Jubiläumsberichterstattung

Ringen mit Beethoven

„Ta-ta-ta-taa“ (Susanne Beyer im „Spiegel“)

„Ta-ta-ta-taaaa“ (Christian Berzins in der „NZZ am Sonntag“)

Da Beethoven in den vergangenen Jahren keine neuen Alben auf den Markt gebracht und auch keine Tour angekündigt hat, ist es schwer, etwas Aktuelles über ihn zu schreiben. Aber sein Geburtstag jährt sich demnächst zum 250. Mal, und wenig lieben Medien mehr als Anlässe. Ein Geburtstag ist so ein Anlass, zumal einer, der ohne Rest durch 25 teilbar ist. Dies hat der Bundesverband Journalismus so verfügt (vor 25, 50 oder 75 Jahren, keine Ahnung).

Medienkritik-Seiten wie diese hier haben den großen Vorteil, nicht über Ereignisse berichten zu müssen, die wirklich eingetreten sind (zum Beispiel wenn Beethoven endlich die Complete Edition seiner Symphony No. 10 launchen würde). Wir müssen hier über die Berichterstattung über diese Ereignisse berichten, wir sind quasi die zweite Ableitung von solchen Anlässen.

Weil die Beethoven-Berichterstatter also auf wenig Neues zurückgreifen können, offenbaren die Beiträge mehr über ihre Produzenten als über Beethoven selbst. Ich habe mir die in den vergangenen Wochen erschienenen Beethoven-Titelgeschichten von „Spiegel“ und „Zeit“ durchgelesen, ebenso Artikel in „Welt“, NZZ, „NZZ am Sonntag“, und in einen Beethoven-Podcast vom Bayerischen Rundfunk habe ich auch reingehört.

Die „Spiegel“-Titelgeschichte von Susanne Beyer ist sowas wie das Beethovenheft der „Informationen zur politischen Bildung“. Es wird schön eingeordnet, worum es überhaupt geht, und alles kommt mal vor. Die halbwegs musikinteressierte Leserin wird jedoch nicht viel Neues erfahren – außer vielleicht, dass billiger Weißwein früher mit Blei entsäuert wurde. Die Ursachen für Beethovens Taubheit waren multifaktoriell, aber da er offenbar gerne süßen Weißwein trank, war das Blei wohl am Ende ausschlaggebend (man fand eine vierzigfach erhöhte Konzentration in seinem Haar). Der „Spiegel“ bringt hier ein seriöses, aufgeräumtes Beethoven-Erklärstück – bis kurz vor Schluss das passiert, was in jedem Beethoventext passieren muss: Der Drift in die pastose Pathos-Pastete.

Die Freude, dieser Götterfunken, wird verglühen, wie alle Funken verglühen, doch diesen Moment gehabt zu haben verändert alles. […] Gefühle? Bitte so intensiv wie möglich. Beethoven ist einer von allen. Und seine Klänge sind Zukunftsmusik.

Der Gegenstand der Berichterstattung ist so dramatisch und die Ertaubung Beethovens so tragisch, da können die Autor:innen nicht umhin, die Körpermetaphern müssen einfach raus:

Jeder von uns hat seinen Splitter Beethoven im Ohr. Ziehen wir die Splitter, lernen wir hören.

Dieser Gesundheitstipp stammt von der Schriftstellerin Thea Dorn, die für die „Zeit“ ihre Titelgeschichte über den „ertaubten Prometheus“ schrieb. Manuel Brug braucht in der „Welt“ zwar auch Beethoven-Gebrause, aber nur kurz am Anfang seines Texts:

Der Titan. Der Aufklärer. Der Grimmige. Das unbequeme, aber auch so gar nicht fassbare Genie. Goethe war gestern. Dieser Kuss der ganzen Welt! Musik versteht jeder, Beethoven wird universell gehört.

Es folgt eine lesenswerte Besprechung einer aktualisierten Ausstellung im Bonner Beethoven-Haus sowie einer Ausstellung in der Bundeskunsthalle: „Beethoven jenseits von Mythen und Klischees“. Generell ein wünschenswertes Motto für die noch folgenden Beethoven-Texte.

Für Elise oder für wen?

Ein gutes Beispiel für eine aktuelle Perspektive auf Beethoven findet sich in der „Zeit“, in der Florian Zinnecker einer spannenden musikphysiologischen Frage nachgeht: „War Beethoven trotz oder wegen seiner Taubheit so einzigartig?“ Darüber würde man gerne mehr lesen, wenn man sich mit Beethoven schon auskennt. Aber was ist mit den Leser:innen, die eben nur Ta-ta-ta-taa kennen und „Für Elise“? Diese Leute – und es sind viele! – brauchen keine weiteren Texte über Beethoven, die brauchen welche über Beethoven!

Aber die meisten Autor:innen scheinen zu glauben, die Brand Beethoven einem breiten Publikum verkaufen zu müssen, also suchen sie so etwas wie den Markenkern dieser Figur. Die Komplexität der (historischen) Person wird dabei auf das Schlagwort der Widersprüchlichkeit reduziert. So wie Mozart für „freches Wunderkind“ steht, bei Bach immer irgendein Zusammenhang zwischen Mathematik und Musik konstruiert wird und Mahler in den Medien das Patent auf „Zerrissenheit“ hat, so muss Beethoven auch ein Label kriegen, und das lautet eben Widersprüchlichkeit, Widerspruch zwecklos. Thea Dorn als Kalauerbeauftragte im Transzendenzbüro der „Zeit“:

Mit Entweder-oder ist Beethoven nicht beizukommen. Der Jubilar bleibt ein Gutwig van Böshoven.

Susanne Beyer im „Spiegel“:

Alles gehört zusammen, Widersprüche sind aushaltbar.

Mit derart nebulösen Formulierungen erreicht man eigentlich gar nichts, weil sie nur das Publikum versteht, das von Beethoven eh schon ergriffen wurde – aber genau dieses Publikum braucht die meisten dieser Texte nicht mehr. Wer neue Hörer:innen für Beethoven gewinnen will, muss an die Musik heranführen, denn nur ihretwegen kennen wir Beethoven heute noch. Nicht wegen seiner Haare, seiner Ertaubung, seiner Liebesgeschichten oder seines Temperaments. Das alles ist schön und gut, aber deshalb fängt doch niemand an, Beethoven zu hören.

Lebensfessler Beethoven

In der NZZ erinnert Christian Wildhagen angesichts der „umfassende[n] Popularisierung von Person und Werk“ an das Mozart-Jahr 1991, „nur sind die medialen Möglichkeiten seither ins Uferlose gewachsen. Auch dagegen wäre grundsätzlich wenig einzuwenden, sofern sie denn wirklich der Verbreitung und erweiterten Kenntnis des Schaffens dienten.“ Wildhagen empfiehlt zu Recht, „das eigene Beethoven-Bild beispielsweise durch bewusst selektives Hören mit neuen Farben und Formen zu versehen.“

Also Beethoven (noch einmal) hören lernen, ganz konkret. Das ist natürlich schwierig, zumal man in Print nicht mit Musikbeispielen arbeiten kann. Aber hier kann der Online-Journalismus eine seiner Stärken – im wahren Sinne des Wortes – ausspielen. Der Pianist Igor Levit tut genau das in seinem vom Bayerischen Rundfunk produzierten Podcast 32 x Beethoven. Zusammen mit dem Geiger und Kulturjournalisten Anselm Cybinski führt Levit den Hörer in Beethovens Klaviersonaten ein. Ganz konkret, am Klavier sitzend, geht es eng an der Musik entlang, nicht an Bleivergiftungen, Frisuren oder Saufgelagen.

Es klingt so selbstverständlich, dass man es so machen sollte, aber stattdessen wird eben oft lieber geraunt, wie es zum Beispiel Christian Berzins in der „NZZ am Sonntag“ tut:

Wir […] müssen mit und gegen Beethoven kämpfen, auch wenn er uns niederringen wird. Aber er ist es, der uns ans Leben ­fesseln kann. Ein Beethoven-Jahr, ja, ein ganzes Leben lang.

Furtwängler und Levit

Ungewöhnlich an diesem Text ist, dass der gentretypisch pathetische Tonfall in nur einem Satz in Gehässigkeit umkippt:

Wenn der deutsche Dirigent Furtwängler von Beethoven sprach, war’s, als rede er von Gott. Und so anders tönt es nicht, wenn heute der linkszeitgeistige Pianist Igor Levit via BR-Klassik-Podcast über die Sonaten fabuliert.

Den jüdischen Pianisten Levit ohne Not in einem Atemzug mit dem Nazi-Opportunisten Furtwängler zu nennen, das ist mindestens merkwürdig. Aber was dann folgt, lässt einen völlig ratlos zurück:

Die Beethoven-Sonaten, so scheint es, spielt man nicht, die lebt man. Ob man sie überlebt, ist nicht so klar.

Berzins’ Artikel erschien am 5. Januar 2020, eine knappe Woche nachdem Igor Levit eine antisemitisch gefärbte Morddrohung gegen ihn öffentlich gemacht hatte. Levit lebt seit Monaten unter Polizeischutz, aber davon steht kein Wort in Berzins’ Text, auch nicht sonstwo in der NZZ.

Levit hatte sich wiederholt gegen Rasismus und Antisemitismus ausgesprochen. Aber das ist offenbar kein common sense, sondern „linkszeitgeistig“. Alle Menschen werden Brüder, heute jedoch nicht.

Korrektur, 18:40 Uhr. Wir hatten von der „Welt“ falsch abgeschrieben, dass eine Ausstellung im „Haus der Geschichte“ zu sehen sei.

Korrektur, 27. Januar. Die Sache mit den Ausstellungen war immer noch nicht ganz richtig: Es fehlte die Bundeskunsthalle, auf die sich das Zitat „Beethoven jenseits von Mythen und Klischees“ bezieht.

23 Kommentare

  1. Zum Welt – Text: aktualisiert wurde die Ausstellung im Beethovenhaus. Neu ist die Ausstellung in der Bundeskunsthalle. Im Haus der Geschichte gibt’s nüscht zu Beethoven, das kümmert sich um die Geschichte Deutschlands ab dem 2. Weltkrieg.

  2. Danke für den Tipp zu dem Podcast, gleich mal runter geladen und rein gehört.

    Und Danke für die Bestätigung, dass bei der NZZ die letzte Zeit gehörig etwas schief läuft, offenbar auf allen Ebenen.
    Wie so oft, wenn bestimmte Kreise das Ruder übernehmen.

  3. Geschwurbel muss nichts Schlechtes sein. Bei Übermedien gehört es bei vielen Texten von Herrn Niggemeier und (vor allem) von Frau El Ouassil dazu. Und das ist auch gut so. Die Formulierung „Gutwig van Böshoven“ ist ein Kalauer von Thea Dorn? Wäre eine gelungene Formulierung von Sascha Lobo!

  4. „Ta-ta-ta-taa“ (Susanne Beyer im „Spiegel“)

    „Ta-ta-ta-taaaa“ (Christian Berzins in der „NZZ am Sonntag“)

    „Ta-ta-ta-taaa, tataa, ta taa,
    ta-ta-ta-taaa, tataa, ta taa,
    ta-ta-ta-taaa, ta-ta-ta-taaa, ta-ta-ta-taaa taaa TAAA.

    ta-ta-ta-taaa“ (mein Hirn, wenn ich das nur lese…)
    Und natürlich Ford-Prefect-Flashbacks…

  5. „Geschwurbel muss nichts Schlechtes sein.“

    Naja, ist halt eine negative Kritik, eine Abwertung. Vllt. verwechseln Sie den Begriff? Genannte Autoren schwurbeln jedenfalls eher nicht so.

  6. @Telemachos
    >>@ Mycroft
    >>Ist das nicht Wagner statt Beethoven? ;)

    Genau. Beethoven ist
    didi didi di… di düdel du… di düdel dei… di düdel dum

  7. …ich liebe Brahms und sein deutsches Requiem.
    Mozart und seins, toitsch oder nicht, aber auch.
    Gibt noch mehr, schon klar.
    Vivaldi (nicht Salvini) ist auch gut zu hören…
    off

  8. @Überfall „Holleri-du-dödl-DI!“
    „Hallo Echo! Hallo Otto!“?

    @Anderer Max
    Beethoven nicht taub zur Welt gekommen.
    Im Gegenteil, viel wahrgenommen.
    Mit 27 begann der Frust.
    Ab 48 Hörverlust.

  9. Beethoven hat für die Musik und seine Zuhörer unendlich viel getan. Man stelle sich einmal vor, seine Kompositionen hätte es nie gegeben. Wieviel ärmer wäre die Musikwelt? B.hat die Kompositionsgeschichte, die populäre Musikhistoriographie, die wissenschaftliche Forschung, die Prinzipien der musikalischen Edition
    und die Aufführungsgeschichte geprägt.
    Deshalb ist er der größte Komponist der je gelebt hat. Seine Werke fesseln den Zuhörer, wie es bei keinem anderen Komponisten der Fall ist.

  10. Allerdings könnte man tasächlich auf die Idee kommen, ausschließlich über Musik zu reden sei lediglich das zweitbeste, was man mit Musik machen könnte. Text-only ist also vielleicht das falsche Format. Besser geeignet wäre bspw. ein Podcast, Radio, Youtube ‒ eigentlich alles mit einer Tonspur, um auch wirklich Musik transportieren zu können. Dann kommt man auch um die beliebig wirkende und etwas alberne „Ta-ta-ta“-Überschrift drum herum.

  11. @ Mosel Hans-Jürgen „unendlich viel“ „nie gegeben“ „hat die geprägt“ „der größte“ „bei keinem anderen“

    Ich freue mich sehr, dass Sie in Beethoven einen Gott gefunden haben. Das ist wesentlich gesellschaftsverträglicher als es bei vielen anderen Schöpfern, z.B. beim Gott der Bibel, der Fall ist.

    Nur mal so als Info: Bach, Mozart, als auch modernere Komponisten wie Hans Zimmer und Ludovico Einaudi und viele viele andere, stehen meiner bescheidenen Ansicht nach Beethoven in keiner Hinsicht nach. Im Gegenteil. Will heissen, mich als Zuhörer fesseln Kompositionen anderer musikalischer Genies deutlich intensiver und nachhaltiger. Selbst im Bereich der elektronischen Musik wird mir wesentlich packenderes geboten.

    Was ich nicht hinbekomme, obwohl ich durchaus immer wieder mal versucht habe, ist es eine Numero Uno zu definieren. Zu gerne hätte ich in der Vergangenheit, wenn ich nach meinem Lieblingsinterpreten bzw. -komponisten gefragt wurde – oder eine Person größter Tragweite – eine einfache Antwort anbieten können. Es ist mir nie gelungen. Ich war jung und es war meiner Unerfahrenheit geschuldet, diesen Wunsch in mir zu tragen. Inzwischen ist mir bewusst geworden, dass es eine absolute Numero Uno gar nicht wirklich geben sollte und eine solche eigentlich auch gar nicht erstrebenswert ist. Sie ist in meinen Augen nur eins, eine einfache aber falsche – weil verschliessende – Lösung.

  12. @stefanniggemeyer
    Es mag ein wenig pedantisch wirken, aber die Korrektur von „Haus der Geschichte“ zu „Beethovenhaus“ im sonst tollen Text von Gabriel Yoran (bis auf das NZZ-bashing, aber das muss wohl sein) trifft‘s auch nicht so recht.
    „Beethoven jenseits von Mythen und Klischees“ bezieht sich im Referenztext aus der WELT auf die Ausstellung an einem dritten Ort, nämlich der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, vulgo Bundeskunsthalle. Die runderneuerte, sehr gelungene Sammlungsausstellung des Beethovenhauses kommt zwar auch vor, das Zitat bezieht sich aber nicht darauf.

  13. #19:
    Danke für den Hinweis auf den Veranstaltungsort! Ich verstehe jedoch den Vorwurf des „NZZ-Bashings“ nicht. Ich lobe sogar explizit Christian Wildhagens Text – in der NZZ.

  14. […]der linkszeitgeistige Pianist Igor Levit[…]

    Das zu lesen tut schon weh. Viele verstehen offenbar wider besseres Wissens nicht, was Worte anrichten.

  15. Danke für den Text. Er bringt die Schwächen der Jubiläumstexte gut auf den Punkt.
    Danke auch für die verklarende Einordnung des NZZ-Zitats.

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