Man kann mir ja viel Ahnungslosigkeit unterstellen, aber bei Sport kenne ich mich aus. Ich leiste mir derzeit zwei Fitnessstudios, von denen ich mich bei einem davon auch noch dunkel daran erinnern kann, wo es ist. Ich besitze zwei Paar Laufsch…, Sportschu…, Sneaker, die ich regelmäßig abstaube, und sogar auf dem Sofa trage ich das Sweatshirt aus Kate Hudsons Sportkollektion. Das ist mir ohnehin zu schade zum Verschwitzen.
Die Wie-für-mich-gemacht-Zeitschrift
„Women’s Health“ und ich sollten also wie füreinander geschaffen sein. Das Magazin wird wissen, dass Sport zur Hälfte aus Motivation besteht. Es wird mich in meinem Bestreben bestärken, noch gesünder zu leben, als ich das ohnehin bereits tue. Und es wird mir fundiertes Wissen zu den Themen Sport, Ernährung und Gesundheit liefern. Immerhin gibt es das Heft bereits seit 15 Jahren, die deutsche Ausgabe seit zehn Jahren.
Und was da nicht alles drinsteht! Allein das Cover ist voller als ein Sportstudio am 2. Januar. Neun Themen hat das Layout rund um den „Insta-Star Kayla Itsines“ herum reingequetscht. Von „Fit in nur 12 Minuten“ über „Bist du wirklich richtig glücklich? Mach den Test“ und „Power für die Schilddrüse“ bis zu einem etwas kryptischen „Dieses neue Training beginnt im Gehirn“. Und oberhalb des Logos hat sogar noch „Der ultimative Schlank-Tag“ reingepasst!
Frau Itsines blickt, offenbar wirklich richtig glücklich, in die Kamera, was bei ihrem superflachen Bauch kein Wunder ist. Anders darf man aber auch gar nicht auf ein „Women’s Health“-Cover.
Hey Du!
Begrüßt werde ich von der Redaktionsleiterin, die mich gleich einmal duzt. Wir kennen einander ja bereits seit vier Seiten. Nach dem Editorial weiß ich von der Franziska alles, nämlich dass sie „gelegentlich gern mal ein Steak“ isst (eine superoriginelle Hinleitung auf das „satte“ Vegan-Special im Heft), dass sie sich „sehr, sehr regelmäßig“ fragt, ob sie richtig glücklich ist und dass sie, „wenn die Antwort mal negativ ausfällt“, etwas ändert. „Und zwar schnell. Auch wenn’s schwerfällt.“ Wir sind sowas von auf einer Wellenlänge!
Okay, also: Gesundheit! Geht gleich los mit Champignons, die seit Neuestem gut gegen Infekte und Krebs sind, Aquarien, die den Blutdruck senken sollen, und Reisöl, das für besseren Schlaf sorgen soll. Woher die Schlussfolgerung mit dem Öl und dem Schlaf kommt, weiß das gesamte Internet nicht – und ich habe wirklich lang gesucht – aber vielleicht sollte ich bei einem Frauengesundheitsmagazin einfach nicht so misstrauisch sein.
Die Kolumne
Im wöchentlichen Wechsel gehen vier Autor/innen zum Bahnhofskiosk, entdecken dort Zeitschriften und schreiben drüber.
Sigrid Neudecker war Redakteurin der Wiener Stadtzeitung „Falter“ und gehörte von 2004 bis 2008 zur Redaktion von „Zeit Wissen“. Damals schrieb sie auch das Sex-Blog „Man muss ja nicht immer reden“ auf „Zeit Online“. Nach ein paar Jahren in Paris, wo sie ein Buch über Kochen schrieb, war sie bis vor kurzem Redakteurin im Hamburg-Ressort der „Zeit“. Derzeit lebt sie als freie Autorin und Textchefin in Hamburg.
In den nächsten Wochen schreiben: Cordt Schnibben, Johanna Halt und Arno Frank. Ältere Ausgaben in unserem Archiv.
Die wichtigste Regel, um regelmäßig Sport zu machen, lautet: Such dir etwas, das dir Spaß macht. (Ich habe doch gesagt, ich kenne mich aus!) In der „WH-Challenge“ probiert deshalb eine Mitarbeiterin diesmal Calisthenics aus. Klingt schick, ist in Wirklichkeit aber nichts anderes als Liegestütze, Kniebeugen und Klimmzüge, das aber im Park mit anderen gemeinsam und zu Musik. Da man für diese Sportart keine Gewichte braucht, wird der Text folgerichtig auch bebildert mit – einem Foto von Gewichten.
Die Autorin findet Calisthenics gut, hat aber nach dem ersten Mal keine Zeit mehr, versucht es dann zuhause mit YouTube-Videos, die sie schlecht findet, und wechselt zuguterletzt zu einer anderen Gruppe, die offenbar nicht mehr Calisthenics macht.
Tipp: „Facebook“
Ich erfahre also nicht wirklich viel, bekomme für die Suche nach weiterführenden Informationen gerade mal den Tipp „Facebook“ und muss das mit der Motivation für eine (überhaupt nicht) neue Sportart irgendwie anders lösen.
Auch das nächste Workout-Programm, das mir auf vier Seiten vorgestellt wird, kriegt das mit der Motivation nicht wirklich hin. Außer, dass man dabei offenbar nicht ins Schwitzen kommt, obwohl es sich eigentlich um ein High-Intensity-Intervalltraining handelt, der – auch nicht mehr so – neue heiße Scheiß, wie wir Fitness-Freaks wissen. „Women’s Health“ nennt es allerdings nicht so, sondern tut, als wäre man gerade erst draufgekommen, dass 90 Minuten „kurz, aber hart“ genauso fit machen wie „4,5 Stunden mit halber Power im Gym“.
Es folgen die ersten Rezeptseiten.
Die Geschichte über „Cover-Girl“ und „Fitness-Ikone“ Kayla Itsines ist schön menschlich, hübsch fotografiert und aus der australischen „Women’s Health“-Ausgabe übernommen. Dort war Kayla, seit Kurzem Mutter, schon im November auf dem Cover.
Dass der Artikel also nur übersetzt wurde, steht nirgendwo, dass er etwas frei übersetzt wurde, merkt man, als man sich über die „wochenlang strikte Bettruhe“ wundert, die Itsines nach ihrem Kaiserschnitt angeblich einhalten musste. Im Original war es auch nur eine simple „bed rest“, was vermuten lässt, dass den Text jemand bearbeitet hat, der/die noch nie etwas von einem Kaiserschnitt gehört hat. Aber hey, Frauengesundheitsmagazin!
Es folgt das zweite Workoutprogramm.
Danach kommt ein längerer Text über das Intervallfasten, das „Women’s Health“ lustiger Weise als „Women’s Health Diät“ verkauft, und ich weiß jetzt gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht bei der Headline „Snacken erlaubt!“ Denn das ist das Einzige, was man beim Intervallfasten nicht tun darf. Was dann kommt, ist aber in Wirklichkeit auch kein Snacken, sondern: Trinken. Aus einer Auflistung von kalorienfreien Getränken jedoch eine ganze Seite zu melken, zeugt beinahe schon von krimineller Energie. Und lässt mich an dieser Stelle nicht zum ersten Mal vermuten, dass „Women’s Health“ ihre Leserinnen für ein bisschen doof hält.
Es ist der Versuch, aus einem sehr simplen Prinzip zusätzliche Magazinmeter herauszuschlagen. Intervallfasten ist in zwei Regeln erklärt:
1. Machen Sie möglichst lange Essenpausen, am besten mindestens 14 Stunden, in denen Sie keinerlei Kalorien zu sich nehmen.
2. Es gibt keine weiteren Regeln.
Wer damit beginnt, braucht eher psychologische Unterstützung, etwa die, dass morgendliches Magenknurren noch keinen kurz bevorstehenden Hungertod bedeutet und man es deshalb einfach ignorieren kann. Wer stattdessen, wie von „Women’s Health“ empfohlen, beginnt, Kaugummi zu kaufen, wird vermutlich seinen Magen dazu animieren, mehr Verdauungssäfte zu produzieren, wodurch dann erst so richtig der Heißhunger einsetzt.
Hätten sie mal bei sich selbst abgeschrieben …
Ob man den Text vielleicht besser von jemandem schreiben lassen hätte sollen, der das schon einmal selbst ausprobiert hat? Oder hin und wieder auf die eigene Webseite schauen sollte? Dort steht:
„Das Wichtigste vorweg: Beim Intervallfasten handelt es sich nicht um eine Diät. Und das ist auch gut so, denn kurzzeitige Diäten sind im Grunde von Anfang an zum Scheitern verurteilt.“
Es folgen, nur getrennt durch eine Almased-Werbung, die nächsten Rezeptseiten, logischerweise mit Frühstück, Mittagessen, Nachmittagssnack und Abendessen. Rezepte für insgesamt 1500 Kalorien, was nach lediglich einem Tag „die Pfunde purzeln“ lassen soll. Siehe oben.
Das „satte Vegan-Special“ ist überaus originell mit „Yes, ve gan“ (48.000 Fundstellen bei Google) betitelt und richtet sich an alle Leserinnen, die gerade erst aus einem mehrjährigen Koma erwacht sind.
Wer regelmäßig Sport treibt und auf vegane Ernährung umstellen will, bekommt von „Women’s Health“ hier unter anderem den Tipp, seinen Nährstoffbedarf „immer gut im Blick“ zu behalten. Punkt. Was man sich so von einem Magazin, das auf Sport und Gesundheit spezialisiert ist, eben so erwartet.
Aber wer sich einen Eindruck der Informationstiefe verschaffen will, muss sich ohnehin nur die Illu auf der Seite ansehen: ein gezeichnetes Labyrinth mit Bohnen und Gemüse am einen sowie Fastfood am anderen Ausgang. Bildunterschrift: „Supermärkte gleichen Irrgärten. Hier übst du schon mal, veganes Food zu finden!“
Ich korrigiere mich hiermit. „Women’s Health“ hält ihre Leserinnen nicht für doof. Sondern für doof und dreijährig.
Es folgen die nächsten Rezeptseiten, diesmal für vegane Gerichte.
Ein Text wie ein Wikipedia-Eintrag
Weil es ja auch um Gesundheit gehen soll, kommt als Nächstes ein sehr ausführlicher Artikel über die Schilddrüse. Das Aufmacherfoto zeigt einen Schmetterling, was die Bildunterschrift mit den Worten „Hat in etwa die Form eines Schmetterlings: die Schilddrüse“ erklärt. Nein, ich habe das nicht erfunden. Und ja, googeln Sie gern selbst einmal Fotos einer Schilddrüse.
Habe ich mich gerade noch über zu wenig Tiefgang beschwert, wird’s hier schon beinahe Facharztniveau. Der Text ist ein etwas animierterer Wikipedia-Eintrag, der für ein Publikumsmagazin viel zu sehr ins Detail geht. An manchen Stellen erklärt der Autor Feinheiten, die in den Beipacktext eines Schilddrüsenmedikaments gehören. Aber immerhin haben sie die genaue Anleitung, wie Schilddrüsen operativ entfernt werden, weggelassen.
Es folgt die nächste Rezeptstrecke, diesmal für Suppen.
Es folgt das nächste Workout, diesmal mit einem Sandsack.
Das auf dem Cover mysteriös angekündigte Training, das im Gehirn beginnt, wird im Heft als „neurozentriertes Training“ vorgestellt. Und vielleicht bin ich ja schwer von Kapée, aber so richtig begriffen, worum es dabei geht, habe ich erst, nachdem ich mir ein paar YouTube-Videos zu diesem Thema angesehen habe. Denn im Text steht:
„Der Fokus wird von Muskeln, Sehnen und Bändern auf das Gehirn verlagert. So sollen Fehler in der Kommunikation verschiedener Körperbereiche mit dem Gehirn gefunden und gebessert werden.“
Die deutsche Herrenfußballnationalmannschaft soll damit gute Resultate erzielt haben, und vielleicht wäre das tatsächlich ein interessantes Thema gewesen, hätte man es richtig aufbereitet.
Es folgt die nächste Food-Geschichte, und ich frage mich langsam nicht nur, welches Ordnungsprinzip „Women’s Health“ verfolgt, sondern auch, wie dieses Heft mit gerade einmal einer Handvoll Anzeigen überlebt. Und das, obwohl es just die finanzkräftige Kosmetikindustrie mit einer Idee umgarnt, die dann doch ein bisschen sprachlos macht.
Auf einer Seite mit sogenannten „Wow-Produkten“ dürfen die Hersteller selbst von ihren Produkten schwärmen. Genau genommen sollen sie erklären, wie das „Sweat Tech Make Up“ (28 Euro) oder der „Maskenstick“ (25 Euro) funktionieren. Das wäre eigentlich eine ganz witzige Idee, wenn es in der Redaktion einen Praktikanten gäbe, der dann wenigstens nachfragt, was beim „Digital Defence Program“ (70 Euro) ein „antioxidatives Netzwerk“ sein soll, das angeblich „digital bedingter Hautalterung effektiv vorbeugt“. Oder wie das Wasser im „Sweat Tech Make Up“ in die Haut einziehen kann. Tut aber niemand, und vielleicht ist das ja der Grund, wieso es nicht einmal Kosmetik-Inserate gibt. Weshalb sollten die Firmen Geld ausgeben, wenn sie für lau Werbung machen dürfen?
Bringen wir den Rest einfach hinter uns. Eine Modestrecke, die Sportoutfits und Alltagsteile kombiniert, ist immerhin originell. Der Trenchcoat wird hingegen seit Jahren als Alleskönner propagiert. Und wenn man im großen Test „Wie zufrieden bist du?“ die wissenschaftlich richtigen Antworten direkt unter die Fragen schreibt, kann man sich die Auflösung auf der nächsten Seite gleich sparen. So wie das gesamte Heft.
6 Kommentare
Wenn man sich nur auf den Mund konzentriert, sieht man übrigens, dass das Lächeln nicht echt ist. Aber egal, in solchen Magazinen geht es ja gerade darum, sich zu inszenieren und abhängig von der Meinung anderer zu machen.
Ich hoffe die Dame hier kann sich vielleicht mal entscheiden, was sie will.
Der Artikel konnte mich nicht überzeugen.
Ich find’s lustig, das Review. Musste mehrfach schmunzeln. Men’s Health ist ähnlich bescheuert (nie gekauft, nur mal durchgeblättert im Supermarkt).
Sehr schöne Besprechung! Ich hab das Gefühl, mehr gelernt zu haben, als nach dem Lesen einer Ausgabe von Women’s Health.
„Women’s Health“ hält ihre Leserinnen für doof ?
Ach!
Die kennen halt ihre Kunden.
Wie immer – großartiger Text von Sigrid Neudecker. Habe mich köstlich amüsiert! Aber: Sieht eine Schilddrüse nicht wirklich ein bisschen aus wie ein Schmetterling?
Wenn man sich nur auf den Mund konzentriert, sieht man übrigens, dass das Lächeln nicht echt ist. Aber egal, in solchen Magazinen geht es ja gerade darum, sich zu inszenieren und abhängig von der Meinung anderer zu machen.
Ich hoffe die Dame hier kann sich vielleicht mal entscheiden, was sie will.
Der Artikel konnte mich nicht überzeugen.
Ich find’s lustig, das Review. Musste mehrfach schmunzeln. Men’s Health ist ähnlich bescheuert (nie gekauft, nur mal durchgeblättert im Supermarkt).
Sehr schöne Besprechung! Ich hab das Gefühl, mehr gelernt zu haben, als nach dem Lesen einer Ausgabe von Women’s Health.
„Women’s Health“ hält ihre Leserinnen für doof ?
Ach!
Die kennen halt ihre Kunden.
Wie immer – großartiger Text von Sigrid Neudecker. Habe mich köstlich amüsiert! Aber: Sieht eine Schilddrüse nicht wirklich ein bisschen aus wie ein Schmetterling?