Es ist Frühling geworden. Im Baum vor meinem geöffneten Fenster kloppt sich die Spatzengang, der Nachbar von schräg gegenüber kniet anbetend vor seinem neuerworbenen Grill, und eigentlich ist es noch zu frisch für offene Fenster in der ganzen Wohnung. Ich friere an den nackten Zehen und sollte aufstehen, Socken an die Füße, Fenster zu. Aber ich liege seit Stunden auf dem Rücken auf dem Sofa, halte mir mit ausgestreckten Armen mein Handy vors Gesicht und glotze Youtube.
Handy weglegen kommt nicht in Frage, denn ich bin angefixt. Seit Stunden sehe ich einer jungen Frau zu, die in Wald und Wildnis Behausungen baut, Sauerteigfladen an selbstentfachten Lagerfeuern backt, und freue mich jedes Mal mit ihr, wenn sie einen Fisch fängt. Sie schwingt routiniert ihr Messer, zeltet da, wo Nilpferde wohnen.
Und ich? Verwachse langsam mit dem Sofa. Immerhin gehe ich kurz in mich, um zu überlegen, wo mein Zelt ist, aber machen wir uns nichts vor: Ich hasse Zelten und Mücken und schwüle Hitze, und mein Sofa und ich sind eigentlich ein ziemlich gutes Team.
Warum tut man sich das an?
Nun, es gibt Menschen, die sind anders drauf. Die Frau auf Youtube zum Beispiel und die Leute, die das Magazin herausbringen, in dem ich sie entdeckt habe: „Survival Magazin“ heißt es und widmet sich den Hobbys Survival und Bushcrafting, für die man zwangsläufig das Haus verlassen muss, denn man übt das Überleben in der Natur. Das Magazin kann hingegen prima mit dem Hintern auf dem Sofa genossen werden, und man kann sich dort in Ruhe fragen, warum Leute sich das antun, also das mit dem Survival.
Das Cover ziert ein bärtiger Typ, der mit gerunzelter Stirn im Sand hockend mutmaßlich versucht ein Feuerchen zu entfachen. Ganz genau kann ich das wegen mangelnder Pyro-Kenntnis nicht identifizieren. Fest steht, was er tut, ist Teil des Hauptthemas der Mai / Juni / Juli – Ausgabe: „Survival global“. Ui, global gleich. Nicht nur im Stadtwald hinterm Haus.
Die Lettern des Titelschriftzugs haben auch so einen herrlich verwitterten Look. Beim Survival geht es wohl krass zu! Und weil krass durch die Natur besser mit Equipment läuft, und wenn man weiß, wie Nadel und Faden zu bedienen sind, tummeln sich diese Themen-Teaser auch auf dem Titelblatt.
Auf Corona nicht vorbereitet
Wie haben sich wohl Menschen, deren Hobby Überleben-Üben ist, auf die Pandemie vorbereitet? Die Antwort, die ich dem Editorial entnehme, lautet: gar nicht. Hier befindet Hans J. Wieland, Chefredakteur und Geschäftsführer des Verlags, an der Corona-Sache genau das für auffällig, nämlich, „dass wir nicht damit gerechnet haben“.
„Wenn wir an Survival-Situationen denken, dann haben wir Unfälle, Naturkatastrophen, vielleicht noch Kriege oder Terroranschläge im Kopf. Einen fiesen kleinen Virus hatten wohl die wenigsten auf dem Schirm.“
Wieland hangelt sich mit den üblichen Seitenhieben auf staatliche Einrichtungen („Man hatte offenbar gar nicht an die Möglichkeit gedacht, dass es plötzlich zu Engpässen bei so wichtigen Dingen wie Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung kommen könnte“) zum schönen Lied „Vor einer Grippe hat niemand Angst“ hin zur Erkenntnis:
„Man darf sich nichts vormachen: Wir können uns nicht auf alles vorbereiten. Und es gibt auch keine hundertprozentige Sicherheit. Aber immerhin kann man aus Fehlern lernen.“
Vielleicht geht es in der nächsten Ausgabe ja darum, wie man am besten Zuhause bleibt oder am lässigsten mit einer anderen, dem Haushalt nicht angehörenden Person spazieren geht, oder es gibt Tutorials für DIY-Desinfektionsmittel. Einfach „aus Fehlern lernen“. Die Vorschau verspricht allerdings etwas anderes. Leider.
Wer richtig surviven will, braucht Ausrüstung
Also: Wie geht denn nun dieses Survival? Eigentlich scheint es ganz einfach, denke ich mir, während ich das Magazin durchblättere, denn ich kann einfach alles kaufen, was das Surviven hinter Busch und Buche leicht macht.
Also kaufe ich ein Messer („Scharfe Sache“), ein Spray gegen Mücken („Eine Dose reicht für mindestens 300 Sprühungen“) und einen Schlafsack für den Schlummer („An Daune ist ja bekanntermaßen kein Vorbeikommen“).
Damit ich das ganze Gelerch dann auch durch die Pampa manövriert bekomme, brauche ich natürlich noch einen Rucksack. Und stelle fest, meine Güte, es gibt wirklich viele Rucksäcke auf dem Markt. Ein Glück spricht das „Survival Magazin“ bei seinem vergleichenden Test auch einen Kauftipp aus und kürt einen Testsieger, mit einer Tabelle und Punkten. Und damit nicht genug: Es gibt eine Erläuterung zur Methodik des Tests („So haben wir getestet“) und einen Kommentar. Richtig transparent gibt man sich da, aber weist schon auch nochmal auf den Kauftipp hin. So macht Kaufen Spaß! (Geht es hier schon um Survival?)
Ich habe also einen Rucksack erworben und eine Jacke aus atmungsaktiven Naturmaterialien übergeworfen (sitzt halt nicht, weil alle vorgestellten Modelle für Männer sind) und habe hoffentlich in der Volleinöde auch meine Kompassuhr dabei, damit ich weiß, wann ich in welche Richtung latsche (vielleicht auch für nächtliche Expeditionen durch den Wedding gut?) und wann die Sonne endlich untergeht.
Auch hier steht das „Survival Magazin“ beim Erwerb mit Rat und Test zur Seite. Vorausgesetzt, man lässt sich nicht von den martialischen Produktfotos – hier eine halb in Eis eingefrorene Uhr, dort eine Axt als dezentes Accessoire im Hintergrund – abschrecken.
Puh, denke ich beim Weiterblättern, man braucht ganz schön viel Zeug, wenn man in der Wildnis überleben will.
Den Stiefel, der ebenfalls in der Rubrik „Equipment“ vorgestellt wird, gibt es auch nur für Männer; er kriegt im „Survival-Check“ nicht die volle Punktzahl und wurde, Obacht, in „seiner eigentlichen Kompetenz als Einsatzstiefel nicht getestet“.
Ist das noch Survival oder schon Militär spielen?
Hier schwappt mir die Schnittmenge von Survival-Klamotten mit Ausstattern für irgendwelche obskuren Militärspiele ins Bewusstsein, die sich auch in einigen Werbeanzeigen widerspiegelt.
Den Jungs aus der „Lowa Task Force“-Werbung möchte ich zumindest nicht beim Police-Spielen begegnen, ebenso wenig den Typen, die sich von Werbeanzeigen mit dem Slogan „Alles für echte Männer!“ zum Erwerb von „Freien Waffen“ in Onlineshops inspirieren lassen.
Wer jetzt denkt: „Klar, Männermagazin, von Männern für Männer“, dem sei verkündet, dass laut Impressum gar nicht wenige Frauen an der Produktion des „Survival Magazins“ beteiligt sind.
Survival Lilly, der Youtube-Star
Eine von ihnen porträtiert auch die Frau, die mich nach der Lektüre stundenlang an Youtube fesselte. Sie ist ein Survival-Star. Sie kann alles, was wichtig ist, vor allen Dingen davon leben, Survival-Star zu sein. Die Frage nach dem Warum beantwortet sie einfach und überzeugend:
„Durch die Entbehrungen schraube ich meine Bedürfnisse zurück und bin mit viel weniger zufrieden.“
Diese unbedingte Sehnsucht danach, der Überflussgesellschaft zu entrinnen und das Leben auf das Wesentliche zu reduzieren, ploppt in unserem Kulturkreis ja an jeder Ecke hoch: Ausmisten als Hobby, Minimalismus als Lebensinhalt, werde los, was dich belastet. Diese Erfahrung suchen manche nun eben auch in der Natur, radikaler reduziert geht nicht, es geht ums Überleben. Und weil die Welt im Wald nicht besser als irgendwo sonst ist, rät die Frau, die sich Survival Lilly nennt, dazu, Selbstverteidigungskurse zu machen. Sie rät das explizit nicht nur Frauen, sagt aber sehr wohl:
„Nur weil ich eine Frau bin, möchte ich nicht darauf verzichten, allein im Wald unterwegs zu sein.“
Und das ist eben ein großer Unterschied: Männer heizen bei taktischen Militärspielen in voller Montur durchs Unterholz und spielen Krieg, Frauen müssen sich ganz ernsthaft mit dem Thema Sicherheit auseinandersetzen, weil sie in ernsthafte Schwierigkeiten geraten können.
Es gibt alles in besser und neuer
Nun, so stehe ich denn da, von oben bis unten ausgerüstet und überlege, wie die ganze Equipment-Empfehlungs-Orgie aus dem „Survival Magazin“ mit der Grenzerfahrung des Überlebens in der Natur zusammengehen soll. Es will mir nicht ganz in den Kopf. Es ist vermutlich so, wie bei jedem anderen Hobby auch: Irgendwann kommt der Punkt, wo man alles immer besser machen muss. Und in Hobby-Fan-Magazinen bekommt man dann schön präsentiert, dass es alles tatsächlich in besser und neuer gibt, aus oberkrassem Space-Material, das nie kaputt geht. Ach, es ist schön, wie Bedürfnisse gebastelt werden – und es macht mich ein bisschen traurig.
Was ich allerdings absolut großartig finde und mich auch aufmuntert, ist zum einen die Schritt-für-Schritt-Erklärung für den Umgang mit Nadel und Faden: vom Befestigen eines Knopfes bis hin zur Reparatur eines gerissenen Gurtes ist hier jeder einzelne Arbeitsschritt abgelichtet.
Klar kann man sagen: Wieso wissen Leute nicht, wie man Knöpfe annäht?!? Und dann muss ich ganz kleinlaut sagen, dass ich einfach nie aufgepasst habe, wenn es mir jemand gezeigt hat. Jetzt weiß ich immerhin, wo ich nachschauen kann.
Zum anderen bin ich großer Fan des „Blut und Glibber“-Artikels. Zugegeben, ich habe ungefähr acht Anläufe gebraucht, um ihn mir in seiner Gesamtheit reinzuziehen, wegen Blut und Glibber.
Aber er macht einfach sehr anschaulich, wie viele Schritte notwendig sind, bis ein Tier verzehrbereit ist. Und dazu haben die meisten Menschen kein Verhältnis, was sicherlich einen nicht unerheblichen Teil zu unserem auf so vielen Ebenen – Haltung, Gesundheit, Klima – unverantwortlichen Fleischkonsum beiträgt.
Und wer tatsächlich vorhat, im Sommer mal ein selbsterlegtes und dann auch selbstausgenommenes Tier über einem hübschen Feuer zu grillen, dem würde ich sehr stark ans Herz legen wollen, den Artikel namens „Grill-Gut“ zu lesen, weil er aufführt, was alles falsch laufen kann.
„Zubereitungsfehler beim Durchgaren von Fuchs, Ratte und Wildhase können lebensbedrohliche Erkrankungen zur Folge haben.“
Also bloß kein „medium rare“.
Eigenlich kann nichts schiefgehen, wenn mal was schiefgeht
Nach der Lehrstunde in Handarbeit bleibt noch die Frage, was es mit „Survival global“ auf sich hat. „Wer Survival trainiert, möchte im Notfall weltweit ohne Hilfe von außen und mit wenig Ausrüstung überleben können“, lerne ich. Das, was man im Wald hinterm Haus treibt, mit Hüttchen bauen und selbsterlegten Maulwurf grillen, nennt man eher Bushcrafting. Überleben übt man für den Ernstfall, wenn zum Beispiel bei einer Reise etwas schief geht.
Aber ich muss mich nicht fürchten, denn:
„Die Gründe für diese Tragödien liegen in aller Regel in komplett fehlender Ausrüstung, Kommunikation oder Vorbereitung (…) oder kompletter Fehleinschätzung des Wetters und benötigter Ausrüstung beziehungsweise Ressourcen (…).“
An „komplett fehlender Ausrüstung“ kann es beim Leser des Magazins ja schon mal nicht liegen. Das heißt also: Wenn man sich vorbereitet und den wichtigen Unterschied zwischen Wetter und Klima kennt, kann eigentlich nichts schiefgehen, wenn mal was schiefgeht. Genial! Für jede der fünf Klimazonen wird trotzdem ein Schiefgeh-Szenario vorgestellt und präsentiert, was es alles braucht, damit man hinterher seinen Kindern noch selbst davon erzählen kann, was da schiefgegangen ist.
Ich will nicht zu viel verraten, aber so viel sei gesagt: Eisklima („Überlebenswahrscheinlichkeit von mehr als einer Woche: praktisch ausgeschlossen“) und Wüste („Ohne Sonnenschutz ist eine Überhitzung schneller als das Verdursten tödlich“) hören sich echt nicht gut an und bekommen die eindrucksvollen Labels „Brachial“ und „Kein Entkommen!“ verpasst.
Das „Survival Magazin“ bewegt sich in einem irritierenden Spannungsfeld. Beim Hobby Survival soll geübt werden, wie wir uns selbst helfen können, wenn ein Ernstfall eintritt und wir auf uns selbst und unsere Fähigkeiten zurückgeworfen sind. Das Magazin will hier weiterbilden, mit Artikeln und Wochenendkursen im Wald. Aber vor allen Dingen scheint es, als sei man darauf aus, richtig viel Krempel an den Mann zu bringen. Kauf dich sicher für den Ernstfall! Beim Hobby Survival geht es eben auch deutlich ums Geschäft und das spiegelt sich in lästiger Intensität im Magazin wieder.
Die Kolumne
Im wöchentlichen Wechsel gehen vier Autor/innen zum Bahnhofskiosk, entdecken dort Zeitschriften und schreiben drüber.
Johanna Halt hat Kunstgeschichte und Romanistik studiert. Als freie Drehbuchautorin schrieb sie unter anderem für die Serie „Familie Dr. Kleist“ in der ARD oder Inga Lindström im ZDF. Seit 2015 ist sie in der Film-und Fernseh-Synchronisation tätig.
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„Männer heizen bei taktischen Militärspielen in voller Montur durchs Unterholz und spielen Krieg, Frauen müssen sich ganz ernsthaft mit dem Thema Sicherheit auseinandersetzen, weil sie in ernsthafte Schwierigkeiten geraten können.“
Männer können auch in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Ob das die Motivation dieser Hobby-Rambos ist, sei mal dahingestellt.
„Männer heizen bei taktischen Militärspielen in voller Montur durchs Unterholz und spielen Krieg, Frauen müssen sich ganz ernsthaft mit dem Thema Sicherheit auseinandersetzen, weil sie in ernsthafte Schwierigkeiten geraten können.“
Männer können auch in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Ob das die Motivation dieser Hobby-Rambos ist, sei mal dahingestellt.