Ich bin richtig gut im Briefe öffnen. Ohne Brieföffner, einfach mit dem Finger in den Umschlag reingestochert und flott aufgerupft. Ob Finanzamt, Rundfunkbeitrag oder andersartig vergnüglicher Papierkram: Ich bin unerschrocken!
Aber ich bin nicht nur unerschrocken, sondern ich bin auch eine ganz hervorragende Staplerin. Auf den fünften Stuhl an meinem Küchentisch schichte ich Papier zu Türmen, auf dem hässlichen Ikea-Schubladending im Arbeitszimmer staubt’s auf ein Häufchen Post, und wenn es richtig gut läuft, schubse ich beim Anziehen aus Versehen und unbemerkt einen Stapel wichtigster Korrespondenz vom Nachttisch hinter den Wäschekorb.
Weil ich also eine so hervorragende Staplerin bin, nutzt mir die ganze Brief-Öffner-Unerschrockenheit bei der pünktlichen Abgabe von allem, was man so abgeben muss als erwachsener Mensch, mal so richtig schön gar nichts und ich gerate doch regelmäßig ins Schwitzen. Desorganisation zerstört also mein Leben. Armseliges Klischee, armseliges Leben.
Endlich mein Leben in den Griff kriegen
Aber Rettung naht! Für Schnarchnasen wie mich und auch für Frauen, die ihren Shit im Griff haben, gibt es jetzt „Courage“. Finanz-Frauenmagazin für „Geld“, „Karriere“ und „Lebenslust“. Kann das helfen bei der Stapelreduktion, bei der Organisation meines Erwachsenenlebens? Ich bin hoffnungsfroh und habe gleichzeitig schlotternde Angst vor den harten Fakten der Finanz. Das wird heiter.
Die erste Ausgabe erschien im Februar 2020, steht im Kiosk bei den Frauenmagazinen und weil es das erste Finanzmagazin für eine weibliche Leserschaft ist, zieht es Blicke auf sich und wirft Fragen auf. Teresa Bücker fragt auf Twitter zurecht, warum man das Heft wie eine feministische Zeitschrift der 70er und 80er Jahre genannt hat und warum im Interview mit den Chefredakteurinnen bei Horizont.net danach nicht gefragt wird. Eine mögliche Antwort darauf lieferte die Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky:
die haben mich neulich interviewt und ich hab sie genau das gefragt. Journalistin wusste auch keine richtige Antwort. ich glaube, sie wussten es schlicht nicht. 🤷🏻♀️🤦🏻♀️
Klar, ist nur eine Vermutung, spricht aber nicht unbedingt für ein feministisches Bewusstsein, wenn im Editorial kein Wort über die Namensvetterin verloren wird.
Was mich darüber hinaus richtig irritiert, ist die Tatsache, dass „Courage“ im Finanzen Verlag erscheint. Na, Finanz-Magazin im Finanzen Verlag, was ist so schlimm? Der Finanzen Verlag wirft eben auch „Tichys Einblick“ auf den Markt, das sich selbst „liberal-konservatives Meinungsmagazin“ nennt und einfach ein schauerlicher Laden ist. Ist „Tichys Einblick“ die richtige Nachbarschaft für ein Magazin für moderne Frauen?
Hier grüßen die Chefinnen noch persönlich
Ich lasse den Ausblick auf die schlechte Nachbarschaft hinter mir und tauche ein. Der Look ist eindeutig „Frauenzeitschrift“. Schön buntes Titelblatt, grüner Hintergrund, orangefarbene Schrift, im linken oberen Eck ein Wegweiser in weiß auf dunkelpink: „Frauen & Finanzen NEU“. Sara Nuru, ehemaliges Model, lächelt, die Arme verschränkt zur Unternehmerinnenpose. „Mut lohnt sich. Immer“, wird sie zitiert und da kann man nur sagen: Joa. Stimmt. Klingt aber auch wie ein Insta-Inspirations-Zitat. Und oben auf dem Titelblatt „Courage“ und unten „Mut“ stehen zu haben, ist auch fad. Aber gut. Nicht immer alles sofort scheiße finden.
Die Chefredakteurinnen grüßen mehrmals freundlich beim Spazier ins Heft. Sie erzählen die Gründungslegende, schön gespickt mit persönlichen Details („Noch in unserer Elternzeit haben wir mit den Vorbereitungen für ‚Courage‘ begonnen“), und zeigen sich vertraut mit den Hauptfiguren ihres Starke-Frauen-Narrativs („Inspirierende Gespräche mit tollen Frauen“ beim sogenannten Making of). So stellen sie Nähe her, sie wollen das Vertrauen der Leserinnen gewinnen, denn wenn’s ums Geld geht, hört der Spaß bekanntlich auf.
Geh ins Risiko!
Der Einstieg ins Heft mit dem ausführlichen Nuru-Interview macht Spaß, weil selbstbewusste Frauen mit guten Ideen immer toll sind. Clever positioniert, vor allem für Angsthasen wie mich: Ich bin noch immer hoffnungsfroh.
Aber dann: Mit dem „Workbook für die Altersvorsorge“ geht es in der Rubrik „Geld“ hart zur Sache. Sofort strömen da unangenehme Wahrheiten auf mich ein:
„Es reicht längst nicht mehr, Geld zu sparen, auf einem Konto zu parken oder in Staatsanleihen zu stecken, um im Alter von Zinsen leben zu können.“
Ich frage mich, was das für eine Scheißwelt ist, in der das der Realität entspricht. Zeit zum Murren bleibt aber nicht, ich muss Kassensturz machen, Sparpotenziale und Sparraten berechnen und spätestens als ich einen ETF auswählen soll, fühle ich mich wie in einer Folge von Bad Banks, erste Staffel: angetan, fasziniert und misstrauisch zugleich.
„Bei ihnen [synthetisch replizierenden ETFs, Anm.] werden die Werte nicht physisch gehalten, sondern mit Derivaten lediglich nachgebildet.“
Bei einem Satz wie diesem kann ich nur misstrauisch werden. Einfach weil ich ihn nicht verstehe. Helfen könnte mir sicher die freundliche Vermögensberaterin, die zur privaten Altersvorsorge interviewt wird. Sie rät: „Bewusst ins Risiko gehen.“ Ich denke, sie verdient bestimmt auch richtig prima daran, dass Leute „bewusst ins Risiko gehen“ und spüre deutlichen Widerwillen.
Kann man Finanzen mit Käse überbacken?
Aber es geht hier ja nicht um mich, sondern um den Kampf gegen die Stapel, also ein greater good, und so kämpfe ich mich weiter durch das Dickicht der Börsenbegrifflichkeiten. Sobald man denn verstanden hat, was ein ETF ist, ist dieses „Workbook“ durchaus hilfreich, weil es schrittweise auflistet, was alles zu erledigen und vor allen Dingen zu recherchieren ist, damit man beim Jonglieren mit Finanzen nicht in Teufels Küche kommt. Schrittweise ist halt immer gut, damit wirkt alles beherrschbar.
Noch mehr Ratschläge gibt es von einschlägigen Bloggerinnen (schon mal was von der „50/30/20“-Regel gehört?) und auch die wachsende Insta-Finanz-Frauen-Szene wird abgebildet. Ganz zeitgemäß auf den Bus warten und aus der Insta-Story einer Expertin erfahren, wie man Budgets erstellt. Kann man machen. Aber man muss es auch wollen und in mir wachsen weitere Zweifel, dass das bei mir der Fall ist, denn ich habe ziemlich viel perverse Rezepte mit Käse auf Insta geglotzt, während ich eigentlich was über Rendite lernen sollte.
Weil man zum Börsen-Spaß auch Kleingeld braucht und wir sicher nicht alle das getan haben, was die Vermögensberaterin geraten hat („Verzichtet in jungen Jahren auf Teile eures Einkommens, damit ihr auch in späteren Jahren ein sorgenfreies Leben leben könnt.“), heißt die zweite Rubrik „Karriere“. Die Redakteurinnen erklären:
„Darum schreiben wir auch über Karriere- und Gründerthemen, um Frauen Mut zu machen, Geschäftsideen zu verfolgen und die Karriereleiter zu erklimmen.“
Coaching? Teuer, kann sich aber lohnen. Vielleicht.
Was unterstützt uns beim Karriere machen? Immer mal davon ausgehend, dass man was Anständiges gelernt hat und einer Lohnarbeit nachgeht. Ansonsten kann man eh einpacken. Aber wir wollen ja nicht negativ sein, gell? Deshalb nun zum Thema Coaching: „Auf zum Befreiungsschlag“ heißt es da kämpferisch in der Überschrift und zusammengefasst habe ich folgendes gelernt: Coaching ist kostspielig, wenn man an den richtigen Coach gerät sicher nicht verkehrt, und man sollte bereit sein, etwas über sich zu erfahren, sonst kann man es auch lassen. Ich weiß gar nicht, ob ich so selbstoptimierungsmäßig so viel über mich erfahren will. Aber gut.
Richtig merkwürdig finde ich allerdings, dass eine dreiviertel Seite lang sehr positiv über die Coaching-Praxis einer Bank berichtet wird und ein Zitat der Personalentwicklerin auch schön fett gedruckt wird: „Es ist ein Werkzeug zur Weiterentwicklung für die Mitarbeiter, die wir aktiv in ihrer Entwicklung begleiten können.“ Es liest sich, als würde hier für die Bank als Arbeitgeber geworben. Schließlich ist in großen Konzernen auch eine positive Berichterstattung über Mitarbeiterpflege prima Publicity. Vor allem, wenn der Artikel nicht mit abschließenden Worten zum Thema Coaching allgemein endet, sondern mit der Beschreibung der neuesten und ausnahmslos positiven Entwicklung im Bereich Coaching innerhalb ebenjener Bank. Das mieft.
Alles doch nicht so schlimm
In der Serie „Das Leben nach dem Big Business“ muss ich mich gleich wieder ärgern, ist das zu fassen? Zunächst erörtert man da das Thema der Doppelbelastung von Karriere und Kindern und verweist auf „zahllose Statistiken“, die belegen, wie viele Frauen sich gegen das Berufsleben entschieden. Dann schiebt man hinterher:
„Dennoch können Statistiken kaum die ganze Wahrheit, alle Beweggründe für einen scheinbaren Karriereknick oder Jobwechsel erfassen. Und sie können vor allem keine Geschichten erzählen.“
Es folgt das Portrait einer Frau, die erst im Finanzsektor Karriere gemacht hat und schlussendlich mit dem Betreiben eines Kosmetikstudios viel glücklicher geworden ist. Die Story ist prima und ich bin auch absolut der Ansicht, dass man positive Geschichten erzählen muss, weil sie Mut machen. Aber zu schreiben, dass Statistiken nicht die ganze Wahrheit sagen und keine Geschichten erzählen, ist redundant und wirkt so, als würde behauptet, dass die strukturellen Missstände, die die Statistiken numerisch beleuchten, vielleicht doch gar nicht so schlimm seien. Das finde ich unsolidarisch gegenüber allen Frauen, die tatsächlich an der Unvereinbarkeit zerbrechen.
Wen lerne ich noch kennen in „Karriere“? Die Mama-Bloggerin („Mompreneur“), die Jung-Gründerin („Endlich Freiraum zum Gestalten“) und, ha, einen Mann. Der Mann ist Andreas Utermann und der Titel des Artikels lautet „Mann sagt“. Über Utermann war letztes Jahr ausführlich berichtet worden, weil er seine Karriere bei der Allianz zugunsten der Karriere seiner Frau aufgegeben hat. Nun ja. Ist es interessant zu lesen, wie Utermann selbst über seine Entscheidung schreibt? Ja. Hätte man einen anderen Mann finden können, dessen Geschichte nicht rauf und runter in der Presse besprochen wurde? Vermutlich. Ich bin gespannt, welcher Mann in Ausgabe 2 was sagen darf und finde es witzig, dass man auch in einer Finanz-Zeitschrift mit explizit weiblicher Leserschaft immer noch eine Seite unterbringen muss, in der ein Mann über sich und die Welt berichten darf.
Nur Mut! Zur Fernreise!
Da „Courage“ im Frauenzeitschriftenregal steht und man sich beim Finanzen Verlag ein reines Finanzmagazin für Frauen eben nicht getraut hat, bildet „Lebenslust“ das thematische Schlusslicht des Rubriken-Trios. Klar, es geht auch hier um Geld („Geld und Liebe“ mit Tipps vom Paartherapeuten) und rätselhafterweise auch um die Afrikareisen einer der Chefredakteurinnen. Warum genau soll mich das interessieren? Ah, richtig, weil sie Empfehlungen für Unterkünfte und Vergnügungen in Südafrika raushaut, und behauptet, dass Fernreisen auch mit Kindern prima funktionieren: „Nur Mut!“ wird hier betont. Die Nähe zur Leserin ist jedenfalls erfolgreich gebastelt, inklusive Baby-Foto des jüngsten Kindes.
Na, und weibliche Lebenslust geht ja unbestritten und völlig zweifellos immer einher mit fancy Businessdinnern, mit fancy Müsli im Bus essen ohne sich vollzusauen, mit unzerstörbarem Make-Up, teuren Taschen und roten Mänteln für knapp 1.600 Euro. Ich schreibe ja gern „gähn“, aber hier kommt es echt aus voller Kehle und von ganzem Herzen: GÄHN.
Ich blättere weiter und lese mit vor Erstaunen geweiteten Augen (naja) ein Interview mit einer jungen Frau, die sich „SINNfluencerin“ nennt und ganz schön oberkritisch über das Influencer-Dasein sagt: „Ich finde es unglaublich, dass diese Art der Selbstdarstellung noch immer so beliebt ist.“ Ein kleines bisschen unglaubwürdig macht sie auf den ersten Blick, dass sie sich von den acht illustrierenden Fotos auf sieben ganz hübsch und gekonnt selbstdarstellt. Dabei ist ihr Instagram-Account doch voll mit Sprüchen (ob die nun jetzt Sinn oder Unsinn sind, mag jeder für sich selbst herausfinden) und die Redaktion hätte ihr doch den Gefallen tun können, ein paar mehr ihrer Weisheiten statt verträumter Portraits in Park oder Pool zu drucken.
Ohne Disziplin geht nix!
Richtig super finde ich dann die thematische Schlussklammer, die man in diesem ersten Heft gesetzt hat: ein Portrait einer 82-jährigen Frau, die sich mit cleveren Investitionen im Alter ein hübsches Vermögen aufgebaut hat. Und was lerne ich: Ohne Disziplin geht nix. Hach. Ich esse noch einen Keks und freue mich, dass es Beispiele dafür gibt, dass das Leben Wendungen nimmt, die reich machen und vor allen Dingen glücklich. Das finde ich das Beste: Die Frau steht auf ihr Leben.
Was kann „Courage“? Es ist ein Magazin für privilegierte Frauen, die Leserschaft wird wie folgt beschrieben:
„Sie sind gut gebildet, verfügen über ein überdurchschnittliches Einkommen, sind karriereorientiert und (international) gut vernetzt.“
Wie wäre es denn, wenn man sich mal nicht nur an Frauen wendet, die ohnehin schon ziemlich auf der Gewinnerseite des Lebens stehen? Das würde mir gut gefallen. Mehr Solidarität, noch mehr Diversität, mehr marginalisierte Stimmen. Das kann ja noch alles kommen. Hoffe ich.
Und was machen meine Stapel? Sie sortieren sich immer noch nicht von selbst, ich spare ein bisschen hier und da, aber beim Spiel an der Börse will ich nicht mitmachen. Ich interessiere mich einfach nicht ausreichend für den ganzen Kram und es wäre haarsträubend verantwortungslos, Halbwissen, erworben aus einem halbverstandenen Artikel, zur Grundlage von Lebensentscheidungen zu machen. Wer aber motiviert und mutig (sic!) und noch unbeleckt ist, kann diese erste Ausgabe von „Courage“ zumindest beim Thema Altersvorsorge gut als Einstieg zu Rate ziehen. Oder sich von den Lebensentscheidungen und -wegen anderer Frauen inspirieren lassen. Denn weibliche Vorbilder sind nach wie vor unfassbar wichtig, in einer Welt, die nach wie vor von Männern dominiert wird.
Die Kolumne
Im wöchentlichen Wechsel gehen vier Autor/innen zum Bahnhofskiosk, entdecken dort Zeitschriften und schreiben drüber.
Johanna Halt hat Kunstgeschichte und Romanistik studiert. Als freie Drehbuchautorin schrieb sie unter anderem für die Serie „Familie Dr. Kleist“ in der ARD oder Inga Lindström im ZDF. Seit 2015 ist sie in der Film-und Fernseh-Synchronisation tätig.
1 Kommentare
@Frau Halt:
ich war auch eine große Staplerin, komme aber durch den Tipp einer Freundin jetzt wunderbar zurecht:
Ein Kasten mit Hängeregistern!
So simpel wie genial. Statt in Stapel kommt alles direkt in den jeweiligen Loseblattsammler, richtig drum gekümmert und abgeheftet wird zwar immer noch später, aber es geht nichts mehr verloren oder unter :)
@Frau Halt:
ich war auch eine große Staplerin, komme aber durch den Tipp einer Freundin jetzt wunderbar zurecht:
Ein Kasten mit Hängeregistern!
So simpel wie genial. Statt in Stapel kommt alles direkt in den jeweiligen Loseblattsammler, richtig drum gekümmert und abgeheftet wird zwar immer noch später, aber es geht nichts mehr verloren oder unter :)