Wochenschau (56)

Reichet Gold euren Textern!

Über das Fernsehen dachte der französische Soziologe Pierre Bourdieu 1998 in seinem gleichnamigen kleinen Bändchen nach, in dem er die ökonomischen Strukturen dessen, was er damals „das journalistische Feld“ nannte, ergründete. Das ist aufschlussreich, stellenweise polemisch und erschreckend aktuell.

Über das Fernsehen dachte auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet im aktuellen „Spiegel“ laut nach, nur kamen schätzungsweise nicht ganz so durchdachte Dinge dabei raus.

Vorab: Laschet vermittelt im Interview glaubhaft, grundsätzlich eine aufgeschlossene Haltung den Öffentlich-Rechtlichen gegenüber zu haben (gut, alles andere wäre auch untragbar, aber da sehen Sie, wie niedrig meine Ansprüche mittlerweile sind). Er setzt sich nach eigener Aussage sogar für eine Bei­trags­er­hö­hung ein.

Nur vermengt er in den populistischsten Momenten des Gesprächs auf eine unlautere Art Ebenen miteinander, die entweder an seiner Medienkompetenz zweifeln oder, schlimmer, den Opportunismus eines Wahlkampfvorbereitenden befürchten lassen. Da er dies auch schon in seinem Gastkommentar in der „Zeit“ machte, kann man zumindest seinen Fehleinschätzungen eine Systematik zu Gute halten.

Laschet: Ich glau­be, dass der In­ten­dant hier im In­ter­es­se des Sen­ders, sei­ner Mit­ar­bei­ter und de­ren Ar­beits­plät­zen ge­han­delt hat. Schließ­lich steht die Me­di­en­land­schaft ins­ge­samt un­ter Druck, gan­ze Lo­kal­zei­tungs­re­dak­tio­nen wer­den ge­schlos­sen. Die Ein­zi­gen, die da eine pri­vi­le­gier­te Stel­lung ha­ben, sind die Re­dak­teu­re im öf­fent­lich-recht­li­chen Rund­funk. Jüngs­te Gut­ach­ten im Zuge der Bei­trags­de­bat­te be­schei­ni­gen ih­nen über­durch­schnitt­li­che Ge­häl­ter. Al­les ist staat­lich ga­ran­tiert, egal ob es ei­ner schaut oder nicht: Der Sen­der sen­det. Da er­war­te ich auch eine ge­wis­se Ver­ant­wor­tung, dass man den Pro­gramm­auf­trag ernst nimmt – und der sieht ex­pli­zit den ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­men­halt und ein dis­kri­mi­nie­rungs­frei­es Mit­ein­an­der vor.

Der Spiegel: Weil alle das Sys­tem fi­nan­zie­ren, muss also je­der Bei­trag al­len ge­fal­len? Oder be­stimmt der je­wei­li­ge Mi­nis­ter­prä­si­dent, wel­che In­hal­te dif­fa­mie­rend sind?

La­schet: Ich be­stim­me gar nichts. Ich bin Ar­min La­schet, ich habe eine Mei­nung, und die äu­ße­re ich ge­le­gent­lich. Es kann nicht sein, dass Sie in Deutsch­land al­les kri­ti­sie­ren dür­fen, vom Papst ab­wärts – nur nicht die Bei­trä­ge des West­deut­schen Rund­funks.“

Drei Vorwürfe an die Sender sind hier besonders aufreibend:

  • ihre staatlich finanzierte Bequemlichkeit, die dazu führe, dass sie aus ihrer unterstellten Abgesichterheit nun nicht so senden, wie es dem Minister gefällt
  • ihre Kritikresistenz
  • das Ignorieren ihres Programmauftrages.

Überspitzt klingt die Einlassung wie: „Da Redakteure überbezahlt werden, wird man in Deutschland ja wohl doch mal die Kunstfreiheit in Frage stellen dürfen.“

Fangen wir mal beim guten alten Vorwurf der Überbezahlung an. Oh, haben Sie das gehört? Gerade bekam ein „Genug-GEZahlt-für-linksgrünversifften-Staatsfunk“-Kommentator im Internet seine Flügel.

Öffentlich-rechtliche Redakteurin (Symbolfoto) Foto: imago images / robertharding

Das Problem ist nicht, dass die Redakteure bei den Öffentlich-Rechtlichen zu viel bekommen, sondern Redakteure bei anderen Medien zu wenig. Klar, verglichen mit der prekären Ausbeutungen andernorts muss einem das Lehrergehalt, das der qualifizierte Durchschnitts-Redakteur beim WDR vielleicht einheimst, onassishaft erscheinen.

Die paar Leute, die zu ihrem Glück normal verdienen, können nur als überbezahlt kritisiert werden, weil Journalismus in Deutschland insgesamt mittel bis schlecht bezahlt wird.

Das journalistische Feld

Bourdieu nimmt in seinem Werk „Über das Fernsehen“ das „journalistische Feld“ als eigenständigen Raum wahr, der Machtmechanismen, Herschaftslogiken, Abstieg und Aufstieg, kurz: soziale Strukturen reproduziert. Sie hängen von den Ausgangssituationen der darin agierenden Akteure und dem Kapital ab, welches sie mitbringen: intellektuelles, soziales, ökonomisches und symbolisches.

Der Zugang zu dem Feld an sich ist bereits schwer, im besten Fall hat man mindestens zwei der Kapitalformen zur Verfügung. Ein guter Abschluss nützt einem nichts, wenn man keine Kontakte hat, um an das Praktikum zu kommen und nicht das Geld, dieses sechs Monate umsonst zu bestreiten. Vielleicht hat man soziales Kapital sammeln können, aber muss intellektuelles durch Studium und Weiterbildung generieren und dafür braucht man: ökonomisches Kapital. Wenn man wiederum hauptsächlich ökonomisches Kapital hat, kann man sich zumindest soziales und intellektuelles Kapital in Form einer Jacht voller Redakteure kaufen und so tun, als betreibe man Journalismus.

Im November verbreitete sich auf Twitter ein Drüber-Kommentar-Meme; Miniaturen, die mit den Worten „Ich konnte Journalist werden weil …“ beginnen und veranschaulichen, wie und ob ökonomisches Kapital (durch Eltern oder Arbeitgeber) und soziales Kapital (durch Netzwerke oder Glück) den eigenen journalistischen Werdegang überhaupt erst möglich machten:

Auch ich hatte das Glück, dass neben zwei Praktikumsstellen, die unbezahlt waren, meine Hospitanz damals beim BR etwa die Hälfte meiner Miete abdeckte und ich mit quatschiger Schauspielerei genügend verdiente, um mir den Luxus gönnen zu können, im journalistischen Feld nichts zu verdienen.

Kapital als Gatekeeper

Hinzu kommt, dass Unternehmen, in denen man als Journalist arbeiten kann, Medienhäuser, Verlage, Redaktionen, selbst als Akteure im journalistischen Feld ebenfalls verschieden bestücktes Kapital mitbringen, soziales durch ihr Renommee, ökonomisches durch ihre Größe und intellektuelles durch die von ihnen produzierten Inhalte.

Das heißt, Journalisten positionieren sich zweifach in diesem Gefüge: Ihre Ressourcen befeuern die der Medienorganisation, für die sie arbeiten, und umgekehrt. Deshalb reproduzieren und verfestigen sich elitaristische Strukturen durch die reine Dynamik des journalistischen Felds.

Das ist strukturell ein Problem: Die Talentierten, die mit dem vielen intellektuellen Kapital, wandern dorthin ab, wo es mehr ökonomisches Kapital gibt, nicht mal weil sie unbedingt wollen, sondern weil sie müssen. Das ist eine Bewegung, die man regelmäßig bei der „taz“ beobachten kann, deren Autoren bei der wesentlich besser bezahlenden „Welt“ landen. (Keine Kritik, nur Feststellung.)

Und: Unbezahlte Praktika, unterbezahlte Volontariate, schlecht bezahlte Arbeit als Freie – diese unfreiwilligen Tests des eigenen Idealismus sind unsichtbare Barrieren für potenzielle Autoren aus prekären Lebenssituationen, Frauen, Menschen aus dem Osten oder mit einem Migrationshintergrund. (Ein anekdotisches Beispiel. Jürgen Kaube sagt auf den Vorwurf, seine Redaktion sei nicht divers genug: „Wir hatten schon mal bei der FAZ einen Bewerber mit Migrationshintergrund, die Mutter kam aus Südkorea.“)

Nicht-privilegierte Autoren werden weniger im Feld des Journalismus zu finden sein. Ihre Perspektiven fehlen ausgerechnet in der Kulturproduktion, die sich die umfassende Abbildung der Wirklichkeit zur Aufgabe macht.

Die soziale Prägung beeinflusst aber die Art, wie wir die Welt sehen, und dementsprechend, wie und was wir darüber berichten. Soziologe und Elitenforscher Michael Hartmann erklärt:

„Die Sichtweise auf die Gesellschaft ist geprägt durch unsere Herkunft. Wir haben 2012 eine große Studie gemacht und die Inhaber der 1.000 wichtigsten Machtpositionen in Deutschland untersucht. Auch aus der Medienelite waren knapp 50 dabei. Und für mich war interessant: Gesellschaftliche Ungleichheiten werden komplett anders bewertet, je nachdem, aus welchem Milieu man selbst stammt. Der Blick auf eine Gesellschaft und das, was man richtig und falsch findet, wird geprägt durch die eigene Herkunft.“

Schlechte Bezahlung macht den Journalismus zu einem Feld ausgenutzter Idealisten und sich reproduzierender Eliten.

Das gewollte Privileg

Der Witz an Laschets Kritik ist, dass er genau das kritisiert, was die öffentlich-rechtlichen Sender ausmacht. Es ist, als beschwerte sich einer bei Ferrari über deren Schnelligkeit. Dass die „Privilegierten“ bei ARD, ZDF und Deutschlandradio gut bezahlt werden, unabhängig von Quoten oder Publikumserregung – das ist ja genau das Großartige. Die Redaktion kann frei arbeiten, ohne ökonomische Zwänge oder den Druck eines rein auf Gefälligkeit basierenden Modells. Es erlaubt, auch Abseitiges, Lokales, Unpopuläres abzubilden und so dem eigenen Informationsauftrag und Vollversorgungsgedanken aufrichtig gerecht zu werden.

Die Rundfunkfreiheit mit einer daraus angeblich sich ergebenden Kritikresistenz in „man wird ja wohl nochmal den WDR kritisieren dürfen“-Manier zu verknüpfen, ist unfair bis boshaft. Erstens stand der Sender eben tagelang in der Kritik (deswegen gibt es überhaupt erst dieses Interview mit Laschet … in welchem er … den WDR kritisiert). Zweitens sind die Mitarbeiter die größten Kritiker des Senders. Und drittens ist es einfach ein Kategorienfehler ist, der beiläufig auch noch rechtspopulistische Narrative wiederholt. Im konkreten Fall wurde das Lied von WDR-Mitarbeitern nicht deshalb gegen Kritik verteidigt, weil man finanziell nichts zu befürchten hatte und einem die Zuhörer daher eh egal sind, sondern weil die Kritik aus den falschen Gründen erfolgte.

Die finanzielle Absicherung des öffentlich-rechtlichen Apparates sorgt also nicht für Kritikignoranz sondern für das journalistisch wichtigste Gut neben Wahrhaftigkeit und Richtigkeit: Unabhängigkeit.

Ich würde Autonomie im journalistischen Feld in der Tradition von Bourdieu als fünfte Kapitalform journalistischer Akteure wahrnehmen. Öffentlich-rechtliche Sender haben die ökonomische und sozialen Stärke, sich politischen und wirtschaftlichen Einflüssen entziehen zu können; sie haben wie nur wenige Institutionen in Deutschland befreiend viel Kapital an Unabhängigkeit. Dieses schützt die Presse, die Kunst und die Satire – besonders vor aufmarschierenden Rechtsextremen und lamentierenden Politikern. Reichet Gold euren Textern.

8 Kommentare

  1. Wenn „faire Bezahlung“ „überhaupt mal Bezahlung“ bedeutet, ist die Frage, ob jemand „zuviel“ kriegt, erstmal zweitrangig.
    Und dass der WDR „kritikresistent“ sein soll, ist ja wohl auch ein Gerücht, wenn genau derselbe WDR auf Kritik damit reagiert, das Kritisierte zu entfernen.

    Was man wohl so als Ministerpräsident verdient? Mal googlen…

  2. @2, Mycroft

    Ich glaube, Armin Laschet bekommt etwa 15% mehr als sein Kollege in Hessen.

    Das ist staat­lich ga­ran­tiert, egal ob seine Arbeit gut ist oder nicht. Dafür er­war­tet man auch eine ge­wis­se Ver­ant­wor­tung, dass er den Wählerauftrag ernst nimmt – und der sieht ex­pli­zit den ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­men­halt und ein dis­kri­mi­nie­rungs­frei­es Mit­ein­an­der vor.

  3. @ FPS, #2

    Ich würde noch ergänzen: Eine Verteidigung der verfassungsmäßig garantierten Grundwerte.

    Aber ja, (auch @Mycroft) schöne Retourkutsche. Und scheinbar ist es auch völlig egal, _wer_ hier wen kritisiert. Also wenn z.B. Merkel den Laschet kritisierte, wäre das nur ihr gutes Recht als Bürgerin dieses Landes, oder?

  4. „Nicht-privilegierte Autoren werden weniger im Feld des Journalismus zu finden sein. Ihre Perspektiven fehlen ausgerechnet in der Kulturproduktion, die sich die umfassende Abbildung der Wirklichkeit zur Aufgabe macht.
    ……
    Schlechte Bezahlung macht den Journalismus zu einem Feld ausgenutzter Idealisten und sich reproduzierender Eliten.“

    Das ist besonders interessant vor dem immer wieder erhobenen Vorwurf, die soziale und ethnische Zusammensetzung von Redaktionen bildeten die Vielfalt der deutschen Gesellschaft völlig unzureichend ab.

    Ich verstehe die Autorin so, dass das objektiv gar nicht möglich ist.

  5. Danke für den Artikel – und die tollen ersten Kommentare. ;)

    Zwei Tippfehler:
    „drittens ist es einfach ein Kategorienfehler ist“
    „haben die ökonomische und sozialen Stärke“

  6. @ Samira El Oussail:

    Apropos Geld: Glückwunsch zum Bert-Donnepp-Preis! Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das Preisgeld das wichtigste an einem Preis ist, oder nur auch schön.

  7. @ Thomas Seidl:

    Bitte schauen Sie noch einmal genau nach. Sie haben noch nicht alle Tippfehler gefunden, die Frau El Ouassil für Sie im Text versteckt hat. ;)

  8. Im Falle des Intendanten des WDR fände ich die Beschreibung eines zu hohen Gehalts nicht abwegig. Vielleicht findet seine fürstl. Apanage ja Eingang in die Durchschnittsberechnung.

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