Hamburg Journal

Onkel Ernst, die Marine und die Nazis: NDR löscht „Hamburger des Tages“

Im Goldrahmen: die NDR-Rubrik „Hamburger des Tages“ Screenshot: NDR

In der Rubrik „Hamburger des Tages“, die unter anderem im „Hamburg Journal“ läuft, dem Regionalmagazin des NDR-Fernsehens, können Bürgerinnen und Bürger Menschen danken, „die uns ein Lächeln ins Gesicht zaubern und unseren Alltag erleichtern“, beispielsweise der „Ersatz-Oma, die immer als Babysitter einspringt“ oder dem „netten Jungen, der dem Senior im Haus täglich die Post hochbringt“. So beschreibt es der NDR auf seiner Internetseite.

Fragwürdiger Geschichtsunterricht

Der Dank am vergangenen Donnerstag war allerdings nichts von alldem. Keine nette kleine Anekdote mit Babys oder Senioren-Post, sondern fragwürdiger  Geschichtsunterricht. In dem gut einminütigen Beitrag trat ein Mann auf, wie immer eingefasst von einem goldenen Rahmen und direkt in die Kamera sprechend, um seinen Onkel zu würdigen. Unter anderem sagte er:

„Ich möchte meinen Onkel Ernst zum Hamburger des Tages machen. Er hat sich eingesetzt, als damals Marine-Soldat… sich der Nachbarin… die Nachbarin zu besuchen und ihr zu versichern, dass die Marine mit dem Ganzen der Nazi-Zeit nichts zu tun hat und an ihrer Seite steht.“

Dem Moderator der Sendung war die Sache offenbar nicht ganz geheuer. Vor dem Beitrag sagte er, es gebe ja „zig verschiedene Gründe“, weshalb ein „ganz normaler Hamburger“ zum „Hamburger des Tages“ ernannt werden könne. Dieser Grund sei „ein bisschen komplizierter, aber umso interessanter.“

In der Tat. Zusammen mit Kollegen, offenbar von der Marine, habe sein Onkel die Nachbarin „mehrfach besucht“, das sei „eine tolle Sache“ gewesen, erzählt der Mann weiter. Deshalb sei Marine-Onkel Ernst, der nichts mit den Nazis zu tun hatte, „bis heute Hamburger des Tages, für mich, in meinem Herzen“.

Mann ehrt seinen Onkel im NDR-Fernsehen Screenshot: NDR / Unkenntlich: Ü

Das ist einerseits schön, andererseits natürlich sehr rätselhaft. Wir haben den NDR deshalb gefragt, wie er zu dem gesendeten Beitrag und der Aussage darin steht. Eine Pressesprecherin antwortet, durch unsere Nachfrage sei der Sender „auf einen redaktionellen Abnahmefehler aufmerksam geworden“:

„Das Video mit der Aussage, die Marine habe damals nichts mit den Nazis zu tun gehabt, hätte weder auf NDR.de gestellt noch im Fernsehen gesendet werden dürfen. Wir entschuldigen uns sehr für diesen Fehler und haben das genannte Video aus NDR.de herausgenommen.“

Den Einzelbeitrag hat der NDR tatsächlich aus der Mediathek gelöscht, in der kompletten Sendung ist er aber weiterhin zu sehen.*

Redaktionelle Abnahme in „mehrstufigen Verfahren“

Dass es der Beitrag überhaupt in die Sendung geschafft hat, ist eigenartig, schreibt der NDR doch auch: „Alle durch den NDR veröffentlichten Beiträge […] werden in mehrstufigen Verfahren redaktionell abgenommen“ – was hier wohl immer noch eine Stufe zu wenig war. „Die regelmäßigen Kontrollen haben in diesem Fall nicht gegriffen.“ Um solche Fehler künftig „noch besser zu verhindern“, werde der NDR „die Beiträge noch genauer prüfen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter sensibilisieren“.

Fraglich ist, ob die Redaktion die gesendeten Geschichten in der Rubrik „Hamburger des Tages“ überhaupt noch mal überprüft – oder einfach kauft, was die Leute auf der Straße so erzählen. In diesem Fall wäre es auf jeden Fall angebracht gewesen, weiter nachzufragen – und vielleicht sogar interessant. Denn der Mann sagt am Ende des Beitrags auch:

„Gerade in heutiger Zeit ist es wichtig, dass solche Menschen sich um die Menschen, die verfolgt sind, kümmern und wirklich das Menschliche sehen.“

Verfolgt? Was war mit der Nachbarin? Wer war sie? Wie hat sich der Onkel um sie gekümmert? Und weshalb? Es gäbe wirklich viele Fragen, die man da stellen könnte als Journalist. Oder eben leider auch nicht.

*Nachtrag, 23:05 Uhr. Der NDR hat den Beitrag nun kommentarlos aus der Sendung entfernt.

8 Kommentare

  1. „Nachtrag, 23:05 Uhr. Der NDR hat den Beitrag nun kommentarlos aus der Sendung entfernt.“

    Das der Beitrag entfernt wurde, finde ich richtig, denn die Aussage, die Marine hätte nichts mit den Nazis zu tun gehabt, ist nun wirklich ausgemachter Blödsinn.

    Gerade unter dem Oberbefehl (und damit unter der Verantwortung) von Dönitz wurden noch in den letzten Kriegstagen (auch, als er dann nach Hitlers Tod in Flensburg für kurze Zeit nominell als Staatsoberhaupt fungierte) Todesurteile gegen Deserteure ausgesprochen und vollstreckt, wo doch das Ende für absolut jeden offensichtlich war.

    Noch näher am NS-Regime war da eigentlich nur noch Görings Luftwaffe, die wurde ja erst nach 1933 (als einzige Teilstreitkraft) völlig neu aufgebaut und „Herr Meier“ (Göring) nahm da möglichst nur hundertprozentige Nazis, entsprechend sah das Personal dann auch aus.

    Das der Beitrag kommtarlos entfernt wurde, finde ich dagegen nicht richtig, denn wenigstens ein allgemeiner Hinweis darauf, das etwas geändert wurde, das hätte schon sein müssen (nicht nur sollen).

  2. Eine Kultur beim NDR, einen Fehler auch mal einzuräumen, entwickelt sich nur in einem Teilbereich. Bei NDR Info gibt es das Format „NDR Info im Dialog“ in dem auf Kritik eingegangen und diese auch nicht unter den Tisch gekehrt wird.
    Hier einfach kommentarlos zu löschen ist entweder eine arrogante Haltung oder mutmaßlich ein Klima der Angst bei der Redaktion.
    Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Angst um den Arbeitsplatz die Triebfeder ist. Anders ist das z. T. verbissene Verteidigen von Fehlern, die ja mal passieren können, kaum zu erklären. Gleiches gilt auch für kommentarlosen Löschen.

  3. Sender wie der NDR haben diverse Rubriken und die entsprechenden Redakteure produzieren „Nachrichtenformate“. Und die Rubrik „Hamburger des Tages“ zählt im Image des Senders offenbar nicht zu den politisch relevanten. Sollte da mal eine Überraschung passieren und sich politisch hochrelevantes ereignen wie hier, ist man zu beschränkt, das A zu erkennen und B, journalistisch qualifiziert einzugreifen. Der nächste Schritt ist dann C, sich um sein Sender-Image Sorgen zu machen und als Höhepunkt der Ignoranz diesen Beitrag zu löschen, da man ja „sauber“ erscheinen möchte. Diese NDR-Haltung ist ebenso peinlich wie durchschaubar und entspricht derselben Einstellung wie besagter Protagonist, der eben auch möchte, daß die Marine der NS-Zeit heute endlich sauber erscheinen möge. Von einem öffentlich orientierten Sender erwarte ich hier Einstieg in die hochinteressanten Fragen: wer war die Frau, was spielte sich damals ab, welche Konflikte waren da oder sind immer noch vorhanden, daß sie hier nach 75 Jahren übertüncht werden sollen.
    Der Sender wäre gut beraten, jederzeit Sensibilität zu zeigen. Denn Interessantes kann jederzeit auch im Tagesgeschäft passieren. Man muß es nur erkennen und aufgreifen, statt es erst nicht mitzubekommen und dann zu löschen. Das erinnert an ein kleines Kind, das sich bei Gefahr die Augen zuhält.

  4. Ach ja, der NDR mal wieder…

    Zuerst eine Pingeligkeit. „In der Rubrik „Hamburger des Tages“, die unter anderem im „Hamburg Journal“ läuft, dem Regionalmagazin des NDR-Fernsehens, können Bürgerinnen und Bürger…“ steht gleich zu Beginn geschrieben. Entweder ist es das _Hamburger_ Regionalmagazin des NDR oder _ein_ Regionalmagazin des NDR. Es gibt die Magazine für jedes NDR-Bundesland einzeln mit eigenem Namen und zeitgleich gesendet.

    Das kommentarlose Ändern und Löschen resp. Nichtveröffentlichen von Sendungen/Videos und Videoinhalten wie auch Texten – insbesondere Nachrichten – auf der Website hat leider traurige Tradition beim NDR. Diesbezügliche Kommentare oder eMail-Wünsche, dies transparenter zu gestalten, perlen offenbar ab und bleiben unveröffentlicht bzw. unbeantwortet. Immer wieder werden in den moderierten Kommentarspalten der NDR-Website Beiträge veröffentlicht, die offen von Hass gegen Ausländer geprägt sind oder Gewalt gegen Andersdenkende propagieren. Häufig lese ich ‚Geschichten‘ rund um den NDR in den Medien: Räuberpistolen, Mief, Vetternwirtschaft und dergleichen. Ich habe bei meinem ‚Heimat-Dritten‘ mit dem schönen Slogan „Das Beste im Norden“ häufig das Gefühl, mit Kritik wenig souverän umgehen zu können und mit Selbstkritik zu geizen. Über die vom NDR produzierte Tagesschau las ich dieser Tage, wegen eines Streiks seien einzelne Sendungen ohne Grafiken und Bilder gelaufen, für die Mediathek aber nachträglich darum ergänzt worden – auch nicht wirklich schön, wenn das stimmt.

    Da scheint mir einiges im Argen zu liegen im NDR. Vielleicht ein Thema, für das sich Übermedien interessieren könnte, zumindest für die erwähnte Intransparenz bei Veränderung von Inhalten im Online-Angebot.

  5. Die Sache ist ein bisschen komplizierter, als man auf den ersten Blick meinen könnte.

    Ich kenne den Beitrag nicht, wusste (als Hamburger) auch noch nicht einmal, dass es „einen Hamburger (…in auch?) des Tages“ gibt. Aber nehmen wir einmal die hier im Text zu findenden Zitate.

    1. Aussage des Marine-Onkels (zitiert nach dem Neffen) offenbar aus der Zeit zwischen 1933 und 1945, geäußert gegenüber einer Nachbarin (des Onkels), rekonstruiert in der mutmaßlich damaligen Aussage:

    „Die Marine hat mit dem Ganzen der Nazi-Zeit nichts zu tun und steht an Ihrer Seite.“

    „das Ganze“ ist nicht unwichtig. Sollte man nicht unterschlagen. Was der Mann (der Onkel) damit gemeint haben könnte? Das Übel, die Verbrechen, der ganze Scheiß etc.? Jedenfalls hat er NICHT gesagt: Die Marine hat mit den Nationalsozialisten nichts zu tun.

    2. Aussage des Neffen, vermutlich von heute, über seinen Onkel:

    „Mein Onkel Ernst hatte mit den Nazis nichts zu tun.“

    Schwer für einen Außenstehenden zu bewerten, ob’s stimmt oder nicht. Aber glauben wir dem Neffen heute mindestens 75 Jahre später nach der zitierten Onkel-Aussage einmal. Die Aussage (des Neffen über seinen Onkel) ist an sich nicht verwerflich. Wenn er das so sieht oder glaubt zu sehen, kann er seinen Onkel durchaus als „Hamburger des Tages“ würdigen.

    Warum wurde der Beitrag noch mal gelöscht?

  6. #5: „das Ganze“ ist nicht unwichtig. Sollte man nicht unterschlagen. Was der Mann (der Onkel) damit gemeint haben könnte? Das Übel, die Verbrechen, der ganze Scheiß etc.?“

    Auch damit hatte die Marine jede Menge zu tun. Von Kriegsverbrechen wie der Tötung von Schiffbrüchigen über die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen in Werften und beim Bau der
    U-Bootbunker bis hin zu Menschenversuchen in KZs.

    Sollte man nicht unterschlagen.

  7. Hat denn eigentlich keiner der bisherigen Kommentatoren den Text von Boris Rosenkranz bis zum Ende gelesen? Die Bemerkung, daß der Onkel der Nachbarin geholfen hat, die verfolgt war, lässt doch die ganze Geschichte in einem völlig anderen Licht erscheinen.

    Mit Wissen um diese Aussage liest sich der zitierte Satz „… die Nachbarin zu besuchen und ihr zu versichern, dass die Marine mit dem Ganzen der Nazi-Zeit nichts zu tun hat und an ihrer Seite steht“ ganz anders.

    Der Onkel Ernst ist vermutlich gar nicht selbst der Meinung, daß die Marine mit den Nazis nichts zu tun hatte, sondern er hat dies lediglich seiner Nachbarin gegenüber versichert. Er hat vielleicht die Nachbarin bewusst angelogen, um sie zu beruhigen und zu beschützen.

    Mir kommt dazu als Analogie der Schauspieler Heinz Rühmann in den Sinn: Um als Schauspieler weiterarbeiten zu können, hat sich Heinz Rühmann mit den Nazis arrangiert. Er hat sogar bezieht den Kontakt zu Goebbels und Göring gesucht, um nach einem ursprünglichen Ausschluß wieder in die Reichsfilmkammer aufgenommen zu werden und ohne Einschränkungen weiterarbeiten zu können. Mit diesen Kontakten hat er es aber auch geschafft, seine geschiedene jüdische Frau vor der Verfolgung zu bewahren, und er soll während des Krieges den Statisten am Filmset dazu verholfen haben, längere Zeit nicht zur Front geschickt werden zu müssen.

    Es ist plausibel, daß das bei Onkel Ernst aus der NDR-Fernsehsendung ähnlich war: Da gab es die Nachbarin, die von den Nazis verfolgt wurde. Vielleicht war sie Jüdin, vielleicht hat sie englische Radiosender gehört, den genauen Grund der Verfolgung erfahren wir nicht. Und dann ist da der Onkel Ernst in seinen Jugendjahren, dessen Traum es ist, zur Marine zu gehen. Vielleicht hat er noch Kumpels um sich herum, die diese Nachbarin ebenfalls kennen und ihr helfen wollen. Und so geht der junge Ernst zu dieser Nachbarin und versichert ihr, daß die Marine (vermutlich meint er damit nur seine Kumpels, die ebenfalls bei der Marine sind) nichts mit den Nazi-Greultaten zu tun haben.

    Mit seiner Formulierung, eigentlich schon mit der Aussage an sich, macht er deutlich, daß er um die Verbrechen der Nationalsozialisten weiß. Er möchte damit nichts zu tun haben, gleichwohl aber in der Marine dienen – so wie Heinz Rühmann mit der Ideologie der Nationalsozialisten nicht zu tun haben wollte, aber weiterhin als Schauspieler arbeiten wollte.

    Die Formulierung der NDR-Pressesprecherin „Das Video mit der Aussage, die Marine habe damals nichts mit den Nazis zu tun gehabt“ ist falsch. Diese Aussage wurde in dem Video gar nicht getroffen. Statt dessen wurde darüber berichtet, daß diese Aussage zur Zeit des Dritten Reiches gegenüber der Nachbarin getroffen wurde. Das ist ja ein erheblicher Unterschied!

    So stellt es sich jetzt so dar, daß das Video völlig zu Unrecht aus der Mediathek gelöscht wurde. Statt dessen hätte, so wie Boris Rosenkranz das am Ende des Textes andeutet, erklärt werden können, aus welchem Grund die Nachbarin von den Nazis verfolgt wurde, und in welcher Weise der Onkel Ernst damals in der Lage war, ihr zu helfen oder sie zu schützen, und was er konkret für sie getan hat.

  8. #7: „Hat denn eigentlich keiner der bisherigen Kommentatoren den Text von Boris Rosenkranz bis zum Ende gelesen?“

    Haben Sie den Text denn gelesen getan, vor Ihrem Kommentar? Sieht nicht so aus:

    „Die Bemerkung, daß der Onkel der Nachbarin geholfen hat, die verfolgt war, lässt doch die ganze Geschichte in einem völlig anderen Licht erscheinen.“

    Nur dumm, dass es diese Bemerkung – dass der Onkel der Nachbarin geholfen hat, die verfolgt war – gar nicht gibt. Ob die Dame verfolgt war und warum und wie, bleibt völlig unklar. Das genau ist ja der Vorwurf von Boris Rosenkranz an den NDR (einfach mal nachlesen):

    „Verfolgt? Was war mit der Nachbarin? Wer war sie? Wie hat sich der Onkel um sie gekümmert? Und weshalb? Es gäbe wirklich viele Fragen, die man da stellen könnte als Journalist. Oder eben leider auch nicht.“

    Jetzt Sie wieder:

    „Mit Wissen um diese Aussage liest sich der zitierte Satz“

    Welches Wissen? Woher haben Sie dieses Wissen? Und welche Aussage? Wie können Sie aus einer Aussage, die es gar nicht gab, etwas wissen? Sie geben sich große Mühe, die Leerstellen zu füllen, aber halten Sie sich doch bitte an die Fakten.

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