Lokale Magazine und die Corona-Krise

Im Stillstand der Städte

„Coolibri“, Ruhrgebiet, April 2020

Auf der April-Ausgabe des „Coolibri“, dem Gratis-Stadtmagazin fürs Ruhrgebiet, funkelt noch die Hoffnung. Tausende Menschen, dicht gedrängt, tanzend, schwitzend vor einer großen Bühne. Eine Foto aus einer anderen Zeit, vom Deichbrand-Festival, das auf dem Titel wirbt. Mitte Juli soll es stattfinden.

Aber wird es? Ist das, was man da sieht, bald wieder neue alte Normalität? Oder noch lange nicht?

Gerade jedenfalls ist ja gar nichts normal, und das trifft auch etliche Stadt- und Kulturmagazine hart, die sich oft weitgehend aus Anzeigen finanzieren. Welche Veranstaltungen soll man ankündigen, welche Restaurants, Konzerte oder Partys empfehlen, wenn alles dicht ist? Und welche lokalen Unternehmen werben derzeit noch, in Zeiten kompletter Ungewissheit?

Herzog Wilhelm V. mit Mundschutz

Dass die April-Ausgabe des „Coolibri“ auf den ersten Blick so normal aussieht, liegt am frühen Redaktionsschluss des Blattes: Er war am 13. März. Man habe versucht, so viele Termine wie möglich zu aktualisieren, schreibt die Redaktion. Dennoch sind natürlich etliche Konzert-, Theater-, Kunst-Tipps im Heft jetzt hinfällig, auch „Barfood im Badalona“, einer Bochumer Bar, ist gerade bloß eine nette Idee. Mit „Gespenstische Zeiten“ hat die Redaktion ihr Corona-Editorial überschrieben.

Beim Kultur- und Stadtmagazin „Herzog“ aus Jülich (nahe Heinsberg) sieht man es sofort. Gerade jetzt feiert das Blatt seine 100. Ausgabe. Tja, was soll man machen? Trägt der Jülicher Herzog und Renaissancefürst Wilhelm V. eben Mundschutz vor Klopapierhintergrund auf dem Cover. Und selbst pandemisch lässt sich die 100 ja verwerten: „Alle 100 Jahre wieder“ steht über einem Text. Alle 100 Jahre wieder irgendeine große Krankheit, ein „zivilisatorischer Schock“, schreibt „Herzog“: Pest, Cholera, Spanische Grippe, jetzt Corona. Ein merkwürdiges Jubiläum.

Und weil es so ein Schock ist, haben sich manche Magazine entschieden, erst gar nicht zu erscheinen. „In München“ etwa kam Mitte März zum vorerst letzten Mal raus: „Wir fahren die Systeme ein Stück weit runter und hoffen darauf, dass es möglichst bald zurück in den Normalbetrieb gehen kann“, schreibt die Redaktion.

Auch das Magazin „Ahoi“ berichtet nun nur noch in digitalen Kanälen, wie die Menschen in Leipzig mit der Krise umgehen; gedruckt ist Pause:

„Wir möchten euch nicht die Nase mit einem tollen Restaurant langmachen, in dem ihr gerade gar nicht essen gehen könnt, und keine Veranstaltungsseiten drucken, aus denen Tag für Tag etwas mehr rauszustreichen ist. Auch die meisten unserer Verteilorte haben geschlossen und wir können dadurch unseren Partnern und Anzeigenkunden nicht gewährleisten, dass ihre Inhalte vollumfänglich von euch gesehen werden.“

Das ist das nächste Dilemma: Normalerweise liegen die Gratis-Hefte in Kneipen, Restaurants, Geschäften aus, aber die sind ja geschlossen. „Noch nie war die Produktion eines Hefts so schwierig“, schreibt „Frizz“ aus Frankfurt. „Ständig musste die Redaktion neu planen – buchstäblich bis zur letzten Minute. Die Probleme in der Produktion setzten sich in der Distribution fort.“

Supermarkt statt Kneipe und Restaurant

Um das aufzufangen, hat „Frizz“ eine Kooperation mit einer Supermarktkette geschlossen. Das aktuelle Heft gibt es nun in 80 Filialen im Verbreitungsgebiet, das sich bis in den Vordertaunus erstreckt. So geht es auch.

Was die Anzeigen betrifft, finden sich im aktuellen „Frizz“ überraschenderweise doch noch einige: Restaurants, Kneipen, auch die Shoppingmall werben noch, und Aldi macht Reklame für eine Ausbildung zum „Verkäufer und Kaufmann“; auf dem Foto in der Anzeige bietet eine entspannt strahlende Verkäuferin einem Hipster einen Strauß Kräuter an. Sonst kein Mensch zu sehen im Supermarkt.

Bei vielen anderen läuft es mit den Anzeigen schlechter, bei „Printzip“ etwa, einem Magazin für Fulda und Bad Hersfeld, das seit 22 Jahren alle zwei Monate erscheint, mit einer Auflage von rund 13.000 Exemplaren. Auch dieses Heft wird „vorerst“ nicht mehr gedruckt. „Der Anzeigenausfall beträgt fast 100 Prozent“, sagte „Printzip“-Verleger Timo Schadt dem Hessischen Rundfunk.

„Moritz“-Editorial im Ausnahmezustand Screenshot: Moritz

Das Heft sehe dieses Mal „etwas anders“ aus, schreibt das Magazin „Moritz“ aus Baden-Württemberg. Klassische Kategorien würden wegfallen, der Kalender etwa. Aber Zorn deswegen? Eher nicht: „Wir von der Redaktion unterstützen die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 in vollstem Maße“, schreibt die Redaktion.

Ein „ganz schwarzes Jahr“

Ihr Geschäftsführer, Ingo Eckert, sieht das jedoch etwas anders. „Wenn Sie mich persönlich fragen“, sagt er im Telefonat mit Übermedien: „Ich halte die Maßnahmen für völlig überzogen und unangemessen.“ Zum Beispiel, dass auch Restaurants und der Einzelhandel schließen müssten. Eckert findet deshalb, dass wir „so schnell wie möglich raus sollten aus dem Shutdown“. Er sehe ohnehin ein „ganz schwarzes Jahr“ kommen, auch gesamtwirtschaftlich. Die Auswirkungen würden noch lange spürbar sein.

Eckert trifft die Krise doppelt: Er verantwortet nicht nur das Magazin, er ist auch Veranstalter, also: unter normalen Umständen. Beim Magazin kümmern sie sich jetzt um aktuelle Themen, auch zu Corona, außerdem um „Specials“, im neuen Heft zum Beispiel zu Job, Ausbildung und Karriere, was auch ein bisschen bittere Ironie ist: Job und Karriere während auch „Moritz“ in Kurzarbeit gewechselt ist und Soforthilfe erhalten hat.

„Wir fahren die Kosten jetzt so weit runter, dass wir die Krise überleben werden“, hofft Eckert. Auch mit Rücklagen der vergangenen Jahre. Es seien etwa 60 Prozent weniger Anzeigen in der April-Ausgabe, sagt er, im Mai würden es wohl noch weniger werden. Insgesamt rechne er mit „rund 300.000 Euro Umsatzeinbußen in den kommenden drei Monaten“. Aber immerhin: ganzseitige Reklame für Highspeed-Internet im Homeoffice, Bier, Radio, Autos und einige kleinere Geschäfte findet sich in der aktuellen „Moritz“-Ausgabe noch.

„Wir müssen alle positiv und gestärkt aus der Krise hervorkommen“

„Es wurde einem von Tag zu Tag immer bewusster, wie dramatisch die ganze Situation eigentlich wird“, sagt Walter Sianos, der Chefredakteur der „Neuen Szene“, dem Augsburger Gratis-Magazin, das es seit fast 30 Jahren gibt. Auch hier liegt das Blatt, etwas dünner, nun in „Apotheken, Supermärkten und anderen Betrieben“ aus, wie er dem Bayerischen Rundfunk erzählt.

Um das Magazin zu retten, helfen offenbar auch die freien Mitarbeiter mit, die auf ihr Honorar verzichten, oder der Vermieter der Redaktionsräume, der die Miete gesenkt hat für die nächsten Monate. Auch Sianos klingt optimistisch: „Wir müssen alle positiv und gestärkt aus der Krise hervorkommen.“

Doch was, wenn es alles andauert? Wenn Beschränkungen noch lange bleiben, Werbeetats weiter schrumpfen, (kleinere) Kulturbetriebe oder Restaurants, Bars schließen müssen? Wie vielen Magazinen geht dann auch die Puste aus?

„Wir halten das so zwei, drei Monate durch“, sagt Tanya Kumst, Herausgeberin der „Szene Hamburg“. Vor sechs Jahren hat sie das Magazin gekauft, „nach fünf ging es uns wirtschaftlich gut“, erzählt Kumst im Telefonat mit Übermedien. Vor ein paar Wochen hätten sie noch im Verlag gesessen und sich gefreut, wie gut das alles inzwischen laufe.

„Szene Hamburg“ ist kein Gratis-Heft, es liegt im Zeitschriftenhandel. Daneben gibt der Verlag noch das Gratis-Magazin „Hamburg pur“ heraus und ein Spin-Off namens „Szene essen+trinken“, das ausgerechnet dieser Tage erschien. „Wir haben diskutiert, ob wir das jetzt machen können“, sagt Kumst. Sie hätten mit negativen Reaktionen gerechnet: Ein Gastro-Führer? Ausgerechnet jetzt? Aber das Feedback sei positiv.

Mit der ersten Krisen-Ausgabe der „Szene“ seien sie auch „ganz gut gefahren“, die Abverkaufszahlen seien „super“, sagt Kumst. Was auch daran liegen mag, dass die „Szene“ politischer ist, journalistischer auch als viele Gratis-Magazine. Das aktuelle Heft haben sie komplett umgebaut, fast 40 Seiten lang geht es um die Krise und wie Hamburg darauf reagiert. Für die nächste Ausgabe sei ein Zukunfts-Heft geplant, unter anderem mit einem Interview mit dem Ersten Bürgermeister und einem Zukunftsforscher.

Auch jetzt lässt sich noch ein Heft machen

Vielleicht lautet die Lösung eben, dass sich auch die Magazine der neuen Situation anpassen. Denn natürlich lässt sich auch jetzt noch ein Heft machen: mit Aufrufen, lokale Kultur zu unterstützen, Hinweisen auf Online-Konzerte oder Film-Tipps, aber nicht im Kino, sondern auf dem eigenen Sofa, und mit Hinweisen, wo man Essen bestellen kann. Orientierung bieten in einer Stadt, die so niemand kannte bisher. Und vielleicht verändert es auch Abläufe: Hefte kurzfristig umbauen, Hektik „bis zur letzten Minute“ – Journalismus halt.

„Wir werden einen neuen Weg finden müssen, Inhalte von Relevanz zu schaffen“, schreibt Andreas Raabe, Chefredakteur des Magazins „kreuzer“ aus Leizig. „Vielleicht gelingt es, den politischen Teil und den Reporterteil des ‚kreuzer‘ auszubauen – in den Kultur-Ressorts mehr zu berichten, wie die Menschen in Leipzig mit der neuen Situation umgehen.“ Oder „selbst mehr Kultur transportieren – ganz direkt mit Kurzgeschichten, Comics, Fotoserien, Poetischem und Experimentellem, mit Schönem und Verrücktem. Mit allem, was geht in Text und Bild“, so Raabe.

„Das ist natürlich toll, das ist auch ein Schulterschluss gerade“, sagt Jörg Segler vom Magdeburger Gratis-Magazin „Dates“. Sie hätten alle Gastronomen abtelefoniert, außerdem würden sie dafür werben, Blut zu spenden, genug Zeit hätten die Leute ja nun, die Ausrede fällt schon mal weg. Und Segler hat für eine solidarische Titelseite Supermarkt, Polizei, Post, Ärzte abgeklappert:

„Ein kleiner Dank an euch und alle anderen, die momentan die Stadt am Laufen halten.“

Dass andere Magazine gar nicht erscheinen, kann Segler nicht verstehen. „Wir müssen auch ein Heft rausbringen, wenn unsere Kunden mal nicht werben.“ Die Verluste seien „natürlich eine Katastrophe“, aber die Leser wollten ja auch jetzt ein Magazin haben, „da müssen wir in den sauren Apfel beißen“. Segler hofft, das werde später honoriert, wenn alle wieder aufhaben.

2 Kommentare

  1. In Hannover ist der „Schädelspalter“ kommentarlos nicht erschienen, das kostenlose „magaScene“ bietet eine Art alternatives PDF auf der Verlags-Webseite und „Stadtkind“ bringt eine Ausgabe mit viel Lesestoff, sowie optimistisch Terminen erst ab dem 20. April…

  2. Was vielleicht anderen Mut macht: In München wird MUCBOOK, das einzige am Kiosk erhältliche Stadtmagazin der Landeshauptstadt, von eine Welle der Solidarität getragen und wohl wie geplant im Mai erscheinen. Mit einer Crowdfunding-Aktion unter dem Hashtag #AmorefürdeineLocals sollen auf startnext die fehlenden Anzeigenerlöse ausgeglichen werden. Nach 5 Tagen waren mit Vorbestellungen und Memberships schon 5.000 Euro erreicht. Im besten Falle gehen wir als Redaktion gestärkt aus der Krise heraus, in dem wir durch Abos und Memberships noch weniger von Anzeigenmärkten abhängig werden.

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