Bahnhofskiosk

Bunkerlektüre zum Weltuntergang

Als Kind war ich in den Ferien oft bei meinen Großeltern, und wenn die mit Freunden Skat spielten, guckte ich oben im Fernsehzimmer heimlich fern, Schokolade vertilgend, die ich aus der Bonbonniere meines Opas gemopst hatte. Im ZDF lief „Aktenzeichen XY“ und ich gruselte mich nicht wenig.

Wie trickreich sich da Ganoven Zutritt zu Eigenheimen verschafften! Und das war ja alles echt! Ich schlief danach kaum vor Sorge. Und trotz dunkler Ringe unter den Augen am nächsten Morgen und dem an Obsession grenzenden Drang, beim kleinsten Anzeichen von Dämmerung alle Rollläden herunterzulassen, wollte ich die Sendung bald wieder gucken, mich wieder gruseln.

Der Springer-Verlag hat zu diesem Verlangen nun ein ganzes Magazin herausgebracht. Aus dem Regal eines Berliner Bahnhofskiosks guckt es mich an, viele Jahre nach der XY-Gruselnacht. Es nennt sich „BILD Sicher Leben“ und verspricht ebenfalls vor allem: Grusel. Also schnell bezahlen und in einem blickdichten Beutel mit nach Hause nehmen.

Dort beäuge ich das Cover. Mich macht schon diese geschwungene Schrift fertig, in der die Titel-Redaktion das Wort „Leben“ hingepappt hat. Soll sicher nicht zu martialisch rüberkommen. Auch gar nicht martialisch: die entspannte Kleinfamilie vor dem großzügigen Backsteineigenheim auf dem Titelfoto, die halt auch entspannt sein kann, schließlich verrät ihnen „BILD Sicher Leben“ ja, wie sie, so steht’s im Untertitel: „AUF ALLES GUT VORBEREITET“ ist.

Man kleckert eben nicht bei „Bild“. Man bereitet einfach mal großmäulig AUF ALLES gut vor: „IMPFEN (aber richtig)“ steht auf dem Cover, außerdem wird ein „Tatort-Report“ angekündigt („Einbrechern auf der Spur“), weil die Deutschen und Tatorte, ne, das läuft ja schon immer. Und Tipps, wie man den verdammten Weltuntergang überlebt, gibt es auch. Steht da wirklich: „So überleben Sie den Weltuntergang“. Praktisch. Und für nur 4,50 Euro, inklusive Ratschläge, was man von „Preppern“, diesen Leuten, die hinter jeder Ecke Katastrophen wittern, lernen kann. Am besten nicht so viel, meine Meinung.

Und immer wieder: „Doink“

Unter dem Weltuntergangs-Anreißer findet sich eine kleine Anzeige für ein Sicherheitssystem. Ich nenne es mal „Doink“ – und es wird nicht das letzte Mal sein, dass ich „Doink“ begegne. Gleich die erste Doppelseite des Hefts ist eine Anzeige für: „Doink“. Und auch auf der Rückseite des Magazins: „Doink“. Und dazwischen immer wieder: „Doink“. Ich glaube, ich erkenne ein Muster.

Neben dem Inhaltsverzeichnis begrüßt der Chefredakteur namens Dirk General-Kuchel und versichert, dass sein Heft „keine Angst machen“ will, sondern zu „einem sicheren Lebensgefühl verhelfen“. Denn: Wer sich von den Geschichten im Heft etwas abschaue, könne sich „wirklich sicher fühlen“.

Großer Schriftzug "Das Geschäft mit der Angst"

Frage mich, ob das überhaupt klappen kann: Ein Heft, in dem alles aufgelistet ist, was das Leben mies und beschissen machen kann (Einbruch, Autounfall, Weltuntergang, zu kleine Rente, Tod, Abzockerversicherungen, Pleite des Pauschalreiseanbieters), und dann will die Redaktion auf all diese Dinge gute Antworten geben und ein besseres Gefühl vermitteln? Oder will sie eben doch bloß vermitteln, dass man sich mithilfe von diversen zu erwerbenden Gadgets sicherer fühlen kann – und am Ende ist es eben doch nur das Leben, die Sau?

Die konkreten Lebenswelten, in denen „BILD Sicher Leben“ angeblich zur Hilfe eilt, sind jedenfalls: Haus, Mobilität, Finanzen, Gesundheit und Familie. In dieser Reihenfolge.

Mit der Rubrik „Haus“ wird das Heft mit fröhlichen Grafiken und Zahlen auf schwarzem Hintergrund eröffnet. Titel: „So sicher leben wir in Deutschland“. Ein bunter Strauß aus völlig unzusammenhängenden Themen: „Vermögensentwicklung“, „Schulhofprügeleien“, „Verkehrstote“, „Schwimmen“, „Lebenserwartung“, „Kleiner Waffenschein“, „Gefühlte Sicherheit“ und „Krankheiten“.

Ich weiß nicht, was die Redaktion mir hier mitgeben will, außer dass ich demnächst auf Partys erzählen kann, dass in Deutschland 640.000 „kleine Waffenscheine“ registriert sind.

Verschiedene kleine Texte zu neuen Produkten

Wie in den meisten konventionellen Magazinen, ob sie nun Klamotten, Rezepte oder nachhaltiges Allesmögliche zum Thema haben, gibt es auch hier zu Beginn jedes neuen Themenkomplexes die Doppelseite, die mehr oder weniger Werbung ist. Motto: Wir stellen INFORMATIV Produkte vor – und ihr kauft die später, ja? Nur geht es bei „BILD Sicher Leben“ eben nicht um Möbel oder Klamotten, sondern um Alarmanlagen und virtuelle persönliche Assistenten, die Versicherungen verticken.

„Gefallen“ finde ich an dem Kriminaloberkommissar aus dem „Tatort Report“, der sich mit Einbruchsdelikten befasst. Er hat sich am Arbeitsplatz die Flagge von Moldawien aufgehängt, und die Bildunterschrift zum Foto lautet:

Mann steht vor einem Schreibtisch, an den er eine Flagge von Moldawien gehängt hat

„Im Büro hat Pawlowski die Flagge von Moldawien aufgehängt. Von dort kommen viele der Profi-Einbrecher.“

Und weswegen tackert man sich dann die Flagge an den Schreibtisch? Muss ich das verstehen? Ist er vielleicht Fan des Landes geworden, als er, so der Artikel, mit der moldawischen Polizei zusammenarbeitete, um Täter gemeinsam dingfest zu machen? Oder dient so eine Flagge als Diebstahl-Schutz, wenn mal jemand (aus Moldawien?) im Büro einbricht? Fragen über Fragen.

Darauf folgt eine herrliche Seite mit aufklärender Verunsicherung, die „6 Irrtümer über Einbrüche“. Wir lernen, dass ES JEDERZEIT UND IMMER PASSIEREN KANN – und dass der hier aufklärende Kriminalhauptkommissar der Ansicht ist, dass „mechanische Sicherungen“ sinnvoller sind als „Elektronik“, die oft „nicht zertifiziert“ sei.

Welche Nationalität haben die Täter?

Das anschließende Interview mit einem Kriminalrat, dem „Jäger der Einbrecher“, hört damit auf, dass bei den „gewerbsmäßigen Tätern“ der Ausländeranteil bei 60 Prozent liegt, wie diese Tätergruppe vorgeht und was sie mit ihrer Beute macht. So typisch für dieses Blatt, dass das Interview an dieser Stelle endet. Mit AUSLÄNDERN! Es ist ja auch überaus relevant, ob jemand, der in meine Wohnung einsteigt, eine andere Nationalität hat als ich.

Und weil man sich vor diesen Berufskriminellen schützen muss, wartet „BILD Sicher Leben“ mit zehn Tipps für ein smartes Home auf und erläutert die sogenannten Gaunerzinken. Dann kommt noch ein deutscher Prepper zu Wort, zeigt Teile seiner Ausrüstung und grenzt sich von Reichsbürgern und Rechtsextremen ab, die auch preppen. Und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gibt einen sachlichen und brauchbaren Leitfaden an die Hand. Falls man sich die Ratschläge zum Umgang mit wirklichen Notfallsituationen doch lieber nicht aus Magazinen wie diesem holen will.

Was liegt den Deutschen sonst noch so am Herzen? Klar, ihr fahrbarer Untersatz. Vom Autoreifen zum Fahrradschloss bis hin zur Dashcam testet man bei „BILD Sicher Leben“ einfach alles. Bei den Dashcams wird eine selektive Auswahl von EU-Ländern aufgeführt. Und es werden die landesspezifischen Regelungen erläutert.

Es heißt etwa, dass in Österreich Dashcams verboten sind und eine nicht unerhebliche Geldstrafe fällig wird, sollte man sich dem Verbot widersetzen. In Italien verhält es sich dann angeblich wie folgt: „Zwischen Salzburg und Sizilien ist der Einsatz von Dashcams absolut unbedenklich.“ Umgehauen von diesen Geographiekenntnissen blättere ich weiter – hinein in die Absurdität, dass der Dashcam-Testsieger gleich noch eine Doppelseite „Tipps & Tricks“ gewidmet bekommt.

Nun auf zum Finanzteil! (Bis dahin im Übrigen fünf weitere „Doink“-Anzeigen.) Hier wird allerlei zur Rente erklärt, was nicht uninteressant ist, aber vermutlich nur, weil ich persönlich wirklich schlecht informiert bin. Bei den „4 Fakten zur Altersarmut“ erklärt das Blatt dann, dass hinter den 3,9 Millionen Rentnern, die weniger als 300 Euro Rente bekommen, ganz viele Beamte oder Selbstständige mit alternativer Altersvorsorge stecken. Und, überhaupt: Beamte! Sahnen so richtig ab.

30 redundante Tipps, wie man 100 wird

Diese beiden „Fakten“ sind, wie der meiste Inhalt im Heft, so wenig sachlich oder differenziert geschrieben, dass ich noch unwilliger werde, mir die restlichen Ratschläge für mein sicheres Leben zu Gemüte zu führen. Ich stolpere trotzdem von den Finanzen zur Gesundheit und damit zu 30 redundanten Tipps, wie man 100 Jahre alt wird. Alles schon gelesen und gehört, aber das Folgende scheint mir doch einfach falsch zitiert:

„Für Menschen über 75 ist sechsmal pro Woche zweieinhalb Stunden Bewegung empfehlenswert.“

Das Bundesgesundheitsministerium empfiehlt für Erwachsene insgesamt 150 respektive 75 Minuten pro Woche, je nach Trainingsintensität. Immerhin ist der Artikel über Impfen einigermaßen informativ und der Impfkalender ist bestimmt auch für manche kinderlose Erwachsene nicht uninteressant.

Dazwischen: weitere „Doink“-Anzeigen.

Überhaupt stelle ich fest: Es sind (bis auf eine für „Computer Bild“) die einzigen Werbeanzeigen im ganzen Heft, neben der kleinen auf dem Cover insgesamt zwölf ganze Seiten. „Doink“ wurde allerdings im redaktionellen Test nur „Preis-Leistungs-Sieger“, die „günstige Alternative zum deutlich teureren Testsieger“. Tja. Aber offenbar lukrativ, sich mit diesen Anzeigen und den Produktpräsentationen, äh, -Tests – es sind natürlich absolut unabhängige Tests! – den Laden zu finanzieren.

Ich hangele mich über den immerhin mit einem einigermaßen strengen Fazit endenden Artikel zu sogenannten Krebsversicherungen weiter zur Rubrik Familie. Da wird prominent mit Bebilderung eine Gerätschaft vorgestellt, die angeblich den Gesundheitszustand eines Kindes überwachen soll, die aber von Experten, das wird auch erwähnt, für „unnötig“ befunden wird. Warum überschreibt man das dann kühl mit dem Titel „Babysitten wird digital“? Warum macht man es überhaupt? Ich bin genervt.

Nach dem Bericht über das Sicherheitszentrum einer Kreuzfahrtreederei und dem Ratgeber „So kommt Ihr Kind sicher durchs Leben“ reißt mir dann der Geduldsfaden. Schon dieses irre Potpourri von Themen ist kaum zu ertragen, mal abgesehen von den bisweilen schlampigen Daten, dem unsachlichen Ton und den Produktpräsentationen.

Panische Grundstimmung als Konzept

Das ganze Heft trägt zu einer panischen Grundstimmung bei. Habe ich mein Haus mit smarter Technik im Wert eines Kleinwagens „sicher“ gemacht (dass man das „Smart Home“ dringend kritisch betrachten muss, soll hier nicht unerwähnt bleiben), muss ich als nächstes darauf achten, dass ich meinem Nachwuchs nicht das Leben versaue, ich mir meine Daten nicht rauben lasse und ich nicht nach Afghanistan reise („Die 5 unsichersten Reiseländer“).

Nicht, dass viele dieser Themen für sich stehend uninteressant oder irrelevant wären, aber ein Sammelsurium aus dem Best of German Angst zu präsentieren, vermittelt eben trotz des Versprechens, dass man keine Angst machen will, genau das: Angst.

3 Kommentare

  1. „Im Büro hat Pawlowski die Flagge von Moldawien aufgehängt. Von dort kommen viele der Profi-Einbrecher.“ Und weswegen tackert man sich dann die Flagge an den Schreibtisch? Muss ich das verstehen?“

    Ich hätte da mal einen Interpretationsvorschlag: Der Herr dankt den Profi-Einbrechern aus Moldawien dafür, dass sie ihm den Arbeitsplatz sichern. Dafür kann man doch auch mal die Flagge an den Schreibtisch tackern.

  2. Entbehrt generell nicht einer gewissen Ironie, dass die Hauptprofiteure der ganzen Zuwanderung rechte Verleger / Verkäufer sind.
    Alles nur ein Stilmittel: FUD.

    Mich ärgert nur, auch hier auf übermedien, dass diese ganze rechte Scheiße alle anderen Themen langsam aber sicher verschlingt.

  3. @Anderer Max
    D’accord, aber ohne Übermedien hätte ich gar nicht mitgekriegt, dass es so ein gruseliges Prepper-Bladl überhaupt gibt. Dessen Existenz zu ignorieren, wäre für mich auch nicht das Wahre.

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