Wochenschau (73)

Journalisten dürfen’s ruhig auch persönlich nehmen

Man kann als Journalist objektiv sein – ohne neutral sein zu müssen.

Beides sind unterschiedliche Werte des Handwerks Journalismus. Und in manchen Fällen darf man gar nicht neutral in Bezug auf das zu Berichtende sein, wenn man seine journalistische Integrität bewahren möchte. Denn Journalisten sollten, um ihrem Beruf gerecht zu werden, natürlich parteiisch sein: Sie müssen immer auf der Seite der Wahrheit sein.

Denken wir beispielsweise an Korruptionsfälle. Nehmen wir mal diesen einen aktuellen um einen jungen CDU-Abgeordneten. JournalistInnen decken diesen auf und sind schon allein durch ihre Haltung „Korruption ist schlecht“ automatisch in dieser Geschichte nicht neutral, dennoch macht das ihre Berichterstattung nicht minder objektiv.

Ein anderes Beispiel ist der Fall des den Meinungschefs der „New York Times“ James Bennet, der das Blatt verließ, weil unter seiner Verantwortung ein Text eines Trump-Anhängers veröffentlicht wurde, der den Einmarsch des Militärs gegen die Black-Lives-Matter-Demonstranten forderte. Der Weggang von James Bennet veranlasste den Spiegel-Autor Philipp Oehmke wiederum zu seinem Kommentar „Gegenwart und Zukunft des Journalismus: die Zeit der Neutralität ist vorbei“.

Gleiche Distanz zu allen? Funktioniert nicht.

Philipp Oehmke argumentiert für eine Überwindung des Neutralitätsdogmas und zieht dafür den Medienwissenschaftler Jay Rosen heran, der zur journalistischen Neutralität Folgendes sagt:

„Neutralität wird dann zum Problem, wenn sie falsche Ausgewogenheit fördert: zwei Positionen als gleichwertig einstuft und darstellt, obwohl sie das nicht sind. Der Anspruch auf absolute Neutralität hievt zudem Journalistinnen auf eine Bühne, die befreit ist von Meinung und Ideologie. Der Journalist sagt dem Medien­konsumenten: Ich habe keine Agenda, ich sage dir nur, wie es ist – und du musst mir glauben, denn das, was ich sage, ist Fakt. Die Menschen trauen diesem Konzept nicht mehr.“

Die Idee journalistischer Äquidistanz, die „fair and balanced“ alle Positionen auf den Markt der Ideen zulässt, funktioniert nicht mehr, wenn sich nicht alle MarktteilnehmerInnen auf einen demokratischen und gesellschaftspolitischen Konsens einigen können, der die Grenzen ihrer Meinungsverschiedenheiten festlegt. Eine Zeitung kann nicht, nur um ihre angebliche Neutralität zu bewahren, einem Ku-Klux-Klan-Anhänger überhaupt oder genauso viel Raum geben, wie einem schwarzen Aktivisten, weil wir uns im demokratischen Gesellschaftsvertrag darauf geeinigt haben, dass Rassismus keine vertretbare Meinung ist, die wir der Fairness halber zulassen müssten.

Neutral bleiben bei Angriffen auf die Demokratie?

Genauso verhält es sich mit politischen Aussagen, die antidemokratischer Propaganda zuzuordnen sind. Oder wie Jay Rosen sagt:

„Wenn die Demokratie und der Journalismus attackiert werden, dann sollen die Bürger einer demokratischen Gesellschaft und die Medien inhaltlich nicht neutral sein.“

Michelle Goldberg schreibt in ihrer Kolumne in der „New York Times“ nach Veröffentlichung des umstrittenen „Send in the Troops“-Textes:

„Bevor Donald Trump Präsident wurde, versuchten die meisten Meinungsseiten der Zeitungen ein Spektrum politisch bedeutsamer Meinungen und Argumente zu präsentieren, was ihnen weitgehend gelang, während sie extremistische Propaganda und Aufhetzung eindämmten. Die Trump-Präsidentschaft hat dieses Modell untergraben, weil es generell keine Möglichkeit gibt, die Regierung zu verteidigen, ohne entweder bigott oder unehrlich zu sein.“

Das Dilemma der „Spiegel“-Kritiker

Neutrale PublizistInnen komplett unvoreingenommener Medien wie „Tichys Einblick“ widersprachen Oehmke, manche unterstellten auch etwas dramatisch, dass der „Spiegel“ sich nun endgültig von der Neutralität verabschiedet habe.

Die Diskussion offenbart übrigens eine schöne Catch-22-Situation der Medienkritik: Zu sagen, dass es falsch von Oehmke sei, diese wertende Perspektive einzunehmen, weil in gutem Journalismus immer alle verschiedenen Perspektiven wertfrei abgebildet werden müssten, widerspricht genau dem geforderten Anspruch, alle Perspektiven wertfrei zuzulassen.

Oder aber man erklärt, dass es Perspektiven gibt, die Quatsch sind und nicht thematisiert werden brauchen – aber das würde Oehmke ja wieder recht geben.

Nachprüfbar muss die Arbeit sein

Mit der Replik auf Oehmke von „Spiegel“-Autor Florian Gathmann kam auch aus dem eigenen Haus Kritik: Er geht von der Prämisse aus, dass es gar keine Neutralität gebe, die überwunden werden müsste, weil wir nie vollkommen neutral sein könnten, und argumentiert, dass es dennoch oder genau deshalb notwendig sei, „als Journalist der Welt so unvoreingenommen wie möglich gegenüberzutreten“. Man müsse sich umso mehr anstrengen, so neutral wie möglich zu sein.

Schlagzeilen zum Thema Neutralität im Journalismus

Das stimmt beides. Weil es die Neutralität tatsächlich nicht gibt, würde ich sie aber auch austauschen durch den Maßstab der intersubjektiven Objektivität. Denn während Neutralität im Laufe der Mediengeschichte schlecht gealtert ist und wie oben schon angedeutet eher schwierig in einer postfaktischen Zeit aufrechtzuerhalten, ist intersubjektive Objektivität als ein identitätsstiftender Wert von Journalismus universell, zeitlos und schafft vor allem eines: Nachprüfbarkeit.

Der zentrale Gedanke der Neutralität denkt BerichterstatterInnen als unparteiische Protokollanten der Wirklichkeit, als ChronistInnen des Jetzt, welche die Wirklichkeit nach bestem Wissen und Gewissen vollständig abbilden sollten, da jedes Weglassen schon eine Beeinflussung darstellen würde.

Zeigen, was richtig ist

Im Laufe der Zeitungsforschung wurde diese Idee der Neutralität als reine Faktenansammlung von Journalisten kritisiert, Akademiker stellten außerdem die Existenz von Neutralität als solches in Frage.
Digitalisierung begünstigte schließlich aus Entwicklungen der Gesellschaft aber auch aus ökonomischen Gründen einen Journalismus, der gar nicht erst proklamiert, neutral zu sein.

In einem Klima der Postfaktizität ist es vielleicht wichtiger denn je, dass JournalistInnen nicht nur abbilden, was ist, sondern dabei auch zeigen, was davon richtig ist – bei überzeugender Vermittlung, dass ihre Agenda das Streben nach Wahrheit bleibt.

Die Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger und Wolfgang Donsbach kommen in ihrer Kommunikatorforschung zu dem Schluss, dass Objektivität vielleicht nie erreicht werden könne, der Wille zur Objektivität aber trotzdem niemals als Handlungsmaxime aufgegeben werden dürfe, da dieses innere Bestreben den Berichtenden davor schützt, willentlich aus Eigeninteresse zu handeln. Es genügt tatsächlich, ehrlich zu versuchen, so unvoreingenommen wie möglich zu bleiben.

Transparenz ist die neue Objektivität

Und das wiederum widerspricht weder Oehmke noch Gathmann. Der entscheidende Faktor ist gar, nicht eine Neutralität hochhalten zu wollen, die ohnehin eine Fiktion ist (oder aber Objektivität meint) – der viel relevantere Faktor ist die Transparenz beim Versuch diese Objektivität zu erreichen.

Der Philosoph David Weinberger behauptete, Transparenz sei die neue Objektivität.

Man strebt nach Kepplinger und Donsbach also im besten Fall danach, so objektiv wie möglich zu berichten, aber tut dabei gar nicht erst so, als erreiche man damit jemals Neutralität. Stattdessen legt man offen, wie die eigene journalistische Arbeit entstanden ist, schafft Möglichkeiten der Nachprüfbarkeit – und erlaubt dem Rezipienten so, unpädagogisch und ohne ihn manipulieren zu wollen, sich ein kritisches Urteil über diese Welt zu bilden. Fertig ist die intersubjektive Objektivität.

Die Umarmung

Ein Beispiel hierfür beschreibt die Journalistin Alena Jabarine in Ihrem ZEIT-Blitzvortrag „Journalisten, nehmt die Masken ab!“. Dort berichtet sie von einer ihrer Reportagen, in der sie die Flucht eines jungen Mannes namens Basel dokumentiert. In einer Szene ist darin zu sehen, wie die Journalistin den Protagonisten ihres Stücks vor seiner Flucht zum Abschied umarmt. „Weil ich nicht wusste, ob ich ihn wiedersehen würde”, erklärt sie diese Geste.

Die Szene, als Ausdruck journalistischer Distanzlosigkeit gelesen, sorgte für Kritik, wie Jabarine in ihrer Rede berichtete:

„Vor allem Kollegen fanden das problematisch. Die Umarmung, sagten sie, die hätten wir lieber rausschneiden sollen. Das könnte falsch verstanden werden. Von Verbrüderung war da die Rede. Von Aktivismus. Als hätten wir, die Reporter, unseren Protagonisten, eigenhändig über die Grenze getragen.“

Auch Jabarine nimmt sich in der Verabschiedung nicht als neutral wahr, aber kämpft mit dem dem Dilemma des Objektivitätsdogmas.

„Zu behaupten, ich würde als Journalistin keine Abneigung empfinden, wenn ich Teilnehmer einer Neonazidemo interviewe, das wäre zum Beispiel eine Lüge. Und ich möchte nicht lügen, nur um als seriöse Journalistin ernst genommen zu werden. Im Gegenteil. Ich bin doch Journalistin geworden, gerade weil ich empathisch bin. Weil mich Ungerechtigkeiten aufregen, weil ich mit meinen Geschichten die Welt besser machen will. […] Denn als Reporter sind wir niemals unsichtbar. So sehr wir uns zurücknehmen, Distanz halten, wir sind da und werden somit zum Teil der Geschichte. Das sollten wir uns eingestehen. Und damit ganz offen umgehen.“

Das Weltgeschehen persönlich nehmen

Nach Jay Rosen müssen JournalistInnen erklären, wie sie zu ihren Schlüssen kommen. Wieso über ein bestimmtes Thema berichtet wird. Warum sie jemanden zu Wort kommen lassen – und wieso jemand anderen nicht. Sie sollen ihre eigene Haltung transparent offenlegen und Position beziehen, wenn sie es für richtig halten.

„Dieser Transparenz vertrauen die Menschen viel mehr als einer vorgeschobenen Neutralität, die es so gar nicht gibt.“

Journalisten müssen, wenn sie über das Weltgeschehen erzählen möchten, dieses auch ein bisschen persönlich nehmen dürfen.

20 Kommentare

  1. „Zu sagen, dass es falsch von (einem Journalisten) sei, diese wertende Perspektive einzunehmen, weil in gutem Journalismus immer alle verschiedenen Perspektiven wertfrei abgebildet werden müssten, widerspricht genau dem geforderten Anspruch, alle Perspektiven wertfrei zuzulassen.“

    Ich wusste nie, wie man diese Diskrepanz aufschreibt, aber Ihnen ist es gelungen, danke!

    (Is‘ dat noch Kolumne?)

  2. Wenn da „Kolumne“ drüber steht, ist das auch so.

    Vor allem „alle verschiedenen Perspektiven“ hieße ja, jede denkbare Perspektive. Also unendlich viele.

    Bei der Geschichte mit der Umarmung halte ich es sogar für besser, wenn die Stelle nicht rausgeschnitten wird – wenn es eine solche persönliche Bindung zwischen Journalistin(m/w/d) und Protagonisten(dito) gibt, aber das Publikum diese nicht mitkriegt, ist die mögliche Voreingenommenheit oder Befangenheit, die natürlich dann erst recht ein Problem sein kann, ja trotzdem noch da.
    Und ich kann als Leser oder Zuschauer die meisten Sachen nicht nachprüfen, d.h., irgendeinen Vertrauensvorschuss muss ich leisten, dann ist mir die Variante im Zweifel lieber.

  3. Das „ab[zu]bilden, was ist“, dürfte schon deswegen unmöglich sein, weil das „was“ immer nur in der Brechung von Wahrnehmungen und also Interpretationen besteht. Rankes „was wirklich gewesen ist“ ist die längst vergangene Sicht des 19. Jh.s. (Und „abbilden“ enthält ja nun auch noch das „Bild“. Ist ein Foto objektiv? Oder doch eher der Picasso?) Aber bewusst sollte man sich die Tatsache machen, stets neu. Eine sehr lesens- und bedenkenswerte Kolumne, vielen Dank dafür.

  4. @ GEPETTO:

    Ähem, ist es nur meine gebrochene Wahrnehmung und Interpretation aus dem 19. Jh., dass Angela Merkel die amtierende Bundeskanzlerin ist? Oder dass Deutschland im Westen (u.a.) an Frankreich grenzt? Oder dass der schwarze George Floyd durch Polizeigewalt verstorben ist (und dass die Gewalt allem Anschein nach in dieser Form ungerechtfertigt war)?

    Oder sind Ihre Aussagen viel weniger allgemein und deutlich restriktiver zu verstehen, als eine wörtliche Interpretation es nahelegen würde?

  5. @4
    „Was ist“ stellt im Kontext von Gepettos Kommentar eine Gemengelage dar, die üblicher Bestandteil journalistischer Arbeit ist.
    Diese Gemengelage umfasst Fakten, die bewiesen sind, und um deren Wahrheitsgehalt es keine Diskussion geben kann, das sind die Beispiele, die Sie hier nennen.
    Sie umfasst Indizien, die einen mögliche Tatsache mehr oder weniger wahrscheinlich macht, obgleich diese Indizien keinen endgültigen Beweis liefern.
    Sie umfasst auch noch die Darstellung von Ursache und Wirkung der sicheren oder wahrscheinlichen Fakten, hier sind oft mehrere Interpretationen denkbar.
    Würde man unter „was ist“ nur absolut belegte Fakten verstehen, wäre die journalistische Arbeit nur eine Berichterstattung im Sinne des klassischen Rapports, der nur unbestrittenes „Was, Wann, Wo“ abbildet, mehr nicht.
    Man kann Gepetto jetzt ankreiden, dass er das „was“ nun IMMER als subjektive Wahrnehmung bezeichnet, während das abzubildende „was“ regelmäßigen einen Anteil klarer Fakten, hat an denen kein Zweifel besteht.
    Aber im gesamten Kontext seines Kommentars sehe ich das Problem nicht.

  6. Danke a JUB 68; vielleicht nur noch kurz: Klar grenzt Deutschland an Frankreich. Ist es aber dasselbe, wenn ich sage „Frankreich grenzt an Deutschland“? Oder „Eine Grenze trennt hier Frankreich von Deutschland“? Oder „entzweit Deutschland und Frankreich“? „… verläuft die Grenze mitten durch Elsass-Lothringen“?
    „… markiert hier die Linie, an der in Krieg XY die … Truppen aufgehalten werden konnten?“ Heißt „grenzen“ nicht auch immer, dass es eine „Grenze“ gibt? Grenzt die nach außen ab oder nach innen ein (De-fini-tion: Vergewissert sie nach innen, dass man sich zusammengehörig empfindet, oder meint sie „so wie die jedenfalls sind wir nicht“)? Ich erspare uns sllen das muntere weitere Beispielsuchen und will nur sagen: ja, klar, da ist etwas, das wir zur Zeit Grenze F-D nennen, nur „neutral“, ohne Interpretation, kann ich es nicht sagen, sondern eben nur subjektiv und in einem Kontext, der den Sinn mitbestimmt. Der erste Hörer/Leser interpretiert sogleich wieder, weil er z.B. anderes assoziiert. „Gott sei Dank bleiben die da drüben!“ – „Warum sind Menschen in zwei benachbarten Dörfern (o., siehe innerdeutsche Grenze, im selben Dorf) einmal Bürger des einen, mal des anderen Staates? Schrecklich.“
    Das nächste: Denken Sie mal an diese sog. „Reichsbürger“: „Da soll die deutsche Grenze sein? Nur weil eine Mehrheit das meint? Die Realität sieht aber jaaanzzz anders aus!“ Viel Spaß dabei, ihn mit „objektiven“ Fakten vom Gegenteil zu überzeugen. Oder sagen Sie doch mal „faktisch“, wo die die Ukraine an Russland grenzt? Bei der Krim gibt Google Maps sogar je nach Standort der Anfrage andere Grenzen und Bezeichnungen an, russische oder ukrainische/völkerrechtliche/“westliche“ Sichtweise.

    Vermutlich halten Sie mich nun für Gaga, und vielleicht haben Sie auch Recht damit. Aber keine Sorge: Ihr Satz kommt einer „objektiven“ Beschreibung auch aus meiner Sicht vermutlich am nächsten, aber das war ja auch gerade der Punkt: sich im klaren zu sein, dass es sich stets um eine subjektive Aussage (d.h. mit Intention usw.) handelt: eine persönliche Wahrnehmung steht am Anfang und am Ende des Weges (etc.). (Und: Ich will die Realität nicht in ihrer Existenz anzweifeln, sondern nur sagen: es gibt sie leider nie „pur“, sondern immer nur in subjektiver Wahrnehmung. Meine Meinung, und auch eher weiter entfernt von der Frage nach einer praktischen Relevanz für den Journalismus. Insofern ist manches in diesem Beitrag auch durchaus am Thema vorbei. ;-) Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause nehmen. Geschrieben aber hat es immer ein Mensch).

    Viel zu lang, Entschuldigung! :-)

  7. „Danke a JUB 68; vielleicht nur noch kurz: Klar grenzt Deutschland an Frankreich. Ist es aber dasselbe, wenn ich sage „Frankreich grenzt an Deutschland“? “
    Anscheinend meinen Sie dann denselben Sachverhalt.

    Ein haarspalterischer Erbsenzähler würden Ihnen vorrechnen, dass sie im einen Fall den Blickwinkel D.s, im anderen den F.s einnehmen, und das sei entweder gut oder schlecht oder schlecht oder gut, je nachdem, ob der Erbsenzähler(m/w/d) auf Seiten Frankreichs oder D.s ist.

    Jedenfalls, sobald Ihre Leserschaft Ihnen als Journalist unterstellt, sowieso ein Narrativ zu verbreiten, haben Sie verloren. Es sei denn, es ist das Narrativ, das Ihre Leserschaft gerne hören will, dann sind Sie die „Stimme der Vernunft“, denn: „Endlich sagt’s mal jemand.“

  8. Deswegen hilft nur eins, um das zu vermeiden: transparent genug zu sein (auch sich selbst im Klaren), damit das Narrativ oder die Agenda eben nicht erst unterstellt werden muss. So dachte ich.ep

  9. Mit Absicht weit am Thema vorbei gezielt, sowohl Herr Oehmke als auch Frau El Ouassil. Denn sonst könnte es unbequem werden für die Meinungsfreiheit, die man ja weiterhin zumindestens plakativ hochhalten möchte.
    Es ging in der NYT ja überhaupt nicht um eine alternative Sicht auf irgendwelche Fakten, sondern um eine Meinung, aus der eine Forderung wurde.
    Der Kolumnist, wegen dessen Ansichten der Redakteur gegangen wurde, wenn man freiwilliges Gehen unter immensem öffentlichen Druck so nennen will, hat ja keine Sicht dessen vertreten, was geschehen i s t, sondern was geschehen s o l l.
    Also eine Forderung vorgetragen, nämlich die nach dem Einsatz des Militärs gegen gewalttätige Demonstranten und Plünderer. Und selbstverständlich ist das eine Forderung, die man diskutieren kann, im Rahmen der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und vor dem Hintergrund einer für die Gesamtbevölkerung bedrohlichen Situation. Wären es in Minnesota und anderswo gewaltätige Rechte gewesen, die das angerichtet hätten, was die linken Antirassisten dort vollbrachten, wäre kein Meinungsredakteur, der eine solche Forderung erhoben hätte rausgeschmisssen worden. Es ging also, und darüber möchte kein Oehmke und keine Quassil reden, nur darum, daß wir massive Gewalt von links hinzunehmen haben, wenn sie nur oft genug sagt, sie sei antirassistisch und Gewalt von rechts nicht. Daß wir überhaupt keine Gewalt hinzunehmen haben, daß der Rechtsstaat wie Helmut Schmidt sagte, nicht zu siegen oder zu verlieren, sondern zu existieren hat, davon schweigen die, die uns darauf vorbereiten möchten, daß Gewalt unter dem Mäntelchen des linken Antirassismus und Antifaschismus auch in Zukunft hingenommen zu werden hat, daß bei uns es weiterhin ok sein soll, wenn Autos von Afd-Politikern angezündet werden oder bei G20-Gipfeln Großstädte in Schutt und Asche gelegt werden.
    Es geht also einfach um Carl Schmitt:
    „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“
    Und das soll die Vereinte Linke sein. Sie soll das Gewaltmonopol bekommen. Nur darum ging es und davon schweigen Oussil und Oehmke höchst beredt. Sie möchten ja das Mäntelchen der Meinungsfreiheit weiterhin als dekoratives Accessoire tragen. Doch daß es längst um die richtig Gesinnung und wer eine andere zeigt, der soll ruhig seine Arbeit verlieren, das ist das eigentliche Thema. Denn soll die neue Normalität sein, auf die wir so vorbereitet werden.
    @LucianoCali

  10. Ah, wieder ein Blog-Selbstvermarkter.
    Irgendwelche Belege? Oder auch nur kohärente Argumentation, bestenfalls mit Fakten? Sprich, irgendwas, was Ihre wilden Thesen unterstützt?
    Ich meine ja (Einzelmeinung), dass Demokratiefeinde aus demokratischem Diskurs ausgeschlossen werden sollten, analog „Keine Toleranz für Intolerante“.

    Was ist eigentlich so schwer an „El Ouassil“ – Der Name steht sogar in der Infobox rechts?

  11. @10.
    Danken Sie mir.
    Ich mache es Ihnen leicht:
    Ich fülle einfach nach dem Abfassen eines Kommentars die von @Übermedien bereitgestellte Spalte aus, in die man seine Webseite eintragen kann und schon haben Sie einen Punkt gemacht, weil ich jetzt ein Selbstvermarkter bin. Ad hominem, die erste.
    Dann mache ich bei der letzten Nennung des Namens El Ouassil einen Schreibfehler und jetzt haben Sie noch einen Punkt, denn wenn jemand einen nicht so kartoffeldeutschen Namen falsch schreibt, dann liest er wahrscheinlich heimlich Klonovsky. Ad hominem, die zweite.
    Und simsalabim (richtig geschrieben?), müssen Sie, schon zwei Punkte nach Ihrer Zählung auf dem Konto, die einfache Frage, um die mein Kommentar kreiste, ob nämlich auch ein Redakteur seines Amtes enthoben worden wäre, der einen Beitrag ins Blatt genommen hätte, in dem gegen einen rechten Mob die Armee gefordert worden wäre, nicht mehr beantworten.
    Das wird hier auch sonst keiner tun. Der Elefant wird besser überhaupt nicht angeschaut, wenn er so dumm im Raum rumsteht. Denn unbequemerweise wäre ja dann, bei der Diskussion derartiger Doppelstandards, der Rest meiner Erwägungen auch für Sie kohärent und argumentativ gewesen, was es ums Verrecken zu vermeiden galt. Denn die Frage ist ja nur, ob das Ende der Neutralität im Sinne von Oehmke künftig bedeuten soll, daß die die ebensowenig neutral sind wie er, aber halt anderer Meinung, ihre Arbeit verlieren sollen. In den 70ern hat man solche Fragen noch diskutiert. Da ging es aber nur um Berufsverbote für Beamte. Heute sollen Redakteure mehr Gesinnung haben als damals von denen erwartet wurde. Falls Sie immer noch nicht meinen argumentativen Kern entdeckt haben sollten und nur noch immer weiter davon faseln wollen, daß die, deren Gesinnung Ihnen nicht gefällt als Feinde (wieder kommt der olle Carl Schmitt mit seiner Freund-Feind-Definition des Politischen ins Spiel, erstaunlich, was sein böser Blick vor hundert Jahren schon vorausahnend wahrnahm, selbst wenn es heute nur um Möchtegerngesprächsdiktatoren geht) aus dem „Diskurs“ ausgeschlossen werden sollen, von denen natürlich, die definieren, wer das warum zu sein hat, dann kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen. Und ich will es auch nicht.
    Frage zum Schluss: Enthielt I h r e Antwort auf meinen Kommentar irgendeine Argumentation, kohärent oder nicht, oder reicht es bei Feinden des Diskurses, wie ich sicher auch einer bin, einfach ihre Thesen als „wild“ zu bezeichnen? Im SPIEGEL sagt man dafür auch gerne „bizarr“, wenn etwas nicht diskutiert werden darf.
    Allerletzte Frage: Wüßten Sie , wo i c h arbeite, würden Sie dann dafür sein oder etwas tun, daß ich a u c h meine Arbeit verliere?
    @LucianoCali_2
    (Falls Sie auf Twitter noch mehr Material sammeln möchten)

  12. Danke, kein Interesse.

    Nur Eines:
    „(…) die einfache Frage (…)“ formulierten Sie so: „Wären es (…) gewaltätige Rechte gewesen, (…) wäre kein Meinungsredakteur, der eine solche Forderung erhoben hätte rausgeschmisssen worden.“

    Sie wollen nicht diskutieren, sondern Ihre Meinung widerspruchsfrei und mit Recht auf Publikum (möglichst polternd, weil die Zielgruppe auf „klare Worte“ steht) an den Mann bringen – Und „wundern“ (Stilmittel) sich dann, aus Diskursen ausgeschlossen zu werden.
    Dies ist nun eine steile These von mir, steht jetzt ca. 4:1.
    Vielleicht hat ja ein anderer (denn ich rede nur für mich selbst) Lust, auf Ihre Inhalte einzugehen. Ich nicht.

  13. @Gianno Chiaro
    Sie liegen falsch. Die Meinung, dass die Armee mobilisiert werden sollte, war durchaus legitim in der NYT. Insbesondere hat, anders als sie es darlegen, Bennet ja auch nicht selbst die Meinung vertreten, er hat nur den Text von Tom Cotton abdrucken lassen.
    Grund für die harsche Kritik und letzlich den Abgang Bennets waren indes Verleumdungen und Falschbehauptungen im Text und der feindselige Stil des Textes als Ganzes. Er verdrehte die Wahrheit und schuf ein propagandistisches Zerrbild.
    Da aber Journalisten der Wahrheit verpflichtet sind, sollte man keine Texte veröffentlichen, die aktiv gegen die Wahrheitsfindung anschreiben und Spaltung schaffen, wo Versöhnung angebracht wäre. Somit hätte Bennet diesen Text nicht kommentarlos veröffentlichen dürfen, so die Einschätzung im Nachhinein.
    Sie schieben hier ein Strohmannargument vor und arbeiten sich daran ab, dass man die Frage des Armeeeinsatzes nicht diskutieren durfte und dass das irgendwas mit der mutmaßlichen linken Gesinnung der Demonstranten zu tun hätte. Diese Diskussion wurde und wird aber gerade eben nicht unterbunden.
    Sie schieben Herrn Oehmke und Frau El Ouassil dann noch unter, dass sie die Gewalt in den Protesten gutmütig betrachten würden. So äußerten sich aber beide nicht und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dies tun. Die Ansicht, dass über Krawalle bei G20 und dem 1. Mai besonders schonend in den führenden Medien berichtet wird, dürfte eine recht exklusive sein.
    Zuletzt möchte ich Ihre an Max gestellte Frage aus meiner Sicht beantworten: Nein, ist mir gleichgültig.

  14. Ich habe es zweimal exakt so dargestellt, daß der Redakteur, der den Text ins Blatt ließ, gegangen wurde, warum unterstellen Sie mir etwas Anderes?
    Daß einer aktiv gegen die Wahrheitsfindung anschreibt, wie Sie es formulieren und feindselig und nicht versöhnend formuliert, Tatsachen verdreht, also polemisch agiert, in einem sogenannten Meinungsbeitrag, das alles ist auch in einer Diskussion legitim und kann sie sogar befeuern, was es ja auch getan hat.
    Doch auch in Ihrer Erwiderung atmet der Geist, der weiß. Nicht so penetrant wie bei @10, aber immerhin. Also der Geist, der die Wahrheit kennt und ihre Verdrehungen deshalb objektiv benennen kann. Also der Journalist, der uns sagt, was passiert ist und was darüber zu denken ist. Der Geist des Claus Kleber. Der Geist, der sagt, auf diesen Ungeist hier darfst du nicht hören, weil er dich sonst innerlich verseucht. Das hat etwas Religiöses.
    Die „Wahrheit“ nämlich scheint präargumentativ immer schon festzustellen. Sie muß dem Volk nur noch vermittelt werden.
    Weiterhin ist anscheinend in Ihren Augen ein Schaden eingetreten, weil man zugelassen hat, daß einer in s e i n e m ideologischen Sinne einer Darstellung den Spin gibt und nicht etwa in der erwünschten Art und Weise. Stellen Sie sich das so vor, daß es noch mehr Gewalt gab, wegen diesem Text? Oder stellen Sie es sich so vor, daß die Öffentlichkeit, und die Leserschaft der NYT ist ja eine sehr gebildete, geschützt werden muß vor Verdrehern der Wahrheit, weil sonst nicht versöhnt wird, sondern gespalten? Also der Journalist doch als Nanny? Warum kann man nicht einfach mal davon ausgehen, daß auch etwas, was sich dann in Teilen als falsch herausstellen mag, ein Teil der Diskussion werden kann, auch wenn es nur als schlechtes Beispiel für Polemik dient? Auf der anderen Seite ist ja das milde Verständnis gerade der meisten deutschen Medien für die Gewalt nach dem Tod von Floyd ebenso eine gefährliche Verzerrung der Wirklichkeit und sicher nicht versöhnend. Warum müssen Leute, die den Fehler machen, eine Sicht zuzulassen, die sich später vielleicht als überzogen oder falsch herausstellt, immer gleich entlassen werden? Und hat die ganze Sache überhaupt nichts mit der Forderung zu tun, die Armee an die Sache heranzulassen? Ich unterstelle Ouassil und Oehmke nichts, außer einem:
    Daß Leute, die die Öffentlichkeit dabei stören das Richtige und nur das Richtige zu denken, einfach wegmüssen. Das ist gefährlicher als jede Polemik. Das führt zur Meinungsdikatur. Bestrafe einen, erziehe Tausende, so hat Mao das genannt. Weiterhin traue ich mir und den Lesern der NYT und sogar dem Souverän insgesamt zu, daß er sich selber ein Bild macht. Aus den Verdrehungen von links und rechts. Aber die Nannies sehen Aufklärung eben als gescheitert an und setzen jetzt auf Erziehung. Und sei es im Sinne Maos. Kein guter Weg. Besser ist, die Leute lesen selbst „Mein Kampf“ und bedienen sich auch dort ihres Verstandes ohne fremde Anleitung, als daß sie als zu schützende Schafe behandelt werden, die man vor dem rechten Wolf schützen muß. D a s wäre der Geist Kants. Ich ziehe ihn dem von Claus Kleber dann doch vor.

  15. Na klar geht es auch um verschiedene Meinungen. Und den Punkt kann man doch eigentlich ganz einfach abhandeln. Natürlich sollte jedes Medium ein gewisses Meinungsspektrum zu Wort kommen lassen, sonst wird’s ja langweilig. Das heißt aber nicht, dass man das gesamte existierende Meinungsspektrum abbilden sollte. Wer angesichts gewalttätiger Proteste eine „chinesische Lösung“ propagiert, findet dafür grade in den USA genügend rechte Krawallmedien, so ein Dreck muss nicht in der NYT erscheinen. Oder, um ein deutsches Beispiel zu nehmen: Wer findet, man solle Flüchtlinge im Mittelmeer lieber ersaufen lassen, kann das doch bei Tichy, achgut oder Junger Freiheit tun und nicht unbedingt in der Zeit.

    Die rechten Jammerlappen, die dann wieder um die Meinungsfreiheit barmen und das große Meinungsdikatur-Mimimi anstimmen, sollten sich mal fragen, wieviele Artikel, die etwa die Flüchtlingsaufnahme 2015 vollumfänglich loben, zum Beispiel in der Jungen Freiheit erschienen sind, und ob ihnen dieser Mangel auch als Gefahr für die Meinungsfreiheit erscheint. Und sich dann mal vergegenwärtigen, dass weder das First Amendment noch Art. 5 GG davon sprechen, dass jede Meinung in jedem Medium erscheinen können muss.

  16. @Gianno Chiaro
    Ich gebe zu, nach erneutem Lesen, dass sie in der Tat zwischen Redakteur und Kolumnist korrekt getrennt haben.

    Zur Sache: Ich verstehe Ihren Punkt. Und vielleicht bin ich ja verblendet. Aber ich bilde mir ein, gewisse Dinge als Tatsachen erkennen zu können. Und dann würde ich in meiner Zeitung nichts abdrucken wollen, wo an Tatsachen gerüttelt wird unter dem Aufhänger „Meinung“. Speziell Trump & Co. verbreiten doch gezielt „alternative Fakten“, also Lügen. Die Folgen, dass diese wieder und wieder in den Diskurs als zum Teil gleichwertige „Meinung“ kommen, sind doch schon offensichtlich: Viele Menschen glauben den Schwachsinn, zum Schaden aller. Wenn das Hinausposaunen von Unsinn laut Ihnen fruchtbar für Diskussionen sein soll, dann glauben sie wahrscheinlich auch, dass homöopathische Mittel (nicht pflanzliche Arznei, sondern wirklich Globuli und Co.) wirklichen Medikamenten gleichwertig sind. „Ist halt ne anderer Ansatz als ‚Schulmedizin‘ „. Nee, ist gefährlicher Schund und begrenzt wirksam im Placebo-Effekt und dem Effekt menschlicher Zuwendung, der in unserem Gesundheitssystem etwas zu kurz kommt. Ist das von mir ne Meinung? Mögen manche so sehen. Ich sehe dies als nachgewiesene Tatsachen an und würde in meiner Zeitung nichts anderes lesen wollen.
    (1+1/n)^n konvergiert für n gegen unendlich nun mal gegen die Eulersche Zahl. Wenn Trump oder ähnlich sagt, das konvergiert gegen 1, warum sollte er dafür eine Bühne kriegen und welchen positiven Effekt könnte das haben? Da gibt es keine zwei Meinungen/Perspektiven o.ä., da gibt es wahr und falsch.

    Das das Ganze in der NYT in einer Entlassung mündete, steht dann auf einem ganz anderen Blatt und kam für viele Beobachter überraschend. Ich denke, das wäre recht anmaßend, ohne auch nur die geringsten Hintergründe und die beteiligten Personen zu kennen, da von ideologischen Gründen zu reden. Ist ja nun nicht so, als würden reihum ständig Menschen entlassen, weil sie ihre Meinung vertreten.
    (Wenn einer meiner Angestellten aber (1+1/n)^n –> 1 feststellte und sich mit Globuli vollstopft, würde ich allerdings schon allein deshalb an seiner Kompetenz zweifeln, war sie*er dann hoffentlich anderweitig ausräumen kann. Jeder macht Fehler und irrt sich.)

  17. @ GEPETTO:

    „Klar grenzt Deutschland an Frankreich. Ist es aber dasselbe, wenn ich sage ‚Frankreich grenzt an Deutschland‘? Oder ‚Eine Grenze trennt hier Frankreich von Deutschland‘?“

    Ja, das sind entsprechend der üblichen Begriffsverwendung äquivalente Formulierungen, auch wenn bei ihnen unterschiedliche Aspekte betont oder unterschiedliche Perspektiven eingenommen werden (wie schon festgestellt wurde). Sie sind alle sachlich korrekt.

    „Oder ‚entzweit Deutschland und Frankreich‘?“

    Das käme darauf an, was „entzweien“ in diesem Zusammenhang heißen soll. Ist mit „entzweien“ einfach nur gemeint, dass hier eine Grenze verläuft, die zwischen zwei unterschiedlichen staatlichen Einheiten besteht, dann ist der Satz gleichbedeutend mit „Deutschland grenzt an Frankreich“.
    Soll der Satz hingegen bedeuten, dass darüber hinaus ein besonderer Gegensatz zwischen Deutschland und Frankreich besteht, dann wäre das ein anderer Sinn des Satzes und einer, der sicher eher Interpretationssache ist.
    Das ist aber eher die Folge davon, dass Sprache mitunter ambig sein kann als davon, dass ein Sachverhalt unklar wäre oder nicht klar zum Ausdruck gebracht werden könnte.

    „… verläuft die Grenze mitten durch Elsass-Lothringen?“

    Das ist eine inhaltlich unterschiedene Frage. Sie ist empirisch leicht zu beantworten, sofern „Elsass-Lothringen“ einen allgemein akzeptierten Grenzverlauf hat oder nach dem üblichem Sprachgebrauch in seiner Gänze Frankreich zugeordnet wird. Selbst wenn es gängige unterschiedliche Definitionen von Elsass-Lothringen gäbe, so dass je nach Definition gilt, dass die Grenze mittendurch verläuft oder eben nichts, würde dies nichts an der Wahrheit der Aussage „Deutschland grenzt an Frankreich“ ändern.

    „… markiert hier die Linie, an der in Krieg XY die … Truppen aufgehalten werden konnten?“

    Das ist nicht die Aussage von „Deutschland grenzt an Frankreich“. Aber vielleicht eine Implikation. Man kann aus allen möglichen klaren und wahren Aussagen unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen, von denen manche zweifelhaft und andere sicher sein mögen, und manche klarer resp. unklarer als andere. Aber das ändert nichts an der Klarheit oder Wahrheit der ursprünglichen Aussage selbst.

    „Heißt ‚grenzen‘ nicht auch immer, dass es eine ‚Grenze‘ gibt?“

    Ja – wenn das Wort „Grenze“ (bezogen auf unseren Fall) als Staatsgrenze gemäß üblicher Definitionen und völkerrechtlicher Normen verstanden wird, so wie auch das Wort „grenzen“.

    „Grenzt die [Grenze] nach außen ab oder nach innen ein (De-fini-tion: Vergewissert sie nach innen, dass man sich zusammengehörig empfindet, oder meint sie ’so wie die jedenfalls sind wir nicht‘)?“

    Das sind weitgehende metaphorische Deutungen des Satzes „Land X grenzt an Land Y“, die über den schlichten unmittelbaren Sinn des Satzes deutlich hinausgehen. Welche psychologischen Effekte eine Grenze für die Einwohner eines Landes haben mag, ist eine andere Frage als die, ob eine Grenze da und dort verläuft. Es mag viele Folgen realer Grenzen geben, die nicht ganz offensichtlich oder umstritten sind, oder auch metaphorische Bedeutungen, die ein Satz der Art „Land X grenzt an Land Y ab“ in einem besonderen Kontext haben mag – das ändert aber nichts daran, dass die entsprechende Aussage in ihrem naheliegenden Wortsinne einfach, klar und offensichtlich wahr sein kann.

  18. @3 Gepetto:
    Leider haben Sie die feine Ironie, die Ranke benutzt hat, bei Ihrer Kürzung weggelassen. Im Original ist Ranke plötzlich nicht mehr 19. Jahrhundert, sondern äußerst aktuell.
    „Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: So hoher Aemter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen.“
    Was das heißt, ist genau das, was auch guten Journalismus ausmachen würde: zuerst einmal die Fakten, unterschiedlichen Perspektiven und verschiedenen Positionen darstellen, das „hohe Amt“, den Leser zu belehren, jedoch zurück zu stellen.

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