n-tv entschuldigt sich für Neonazi im Programm
Tommy Frenck ist Neonazi. Seinen Hals schmückt ein großes Tattoo mit dem Wort „ARYAN“. Seine E-Mail-Adresse beginnt mit dastommy88@. Er war NPD-Kreisvorsitzender, sitzt für eine rechtsextreme Wählergemeinschaft im einem Kreistag, organisiert Neonazi-Veranstaltungen, bietet zum Führergeburtstag in seiner Gaststätte das Schnitzel für 8,88 Euro, posiert mit der verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck, die Liste lässt sich fortsetzen. Tommy Frenck ist nicht irgend ein verirrter rechtsradikaler junger Mann aus Thüringen, sondern einer der bekanntesten Neonazis des Landes.
Am Montag kam er im RTL-Nachrichtensender n-tv als Kritiker der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete und ihrer Unterstützer zu Wort.
In der Rubrik „Netzreporter“ lässt der Sender regelmäßig vorlesen, was irgendwer zu einem aktuellen Thema im Internet gepostet hat. Gestern berichtete der diensthabende „Netzreporter“ Daniel Schüler, dass es zum Thema Seenotrettung vor allem „einen ganz entscheidenden Tweet“ gebe, nämlich diese drei:
Er zitierte dann Außenminister Heiko Maas und den Linken-Politiker Gregor Gysi …
… bevor er informierte, dass es schon „die ein oder andere Spendenaktion“ gebe, unter anderem eine von Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf, für die zu diesem Zeitpunkt schon gut 27.000 Menschen mehr als 700.000 Euro gespendet hatten.
O-Ton „Netzreporter“:
Und da sagen einige: Ja, Moment mal, wir können das Geld aber zum einen selbst ganz gut gebrauchen. Und zum anderen auch wieder das Argument mit den Gesetzen: Man muss sich doch daran halten. Und wenn man es nicht tut, muss man eben auch für die Konsequenzen geradestehen.
Vertreter dieser Position im Einerseits-Andererseits-Tweetsammelspaziergang durchs Netz: der Neonazi Tommy Frenck.
Als jemand auf Twitter das unmittelbar danach kritisierte …
.@ntvde treibt den „oder soll man es lassen“-Relativismus in Bezug auf #Seenotrettung auf die Spitze und blendet ohne jede Einordnung den Tweet des Neonazis Tommy Frenck zum Thema ein. @KatharinaKoenig @Matthias_Quent @MatthiasMeisner pic.twitter.com/YRolXgPMFy
— (((Alexander Wicker))) (@axw74) 1. Juli 2019
… antwortete der „Netzreporter“:
„Was heißt denn hier bitte ohne Einordnung? Es gab zu Beginn einen klaren Standpunkt (‚brauchen mehr Racketen‘), dann Politikerstimmen, Frenck als Gegner und dann direkt die Entkräftung dessen am Bsp. von Sophie Scholl. (…)“
Und, ja, tatsächlich: Vom Tweet des Neonazis hatte der „Netzreporter“ treuherzig übergeleitet:
„Das mit den Gesetzen, das ist nochmal eine ganz eigene Frage, und deswegen sagen viele: Vielleicht ist das gar nicht immer so gut, sich da wirklich dran zu halten. Beispielsweise während der Zeit des Holocaust, wenn man Juden versteckt hatte, dann entsprach das nicht dem Gesetz. Oder noch früher, wenn man Sklaven befreit hatte, war auch das nicht im Sinne des Gesetzes. Trotzdem im Sinne des Gewissens. Und deswegen sagen ganz viele: Man muss es so nehmen, wie es Sophie Scholl tat. Die sagte nämlich einst: ‚Die Gesetze ändern sich, das Gewissen tut es nicht.'“
Es tun sich Abgründe an Idiotie auf, wie hier beiläufig und mit fröhlicher Naivität Fragen von Legalität und Legitimität des Sea-Watch-3-Manövers am Beispiel des Holocaust und unter Berufung auf Sophie Scholl und einen Neonazi verhandelt werden.
Wir haben n-tv gefragt, ob das ein verantwortungsbewusster journalistischer Umgang mit Neonazis sein kann. Und ob es nicht gerade die Aufgabe eines „Netzreporters“ wäre, nicht einfach irgendwelche Tweets zu zeigen, ohne Betrachtung, wer dahintersteckt.
Die Antwort war eindeutig:
Die Sendung n-tv Netzreporter hat gestern über den Tweet eines Neonazis berichtet, zudem wurde versäumt, die Herkunft klar einzuordnen. Beides hätte so nicht geschehen dürfen. Wir bitten für diesen Fehler um Entschuldigung.
Kurz darauf twitterte der Sender das auch. Der „Was heißt denn hier bitte ohne Einordnung?“-Tweet wurde gelöscht.
Das selbe n-tv ließ gestern auch Hans-Georg Maaßen in einem ausführlichen Interview die Sea-Watch-Geschichte aus Sicht „des ehemaligen Chefs des Verfassungsschutzes“ kommentieren. Eine Einordnung hinsichtlich Maaßens Rolle rund um die Chemnitz-Ereignisse und seine politische Agenda (Werte-Union, AfD-Treffen, etc.) erfolgte auch hier nicht.
Man könnte meinen das hätte bei n-tv Methode.
(Wer sich selbst ein Bild machen möchte: https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Das-Europaeische-Asylsystem-ist-in-Teilen-gescheitert-article21118619.html)
@Stephan: Brauchen Sie zu jedem Interview eine politisch korrekte Einordnung? Sie haben die Welt doch schon in gut und böse eingeteilt.
Schauen Sie lieber ARD und ZDF. Die müssen Sie sowieso bezahlen.
@1
Meinen Sie nicht, dass Maaßen und seine Rolle in den letzen Wochen seiner Amtsausübung populärer und bekannter sind, als der Neonazi Frenck.
Sicher ist es ein schmaler Grat im Einzelfall, aber bei breitflächig berichteten Themen aus jüngerer Vergangenheit, darf man doch auch einen gewissen Informationsstand beim Zuschauer erwarten.
Ich bin beeindruckt. Anerkannte Seerechts-Experten wie ein Neonazi und ein rechtsgerichteter Ex-Staatsdiener dürfen ihre Expertise im Privatfernsehen zum Besten geben; und n-tv begibt sich dann noch in die Grundlagen der Rechtsphilosophie – da fehlte jetzt nur noch die Radbruchsche Formel.
So tief einzutauchen, ist aber gar nicht nötig: Die zuständige italienische Ermittlungsrichterin , die den Hausarrest gegen C. Rackete aufgehoben hat, kam mit den Bordmitteln der juristischen Hermeneutik aus: Ein Angriff auf ein Kriegsschiff lag nicht vor, für einen etwaigen Widerstand gegen einen Beamten gibt es einen Rechtfertigungsgrund, weil in Erfüllung der Pflicht gehandelt wurde, Leben auf See zu retten, und die Ansteuerung von Lampedusa war zwangsläufig, weil es sich bei Häfen in Libyen und Tunesien nicht um sichere Häfen handelt. Im Übrigen ist die Sicherheitsverordnung, gegen die verstoßen worden sei, auf Rettungseinsätze gar nicht anwendbar.
Das wiederum führt bei rechten Experten für Recht und Gesetz zu dem üblichen verschwörungstheoretischen Reflexen. Merkel hat die Fäden gezogen, um die stolze italienische Nation zu knechten. Und wieder wird das Prinzip deutlich: Sehr viel Meinung für so wenig Ahnung.
@4 Wussten Sie denn nicht, dass die Umvolkung des Abendlandes wesentlich durch Merkels Schleuserbanden in Angriff genommen wird? Besonders die linksradikalen Kräfte in der SPD, die das Land seit Jahren in der Mangel haben, sind entscheidend bei der Durchführung. Falls es doch anders ist, können wir die Akten dazu aber noch schnell schreddern, bevor noch jemand auf die Idee käme, unsere Kompetenz sei fragwürdig. Wieso sollte auch eine Einordnung stattfinden, bei Leuten, die mit ihrer Bürgerwehr Ausländer durch die Straßen hetzen oder Nazi-Sängern wie dem Landser Frontmann Lunikoff eine Bühne stellen. Genau, denn wenn jemand das als nicht gut, vielleicht sogar als böse bezeichnet, dann ist das für den Otto-Normalo natürlich eine Zumutung, weil, und das muss man wissen, der Otto-Normalo weiß im Grunde schon alles. Denn was der nicht weiß, kann er sich ja noch einbilden, wenn selbst Rechtsradikale das schaffen ist für die eben noch unverständlicher, wenn der Otto-Normalo es nicht versteht. Diesen bezahlten Angsthasen!
Wozu sollte man überhaupt noch irgendwas einordnen? Dieser Linksfaschismus mit Merkels Systemknechten und den grünversifften NWO-Gutmensch-Schafen gehört endlich an die Wand gestellt, ähhh an den Baum geknüpft, ähh..ach verdammt, wie sagt man das noch mal nett??
„Es tun sich Abgründe an Idiotie auf, wie hier beiläufig und mit fröhlicher Naivität Fragen von Legalität und Legitimität des Sea-Watch-3-Manövers am Beispiel des Holocaust und unter Berufung auf Sophie Scholl und einen Neonazi verhandelt werden.“
Das wird im Kommentarstrang zu diesem Beitrag auch wieder genau so passieren. Weil es immer passiert. Der erste Systemmedien-Dummbatz ist ja schon da. Im übrigen auch kennzeichnungsfrei…
Ich bin mir jetzt auch nicht ganz sicher, warum N-TV die politische Einstellung eines zitierten Twitterkommentators hier irgendwie hervorheben müsste. Also bitte nicht falsch verstehen, ich bin auch dagegen solche fachkenntnisfreien Intelligenzflüchtlinge zu zitieren, denn wo ist der Mehrwert? Ich meine, dass es Vollidioten gibt, die weder Ahnung von Menschen- wie von Seerecht haben, ist ja hinlänglich bekannt, auch ohne die Beweisführung von N-TV. Bzw. eigentlich ist die Existenz von N-TV an sich schon Beweis genug.
Diese privaten „Nachrichtensender“ stellen Verschwörungstheoretiker wie den unsäglichen Andreas Popp und Dirk Müller als Experten für’s Finanzwesen vor. Die haben einfach keinerlei Skrupelden Skandal für die Nachricht zu erfinden, den Bock zum Gärtner oder den Vollpfosten zum Börsenexperten zu deklarieren. Warum sollten die einen Neonazi als solchen deklarieren?
Ich finde gar nicht, dass sie einen Neonazi als solchen deklarieren sollte. Ich finde den Gedanken völlig abwegig, eine solche Beteiligung von Neonazis zu führen.
Ich bleibe dabei: Ich wünsche mir selbstbewusste Rechtsradikale, die nicht beleidigt sind, wenn man sie rechtsradikal nennt. M. E. beginnt das Problem, wenn jeman nicht mit den negativen Konnotationen seiner Ideologie zurechtkommt bzw. diese nicht kommuniziert sehen will, weil sie evtl. unpopulär sein könnten.
Nazisein (an sich) ist halt unpopulär, das liegt nicht an den Medien :D
@Anderer Max: Das kann aber nicht auf Tommy Frenck gemünzt sein. Stolzer (und geschäftstüchtiger) als er kann man doch sein Neonazisein gar nicht zur Schau stellen.
Persönlich würde es mich nicht stören, wenn Nazi-Aussagen als Nazi-Aussagen und nicht als „Ausgewogene Berichterstattung“ dargestellt werden.
Dass man neue Beiträge ala „Nazis: ihre menschenverachtensten Sprüche, heute Nr. 135.584“ noch bringen kann, ist zwar traurig, aber ist mir immerhin lieber als „Nazis: ihre sinnvollsten Beiträge zu irgendeiner Diskussion, heute Nr. 3“
Ich würde sogar so weit gehen, da in Sachen Berichterstattung alle wertenden, moralisierenden Begriffe einfach wegzulassen.
Also statt „Menschnverachtende Aussage von Gauland: Will er eine Grünenpolitikerin wirklich entsorgen oder meint er es garnicht so?“ dann direkt schreiben „Gauland jetzt offen rassistisch: Politiker-Kollegin wegen Herkunft öffentlich beleidigt.“
Gleiches bei der Boateng Geschichte. Nicht fragen, wie er es gemeint haben könnte, sondern einfach wörtlich nehmen und die Schlussfolgerung daraus ziehen –> Gauland möchte Dunkelhäutige nicht als Nachbarn haben und tarnt seinen Rassismus hinter einem allgemeinen „man“. Ich finde, das trifft den Nagel eher auf den Kopf, als inhaltiche Rückfragen zu stellen und ihm dann wieder und wieder eine Plattform zum Zurückrudern (inkl. „Lüschenbrässä“ Blabla) zu geben. Ich finde, man muss sich nicht vor jedem Tiefflieger rechtfertigen oder gar mit ihm diskutieren.
Die Boateng-Aussage ist rassistisch, peng. Relativierung nicht abdrucken, stattdessen öffentlichen Entschuldigungsdruck aufbauen.
Ich meine, genügend relativierende Medien,die alöles genau so aufschreiben, wie es passt haben die ja auch (Elsässer, etc.), so is das ja nicht.
Äh, das habe ich doch geschrieben?
„Menschenverachtende Äußerung Nr. xy“ statt: „Menschenverachtende Äußerung Nr. xy: meinten sie es wieder nicht so?“
@ Anderer Max:
Ich fürchte, Sie haben das Gefährliche an der AfD nicht ansatzweise verstanden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Gauland keine persönlichen Aversionen gegen Boateng als Nachbarn hegt. Dazu ist der Mann zu klug und weltgewandt. Ich fürchte aber, dass große Teile der Bevölkerung solche Ressentiments haben (nicht gegen den Fußballer, versteht sich, sondern gegen Schwarze ohne prominente Namen) – weshalb Gauland einerseits nichts als eine soziologische Wahrheit ausspricht und andererseits genau die Leute hinter sich sammelt, die er haben will. Es ist gewissermaßen eine dialektische Strategie. Mit Ihrer moralistischen Antwort wird man dem nicht beikommen.
Kann es nicht sein, daß die Irritation um den Begriff „Einordnung“ (bzw. die Formulierung „ohne Einordnung“) schlicht der erzwungenen Kürze des Posts in dem Dienst „Twitter“ geschuldet ist?
Es schrieb ja Alexander Wicker, die Veröffentlichung der Äußerung von Tommy Frenck sei ohne Einordnung erfolgt. Und Moderator Daniel Schüler schrieb, daß er die Äußerung von Tommy Frenck sehr wohl eingeordnet habe. Und tatsächlich hat er die Äußerung ja eingeordnet in dem Sinne, daß er sie als Gegenposition zu den zuvor widergegebenen Meinungen dargestellt hat.
Eine derartige inhaltliche Einordnung meinte Alexander Wecker aber nicht, sondern er vermisste eine Einordnung der Person Tommy Frenck. Aber das hat er in seinem Tweet nicht geschrieben. Er hat zwar in seinem Tweet Tommy Frenck als Neonazi bezeichnet, nicht aber, daß die Einordnung sich auf die Person Tommy Frenck beziehen sollte.
Und so haben Alexander Wecker und Daniel Schüler aneinander vorbeigeredet.
Das fällt mir immer wieder auf, wenn ich bei Twitter lese: Es werden Sachverhalte und Schlußfolgerungen so auf das Limit der 280 Zeichen eingedampft, daß man sie nicht versteht, wen man nicht ohnehin bereits in der Gedankenwelt des Absenders drinsteckt.
@ kritischer kritiker: sie verkopfen das. Es geht nicht um gaulands Weltanschauung, die juckt allenfalls seine Frau. Es geht um eine journalistisch verständlich gemachte wiedergabe seiner worte. Das macht den Nachrichtenwert aus, weil es zur Willensbildung beiträgt.
Grüße,
Ping