Einklang zu bringen sind.
Genau genommen sind es oftmals nicht einmal mehr gefühlte Wahrheiten, sondern wahre Gefühle, die irgendwie gefüttert werden müssen. Hillary Clinton ist schrecklich? Dann müssen wir einen Grund finden, warum es so ist: Sie benutzt einen privaten Emailserver für berufliche Mails! Da ist es ein gefühltes Verbrechen. Wenn Ivanka Trump ein Jahr später exakt das gleiche tut, ist es nicht der Rede wert. Mit Wahrheit hat das nicht mehr viel zu tun, sondern nur noch mit Gefühlen.
In meinem Kopf erzeugt diese Nichtübereinstimmung ein sehr unangenehmes Flirren, aber ich habe es oben schon gesagt: Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn Donald Trump recht hätte, und das bedeutet eben auch, meine Welt wäre besser, wenn ich einfach glauben würde, er hätte recht. Und das ist nicht so absurd, wie es klingt, für Milliarden von Menschen ist diese Welt zum Beispiel erträglicher und besser, weil sie an einen Gott glauben,7) oder an mehrere dessen Wirken in Bezug auf COVID-19 auch nicht quantifizierbar mehr erreicht hat als das der US-Regierung.
Realität ist eine sehr subjektive Erfahrung. Und meine sehr subjektive Realität ist, dass ich es richtig finde, wenn Menschen Wissenschaftlern glauben und weitergeben, was sie gehört haben; völlig okay, wenn sie ihren Geistlichen glauben, so lange sie nicht ungebeten weitergeben, was sie gehört haben; und unerträglich, wenn sie Donald Trump glauben.8)Die Ironie ist, dass eine nicht geringe Zahl von Amerikanern Trump offenbar vor allem gewählt hat, weil Menschen wie ich ihn unerträglich finden. Ergibt das irgendeinen Sinn?
Ich glaube ja, und ich glaube, es gibt eine ungeheure Macht, die trotz aller Glauben verläuft (auch wenn ich in meinem Kopf Argumente hören kann, sie wäre selbst einer): die Aufklärung. Es ist die eine große Verabredung der Welt, nie aufzuhören, immer mehr gemeinsames Wissen über die Welt zu sammeln und zu verbreiten. Es ist die eine Kraft, die Journalismus anzutreiben hat.
Die meisten Glaubensgemeinschaften haben sich mit ihr einigermaßen arrangiert und beschränken sich auf feinstofflichere Ebenen, während sie der Aufklärung die Herrschaft über den Raum lassen, der einen Realitätsbezug hat. Donald Trump greift die Aufklärung direkt an, mithilfe von Fox und – deshalb verständlicherweise – den Evangelikalen Christen in den USA.
Wer hätte gedacht, dass das 2020 noch gesagt werden muss, aber es ist die Aufklärung, die wir verteidigen müssen. Ich finde, das musste mal geklärt werden.
Dieser Satz ist missverständlich und gleichzeitig in jedem Fall richtig (ich glaube Menschen, die nicht Donald Trump sind. Er glaubt Menschen, denen ich nicht glaube). Geil, wa?
Wahrscheinlich haben es alle gelesen, aber in dem wunderbaren Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ argumentiert Yuval Noah Harari extrem elegant und überzeugend, die konstituierende Fähigkeit wäre sogar noch einfacher die, über Dinge kommunizieren zu können, die es nicht gibt.
Die Ironie ist, dass eine nicht geringe Zahl von Amerikanern Trump offenbar vor allem gewählt hat, weil Menschen wie ich ihn unerträglich finden.
43 Kommentare
„Ich bilde mir ein, Dinge zu wissen, aber genau genommen habe ich sie meist einfach irgendwem geglaubt.“
Davon bin ich nicht überzeugt. Primär weil ich davon ausgehe das sie nicht „irgendwem“ glauben schenken sondern zu signifikantem Teil den Quellen die sich das Vertrauen erarbeitet haben.
Der Bild glaubt man nicht weil sie nachweislich die Wahrheit verdreht oder freiweg lügt. Trump kauft man nicht ab er sei ein erfolgreicher Geschäftsmann weil er schon mehrfach Pleite ging (selbst mit einem Casino).
Das ist mit etwas Abstand wesentlich einfacher weil die ganzen Gefühle und Denkfehler denen wir ausgeliefert sind keine so große Rolle spielen. Religion ist gut darin weil sie mit Indoktrination arbeiten. Die sich wohl schwerer überwinden lässt als die Phase in unserer Entwicklung in der wir glauben unser Eltern wüssten und könnten alles.
„Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn Donald Trump recht hätte, und das bedeutet eben auch, meine Welt wäre besser, wenn ich einfach glauben würde, er hätte recht.“
Nein. Sie würden nur glauben (fühlen) ihre Welt wäre besser.
Das Dilemma daran ist freilich: Man kann seine Welt nicht zum besseren hin gestalten wenn man den Fehler nicht sieht.
„Ich weiß, dass ich nicht weiß“ neu aufgelegt: sicherlich sehr weise, sich das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Ich frage mich gerade, was Sokrates nach einem Gespräch mit D.Trump gedacht hätte. Vielleicht „das darf doch jetzt wirklich nicht wahr sein, dazu hat die Demokratie geführt?“
@Klaus Trophobie
Vorzitat:‘ […] meine Welt wäre besser […] ‚
Zitat: „Nein. Sie würden nur glauben (fühlen) ihre Welt wäre besser.“
Da kann man nun ja philosophisch werden: Da wir den Sinn des Lebens nicht kennen und uns selber suchen müssen, stellt sich die Frage, ob das wirklich ein Unterschied ist, was Sie da monieren.
Denn da es ohne unseren Glauben (an z.B. die Aufklärung als sinnvolles Prinzip) kein „besser“ oder „schlechter“ geben kann, gibt es ja nicht eine rein objektiv festgestellte bessere oder schlechtere Welt.
De facto sind sich ja auch die aufgeklärten Menschen nicht (in allen Details) einig sondern höchstens in groben Zügen, was eine bessere oder schlechtere Welt wäre.
Das Problem mit dem Glauben ist die Blindheit. Wer sich und seine „Wahrheiten“ nicht hinterfragt landet automatisch in einer Blase aus „Erkenntnissen“ die sich ständig verändernde Kontexte nur unzureichend appräsentieren. Man entwickelt Blinde Flecken, die durch eine intersubjektiv vermittelte Dogmatik mit all ihren Denk- und Redeverboten ausgeweitet bzw. systematisiert werden. Seltsamerweise fällt einem dieses Phänomen nur bei den politischen Gegnern auf. Man selbst ist ebenso betroffen. Es ist alles eine Frage der Reduktion von Komplexität. Was lässt man weg weil es nicht so wichtig ist? Im übrigen,m wenn sich Wissenschaft in ein rechts – links Schema einordnen lässt, dann ist es bestenfalls akademisierte Propaganda. Wissenschaft ist wie ein Warenhaus, in dem man nie das findet was man sucht. Logisch, auf eine vorwissenschaftliche Fragestellung gibt es keine wissenschaftliche Antwort.
Das einfachste Beispiel dafür ist Geld, das nur einen Wert hat, weil wir alle gleichzeitig glauben, es hätte einen.
Da geht aber die Pointe unter. Ob Sie oder ich an Geld glauben, ist völlig egal – ich bekomme mein Sternpilz am Späti auch dann, wenn ich die 70 Cent, die ich über den Tresen schiebe, für eine Chimäre halte. Stimmt, Geld hat seinen Wert nicht an sich. Es hat ihn aber auch nicht auf Basis von Glauben, vielmehr von sozialer Praxis. Der Unterschied: Glaube ist Zustand im Kopf, Praxis ist Prozess in der Gesellschaft.
Alfred Sohn-Rethel hat den Vorgang, der alles auf der Welt in Geld-Äquivalente verwandelt, „Realabstraktion“ genannt. Marx hat über die Akteure (also uns alle) im berühmten Fetisch-Kapitel des Kapitals gesagt: „Sie wissen es nicht, aber sie tun es.“ Wir müssen nicht an Geld glauben; wir müssen nur nach den Maßgaben handeln, die seine Existenz uns vorgibt.
(Sorry, off-topic. Aber das ist mein Steckenpferd, und es schmerzt mich immer, dass sich Linke heute dafür kaum noch interessieren).
@Christoph Kuhlmann
„Seltsamerweise fällt einem dieses Phänomen nur bei den politischen Gegnern auf.“
Der Glaube an die Aufklärung ist eben aber keine politische Frage bzw. ist er genauso wenig zwangsläufig gleich verteilt in politischen Lagern. Ein perfekt aufgeklärter Mensch würde nicht von außen drauf gucken und sagen: „Trump-Gegner und Trump-Anhänger haben einfach alle blinde Flecken.“ Glaube an die Aufklärung und an wissenschaftliche Methodik beinhaltet ja, in Theorien und Hypothesen zu denken, die falsifizierbar(!) sind und die man skeptisch nur solange als Wahrheit betrachtet, bis man sie widerlegen kann. Ein aufgeklärter Mensch sucht also ständig seine blinden Flecken. Ihr Raunen deutet ja in die Richtung, als wäre diese Suche zwecklos und in Wahrheit links und rechts alle Menschen gleich beschränkt in der Wahrnehmung. Das ist aber nicht der Fall.
Bei aller Subjektivität, die ich als Individuum mit mir trage, wage ich schlicht festzustellen: Mai Thi Nguyen-Kim handelt offensichtlich aufgeklärter und hinterfragt sich selbst und andere mehr als Donald Trump und ihre Argumentation ist in der Regel konsistent mit über Jahrhunderten nicht falsifizierten mathematischen Theoremen und Axiomen, die mich ähnlich aufgeklärte Menschen an Universitäten gelehrt haben. Also traue ich eher ihr als ihm. Das festzustellen braucht keine politische Dimension. Es ist eben nicht die Verachtung für Donald Trump, die ihn uns als ignorant ansehen lässt, sondern umgekehrt!
Ich muss nicht an das Geld glauben, das ich über die Theke schiebe, es reicht, wenn mein Gegenüber das tut. So, wie ein super aufgeklärtes Alien auf der Erde landet und trotzdem in einen Gottesdienst geht, um die Ureinwohner zu erforschen.
Aufklärung heisst, dass man seinen Verstand einsetzt, bevor man etwas glaubt oder tut. Nicht, dass man immer Recht hat.
Überprüfung von Thesen: Falsifizierbarkeit, Plausibilität und Reproduzierbarkeit. Daran kann man sich, ohne tiefer zu gehen, schon ganz gut entlanghangeln. (Das glaube ich Herrn Lesch, zumindest glaube ich das.)
Atheismus ist die Abwesenheit von Glauben – Ich gehe davon aus, dass da nichts ist (bis Anderweitiges belegt wird = Agnostizismus). Daran muss ich nicht glauben, im Gegenteil, es ist die Abwesenheit von von Glauben.
Wenn ich mal wieder in einer Glaubenskrise bin, imaginiere ich die Größe des Universums und was ich dazu beitrage, dann schmeckt das Bier auch wieder.
Eliezer Yudkowsky von der lesswrong/rationality community hat über Glauben geschrieben, dass er nicht binär sondern ein Wahrscheinlichkeitsspektrum zwischen 0 und 1 ist. Auch wenn wir Menschen von Natur aus schlecht in Wahrscheinlichkeiten sind, kann man sich trotzdem überlegen, wie sicher man sich ist, dass eine Aussage wahr ist. Wenn ich sage, ich bin mir zu 95% sicher, dass Covid-19 eine schwerwiegende Krankheit ist, die ohne Eindämmung viel schlimmere Folgen hat, dann bin ich mir dessen zwar sehr sicher, aber von 20 solcher sicheren Thesen liege ich bestimmt einmal daneben. Wenn ich mich weiter informiere und Infos in die eine oder andere Richtung bekomme, dann müsste sich auch meine Sicherheit in der Aussage in die eine oder andere Richtung verschieben, denn ich lerne ja dazu. Die konkreten Wahrscheinlichkeiten habe nicht im Kopf und mache mir den Prozess auch nicht so bewusst, aber im Groben halte ich das für vernünftig. Wenn ich Wetten abschließen müsste oder politische Entscheidungen treffen würde, dann wäre es gut, die einzelnen Szenarien in ihrer Wahrscheinlichkeit abwägen zu können.
Das ist auch transitiv. Wie sicher bin ich mir bei einer Information von Quelle X, dass sie stimmt und ich sie später nicht mit neuer Erkenntnis verwerfen muss? Da schneiden Wissenschaftler gut ab, peer-reviewed journal Artikel noch besser, und bestimmte Journalisten, Politiker und auch Onlinekommentatoren. Das heißt nicht, dass ich denen „alles glaube“, sondern nur, dass ich denke, die machen einen guten Job, zu einem logischen, nachvollziehbaren und belastbaren Wissensstand zu kommen. Wenn diese Leute beim Manipulieren erwischt werden und das nicht ein transparent behobener Fehler ist, dann sinkt auch mein Vertrauen in die Leute wieder.
Im Gegensatz dazu macht Trump keinen rationalen Prozess durch. Er glaubt entweder 0 oder 1, je nachdem was ihn besser da stehen lässt, und alle Evidenz für das Gegenteil ist dann Fake News.
Eine entscheidende Eigenschaft des Geldes ist, dass man damit seine Steuern bezahlen kann. Das bedeutet, dass der Emittent hier seinen Wert GARANTIERT. Das hat mit Glauben wenig zu tun, sondern ist eine Machtdemonstration oder markiert einen Machtanspruch.
Deswegen hat es vor gut einem Jahr auch für Wirbel gesorgt, als die italienische Regierung diese Eigenschaft den Mini-Bots zubilligen wollte. Kurze Zeit später war sie Geschichte.
„Glauben“ und „glauben an“ sind doch recht unterschiedliche Dinge. Und bevor mal wieder der wenig weiterführende Satz „glauben heißt ’nicht wissen'“ zitiert wird, zwei Denkanstöße: 1. An Trumps Versagen in der Coronakrise sieht man möglicherweise, dass „Fakten“ und „alternative Fakten“ eben nicht gleichwertig sind – die Toten lassen sich nicht wegdiskutieren (was inzwischen auch manche:r Republikaner:in zu merken scheint).
2. „An Gott glauben“ bedeutet sehr viel mehr als „daran glauben, dass es einen Gott gibt“. Dass das nicht beweisbar ist, wissen die meisten Gläubigen schließlich auch. Da geht es aber nicht um ein „für-wahr-Halten“, sondern um existentielles Vertrauen usw.
Ja, aber hinter der Regierung stecken Menschen, und wenn diese Menschen glauben, dass SIE Steuern in Geldform zahlen können, ist das eben entscheidend, nicht, wie Sie das sehen.
Philipp K. Dick hat mal gesagt, real ist alles, was noch da ist, wenn niemand mehr daran glaubt. Wenn niemand mehr an Geld glaubt, ist das nur noch bunte Papierblätter und Metallstücke. Und Ladungen in einem Computer…
Unsinn, Mycroft, Unsinn. Erstens ist es hier nur eine bedeutungslose Floskel, dass hinter der Regierung Menschen stecken, und zweitens legt die Regierung einfach fest, dass IHR IHRE Steuern mit IHREM Geld bezahlt werden können und müssen.
Da geht es nicht um Glauben, sondern um den nackten Kern der Macht. Ich glaube der Tagesschau wenig und trotzdem muss ich für sie zahlen.
Weil ich riskiere, für ein halbes Jahr eingelocht zu werden, wenn ich dem Staat seine Macht um Acht streitig mache, während er großzügig auf Bewährung erkennen lässt, wenn einer dem anderen ein Messer in die Lunge steckt. Es ist ganz falsch, die Menschen mit ihrer popeligen Lunge mit dem Staat und seiner ihm sehr wertvollen Macht zu verwechseln.
@8 ANDERER MAX
„Atheismus ist die Abwesenheit von Glauben – “
… an einen oder mehrere Götter.
Das Anhängsel finde ich ziemlich wichtig. Zu behaupten das Atheisten an gar nix glauben ist nämlich auch weit ab der Realität.
Thema Atheismus vs. Agnostizismus lasse ich an der Stelle mal unter den Tisch fallen.
@Andreas Müller
Unsinn, und zwar nicht nur das mit den Steuern.
Hätte mich auch gewundert wenn sie aus ihrer Auszeit irgendwelche Lehren gezogen hätte…
Ich sehe da Potential, eine Marke „Attila Müller“ zu etablieren.
Ich vermute, dass die Regierung an Geld glaubt, sonst würde sie Steuern in Form von Naturalien oder Arbeit verlangen, was zu anderen Zeiten nämlich auch praktiziert wurde.
Aber natürlich kann ich nicht Gedanken lesen, vllt. sind das alles auch nur Reptilienmenschen, die ausprobieren, was Humor ist.
„Fox arbeitet sehr umfassend mit gefühlten Wahrheiten, die mit unserer Wahrnehmung von Realität nicht in Einklang zu bringen sind.“
Das ist die höflichste Formulierung von „Fox lügt“, die ich seit Langem gelesen habe.
Ich verstehe die Intention des Artikels, mir schmeckt aber diese Gleichsetzung von „Glauben“ und „Wissen“ nicht.
Denn der Unterschied ist ja gerade, dass Wissen prinzipiell überprüfbar/falsifizierbar ist. Und Glauben eben nicht.
Z. B. könnten Sie ja einfach in die USA fliegen und selbst prüfen, ob da Leute sterben oder nicht. Nur weil Sie das nicht persönlich machen, heißt es ja nicht dass das prinzipiell unmöglich wäre.
Und das gleiche gilt ja für Behauptungen von Trump. Die kann man auch prinzipiell selbst überprüfen (auch wenn das sicher mühselig wäre). Bei „Glauben“ geht das nicht. Jeder kann z. B
gerne glauben, dass Corona nicht gefährlich/tödlich wäre. Ist halt nur Unsinn und nicht von Fakten gedeckt. Leute, die das trotzdem „glauben“ haben sich vom Konzept der Falsifizierbarkeit einfach verabschiedet.
Das Vorlesungsskript ‚Geldtheorie‘ der Uni Hamburg ist mit mir auf einer Linie, was den Glauben ans Geld angeht:
„Weil jeder seine Steuern zahlen muss, sofern er nicht verhaftet werden möchte, und die Regierung nur ihr eigenes Geld akzeptiert, besteht
eine Nachfrage nach gerade diesem Geld. Jeder Bürger eines Landes hat ein Interesse daran, für gerade dieses Geld seine Leistungen anzubieten“
Ein Glaube ist für die Akzeptanz von Geld als Zahlungsmittel also zweitrangig. Er kommt aber bei Geld als Wertaufbewahrungsmittel ins Spiel, wenn es um die Frage geht, ob das Geld (und der Staat) in der Zukunft noch etwas gelten. Da geht es aber um den Glauben an künftige Macht hinter dem Geld, nicht um den Glauben an eine Wahrheit.
(Das ist mein letzter Kommentar unter diesem Artikel, denn wenn Attila-Groupies und Vanities durch die Steppe reiten, steht die Geldtheorie auf verlorenem Posten)
Na da hat das Vorlesungsskript aber Glück gehabt, dass es mit Ihnen (angeblich) auf einer Linie liegt.
Zum „nackten Kern der Macht“ habe ich da aber nichts finden können, im Gegenteil, wenn man auf Seite 33 weiterliest.
Natürlich ist Geld ein soziales Konstrukt und ist insofern das Resultat einer Zuschreibung. Und natürlich hat der Wert von Geld in einem gewissen Sinne auch mit „Glauben“ zu tun:
– Die staatlichen (bzw. gesetzgeberischen) Stellen haben geglaubt, dass die Einführung von Fiat-Geld in irgendeiner Weise sinnvoll oder zumindest für irgendwen nützlich ist.
– Die Leute glauben, dass die Verweigerung der Zahlung von Steuern negative Folgen hat (wenn es rauskommt).
– Usw.
Hier handelt es sich aber um mehr oder weniger rational begründete „Glaubens“-Überzeugungn, also nicht um einen völlig willkürlichen „reinen Glauben“ aus dem Blauen heraus. Zum Teil könnte man hier sogar eher von Wissen und Erfahrung sprechen.
Vor allem aber ist damit, dass Geld in diesem weiten Sinne mit „Glauben“ auf die eine oder andere Weise im besagten Sinne zusammenhängt, noch lange nicht gesagt, dass der Wert des Geldes selbst allein dem kollektiven Glauben entspränge, dass es einen Wert habe. Denn die Notwendigkeit, Steuern in der entsprechenden Währung zu zahlen, erzeugt zweifellos Nachfrage nach dem Geld – und gibt ihm dadurch schon einen gewissen Wert.
Man mag Herrn Müllers Beiträge mögen oder nicht, aber den Chartalismus allein deswegen abzulehnen, weil Herr Müller ihn vertritt, ist vielleicht auch nicht gerade weise. Vor allem, weil der Chartalismus wohl wesentlich mehr erklärt als die neoklassisch-neoliberalen Modelle, in denen Geld eigentlich eh nur eine Illusion und der Staat im Grunde nur ein Störfaktor ist.
@Ichbinich
Ich verstehe Ihre Bedenken, in der Praxis im Alltag taugt Falsifizierbarkeit aber schlecht als Kriterium, weil uns dafür die Ressourcen fehlen. Was macht es für einen Unterschied, dass Sie theoretisch in die USA fliegen könnten und sich selbst ein Bild machen, wenn Sie es aus Zeit und Geldgründen sowieso nicht tun? Sie könnten auch sagen, der Mond ist aus Frischkäse, denn das ist falsifizierbar und Sie könnten hinfliegen und nachsehen. Ist das dann Wissen oder Glauben, solange Sie sich nicht die Mühe machen (können), die These zu überprüfen?
Im Übrigen ist es nicht mal so einfach, denn die USA sind sehr groß. Die allerallermeisten Amerikaner bekommen selbst nur Medieninfos, denen sie „glauben“ müssen oder auch nicht. Oder sie glauben dem CDC. Selbst Fauci muss darauf vertrauen, dass seine Mitarbeiter vernünftig arbeiten und gute Daten liefern. Weiß er das oder glaubt er das?
Dann sind das ja zwei Arten von „Glauben“: die eine ist, dass kein menschliches Individuum alle Fakten, die für es relevant sind, aus eigener Anschauung kennen oder überprüfen kann, obwohl diese Fakten an sich einer Überprüfung zugänglich sind. Es muss sich demnach darauf verlassen, dass andere Menschen – z.B. Journalisten – das getan haben und sich dabei weder vertan haben noch lügen. D.h., es glaubt ihnen.
Die andere Art Glaube betrifft Dinge, die nicht „objektiv“ überprüfbar sind. Und der Wert des Geldes beruht darauf, dass hinreichend viele Menschen sagen, dass Geld Wert hat, nicht darauf, dass man Geld irgendwie naturwissenschaftlich messen kann.
@Mycroft
Ich würde übereinstimmen, dass es verschiedene Arten von Glauben gibt, einen rationalen, der an einer möglichst guten Übereinstimmung zwischen unserer Vorstellung von der Wirklichkeit und der Wirklichkeit interessiert ist, und einen blinden, religiösen, ideologischen Glauben, der eine These unabhängig von der Wirklichkeit behauptet und an diesem Vergleich nicht interessiert ist. Die meisten hier sind vermutlich der Meinung, dass wir eher ersteres anstreben (sollten), während Trump in zweiterem verhangen ist.
Ihr Kommentar klingt für mich so, als ob Sie den Wert des Geldes in zweite Kategorie stecken wollen. Geld ist aber real und Sie können objektiv messen: wie ist das Wertverhältnis zwischen Euro und Öl, zwischen Brot und Euro, zwischen Dollar und Euro, wieviel X können Sie für Y erhalten oder was halten andere für tauschenswert. Selbst wenn wir zur Genese annehmen, dass sich Geld aus dem kollektiven Glauben an den Wert von Geld entwickelt hat, ist es im hier und jetzt mit Staatsmacht ausgestattet und als gesellschaftliches allgemein anerkanntes Tauschobjekt real.
Sie können Geld nicht naturwissenschaftlich messen, wohl aber sozialwissenschaftlich, politökonomisch oder wie man das nennen mag. Geld ist vor allem Ausdruck eines zwischenmenschlichen Verhältnis, also landen Sie wohl kaum bei einem „objektiven“ Ergebnis, wenn Sie von der menschlichen Gesellschaft abstrahieren. Ich hoffe, Sie meinen nicht, dass nur die Naturwissenschaft richtige Dinge über die Welt zusammen tragen kann.
Bei Terry Pratchett findet sich diesbezüglich eine interessante Analogie im religiösen Glauben: was wäre, wenn der persönliche Glauben vieler Menschen eine reale Änderung in der Welt bewirken würde? Es gibt in der Scheibenwelt Götter und metaphysische Wesen und sie verschwinden oder verlieren Macht, wenn weniger Menschen an sie glauben. Weil jeder an den Tod glaubt, gibt es den Tod. Unser Geld ist bei Pratchett die Religion: wenn niemand daran glauben würde, dann gäbe es Geld nicht, aber in einer Welt wo Geld nunmal existiert, ist jeder dumm, der nicht daran glaubt. Weshalb in Fantasywelten mit Göttern und Magie ein Physiker und Atheist einfach nur ein Ignorant wäre.
Ok, dann gibt es mindestens DREI Arten von Glauben:
– Dinge, die man als wahr akzeptiert, weil man den Personen vertraut, die diese Dinge gesehen, gemessen oder sonstwie nachgewiesen haben
– Dinge, die durch reine Übereinkunft wahr werden, wie Geld oder Grammatik
– Dinge, die man für wahr hält, weil man sie gerne glauben möchte
@ERWINZK
„Ich verstehe Ihre Bedenken, in der Praxis im Alltag taugt Falsifizierbarkeit aber schlecht als Kriterium, weil uns dafür die Ressourcen fehlen. “
Deswegen schrieb ich ja „Ich verstehe die Intention des Artikels“. Aber ein Kriterium taugt ja nicht nur dann etwas, wenn es jeder zu jeder Zeit und ohne Aufwand überprüfen kann.
Und natürlich kann man es „glauben“ nennen, wenn ich davon ausgehe, dass ich relativ ungefährdet über die Straße gehen kann wenn meine Ampel grün ist, ohne dass ich jedes Mal faktisch geprüft habe, dass auch alle anderen Ampeln wirklich rot sind.
Aber prinzipiell könnte ich es prüfen. Und demzufolge ist diese Annahme falsifizierbar. Auch wenn es mir faktisch nicht möglich ist, das überall zu tun.
So funktioniert auch Wissenschaft. Natürlich kann ich nicht alles selbst prüfen. Ich kann aber mit Sicherheit davon ausgehen, dass es genügend kluge Köpfe gibt, die das bereits geprüft haben und daher bei einem wissenschaftlichen Konsens von einem „Fakt“ ausgehen. Und es gibt genügend Beispiele, dass dieses grundsätzliche Prinzip der Falsifizierbarkeit sehr gut funktioniert.
Man kann das jetzt auch „Glaube an die Wissenschaft an sich“ nennen, wenn man will. Für mich ist das aber trotzdem etwas anderes als z.B. der „Glaube, dass in Amerika die Leute nur deswegen soviel Corona haben weil soviel getestet wird“. Denn das ist offensichtlicher Unsinn. Auch wenn ich nicht jeden Toten selber gezählt habe.
@ Mycroft:
„Die andere Art Glaube betrifft Dinge, die nicht ‚objektiv‘ überprüfbar sind. Und der Wert des Geldes beruht darauf, dass hinreichend viele Menschen sagen, dass Geld Wert hat, nicht darauf, dass man Geld irgendwie naturwissenschaftlich messen kann.“
Erwin-ZK würde ich weitgehend zustimmen. Um es noch etwas zu ergänzen:
Auch eine Fahrkarte hat keinen „inhärente“ Bedeutung. Dass sie sie jemanden berechtigt, eine Fahrt zu machen, ist nicht in der Physik der Karte enthalten. Es ist vielmehr eine Folge sozialer bzw. juristische Festlegungen. In diesem Sinne ist der Wert dann allerdings „objektiv“: Jeder, der die entsprechenden Regelungen und ihre praktische Durchsetzung prüft, kann im Prinzip die juristisch-soziale Bedeutung einer Fahrkarte zu ermessen und objektivieren. Dass die Fahrkarte gilt, liegt aber nicht (allein oder primär) daran, dass alle spontan an ihre Funktion glauben, sondern dass sie mit einem bestimmten institutionellen Regelwerk verbunden ist.
Mit dem Geld ist es ähnlich:
Es hat den Wert durch Zuschreibung. Aber nicht (allein) deswegen, weil die Leute sich spontanen darauf verständigen würden, ihm Wert beizumessen (wie bei Kryptowährungen), sondern weil der Staat ein bestimmtes Regelsystem etabliert. In diesem Sinne ist Geld eine vom Staat etablierte Institution (jedenfalls das Zentralbankgeld; das sog. Giralgeld aber ist ein Derivat von ersterem).
Damit eine von einem Regelwerk getragene Institution in der Praxis funktioniert, müssen natürlich wiederum die Leute darum wissen. Aber das ist etwas anderes als die Aussage, dass ein Regelsystem einfach nur das Resultat eines spontanen weit verbreiteten (aber willkürlichen) „Glaubens“ sei.
Knapp (der Begründer des Chartalismus) hat das (im von A. Müller verlinkten Text) wie folgt beschrieben:
„Wenn wir unsere Mäntel beim Eintritt ins Theater zur Aufbewahrung abgeben, erhalten wir dafür ein Messingplättchen von bestimmter Gestalt, das ein Zeichen trägt, etwa eine Nummer. Es steht weiter nichts darauf, aber diese ‚Marke‘ hat eine rechtliche Bedeutung: sie ist Beweis dafür, daß ich den abgelegten Mantel wieder zu fordern habe.Wenn wir Briefe absenden, bekleben wir sie mit einer Marke, welche beweist, dass wir durch Portozahlung das Recht erworben haben, diesen Brief durch die Post befördern zu lassen. (…) Unsere Zahlungsmittel nun, seien es Münzen oder Scheine, haben die genannten Eigenschaften ebenfalls; sie sind Zahlungsmarken, das heißt Marken, die als Zahlungsmittel dienen. (…) Wie bei allen anderen Marken, so ist auch für die Zahlmarken nur wichtig, dass sie Zeichen tragen, die von der Rechtsordnung genau vorgeschrieben sind. Nicht wichtig ist, dass sie einen Text, im Sinne der Schrift enthalten; ja, weder was in Buchstaben, noch was in Hieroglyphen (Wappen) etwa darauf steht, kommt als Text in Betracht. Es kommt nur in Betracht, insofern es ein Kennzeichen ist. Was aber diese Zeichen bedeuten, das wird nicht durch Lesung dieser Zeichen, sondern durch die Einsicht in die Rechtsordnung erkannt. (…)“
Der Autor des Artikels hatte eine gute Idee und ehrenwerte Absichten. Aber bei so einem Thema kommt es auf sehr präzise Formulierungen an, sonst begibt man sich auf sehr dünnes Eis und verdreht die Intention des Artikels in eine Steilvorlage für Verschwörungsideologen.
Gerade diese behaupten ja gerne von sich, dass sie angeblich nur „dem bösen Mainstream nicht glauben wollen“ und sich „ihre eigene Meinung bilden wollten“ (tatsächlich lehnen sie nur aus ideologischen Gründen unangenehme Wahrheiten ab, glauben aber alles, was ein dahergelaufener Kochbuchautor oder Schnulzensänger ihnen erzählt).
Wenn es also im Artikel so rüberkommt, als gäbe es die Abgrenzung zwischen Glauben und Wissen nicht und man könnte es mal so oder mal so sehen, ist das eher kontraproduktiv und eher im Sinne der Verschwörungsideologen.
Ich habe schon lange nicht mehr gesagt, dass ich „die nach unten offene Kommentarspalte“ hier liebe! Danke für die vielen schlauen, auf den Artikel und das drunterliegende Thema eingehenden Kommentare, die mein Wissen anreichern.
@14: Stimmt.
Thema Agnostizismus / Atheismus: Ich bin der Meinung, „echte“ Atheisten kann es nicht geben, weil man die Möglichkeit eines Gottesbeweises a) theoretisch nie ausschließen kann und b) für unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Ansprüche an diesen Beweis existieren (Thema Urknall. Den einen reicht die Tatsache des „Entgleitens“ aus einer perfekten Symmetrie in den Zustand von existierender Raumzeit aus, um einen Gott als „ersten Beweger“ anzunehmen, den anderen nicht.) Nachweisbar wird weder das eine, noch das andere sein, jemals – Theoretisch möglich ist beides, immer. Daher wird es auch Glaubenskriege geben, solange es Menschen gibt, nur meine Meinung.
Ein Kapitalismus, der die Vermarktung jeder Meinung ermöglicht, wird dies auch eher nur verstärken.
@ Alle:
Die „auch an Geld muss man glauben damit es funktioniert“ ist doch auch nur ein Gedankenspiel, wenn alle gleichzeitig (unrealistisch) aufhören würden daran zu glauben. Irgendwer hat aber immer ein Interesse am Glauben an irgendwas (Terry Pratchett, z. B. der kleine Gott Om, wie oben schon erwähnt). Von daher bleibt sowas ja immer nur ein Gedankenspiel.
Der Müller hat insofern ja recht, Macht wird immer versuchen sich selbst zu erhalten (bzw. die Menschen, die sie haben).
Das dann auf die bösen „Tagesschau-Gebühren“ zu beziehen ist natürlich cringe.
@26: Ich finde, das kann man nicht so trennscharf auseinanderdividieren. Darin spiegelt sich meiner Meinung nur das menschliche Bedürfnis nach (semantischer) Ordnung wider, wo real (ha!) keine Ordnung hergestellt werden kann. Sprich: Glaube ist Gefühl, egal wie trennscharf formuliert. Übereinstimmungs-Glaube (2) z. B. kommt vom Glauben wollen (3), meine ich. Wenn das die ersten adaptieren, kann (1) in Kraft treten (Zigaretten als Währung, ob wahr oder nicht). Geld ist ja auch mit Gold abgesichert, bestenfalls.
Schweres Thema.
Das Beispiel mit den Gaderoben-Marken zeigt doch, dass ich dem Theater glauben (=vertrauen) muss, dass es mir meinen Mantel zurückgibt und keinen billigeren Mantel. Im Zweifel hätte ich vor Gericht Probleme zu beweisen, dass ich nicht beklaut wurde, bzw., dass das tatsächlich eine Gaderobenmarke dieses Theaters ist. Das Theater umgekehrt riskiert hier fast gar nichts, weil die Marke meistens einen geringeren Tauschwert hat als der Mantel und mir nicht vertrauen muss. (Aus dem Grund, dass ich dem Theater aus anderen Gründen Geld gebe und das nie wieder tue, wenn man mich übers Ohr haut, ist mein Risiko auch nicht _groß_, aber dann passt der Vergleich nicht mehr.)
Das eine Währung gesetzliches Zahlungsmittel _und_ vorgeschriebene Einheit der Steuerzahlung ist, sagt ja nur, WELCHES Geld verwendet wird. Der Wert des Geldes wird nicht vom Staat vorgeschrieben (ja, manchmal schon), weil man sonst keine Inflation hätte, und Bargeld wird auch von Leuten akzeptiert, die nicht die Absicht haben, diese Einnahme zu versteuern.
Zwei Fragen, zwei völlig unterschiedliche Antworten: „Woher wissen wir, welche Dichte Osmium hat?“ – „Weil ich sie Euch gesagt habe.“ – „Das akzeptieren wir nicht.“ – „Weil zahlreiche voneinander unabhängige und reproduzierbare Tests mit Osmium diese Dichte ergeben haben.“ – „Ok.“
„Woher wissen wir, dass diese Brötchen 5 Euro wert sind?“ – „Weil ich das sage.“ – „Diese Antwort akzeptiere ich nicht.“ – „Weil ich 5 € dafür will.“ – „Ok.“
Oder, es gibt nicht nur unterschiedliche Arten von Glaube, sondern auch von Wirklichkeit.
Naja, das Garderoben-Beispiel ist ja schon etwas komplexer:
„Das Theater“ würde ja nicht den Mantel unterschlagen, sondern ein Mitarbeiter in der Garderobe des Theaters, der seine eigenen Gründe hat. Das Theater hat natürlich das Risiko des Imageschadens und daher ein Interesse, ehrliche Garderoben-Mitarbeiter zu beschäftigen.
Image ist ja auch eine Währung, siehe Amazon-Sterne. Die kann man auch für Geld kaufen – Oder sogar gegenteilig als „Waffe“ gegen Mitbewerber einsetzen.
Letztlich ist alles nur eine Frage des Geldes, auch Meinugsbildung.
Hier wird aber das große Fass aufgemacht.
Im Grunde stellt der Autor die Frage, die eine ganze philosophische Zunft, nämlich die Erkenntnistheoretiker, seit Jahrhunderten nicht beantworten können. Wann kann ich gesichert (gerechtfertigt) sagen, dass ich etwas weiß. Dabei ist man inzwischen der Auffassung, dass diese Sicherheit durchaus nicht absolut ist, und zwar aus einem praktischen Grund: mit Sicherheit kann ich nur Aussagen über mich selbst treffen, ganz konkret: „Ich zweifle, also bin ich.“ beziehungsweise mit ein paar Gedankenspielen erweitert auf „Ich denke, also bin ich“ (siehe Descartes). Leider kommt man aber mit Descartes nicht viel weiter, insbesondere kann man keine Aussagen über die Welt treffen. Also nimmt man an, dass zumindest eine objektive Welt exisitiert und das, was uns unsere Sinne über diese sagen, schon stimmen wird (Realismus/Empirismus). Jetzt erkennt man recht schnell, dass da ein einzelnes Individuum aber an seine Grenzen gelangt. Also gibt es so etwas wie eine überindividuelle Übereinkunft, was wahr ist (Intersubjektivität). Auf diesem Erkenntnisprinzip beruht beispielsweise die Geschichtswissenschaft.Und schließlich gibt es ja auch Wahrheiten, die überhaupt nicht in der Natur vorkommen (2+2=4) sondern nur logisch erlangbar sind. Die Erkenntnistheorie hat sich inzwischen (weitgehend) auf die Definition geeinigt, das Wissen eine wahre und gerechtfertigte Meinung ist. Dabei sind aber alle Probleme damit nur auf andere Begriffe verschoben, denn es ist keineswegs so, dass klar ist, was „wahr“, „gerechtfertigt“ oder „Meinung“ ist. Inzwischen sind auch in der Erkenntnistheorie viele Stimmen, die sagen, dass man wohl nie eine vollständige und widerspruchsfreie Defintion davon haben wird, „was man wissen kann“.
Das Theater könnte kurz vor der Pleite stehen, und dessen Leitung und/oder die Garderobenfrau kämen auf die Idde, dass jetzt der Image-Verlust nicht so viel ausmacht, wie der Pelzmantel wert ist.
Außerdem, auch ohne Pleiteangst hat eine Zeitung kein Interesse daran, ihr Image als sauber recherchierendes, wahrheitsliebendes Mitglied der vierten Gewalt zu gefährden, dennoch hatte Relotius ein andersartiges Interessen.
Aber gut, ich habe keinen _blinden_, also völlig unbegründetet Glauben in das Markensystem, einen gewissen Vertrauensvorschuss muss ich aber aufbringen, wenn ich an der Stelle weiterkommen will. Selbiges gilt für Geld, Medien und Schulwissen.
@Andreas Müller 21. Juli 2020 um 17:59 Uhr
„Das Vorlesungsskript ‚Geldtheorie‘ der Uni Hamburg ist mit mir auf einer Linie, was den Glauben ans Geld angeht: „Weil jeder seine Steuern zahlen muss, …“
Allerdings garantiert unsere Verfassung, dass das Existenzminimum steuerfrei sein muss. D.h. theoretisch ist es so, dass niemand gezwungen ist, dieses Geld-verdienen-Steuern-zahlen-Spiel mitzuspielen. Man muss nur auf „Luxus“ verzichten.
Die Daten bekommt Otto Normalbürger im Übrigen hier sowieso nicht VG Wiesbaden, 6 K 1374/11.WI vom 15.03.2013, https://openjur.de/u/689984.html
@31 Anderer Max 23. Juli 2020 um 13:27 Uhr
„Ich bin der Meinung, „echte“ Atheisten kann es nicht geben, weil man die Möglichkeit eines Gottesbeweises a) theoretisch nie ausschließen kann …“
Populärste Antwort hierauf: Wenn man sich darauf zurückzieht, dass nichts sicher ist, dann kann man gar nichts (nicht) glauben. Inklusive die Existenz des IPU, des FSM und so weiter.
Außerdem haben wir dann für das Wort „Atheist“ keine Verwendung mehr, wenn es solche nicht geben kann. Da es also frei ist, können wir es zur Bezeichnung von etwas anderem verwenden, also von Leuten, die so nicht an Gott glauben, wie die Leute nicht an den Gott der anderen glauben, die Hinduisten nicht an den christlichen, die Christen nicht an Odin u.s.w.
„… und b) für unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Ansprüche an diesen Beweis existieren …“
Soll das jetzt das Problem des Atheisten sein, wenn ein Christ seinen Glauben an seinen Gott damit begründet, dass es in der Bibel steht und ihm das reicht?
@36: Das FSM ist doch „Gott ad absurdum“. Also ja klar, auch an das FSM kann ich nicht (nicht) glauben. Beweis‘ mir, dass es nicht existiert! Beweis‘ mir, dass es existiert!
Es ist ja nur die Eskalation des Gottesbeweises auf ein Medium, das noch nicht 2000 Jahre Glaubenskämpfe und daher gewisse „Befindlichkeiten“ hinter sich hat und mit sich trägt.
Was Sie mit dem Wort Atheist machen, ist mir Schnuppe. Mir geht es auch gar nicht um das Wort selbst, sondern um die (nicht) Belegbarkeit des Gottes selbst. Ich sage ja nur, dass weder der Beweis von Existenz, noch Nicht-Existenz jemals erbracht werden kann. Da ich beides also nicht ausschließen kann, kann ich kein „absoluter“ Atheist sein, weil es könnte ja noch ein Gottesbeweis kommen, egal wie unwahrscheinlich.
Ich betrachte mich selbst auch als Atheisten. Meine Erklärung ist, dass ich davon ausgehe, dass alle Phänomene, die einem Gott zuzurechnen wären auf kurz oder lang wissenschaftlich erklärbar sein werden. Vielleicht nicht der Urknall, aber selbst da gibt es halt schon Erklärungsansätze, warum die perfekte Symmetrie zugunsten der Existenz (Raumzeit) „geopfert“ wurde. (Empfehlung: Serie „Von Aristoteles zur Stringtheorie“ von Dr. Gassner auf dem YT Kanal „Urknall, Weltall und das Leben“)
Der Atheist hat kein Problem. Glauben kann ja jeder, wie er mag. Wenn dem Christen „steht in der Bibel“ reicht, dann ist das hinzunehmen. Es ist Glaube, nichts Rationales. Mit dem FSM z. B. hat man ja die Möglichkeit, den Glauben eines anderen in einen absurden Kontext zu setzen und damit einen Aha-Effekt zu provozieren. Wenn der nicht eintritt, na gut.
Der Atheist hat nur ein Problem, wenn er einen Kopf kürzer gemacht werden soll, weil er nicht glaubt.
@35:
Das Theater könnte auch gerade neu eröffnet haben und ein Imageschaden könnte ihm das Genick brechen … Szenarien können wir unendlich konstruieren.
Letzter Absatz d’accord, ohne Vertrauensvorschuss geht es wohl nicht.
Wie gesagt ist Geld ja auch an Gold gekoppelt. Auch an Gold muss ich glauben.
@ Anderer Max 24. Juli 2020 um 8:41 Uhr
Wenn nichts speziell dagegen spricht, halte ich es schon für weise Wörter so zu gebrauchen, wie sie gemeinhin gebraucht werden. Der „absolute Atheist“ gefällt mir gut. Die Nichtbelegbarkeit in diesem (d.h. absoluten) Sinne trifft aber nicht nur für Götter und so zu, sondern z.B. auch für die Kaffeetasse, die vor einem steht und den Kaffee darin und dessen Farbe. Wie wir schon in „Welt am Draht“ gelernt haben kann echter Kaffee in der echten Welt genausogut lila sein.
@39: An den ganzen Simulationshypothesen stört mich, dass nichts davon eine tatsächliche Auswirkung hat. Mein Kaffee bleibt braun. Er wäre auch in der „echten Welt“ nicht lila, sondern würde dort nicht existieren. Vielleicht würde „echter Kaffe“ lila sein, aber nicht mein Kaffee. Ich kann niemals lila Kaffee sehen oder gar konsumieren.
Die Simulation ist meine Realität. Und falls es keine Simulation gibt, ist die Realität meine Realität. So oder so ist meine Realität meine Realität. Es macht schlicht keinen Unterschied, ob wir in einer Simulation sind, oder nicht.
Das Thema ist im bedeutungsschwangeren SciFi (mit „schaurig-schönem“ Love Metal Soundtrack) schon ganz gut aufgehoben.
@40 Anderer Max 27. Juli 2020 um 9:09 Uhr
„An den ganzen Simulationshypothesen stört mich, dass nichts davon eine tatsächliche Auswirkung hat. … So oder so ist meine Realität meine Realität. Es macht schlicht keinen Unterschied, ob wir in einer Simulation sind, oder nicht.“
Richtig. Genau deswegen macht es auch keinen Unterschied, ob dieser Gott, dessen Existenz man nicht absolut widerlegen kann, existiert oder nicht, d.h. der Atheist kann sich genauso beschweren, was das „… ja aber man kann nicht absolut ausschließen, dass doch …“ für ein sinnloses Bohei ist. Tempest in a coffee mug.
@ Mycroft:
Es sind aber zwei unterschiedliche Aussagen, ob man sagt:
a) „Damit Geld funktioniert, müssen genügend Leute auf irgendeiner Ebene irgendwas (begründet) glauben.“
oder
b) „Der Wert des Geldes beruht ALLEIN auf einem kollektiven (aber eigentlich unbegründeten) Glauben.“
Satz a) würde ich wie gesagt zustimmen, Satz b) aber nicht.
Der Wert des Geldes wird nicht durch den Staat oder die Zentralbank festgelegt, das stimmt. Er wird aber auch nicht einfach nur durch einen „Glauben“ festgelegt. Sondern er ergibt sich (auch) daraus,
– dass zahlreiche Wirtschaftssubjekte Geld in der entsprechenden Währung annehmen müssen (sofern sie nicht Pleite gehen wollen und nicht willens sind bzw. es sich nicht erlauben können, in extremem Maße Steuern zu hinterziehen). Dadurch kommt es zu einer Nachfrage nach dem entsprechenden Geld.
– dass zugleich die verfügbare Geldmenge im Effekt begrenzt ist.
Dadurch kommt es zu einer Nachfrage nach Geld in der entsprechenden Währung, der aber nur ein begrenztes Angebot gegenübersteht. (Auch) hierdurch hat Geld einen Wert.
Und dies gilt übrigens auch für diejenigen, die keine Steuern in der entsprechenden Währung zahlen wollen oder müssen. Äpfel haben (primär) auch ihren Wert, weil manche Leute Äpfel als Lebensmittel für sich oder andere konsumieren wollen. (Apfel(saft)bestandteile in anderen Lebensmitteln und Tierfütterung schließe ich hier ein.) Dass manche Leute (wie Obstbauern oder Lebensmittelhändler) die Äpfel womöglich gar nicht persönlich verwerten wollen, ändert daran nichts. Äpfel haben für den Obstbauern oder Händler schon allein deswegen einen Wert, weil es genügend andere Leute gibt, die Äpfel verwerten wollen.
Dass solche Verhältnisse und Prozesse auch irgendwo wieder von „Glaubensüberzeugungen“ abhängen, gebe ich gerne zu; aber nicht, dass es hier NUR um Glauben geht.
Sofern nicht zu viel Geld in den Wirtschaftskreislauf gepumpt wird (was heutzutage selten der Fall ist), scheint die Veränderung der Preise (die in der Regel in einer Inflation besteht) vor allem auf die Veränderung der Lohnstückkosten zurückzugehen.
Übrigens erreichen die meisten Zentralbanken in reichen stabilen Ländern ihre Inflationsziele in normalen Zeiten ganz gut – wenn oftmals auch durch eine Dämpfung der Wirtschaft.
Da grundsätzlich (s.o.) empirisches Wissen auch nur mehr oder weniger begründeter Glaube ist, ist das von vornherein war, also gut wie keine Aussage.
Für die Funktion des Geldes im gegenwärtigen Kapitalismus ist vor allem wichtig, wie groß der Umfang des Wertanteils ist, der hochvolatil ist, weil ihr von sehr spekulativem Glauben abhängt. Wer die Leute hier Dinge glauben machen kann, gleich ob Geld bald weniger oder mehr wert sein wird, kann draus Gewinn ziehen. Diese künstlich Aufblasen und einschrumpfen des Werts, diese Schwankung, bei der der Manipulierte immer hinterherläuft, sind ein Mechanismus der Geld aus der Realwirtschaft in die Finanzwirtschaft pumpt. Geld ist deswegen inhärent gefährlich für das Wirtschaftssystem, aber profitabel für die Priesterkaste Finanzwelt.
„Ich bilde mir ein, Dinge zu wissen, aber genau genommen habe ich sie meist einfach irgendwem geglaubt.“
Davon bin ich nicht überzeugt. Primär weil ich davon ausgehe das sie nicht „irgendwem“ glauben schenken sondern zu signifikantem Teil den Quellen die sich das Vertrauen erarbeitet haben.
Der Bild glaubt man nicht weil sie nachweislich die Wahrheit verdreht oder freiweg lügt. Trump kauft man nicht ab er sei ein erfolgreicher Geschäftsmann weil er schon mehrfach Pleite ging (selbst mit einem Casino).
Das ist mit etwas Abstand wesentlich einfacher weil die ganzen Gefühle und Denkfehler denen wir ausgeliefert sind keine so große Rolle spielen. Religion ist gut darin weil sie mit Indoktrination arbeiten. Die sich wohl schwerer überwinden lässt als die Phase in unserer Entwicklung in der wir glauben unser Eltern wüssten und könnten alles.
„Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn Donald Trump recht hätte, und das bedeutet eben auch, meine Welt wäre besser, wenn ich einfach glauben würde, er hätte recht.“
Nein. Sie würden nur glauben (fühlen) ihre Welt wäre besser.
Das Dilemma daran ist freilich: Man kann seine Welt nicht zum besseren hin gestalten wenn man den Fehler nicht sieht.
„Ich weiß, dass ich nicht weiß“ neu aufgelegt: sicherlich sehr weise, sich das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Ich frage mich gerade, was Sokrates nach einem Gespräch mit D.Trump gedacht hätte. Vielleicht „das darf doch jetzt wirklich nicht wahr sein, dazu hat die Demokratie geführt?“
@Klaus Trophobie
Vorzitat:‘ […] meine Welt wäre besser […] ‚
Zitat: „Nein. Sie würden nur glauben (fühlen) ihre Welt wäre besser.“
Da kann man nun ja philosophisch werden: Da wir den Sinn des Lebens nicht kennen und uns selber suchen müssen, stellt sich die Frage, ob das wirklich ein Unterschied ist, was Sie da monieren.
Denn da es ohne unseren Glauben (an z.B. die Aufklärung als sinnvolles Prinzip) kein „besser“ oder „schlechter“ geben kann, gibt es ja nicht eine rein objektiv festgestellte bessere oder schlechtere Welt.
De facto sind sich ja auch die aufgeklärten Menschen nicht (in allen Details) einig sondern höchstens in groben Zügen, was eine bessere oder schlechtere Welt wäre.
Das Problem mit dem Glauben ist die Blindheit. Wer sich und seine „Wahrheiten“ nicht hinterfragt landet automatisch in einer Blase aus „Erkenntnissen“ die sich ständig verändernde Kontexte nur unzureichend appräsentieren. Man entwickelt Blinde Flecken, die durch eine intersubjektiv vermittelte Dogmatik mit all ihren Denk- und Redeverboten ausgeweitet bzw. systematisiert werden. Seltsamerweise fällt einem dieses Phänomen nur bei den politischen Gegnern auf. Man selbst ist ebenso betroffen. Es ist alles eine Frage der Reduktion von Komplexität. Was lässt man weg weil es nicht so wichtig ist? Im übrigen,m wenn sich Wissenschaft in ein rechts – links Schema einordnen lässt, dann ist es bestenfalls akademisierte Propaganda. Wissenschaft ist wie ein Warenhaus, in dem man nie das findet was man sucht. Logisch, auf eine vorwissenschaftliche Fragestellung gibt es keine wissenschaftliche Antwort.
Da geht aber die Pointe unter. Ob Sie oder ich an Geld glauben, ist völlig egal – ich bekomme mein Sternpilz am Späti auch dann, wenn ich die 70 Cent, die ich über den Tresen schiebe, für eine Chimäre halte. Stimmt, Geld hat seinen Wert nicht an sich. Es hat ihn aber auch nicht auf Basis von Glauben, vielmehr von sozialer Praxis. Der Unterschied: Glaube ist Zustand im Kopf, Praxis ist Prozess in der Gesellschaft.
Alfred Sohn-Rethel hat den Vorgang, der alles auf der Welt in Geld-Äquivalente verwandelt, „Realabstraktion“ genannt. Marx hat über die Akteure (also uns alle) im berühmten Fetisch-Kapitel des Kapitals gesagt: „Sie wissen es nicht, aber sie tun es.“ Wir müssen nicht an Geld glauben; wir müssen nur nach den Maßgaben handeln, die seine Existenz uns vorgibt.
(Sorry, off-topic. Aber das ist mein Steckenpferd, und es schmerzt mich immer, dass sich Linke heute dafür kaum noch interessieren).
@Christoph Kuhlmann
„Seltsamerweise fällt einem dieses Phänomen nur bei den politischen Gegnern auf.“
Der Glaube an die Aufklärung ist eben aber keine politische Frage bzw. ist er genauso wenig zwangsläufig gleich verteilt in politischen Lagern. Ein perfekt aufgeklärter Mensch würde nicht von außen drauf gucken und sagen: „Trump-Gegner und Trump-Anhänger haben einfach alle blinde Flecken.“ Glaube an die Aufklärung und an wissenschaftliche Methodik beinhaltet ja, in Theorien und Hypothesen zu denken, die falsifizierbar(!) sind und die man skeptisch nur solange als Wahrheit betrachtet, bis man sie widerlegen kann. Ein aufgeklärter Mensch sucht also ständig seine blinden Flecken. Ihr Raunen deutet ja in die Richtung, als wäre diese Suche zwecklos und in Wahrheit links und rechts alle Menschen gleich beschränkt in der Wahrnehmung. Das ist aber nicht der Fall.
Bei aller Subjektivität, die ich als Individuum mit mir trage, wage ich schlicht festzustellen: Mai Thi Nguyen-Kim handelt offensichtlich aufgeklärter und hinterfragt sich selbst und andere mehr als Donald Trump und ihre Argumentation ist in der Regel konsistent mit über Jahrhunderten nicht falsifizierten mathematischen Theoremen und Axiomen, die mich ähnlich aufgeklärte Menschen an Universitäten gelehrt haben. Also traue ich eher ihr als ihm. Das festzustellen braucht keine politische Dimension. Es ist eben nicht die Verachtung für Donald Trump, die ihn uns als ignorant ansehen lässt, sondern umgekehrt!
Ich muss nicht an das Geld glauben, das ich über die Theke schiebe, es reicht, wenn mein Gegenüber das tut. So, wie ein super aufgeklärtes Alien auf der Erde landet und trotzdem in einen Gottesdienst geht, um die Ureinwohner zu erforschen.
Aufklärung heisst, dass man seinen Verstand einsetzt, bevor man etwas glaubt oder tut. Nicht, dass man immer Recht hat.
Überprüfung von Thesen: Falsifizierbarkeit, Plausibilität und Reproduzierbarkeit. Daran kann man sich, ohne tiefer zu gehen, schon ganz gut entlanghangeln. (Das glaube ich Herrn Lesch, zumindest glaube ich das.)
Atheismus ist die Abwesenheit von Glauben – Ich gehe davon aus, dass da nichts ist (bis Anderweitiges belegt wird = Agnostizismus). Daran muss ich nicht glauben, im Gegenteil, es ist die Abwesenheit von von Glauben.
Wenn ich mal wieder in einer Glaubenskrise bin, imaginiere ich die Größe des Universums und was ich dazu beitrage, dann schmeckt das Bier auch wieder.
Eliezer Yudkowsky von der lesswrong/rationality community hat über Glauben geschrieben, dass er nicht binär sondern ein Wahrscheinlichkeitsspektrum zwischen 0 und 1 ist. Auch wenn wir Menschen von Natur aus schlecht in Wahrscheinlichkeiten sind, kann man sich trotzdem überlegen, wie sicher man sich ist, dass eine Aussage wahr ist. Wenn ich sage, ich bin mir zu 95% sicher, dass Covid-19 eine schwerwiegende Krankheit ist, die ohne Eindämmung viel schlimmere Folgen hat, dann bin ich mir dessen zwar sehr sicher, aber von 20 solcher sicheren Thesen liege ich bestimmt einmal daneben. Wenn ich mich weiter informiere und Infos in die eine oder andere Richtung bekomme, dann müsste sich auch meine Sicherheit in der Aussage in die eine oder andere Richtung verschieben, denn ich lerne ja dazu. Die konkreten Wahrscheinlichkeiten habe nicht im Kopf und mache mir den Prozess auch nicht so bewusst, aber im Groben halte ich das für vernünftig. Wenn ich Wetten abschließen müsste oder politische Entscheidungen treffen würde, dann wäre es gut, die einzelnen Szenarien in ihrer Wahrscheinlichkeit abwägen zu können.
Das ist auch transitiv. Wie sicher bin ich mir bei einer Information von Quelle X, dass sie stimmt und ich sie später nicht mit neuer Erkenntnis verwerfen muss? Da schneiden Wissenschaftler gut ab, peer-reviewed journal Artikel noch besser, und bestimmte Journalisten, Politiker und auch Onlinekommentatoren. Das heißt nicht, dass ich denen „alles glaube“, sondern nur, dass ich denke, die machen einen guten Job, zu einem logischen, nachvollziehbaren und belastbaren Wissensstand zu kommen. Wenn diese Leute beim Manipulieren erwischt werden und das nicht ein transparent behobener Fehler ist, dann sinkt auch mein Vertrauen in die Leute wieder.
Im Gegensatz dazu macht Trump keinen rationalen Prozess durch. Er glaubt entweder 0 oder 1, je nachdem was ihn besser da stehen lässt, und alle Evidenz für das Gegenteil ist dann Fake News.
Eine entscheidende Eigenschaft des Geldes ist, dass man damit seine Steuern bezahlen kann. Das bedeutet, dass der Emittent hier seinen Wert GARANTIERT. Das hat mit Glauben wenig zu tun, sondern ist eine Machtdemonstration oder markiert einen Machtanspruch.
Deswegen hat es vor gut einem Jahr auch für Wirbel gesorgt, als die italienische Regierung diese Eigenschaft den Mini-Bots zubilligen wollte. Kurze Zeit später war sie Geschichte.
„Glauben“ und „glauben an“ sind doch recht unterschiedliche Dinge. Und bevor mal wieder der wenig weiterführende Satz „glauben heißt ’nicht wissen'“ zitiert wird, zwei Denkanstöße: 1. An Trumps Versagen in der Coronakrise sieht man möglicherweise, dass „Fakten“ und „alternative Fakten“ eben nicht gleichwertig sind – die Toten lassen sich nicht wegdiskutieren (was inzwischen auch manche:r Republikaner:in zu merken scheint).
2. „An Gott glauben“ bedeutet sehr viel mehr als „daran glauben, dass es einen Gott gibt“. Dass das nicht beweisbar ist, wissen die meisten Gläubigen schließlich auch. Da geht es aber nicht um ein „für-wahr-Halten“, sondern um existentielles Vertrauen usw.
Ja, aber hinter der Regierung stecken Menschen, und wenn diese Menschen glauben, dass SIE Steuern in Geldform zahlen können, ist das eben entscheidend, nicht, wie Sie das sehen.
Philipp K. Dick hat mal gesagt, real ist alles, was noch da ist, wenn niemand mehr daran glaubt. Wenn niemand mehr an Geld glaubt, ist das nur noch bunte Papierblätter und Metallstücke. Und Ladungen in einem Computer…
Unsinn, Mycroft, Unsinn. Erstens ist es hier nur eine bedeutungslose Floskel, dass hinter der Regierung Menschen stecken, und zweitens legt die Regierung einfach fest, dass IHR IHRE Steuern mit IHREM Geld bezahlt werden können und müssen.
Da geht es nicht um Glauben, sondern um den nackten Kern der Macht. Ich glaube der Tagesschau wenig und trotzdem muss ich für sie zahlen.
Weil ich riskiere, für ein halbes Jahr eingelocht zu werden, wenn ich dem Staat seine Macht um Acht streitig mache, während er großzügig auf Bewährung erkennen lässt, wenn einer dem anderen ein Messer in die Lunge steckt. Es ist ganz falsch, die Menschen mit ihrer popeligen Lunge mit dem Staat und seiner ihm sehr wertvollen Macht zu verwechseln.
@8 ANDERER MAX
„Atheismus ist die Abwesenheit von Glauben – “
… an einen oder mehrere Götter.
Das Anhängsel finde ich ziemlich wichtig. Zu behaupten das Atheisten an gar nix glauben ist nämlich auch weit ab der Realität.
Thema Atheismus vs. Agnostizismus lasse ich an der Stelle mal unter den Tisch fallen.
@Andreas Müller
Unsinn, und zwar nicht nur das mit den Steuern.
Hätte mich auch gewundert wenn sie aus ihrer Auszeit irgendwelche Lehren gezogen hätte…
Ich sehe da Potential, eine Marke „Attila Müller“ zu etablieren.
Ich vermute, dass die Regierung an Geld glaubt, sonst würde sie Steuern in Form von Naturalien oder Arbeit verlangen, was zu anderen Zeiten nämlich auch praktiziert wurde.
Aber natürlich kann ich nicht Gedanken lesen, vllt. sind das alles auch nur Reptilienmenschen, die ausprobieren, was Humor ist.
„Fox arbeitet sehr umfassend mit gefühlten Wahrheiten, die mit unserer Wahrnehmung von Realität nicht in Einklang zu bringen sind.“
Das ist die höflichste Formulierung von „Fox lügt“, die ich seit Langem gelesen habe.
Ich verstehe die Intention des Artikels, mir schmeckt aber diese Gleichsetzung von „Glauben“ und „Wissen“ nicht.
Denn der Unterschied ist ja gerade, dass Wissen prinzipiell überprüfbar/falsifizierbar ist. Und Glauben eben nicht.
Z. B. könnten Sie ja einfach in die USA fliegen und selbst prüfen, ob da Leute sterben oder nicht. Nur weil Sie das nicht persönlich machen, heißt es ja nicht dass das prinzipiell unmöglich wäre.
Und das gleiche gilt ja für Behauptungen von Trump. Die kann man auch prinzipiell selbst überprüfen (auch wenn das sicher mühselig wäre). Bei „Glauben“ geht das nicht. Jeder kann z. B
gerne glauben, dass Corona nicht gefährlich/tödlich wäre. Ist halt nur Unsinn und nicht von Fakten gedeckt. Leute, die das trotzdem „glauben“ haben sich vom Konzept der Falsifizierbarkeit einfach verabschiedet.
Das Vorlesungsskript ‚Geldtheorie‘ der Uni Hamburg ist mit mir auf einer Linie, was den Glauben ans Geld angeht:
„Weil jeder seine Steuern zahlen muss, sofern er nicht verhaftet werden möchte, und die Regierung nur ihr eigenes Geld akzeptiert, besteht
eine Nachfrage nach gerade diesem Geld. Jeder Bürger eines Landes hat ein Interesse daran, für gerade dieses Geld seine Leistungen anzubieten“
Ein Glaube ist für die Akzeptanz von Geld als Zahlungsmittel also zweitrangig. Er kommt aber bei Geld als Wertaufbewahrungsmittel ins Spiel, wenn es um die Frage geht, ob das Geld (und der Staat) in der Zukunft noch etwas gelten. Da geht es aber um den Glauben an künftige Macht hinter dem Geld, nicht um den Glauben an eine Wahrheit.
(Das ist mein letzter Kommentar unter diesem Artikel, denn wenn Attila-Groupies und Vanities durch die Steppe reiten, steht die Geldtheorie auf verlorenem Posten)
Na da hat das Vorlesungsskript aber Glück gehabt, dass es mit Ihnen (angeblich) auf einer Linie liegt.
Zum „nackten Kern der Macht“ habe ich da aber nichts finden können, im Gegenteil, wenn man auf Seite 33 weiterliest.
Natürlich ist Geld ein soziales Konstrukt und ist insofern das Resultat einer Zuschreibung. Und natürlich hat der Wert von Geld in einem gewissen Sinne auch mit „Glauben“ zu tun:
– Die staatlichen (bzw. gesetzgeberischen) Stellen haben geglaubt, dass die Einführung von Fiat-Geld in irgendeiner Weise sinnvoll oder zumindest für irgendwen nützlich ist.
– Die Leute glauben, dass die Verweigerung der Zahlung von Steuern negative Folgen hat (wenn es rauskommt).
– Usw.
Hier handelt es sich aber um mehr oder weniger rational begründete „Glaubens“-Überzeugungn, also nicht um einen völlig willkürlichen „reinen Glauben“ aus dem Blauen heraus. Zum Teil könnte man hier sogar eher von Wissen und Erfahrung sprechen.
Vor allem aber ist damit, dass Geld in diesem weiten Sinne mit „Glauben“ auf die eine oder andere Weise im besagten Sinne zusammenhängt, noch lange nicht gesagt, dass der Wert des Geldes selbst allein dem kollektiven Glauben entspränge, dass es einen Wert habe. Denn die Notwendigkeit, Steuern in der entsprechenden Währung zu zahlen, erzeugt zweifellos Nachfrage nach dem Geld – und gibt ihm dadurch schon einen gewissen Wert.
Man mag Herrn Müllers Beiträge mögen oder nicht, aber den Chartalismus allein deswegen abzulehnen, weil Herr Müller ihn vertritt, ist vielleicht auch nicht gerade weise. Vor allem, weil der Chartalismus wohl wesentlich mehr erklärt als die neoklassisch-neoliberalen Modelle, in denen Geld eigentlich eh nur eine Illusion und der Staat im Grunde nur ein Störfaktor ist.
@Ichbinich
Ich verstehe Ihre Bedenken, in der Praxis im Alltag taugt Falsifizierbarkeit aber schlecht als Kriterium, weil uns dafür die Ressourcen fehlen. Was macht es für einen Unterschied, dass Sie theoretisch in die USA fliegen könnten und sich selbst ein Bild machen, wenn Sie es aus Zeit und Geldgründen sowieso nicht tun? Sie könnten auch sagen, der Mond ist aus Frischkäse, denn das ist falsifizierbar und Sie könnten hinfliegen und nachsehen. Ist das dann Wissen oder Glauben, solange Sie sich nicht die Mühe machen (können), die These zu überprüfen?
Im Übrigen ist es nicht mal so einfach, denn die USA sind sehr groß. Die allerallermeisten Amerikaner bekommen selbst nur Medieninfos, denen sie „glauben“ müssen oder auch nicht. Oder sie glauben dem CDC. Selbst Fauci muss darauf vertrauen, dass seine Mitarbeiter vernünftig arbeiten und gute Daten liefern. Weiß er das oder glaubt er das?
Dann sind das ja zwei Arten von „Glauben“: die eine ist, dass kein menschliches Individuum alle Fakten, die für es relevant sind, aus eigener Anschauung kennen oder überprüfen kann, obwohl diese Fakten an sich einer Überprüfung zugänglich sind. Es muss sich demnach darauf verlassen, dass andere Menschen – z.B. Journalisten – das getan haben und sich dabei weder vertan haben noch lügen. D.h., es glaubt ihnen.
Die andere Art Glaube betrifft Dinge, die nicht „objektiv“ überprüfbar sind. Und der Wert des Geldes beruht darauf, dass hinreichend viele Menschen sagen, dass Geld Wert hat, nicht darauf, dass man Geld irgendwie naturwissenschaftlich messen kann.
@Mycroft
Ich würde übereinstimmen, dass es verschiedene Arten von Glauben gibt, einen rationalen, der an einer möglichst guten Übereinstimmung zwischen unserer Vorstellung von der Wirklichkeit und der Wirklichkeit interessiert ist, und einen blinden, religiösen, ideologischen Glauben, der eine These unabhängig von der Wirklichkeit behauptet und an diesem Vergleich nicht interessiert ist. Die meisten hier sind vermutlich der Meinung, dass wir eher ersteres anstreben (sollten), während Trump in zweiterem verhangen ist.
Ihr Kommentar klingt für mich so, als ob Sie den Wert des Geldes in zweite Kategorie stecken wollen. Geld ist aber real und Sie können objektiv messen: wie ist das Wertverhältnis zwischen Euro und Öl, zwischen Brot und Euro, zwischen Dollar und Euro, wieviel X können Sie für Y erhalten oder was halten andere für tauschenswert. Selbst wenn wir zur Genese annehmen, dass sich Geld aus dem kollektiven Glauben an den Wert von Geld entwickelt hat, ist es im hier und jetzt mit Staatsmacht ausgestattet und als gesellschaftliches allgemein anerkanntes Tauschobjekt real.
Sie können Geld nicht naturwissenschaftlich messen, wohl aber sozialwissenschaftlich, politökonomisch oder wie man das nennen mag. Geld ist vor allem Ausdruck eines zwischenmenschlichen Verhältnis, also landen Sie wohl kaum bei einem „objektiven“ Ergebnis, wenn Sie von der menschlichen Gesellschaft abstrahieren. Ich hoffe, Sie meinen nicht, dass nur die Naturwissenschaft richtige Dinge über die Welt zusammen tragen kann.
Bei Terry Pratchett findet sich diesbezüglich eine interessante Analogie im religiösen Glauben: was wäre, wenn der persönliche Glauben vieler Menschen eine reale Änderung in der Welt bewirken würde? Es gibt in der Scheibenwelt Götter und metaphysische Wesen und sie verschwinden oder verlieren Macht, wenn weniger Menschen an sie glauben. Weil jeder an den Tod glaubt, gibt es den Tod. Unser Geld ist bei Pratchett die Religion: wenn niemand daran glauben würde, dann gäbe es Geld nicht, aber in einer Welt wo Geld nunmal existiert, ist jeder dumm, der nicht daran glaubt. Weshalb in Fantasywelten mit Göttern und Magie ein Physiker und Atheist einfach nur ein Ignorant wäre.
Ok, dann gibt es mindestens DREI Arten von Glauben:
– Dinge, die man als wahr akzeptiert, weil man den Personen vertraut, die diese Dinge gesehen, gemessen oder sonstwie nachgewiesen haben
– Dinge, die durch reine Übereinkunft wahr werden, wie Geld oder Grammatik
– Dinge, die man für wahr hält, weil man sie gerne glauben möchte
@ERWINZK
„Ich verstehe Ihre Bedenken, in der Praxis im Alltag taugt Falsifizierbarkeit aber schlecht als Kriterium, weil uns dafür die Ressourcen fehlen. “
Deswegen schrieb ich ja „Ich verstehe die Intention des Artikels“. Aber ein Kriterium taugt ja nicht nur dann etwas, wenn es jeder zu jeder Zeit und ohne Aufwand überprüfen kann.
Und natürlich kann man es „glauben“ nennen, wenn ich davon ausgehe, dass ich relativ ungefährdet über die Straße gehen kann wenn meine Ampel grün ist, ohne dass ich jedes Mal faktisch geprüft habe, dass auch alle anderen Ampeln wirklich rot sind.
Aber prinzipiell könnte ich es prüfen. Und demzufolge ist diese Annahme falsifizierbar. Auch wenn es mir faktisch nicht möglich ist, das überall zu tun.
So funktioniert auch Wissenschaft. Natürlich kann ich nicht alles selbst prüfen. Ich kann aber mit Sicherheit davon ausgehen, dass es genügend kluge Köpfe gibt, die das bereits geprüft haben und daher bei einem wissenschaftlichen Konsens von einem „Fakt“ ausgehen. Und es gibt genügend Beispiele, dass dieses grundsätzliche Prinzip der Falsifizierbarkeit sehr gut funktioniert.
Man kann das jetzt auch „Glaube an die Wissenschaft an sich“ nennen, wenn man will. Für mich ist das aber trotzdem etwas anderes als z.B. der „Glaube, dass in Amerika die Leute nur deswegen soviel Corona haben weil soviel getestet wird“. Denn das ist offensichtlicher Unsinn. Auch wenn ich nicht jeden Toten selber gezählt habe.
@ Mycroft:
„Die andere Art Glaube betrifft Dinge, die nicht ‚objektiv‘ überprüfbar sind. Und der Wert des Geldes beruht darauf, dass hinreichend viele Menschen sagen, dass Geld Wert hat, nicht darauf, dass man Geld irgendwie naturwissenschaftlich messen kann.“
Erwin-ZK würde ich weitgehend zustimmen. Um es noch etwas zu ergänzen:
Auch eine Fahrkarte hat keinen „inhärente“ Bedeutung. Dass sie sie jemanden berechtigt, eine Fahrt zu machen, ist nicht in der Physik der Karte enthalten. Es ist vielmehr eine Folge sozialer bzw. juristische Festlegungen. In diesem Sinne ist der Wert dann allerdings „objektiv“: Jeder, der die entsprechenden Regelungen und ihre praktische Durchsetzung prüft, kann im Prinzip die juristisch-soziale Bedeutung einer Fahrkarte zu ermessen und objektivieren. Dass die Fahrkarte gilt, liegt aber nicht (allein oder primär) daran, dass alle spontan an ihre Funktion glauben, sondern dass sie mit einem bestimmten institutionellen Regelwerk verbunden ist.
Mit dem Geld ist es ähnlich:
Es hat den Wert durch Zuschreibung. Aber nicht (allein) deswegen, weil die Leute sich spontanen darauf verständigen würden, ihm Wert beizumessen (wie bei Kryptowährungen), sondern weil der Staat ein bestimmtes Regelsystem etabliert. In diesem Sinne ist Geld eine vom Staat etablierte Institution (jedenfalls das Zentralbankgeld; das sog. Giralgeld aber ist ein Derivat von ersterem).
Damit eine von einem Regelwerk getragene Institution in der Praxis funktioniert, müssen natürlich wiederum die Leute darum wissen. Aber das ist etwas anderes als die Aussage, dass ein Regelsystem einfach nur das Resultat eines spontanen weit verbreiteten (aber willkürlichen) „Glaubens“ sei.
Knapp (der Begründer des Chartalismus) hat das (im von A. Müller verlinkten Text) wie folgt beschrieben:
„Wenn wir unsere Mäntel beim Eintritt ins Theater zur Aufbewahrung abgeben, erhalten wir dafür ein Messingplättchen von bestimmter Gestalt, das ein Zeichen trägt, etwa eine Nummer. Es steht weiter nichts darauf, aber diese ‚Marke‘ hat eine rechtliche Bedeutung: sie ist Beweis dafür, daß ich den abgelegten Mantel wieder zu fordern habe.Wenn wir Briefe absenden, bekleben wir sie mit einer Marke, welche beweist, dass wir durch Portozahlung das Recht erworben haben, diesen Brief durch die Post befördern zu lassen. (…) Unsere Zahlungsmittel nun, seien es Münzen oder Scheine, haben die genannten Eigenschaften ebenfalls; sie sind Zahlungsmarken, das heißt Marken, die als Zahlungsmittel dienen. (…) Wie bei allen anderen Marken, so ist auch für die Zahlmarken nur wichtig, dass sie Zeichen tragen, die von der Rechtsordnung genau vorgeschrieben sind. Nicht wichtig ist, dass sie einen Text, im Sinne der Schrift enthalten; ja, weder was in Buchstaben, noch was in Hieroglyphen (Wappen) etwa darauf steht, kommt als Text in Betracht. Es kommt nur in Betracht, insofern es ein Kennzeichen ist. Was aber diese Zeichen bedeuten, das wird nicht durch Lesung dieser Zeichen, sondern durch die Einsicht in die Rechtsordnung erkannt. (…)“
Der Autor des Artikels hatte eine gute Idee und ehrenwerte Absichten. Aber bei so einem Thema kommt es auf sehr präzise Formulierungen an, sonst begibt man sich auf sehr dünnes Eis und verdreht die Intention des Artikels in eine Steilvorlage für Verschwörungsideologen.
Gerade diese behaupten ja gerne von sich, dass sie angeblich nur „dem bösen Mainstream nicht glauben wollen“ und sich „ihre eigene Meinung bilden wollten“ (tatsächlich lehnen sie nur aus ideologischen Gründen unangenehme Wahrheiten ab, glauben aber alles, was ein dahergelaufener Kochbuchautor oder Schnulzensänger ihnen erzählt).
Wenn es also im Artikel so rüberkommt, als gäbe es die Abgrenzung zwischen Glauben und Wissen nicht und man könnte es mal so oder mal so sehen, ist das eher kontraproduktiv und eher im Sinne der Verschwörungsideologen.
Ich habe schon lange nicht mehr gesagt, dass ich „die nach unten offene Kommentarspalte“ hier liebe! Danke für die vielen schlauen, auf den Artikel und das drunterliegende Thema eingehenden Kommentare, die mein Wissen anreichern.
@14: Stimmt.
Thema Agnostizismus / Atheismus: Ich bin der Meinung, „echte“ Atheisten kann es nicht geben, weil man die Möglichkeit eines Gottesbeweises a) theoretisch nie ausschließen kann und b) für unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Ansprüche an diesen Beweis existieren (Thema Urknall. Den einen reicht die Tatsache des „Entgleitens“ aus einer perfekten Symmetrie in den Zustand von existierender Raumzeit aus, um einen Gott als „ersten Beweger“ anzunehmen, den anderen nicht.) Nachweisbar wird weder das eine, noch das andere sein, jemals – Theoretisch möglich ist beides, immer. Daher wird es auch Glaubenskriege geben, solange es Menschen gibt, nur meine Meinung.
Ein Kapitalismus, der die Vermarktung jeder Meinung ermöglicht, wird dies auch eher nur verstärken.
@ Alle:
Die „auch an Geld muss man glauben damit es funktioniert“ ist doch auch nur ein Gedankenspiel, wenn alle gleichzeitig (unrealistisch) aufhören würden daran zu glauben. Irgendwer hat aber immer ein Interesse am Glauben an irgendwas (Terry Pratchett, z. B. der kleine Gott Om, wie oben schon erwähnt). Von daher bleibt sowas ja immer nur ein Gedankenspiel.
Der Müller hat insofern ja recht, Macht wird immer versuchen sich selbst zu erhalten (bzw. die Menschen, die sie haben).
Das dann auf die bösen „Tagesschau-Gebühren“ zu beziehen ist natürlich cringe.
@26: Ich finde, das kann man nicht so trennscharf auseinanderdividieren. Darin spiegelt sich meiner Meinung nur das menschliche Bedürfnis nach (semantischer) Ordnung wider, wo real (ha!) keine Ordnung hergestellt werden kann. Sprich: Glaube ist Gefühl, egal wie trennscharf formuliert. Übereinstimmungs-Glaube (2) z. B. kommt vom Glauben wollen (3), meine ich. Wenn das die ersten adaptieren, kann (1) in Kraft treten (Zigaretten als Währung, ob wahr oder nicht). Geld ist ja auch mit Gold abgesichert, bestenfalls.
Schweres Thema.
Das Beispiel mit den Gaderoben-Marken zeigt doch, dass ich dem Theater glauben (=vertrauen) muss, dass es mir meinen Mantel zurückgibt und keinen billigeren Mantel. Im Zweifel hätte ich vor Gericht Probleme zu beweisen, dass ich nicht beklaut wurde, bzw., dass das tatsächlich eine Gaderobenmarke dieses Theaters ist. Das Theater umgekehrt riskiert hier fast gar nichts, weil die Marke meistens einen geringeren Tauschwert hat als der Mantel und mir nicht vertrauen muss. (Aus dem Grund, dass ich dem Theater aus anderen Gründen Geld gebe und das nie wieder tue, wenn man mich übers Ohr haut, ist mein Risiko auch nicht _groß_, aber dann passt der Vergleich nicht mehr.)
Das eine Währung gesetzliches Zahlungsmittel _und_ vorgeschriebene Einheit der Steuerzahlung ist, sagt ja nur, WELCHES Geld verwendet wird. Der Wert des Geldes wird nicht vom Staat vorgeschrieben (ja, manchmal schon), weil man sonst keine Inflation hätte, und Bargeld wird auch von Leuten akzeptiert, die nicht die Absicht haben, diese Einnahme zu versteuern.
Zwei Fragen, zwei völlig unterschiedliche Antworten: „Woher wissen wir, welche Dichte Osmium hat?“ – „Weil ich sie Euch gesagt habe.“ – „Das akzeptieren wir nicht.“ – „Weil zahlreiche voneinander unabhängige und reproduzierbare Tests mit Osmium diese Dichte ergeben haben.“ – „Ok.“
„Woher wissen wir, dass diese Brötchen 5 Euro wert sind?“ – „Weil ich das sage.“ – „Diese Antwort akzeptiere ich nicht.“ – „Weil ich 5 € dafür will.“ – „Ok.“
Oder, es gibt nicht nur unterschiedliche Arten von Glaube, sondern auch von Wirklichkeit.
Naja, das Garderoben-Beispiel ist ja schon etwas komplexer:
„Das Theater“ würde ja nicht den Mantel unterschlagen, sondern ein Mitarbeiter in der Garderobe des Theaters, der seine eigenen Gründe hat. Das Theater hat natürlich das Risiko des Imageschadens und daher ein Interesse, ehrliche Garderoben-Mitarbeiter zu beschäftigen.
Image ist ja auch eine Währung, siehe Amazon-Sterne. Die kann man auch für Geld kaufen – Oder sogar gegenteilig als „Waffe“ gegen Mitbewerber einsetzen.
Letztlich ist alles nur eine Frage des Geldes, auch Meinugsbildung.
Hier wird aber das große Fass aufgemacht.
Im Grunde stellt der Autor die Frage, die eine ganze philosophische Zunft, nämlich die Erkenntnistheoretiker, seit Jahrhunderten nicht beantworten können. Wann kann ich gesichert (gerechtfertigt) sagen, dass ich etwas weiß. Dabei ist man inzwischen der Auffassung, dass diese Sicherheit durchaus nicht absolut ist, und zwar aus einem praktischen Grund: mit Sicherheit kann ich nur Aussagen über mich selbst treffen, ganz konkret: „Ich zweifle, also bin ich.“ beziehungsweise mit ein paar Gedankenspielen erweitert auf „Ich denke, also bin ich“ (siehe Descartes). Leider kommt man aber mit Descartes nicht viel weiter, insbesondere kann man keine Aussagen über die Welt treffen. Also nimmt man an, dass zumindest eine objektive Welt exisitiert und das, was uns unsere Sinne über diese sagen, schon stimmen wird (Realismus/Empirismus). Jetzt erkennt man recht schnell, dass da ein einzelnes Individuum aber an seine Grenzen gelangt. Also gibt es so etwas wie eine überindividuelle Übereinkunft, was wahr ist (Intersubjektivität). Auf diesem Erkenntnisprinzip beruht beispielsweise die Geschichtswissenschaft.Und schließlich gibt es ja auch Wahrheiten, die überhaupt nicht in der Natur vorkommen (2+2=4) sondern nur logisch erlangbar sind. Die Erkenntnistheorie hat sich inzwischen (weitgehend) auf die Definition geeinigt, das Wissen eine wahre und gerechtfertigte Meinung ist. Dabei sind aber alle Probleme damit nur auf andere Begriffe verschoben, denn es ist keineswegs so, dass klar ist, was „wahr“, „gerechtfertigt“ oder „Meinung“ ist. Inzwischen sind auch in der Erkenntnistheorie viele Stimmen, die sagen, dass man wohl nie eine vollständige und widerspruchsfreie Defintion davon haben wird, „was man wissen kann“.
Das Theater könnte kurz vor der Pleite stehen, und dessen Leitung und/oder die Garderobenfrau kämen auf die Idde, dass jetzt der Image-Verlust nicht so viel ausmacht, wie der Pelzmantel wert ist.
Außerdem, auch ohne Pleiteangst hat eine Zeitung kein Interesse daran, ihr Image als sauber recherchierendes, wahrheitsliebendes Mitglied der vierten Gewalt zu gefährden, dennoch hatte Relotius ein andersartiges Interessen.
Aber gut, ich habe keinen _blinden_, also völlig unbegründetet Glauben in das Markensystem, einen gewissen Vertrauensvorschuss muss ich aber aufbringen, wenn ich an der Stelle weiterkommen will. Selbiges gilt für Geld, Medien und Schulwissen.
@Andreas Müller 21. Juli 2020 um 17:59 Uhr
„Das Vorlesungsskript ‚Geldtheorie‘ der Uni Hamburg ist mit mir auf einer Linie, was den Glauben ans Geld angeht: „Weil jeder seine Steuern zahlen muss, …“
Allerdings garantiert unsere Verfassung, dass das Existenzminimum steuerfrei sein muss. D.h. theoretisch ist es so, dass niemand gezwungen ist, dieses Geld-verdienen-Steuern-zahlen-Spiel mitzuspielen. Man muss nur auf „Luxus“ verzichten.
Tatsächlich ist es natürlich so, dass das Existenzminimum gerade auch deswegen, um die Menschen unter dieses Joch zu zwingen, sachwidrig kleingerechnet wird. https://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/tickerarchiv/d/n/2674/
Die Daten bekommt Otto Normalbürger im Übrigen hier sowieso nicht VG Wiesbaden, 6 K 1374/11.WI vom 15.03.2013, https://openjur.de/u/689984.html
@31 Anderer Max 23. Juli 2020 um 13:27 Uhr
„Ich bin der Meinung, „echte“ Atheisten kann es nicht geben, weil man die Möglichkeit eines Gottesbeweises a) theoretisch nie ausschließen kann …“
Populärste Antwort hierauf: Wenn man sich darauf zurückzieht, dass nichts sicher ist, dann kann man gar nichts (nicht) glauben. Inklusive die Existenz des IPU, des FSM und so weiter.
Außerdem haben wir dann für das Wort „Atheist“ keine Verwendung mehr, wenn es solche nicht geben kann. Da es also frei ist, können wir es zur Bezeichnung von etwas anderem verwenden, also von Leuten, die so nicht an Gott glauben, wie die Leute nicht an den Gott der anderen glauben, die Hinduisten nicht an den christlichen, die Christen nicht an Odin u.s.w.
„… und b) für unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Ansprüche an diesen Beweis existieren …“
Soll das jetzt das Problem des Atheisten sein, wenn ein Christ seinen Glauben an seinen Gott damit begründet, dass es in der Bibel steht und ihm das reicht?
@36: Das FSM ist doch „Gott ad absurdum“. Also ja klar, auch an das FSM kann ich nicht (nicht) glauben. Beweis‘ mir, dass es nicht existiert! Beweis‘ mir, dass es existiert!
Es ist ja nur die Eskalation des Gottesbeweises auf ein Medium, das noch nicht 2000 Jahre Glaubenskämpfe und daher gewisse „Befindlichkeiten“ hinter sich hat und mit sich trägt.
Was Sie mit dem Wort Atheist machen, ist mir Schnuppe. Mir geht es auch gar nicht um das Wort selbst, sondern um die (nicht) Belegbarkeit des Gottes selbst. Ich sage ja nur, dass weder der Beweis von Existenz, noch Nicht-Existenz jemals erbracht werden kann. Da ich beides also nicht ausschließen kann, kann ich kein „absoluter“ Atheist sein, weil es könnte ja noch ein Gottesbeweis kommen, egal wie unwahrscheinlich.
Ich betrachte mich selbst auch als Atheisten. Meine Erklärung ist, dass ich davon ausgehe, dass alle Phänomene, die einem Gott zuzurechnen wären auf kurz oder lang wissenschaftlich erklärbar sein werden. Vielleicht nicht der Urknall, aber selbst da gibt es halt schon Erklärungsansätze, warum die perfekte Symmetrie zugunsten der Existenz (Raumzeit) „geopfert“ wurde. (Empfehlung: Serie „Von Aristoteles zur Stringtheorie“ von Dr. Gassner auf dem YT Kanal „Urknall, Weltall und das Leben“)
Der Atheist hat kein Problem. Glauben kann ja jeder, wie er mag. Wenn dem Christen „steht in der Bibel“ reicht, dann ist das hinzunehmen. Es ist Glaube, nichts Rationales. Mit dem FSM z. B. hat man ja die Möglichkeit, den Glauben eines anderen in einen absurden Kontext zu setzen und damit einen Aha-Effekt zu provozieren. Wenn der nicht eintritt, na gut.
Der Atheist hat nur ein Problem, wenn er einen Kopf kürzer gemacht werden soll, weil er nicht glaubt.
@35:
Das Theater könnte auch gerade neu eröffnet haben und ein Imageschaden könnte ihm das Genick brechen … Szenarien können wir unendlich konstruieren.
Letzter Absatz d’accord, ohne Vertrauensvorschuss geht es wohl nicht.
Wie gesagt ist Geld ja auch an Gold gekoppelt. Auch an Gold muss ich glauben.
@ Anderer Max 24. Juli 2020 um 8:41 Uhr
Wenn nichts speziell dagegen spricht, halte ich es schon für weise Wörter so zu gebrauchen, wie sie gemeinhin gebraucht werden. Der „absolute Atheist“ gefällt mir gut. Die Nichtbelegbarkeit in diesem (d.h. absoluten) Sinne trifft aber nicht nur für Götter und so zu, sondern z.B. auch für die Kaffeetasse, die vor einem steht und den Kaffee darin und dessen Farbe. Wie wir schon in „Welt am Draht“ gelernt haben kann echter Kaffee in der echten Welt genausogut lila sein.
@39: An den ganzen Simulationshypothesen stört mich, dass nichts davon eine tatsächliche Auswirkung hat. Mein Kaffee bleibt braun. Er wäre auch in der „echten Welt“ nicht lila, sondern würde dort nicht existieren. Vielleicht würde „echter Kaffe“ lila sein, aber nicht mein Kaffee. Ich kann niemals lila Kaffee sehen oder gar konsumieren.
Die Simulation ist meine Realität. Und falls es keine Simulation gibt, ist die Realität meine Realität. So oder so ist meine Realität meine Realität. Es macht schlicht keinen Unterschied, ob wir in einer Simulation sind, oder nicht.
Das Thema ist im bedeutungsschwangeren SciFi (mit „schaurig-schönem“ Love Metal Soundtrack) schon ganz gut aufgehoben.
@40 Anderer Max 27. Juli 2020 um 9:09 Uhr
„An den ganzen Simulationshypothesen stört mich, dass nichts davon eine tatsächliche Auswirkung hat. … So oder so ist meine Realität meine Realität. Es macht schlicht keinen Unterschied, ob wir in einer Simulation sind, oder nicht.“
Richtig. Genau deswegen macht es auch keinen Unterschied, ob dieser Gott, dessen Existenz man nicht absolut widerlegen kann, existiert oder nicht, d.h. der Atheist kann sich genauso beschweren, was das „… ja aber man kann nicht absolut ausschließen, dass doch …“ für ein sinnloses Bohei ist. Tempest in a coffee mug.
@ Mycroft:
Es sind aber zwei unterschiedliche Aussagen, ob man sagt:
a) „Damit Geld funktioniert, müssen genügend Leute auf irgendeiner Ebene irgendwas (begründet) glauben.“
oder
b) „Der Wert des Geldes beruht ALLEIN auf einem kollektiven (aber eigentlich unbegründeten) Glauben.“
Satz a) würde ich wie gesagt zustimmen, Satz b) aber nicht.
Der Wert des Geldes wird nicht durch den Staat oder die Zentralbank festgelegt, das stimmt. Er wird aber auch nicht einfach nur durch einen „Glauben“ festgelegt. Sondern er ergibt sich (auch) daraus,
– dass zahlreiche Wirtschaftssubjekte Geld in der entsprechenden Währung annehmen müssen (sofern sie nicht Pleite gehen wollen und nicht willens sind bzw. es sich nicht erlauben können, in extremem Maße Steuern zu hinterziehen). Dadurch kommt es zu einer Nachfrage nach dem entsprechenden Geld.
– dass zugleich die verfügbare Geldmenge im Effekt begrenzt ist.
Dadurch kommt es zu einer Nachfrage nach Geld in der entsprechenden Währung, der aber nur ein begrenztes Angebot gegenübersteht. (Auch) hierdurch hat Geld einen Wert.
Und dies gilt übrigens auch für diejenigen, die keine Steuern in der entsprechenden Währung zahlen wollen oder müssen. Äpfel haben (primär) auch ihren Wert, weil manche Leute Äpfel als Lebensmittel für sich oder andere konsumieren wollen. (Apfel(saft)bestandteile in anderen Lebensmitteln und Tierfütterung schließe ich hier ein.) Dass manche Leute (wie Obstbauern oder Lebensmittelhändler) die Äpfel womöglich gar nicht persönlich verwerten wollen, ändert daran nichts. Äpfel haben für den Obstbauern oder Händler schon allein deswegen einen Wert, weil es genügend andere Leute gibt, die Äpfel verwerten wollen.
Dass solche Verhältnisse und Prozesse auch irgendwo wieder von „Glaubensüberzeugungen“ abhängen, gebe ich gerne zu; aber nicht, dass es hier NUR um Glauben geht.
Sofern nicht zu viel Geld in den Wirtschaftskreislauf gepumpt wird (was heutzutage selten der Fall ist), scheint die Veränderung der Preise (die in der Regel in einer Inflation besteht) vor allem auf die Veränderung der Lohnstückkosten zurückzugehen.
Übrigens erreichen die meisten Zentralbanken in reichen stabilen Ländern ihre Inflationsziele in normalen Zeiten ganz gut – wenn oftmals auch durch eine Dämpfung der Wirtschaft.
@42 LLL 28. Juli 2020 um 0:56 Uhr
„a) „Damit Geld funktioniert, müssen genügend Leute auf irgendeiner Ebene irgendwas (begründet) glauben.““
Da grundsätzlich (s.o.) empirisches Wissen auch nur mehr oder weniger begründeter Glaube ist, ist das von vornherein war, also gut wie keine Aussage.
Für die Funktion des Geldes im gegenwärtigen Kapitalismus ist vor allem wichtig, wie groß der Umfang des Wertanteils ist, der hochvolatil ist, weil ihr von sehr spekulativem Glauben abhängt. Wer die Leute hier Dinge glauben machen kann, gleich ob Geld bald weniger oder mehr wert sein wird, kann draus Gewinn ziehen. Diese künstlich Aufblasen und einschrumpfen des Werts, diese Schwankung, bei der der Manipulierte immer hinterherläuft, sind ein Mechanismus der Geld aus der Realwirtschaft in die Finanzwirtschaft pumpt. Geld ist deswegen inhärent gefährlich für das Wirtschaftssystem, aber profitabel für die Priesterkaste Finanzwelt.