Das Heft ist rund
Es gibt bessere Zeitpunkte, ein 20-jähriges Jubiläum zu begehen, als derzeit. Aber Jubiläen sucht man sich halt nicht aus. Im April 2000 erschien die erste „11 Freunde“, damals gedacht als bundesweites Fanzine, und für alle Nicht-Fußballinteressierten oder Spätgeborenen muss man wohl kurz erklären, was das Magazin für die Branche bedeutet:
„Als ich die erste Nummer von ’11 Freunde‘ gelesen habe, war ich glücklich: endlich was anderes. Die Kommerzialisierung hatte massiv eingesetzt, und ’11 Freunde‘ bildete einen Gegenpol.“
So sagt es Hardy Grüne, Herausgeber des Fußballmagazins „Zeitspiel“ und zeitweise „11 Freunde“-Kolumnist. Sig Zelt, Sprecher des Bündnisses ProFans, drückt es so aus:
„Der wahre Wert des Fußballs misst sich nicht an Transfersummen und glänzenden Pokalen. Vielmehr sind es die Erlebnisse, die er uns allen persönlich gibt, ob Spieler, Trainerin, Vereinsmitarbeiter oder Fan. Dass das Magazin genau diese Seite, die Geschichten hinter der Fassade, im Blick hat, macht es so lesenswert.“
Liebe in Worte gefasst
„11 Freunde“ hat mit seiner großen Lust auf Kreativität, seiner Kommerzkritik und dem hohen Niveau der Texte einen neuen Blick auf den Fußball mitgeprägt. Und eine neue Form der Sportberichterstattung. Mit aufwändigen Reportagen, großzügigen Fotos, dem Ernstnehmen der Fans und dem Lustignehmen des Businesses wie auch sich selbst. Das Magazin hat den Blick für das, was Fußball tut und kann und nicht kann, spektakulär für die Allgemeinheit geweitet, und Liebe in Worte gefasst. Und es sieht gerade auch die kleinen Geschichten im großen Sport.
Die Macher waren damit von Beginn an nicht allein und nicht immer die Ersten, sondern Teil einer Bewegung, die ein torgroßes Marktloch füllte, nachdem die Gelder des Privatfernsehens und später des Bezahlfernsehens den Wettlauf um Aufmerksamkeit und Profite ausgelöst hatten.
Während neue Formate wie „ran“ bei Sat.1 und „Sport Bild“ am Kiosk die Sehnsucht nach Show, Skandal und Ranschmiererei bedienten, kritisierten immer mehr Fans die glatte Unterhaltungsindustrie. Bücher wie „Der gezähmte Fußball“ begriffen den Fußball schon Anfang der 90er sozial und politisch.
„Brandbeschleuniger“ WM 2006
Und im Jahr 2000 gründeten sich aus der Fanzine-Kultur heraus „11 Freunde“, der österreichische „ballesterer“ und das schwedische „Offside“. Sie teilten ein Unbehagen gegenüber der Explosion der Gelder, dem lilalustigen Entertainment, der Entwicklung, die als „Kommerzialisierung“ eher oberflächlich plakatiert wurde. „11 Freunde“ war immer Produkt des Fußball-Kapitalismus und Reaktion darauf.
Anders als es die heutige „11 Freunde“ mit Mattlack-Cover und dem Hamburger Großverlag Gruner+Jahr im Rücken vermuten lässt, waren die ersten Jahre ein nicht so rosiges Ringen um die Existenz. Die frühen Abos retteten das Magazin, und der Hype um die WM 2006 wirkte als „Brandbeschleuniger“, so Chefredakteur Philipp Köster:
„Jeder interessierte sich plötzlich für Fußball, Uni-Professoren und Politiker und Mittelständler. Wir waren nicht so staatstragend wie der ‚Kicker‘, nicht so grell wie die ‚Sport Bild‘, und damit für viele der Einstieg.“
Was „11 Freunde“ tat, den Fußball als gesellschaftliches, politisches, kulturelles, literarisches Terrain zu begreifen, wurde jetzt das neue große Ding. Die selbstironische und subjektive Schreibe, „aus der Fankurve“, wie Köster es nennt, hat die Sportberichterstattung geprägt, und trägt bis heute entscheidend dazu bei, dass man in Deutschland Fans zunehmend weniger als tumbe, destruktive Trottel sieht (nur bei Teilen der Medien und des DFB ist das auch nach 20 Jahren nicht angekommen).
Kreisklasse-Schnodder und Star-Interviews
Es ging wohl vielen Fußballinteressierten so, dass sie rund um oder nach der WM 2006 ihre Jugendsünden hinter sich ließen (tschüss, „Bravo Sport“, tschüss, äh, „Sport Bild“) und den vage szenigen „11 Freunde“-Kosmos betraten, dessen Leserschaft da schon wesentlich weniger subkulturell und eher gutbürgerlich war. Das Heft bespielte die bürgerliche Mitte mit einem Stil, den andere Publikationen gern als „Fußballromantik“ betitelten, was es aber eigentlich nicht trifft, denn Kritik an Entwicklungen des Profifußballs ist keine irrationale Romantik.
Einen Schritt hat das Magazin selten gewagt: einordnende politische Systemkritik. Der dominierende Begriff ist „Kommerzialisierung“, nicht „Kapitalismus“, und man begeistert sich lieber für Retro-Trikots, als das System stürzen zu wollen. Ein bisschen waren die „11 Freunde“ immer Vorläufer der Hipster-Kultur, die lieber zurück schaut als nach vorn. Ein bisschen zu oft sind kleine Klubs tapfer, Fans die Guten und olle Flutlichtmasten total charmant. Das wirkt bisweilen naiv.
Seit vielen Jahren prägt das Magazin, oft erfolgreich, das Konzept, Kreisklasse-Schnodder mit Mats-Hummels-Interviews zu versöhnen. Letztere sind etwas, was Köster eine „Öffnung des Themenportfolios“ nennt, und KritikerInnen Mainstream. Nicole Selmer sieht es pragmatisch:
„Aus meiner Sicht als ‚ballesterer‘-Chefredakteurin muss ich sagen: gut so. Wir bekommen oft zu hören: Ihr seid so, wie die ’11 Freunde‘ früher waren. Aber wenn man die Chance hat, fünf Leute mehr zu beschäftigen und bestimmte Reisen zu machen, und dafür in zehn von zwölf Ausgaben einen Fußball-Promi aufs Cover setzen muss, dann verstehe ich auch, wenn man das macht.“
Philipp Köster bestreitet, dass es da eine ökonomische Motivation gebe. Im Gegenteil: Cover mit Stars seien gar nicht die erfolgreichsten, eher das mit einem Fan des Hamburger Klubs Altona 93. Und überhaupt, ist die kritische Haltung des Magazins nicht aussagekräftiger als die Wahl der Interviewpartner? In der Fußball-Öffentlichkeit sind die „11 Freunde“ verlässlich eine der etwas anderen Stimmen, oder, wie Hardy Grüne es ausdrückt:
„Für die aktiven Fanszenen hat ’11 Freunde‘ aus meiner Sicht nicht mehr die ganz große Bedeutung. Aber für die kritische Beobachtung und Wahrung der Fankultur halte ich sie immer noch für ein total wichtiges Medium.“
„11 Freunde“ ist ein Balanceakt. Es muss mit dem immanenten Konflikt eines populären Sportmediums leben: dass es die Kapelle ist in dem Zirkus, den es kritisiert. „Die Frage ist: Was ist die Alternative? Jeder, der über Profifußball berichtet, muss die ganzen Zumutungen dieser Industrie aushalten“, sagt Köster: „Den klebrigen Pathos, die Marktschreierei, den Kommerz. Es ist wichtig, trotzdem eine Haltung zu bewahren, integer zu bleiben.“
Mehr als ein Magazin
Dass sich das Magazin so erfolgreich platzierte, hat auch mit dem frühen Mut zur Diversifizierung zu tun. Seit 2005 gehen Köster und Jens Kirschneck auf Lesereisen, 2008 erfand Dirk Gieselmann den stilbildenden Liveticker, es gibt Saisonrückblicke, Public Viewings, Videoformate, das Magazin in hübscher Optik auch aufs Smartphone, und anders als bei anderen Medien hat man hier den Eindruck, dass die Redaktion einen Podcast nicht nur einführt, weil es alle anderen machen, sondern, weil sie irgendwie Bock drauf hat und Ideen.
Im eigenen Shop des Magazins, dessen Erlöse laut Köster etwa 20 Prozent der Einnahmen ausmachen, lassen sich Frühstücksbrettchen, Wandbilder oder gehäkelte Baby-Fußbälle erwerben. Der Nukleus soll jedoch das Heft bleiben, das lange Zeit sogar zulegen konnte, aber seit 2014/15 einen Rückgang bei den Verkäufen erlebt.
Auch die Entgrenzung und Nähe des Online-Zeitalters kommt „11 Freunde“ gelegen, weil die Redaktion stets auch sich selbst inszenierte. Keine Ahnung, wie oft die Schnurre vom offenen Hosenstahl beim Fußballtalk „Doppelpass“ schon von Köster erwähnt oder aufgeschrieben wurde, oder die von den gefälschten Leserbriefen an den Kicker („Rolf Töpper, Wien“). Das ist so wie mit den voll kultigen Union-Berlin-Geschichten, irgendwann ist dann auch mal gut. Aber bei der Leserschaft kommt selbstreferentielle Ironie wohl gut an – und von da ist der Weg zu lustigen Videos nicht weit.
Nicht jede neue Idee funktionierte, mit dem Kein-Fußball-Magazin „NoSports“ setzte man sich am Markt in die Nesseln (was wohl nicht nur am Print-Markt lag, sondern auch an der falschen Annahme, dass Tennis-Fans auch etwas über Baseball und Marathon lesen wollen). Aber die Experimentierfreude ist cool und bleibt in der ritualisierten Sportberichterstattung rar.
Kaum Rotation in der Redaktion
Bei personeller Rotation dagegen bewegt sich das Print-Produkt eher so auf Linie des späteren Jogi Löw: seit vielen Jahren, teils Jahrzehnten ist dieselbe Garde mit am Start, Kirschneck, Jürgens, Biermann, Gieselmann, Ulrich, Bock. Köster ist seit 20 Jahren Chefredakteur. Und bis heute ist „11 Freunde“ eine Spielwiese weißer Jungs. Dass jedes siebte DFB-Mitglied weiblich ist, auf die Idee kommt man beim Lesen nicht, denn Fußball spielen im Heft fast nur Männer. „ballesterer“-Chefin Nicole Selmer:
„Ich habe nie wirklich verstanden, warum sie diese strikte Heftpolitik haben, praktisch nicht über Fußball von Frauen zu schreiben. Das finde ich unnötig, und nach meinem Eindruck geht es mittlerweile auch an der Wahrnehmung vieler Leserinnen und Leser vorbei. Sie sehen Frauenfußball als einen anderen Sport, und diese Sicht ist aus der Zeit gefallen.“
Die Beziehung der „11 Freunde“ zu kickenden Frauen ist durchaus ambivalent. Schon 2001 schafften es dort Frauen aufs Cover, die Unterzeile („Warum Frauen und Fußball doch zueinander passen“) ist aber höchstens mit viel Mühe als progressiv auslegbar. Fairerweise ist das lange her. Von 2008 bis 2012 versuchte man sich an der Beilage „11 Freundinnen“, die offenbar an fehlender Begeisterung der Anzeigenkunden nach der verpatzten Heim-WM 2011 scheiterte. Aber ab Herbst soll es die „11 Freundinnen“, so Corona es will, wieder geben. Für Köster ist das der richtige Weg:
„Wir haben immer gesagt: eigene Sportart, eigenes Heft. Die ständigen Vergleiche mit dem Männerfußball tun dem Frauenfußball nicht gut. Wir empfinden ein eigenes Heft eher als Wertschätzung.“
Mit welcher Berechtigung aber Weltklasse und Kreisklasse der Männer dieselbe Sportart sind, aber Weltklasse der Frauen eine andere, kann sich nur der Männerfußball zusammenreimen. Texte als Teil des Hefts täten mehr, um beides als einen Fußball zu normalisieren, als eine kleine Magazinschwester
Warum auch nicht, „11 Freunde“ hat schließlich vieles zusammengeführt. Fußball und Kultur, und das so sehr, dass das Wort Fußballkultur heute als No-Brainer gilt. Es hatte und hat ziemlich großartige Einfälle, wie Peter Neururer unter Geiern, eine Mario Gomez-Montage lasziv auf dem Baywatch-Plakat („Bayernwatch“), die Männer-Bundesliga als Sgt.-Pepper-Cover und Hannover 96 als Hangover-Filmplakat. Die Indie-Kreativität und die satirischen Aktionen hat sich das Magazin bewahrt.
Fußball und Gesellschaft, mit dem liebevollen Blick auf die abseitigen Winkel des Betriebs mit Fußballfriedhofsgärtnern, Fanbusfahrern und Stammtischleuten, und mit starken Reportagen über Fans von Rio bis Indonesien. Und das nur scheinbar ungleichste Paar, um das sie sich verdient machen, sind Fußball und Humor. Philipp Kösters Spezialgebiet:
„Es gibt kein Genre, dessen Gegenstand so pathetisch überhöht wird wie der Fußball. Wenn dieses Pathos auf die schnöde Realität knallt, entsteht zwangsläufig Humor. Wir versuchen, diesem Humor eine Stimme zu geben, Fußball als Parodie aufs Leben zu begreifen. Also den Sport ernst zu nehmen und zugleich zu erkennen, wie albern dieser Ernst ist.“
Ich bin offenbar nicht alleine mit meinem Wohlwollen für die „11 Freunde“, die neben „RUND“ vor etwa 15 Jahren im Café auslag. Beide gerne gelesen. Gekauft habe ich lieber die „11 Freunde“. Heute könnte ich mir beide leisten, was schade ist, da die „11 Freunde“ nach dem Aus von „RUND“ nach meinem Empfinden lieber eine Person (oft FCB oder BVB oder Kloppo!) als Themen aufs Titelblatt hebt. Dazu passt es auch, dass man lieber die „11 Freundinnen“ still eingestellt hat, anstatt sie (meinetwegen auch heimlich) einfach ins Magazin zu integrieren. Dass Philipp Köster ja auch beim Stern Kolumnen schreibt, fehlt leider im Beitrag, auch wenn ich es sehr sympathisch finde, dass „Philipp“ mindestens einmal falsch geschrieben wurde, was jedem passieren muss.
@Mathias: Vielen Dank für den Hinweis! Wir haben es korrigiert.
„Hosenstahl“
hihihihihi
„Mit welcher Berechtigung aber Weltklasse und Kreisklasse der Männer dieselbe Sportart sind, aber Weltklasse der Frauen eine andere, kann sich nur der Männerfußball zusammenreimen.“
Alternativ betrachte man das Publikum.
Wie viele Frauen und Männer gucken Frauenfußball?
Wie viele Männer und Frauen gucken richtigen Fußball?
Wie viele Menschen schreiben Kommentare wie den unter Nummer 4?
Wie viele Menschen schreiben richtige Kommentare?
„Alternativ betrachte man das Publikum.
Wie viele Frauen und Männer gucken Frauenfußball?
Wie viele Männer und Frauen gucken richtigen Fußball?“
Erm… und Ihnen ist da nicht der Unterschied zwischen Weltklasse und Kreisklasse beim Männerfußball geläufig??
Der Köster weiß schon, was er macht. Frauenfussi wäre im Heft auf mittlere Sicht Kassengift. Auch unter der vermeintlich aufgeklärten männlichen Leserschaft wird dann weitergeblättert, so sicher, wie im Fernsehen bei Turbine Potsdam vs SGS Essen weitergezappt wird. Die paar Frauen, die dann als Leser möglicherweise hinzukommen würden, reißen es dann auch nicht mehr raus.
@7: Weiß nicht, ich lese überhaupt keine Fußballzeitschrift und werde es bei der Einstellung halt auch nicht tun. Gerade wenn man zwar Kreisklasse „gleichwertig“ behandelt, Fußball aber als anderen Sport betrachtet, sobald er von Frauen gespielt wird.