Die Podcast-Kritik (2)

Dieser Podcast ist so unwichtig, dass ihn die Szene dringend braucht

Vergangene Woche hat Sandro Schroeder diese neue Podcast-Rubrik sehr seriös begonnen und „The Daily“ empfohlen, den täglichen Nachrichtenpodcast der „New York Times“. Heute gibt es das Kontrastprogramm.

Ich habe mich entschieden, unsere zweite Podcast-Kritik keiner großen Verlagsproduktion zu widmen. Keinem Podcast aus „der Szene“. Keinem Serial-Vergleich. Keinem Storytelling. Keinem öffentlich-rechtlichen Podcast und keinem Underground-Produkt. Über all das werden wir hier auch noch reden. Aber nicht heute.

Heute bleibt die seriöse, makellose, professionelle Podcast-Welt draußen. Denn diese Kolumne dreht sich um „Klatsch & Tratsch – Niemand muss ein Promi sein“ von Elena Gruschka und Max Richard Leßmann.

Ja, ein Promi-Gossip-Podcast, und keine Frage: Nach klassischen Maßstäben spricht wirklich einiges dagegen, diesen Podcast zu empfehlen.

Es gibt keinerlei dramaturgisches Konzept. Tonqualität noch Mikrofondisziplin sind irrelevant. Es geht um langweilige Menschen (Promis), denen langweilige Dinge passieren (Ehegerüchte zum Beispiel). Zwei Freunde treffen sich, manchmal verkatert, reden darüber, nicht immer mit wohlüberlegten Worten – that’s it.

Reden, um zu klatschen

Sie bedienen sich damit einer kognitiven und kommunikativen Funktion, die seit 300.000 Jahren menschliche Gesellschaften zusammenhält – zumindest wenn man einer gar nicht so abseitigen Theorie folgt, die Yuval Noah Harari in seiner „kurzen Geschichte der Menschheit“ so zusammenfasst:

(…) dass sich unsere Sprache entwickelte, um Informationen über die Umwelt auszutauschen. Doch nach dieser Theorie ging es den Menschen nicht darum, sich über Löwen und Büffel zu unterhalten, sondern über ihre Artgenossen. Mit anderen Worten dient unsere Sprache vor allem der Verbreitung von Klatsch und Tratsch. Der Homo sapiens ist ein Herdentier, und die Kooperation in der Gruppe ist entscheidend für das Überleben und die Fortpflanzung. Dazu reicht es nicht aus, zu wissen, wo sich Löwen und Büffel aufhalten. Es ist viel wichtiger zu wissen, wer in der Gruppe wen nicht leiden kann, wer mit wem schläft, wer ehrlich ist und wer andere beklaut.

Es sind vor allem Journalistinnen und Journalisten, die damit so ihre Probleme haben und glauben, nur „harte“ News seien echte News. Kann man so sehen, ist aber leider eine sehr beengte Sichtweise. Oder um es mit einem Standardwerk zweier Koryphäen zu sagen, mit „The Elements of Journalism“ von Bill Kovach und Tom Rosenstiel:

Als Anthropologen begannen, Kommunikation in den wenigen verbleibenden primitiven Kulturen der Welt zu vergleichen, fanden sie etwas Unerwartetes heraus. Von den isoliertesten Stammesgesellschaften in Afrika bis hin zu den entferntesten Inseln im Pazifik teilten die Menschen im Wesentlichen eine ähnliche Definition von Nachrichten. Sie teilten Gossip.

Labern, nicht schwafeln

So wichtig das Tratschen für unser aller Psychohygiene sein mag, so unwichtig ist natürlich die Existenz des Podcasts „Klatsch und Tratsch“ für das Funktionieren unserer Gesellschaft – und genau das braucht die Podcast-Branche.

Diese Branche, die gerade von der Werbewirtschaft entdeckt wird. In der sich darum jetzt auch Karriere-, Abnehm- oder Lebens- Coaches mit unerträglichem Geschwafel ausbreiten. In der Spotify, Deezer, Audible und Co. mitmischen, weil sie Geld wittern (stets gefolgt von dem beleidigten Hinweis der „Ich war schon immer hier“-Fraktion, das seien ja gar keine echten Podcasts – beleidigt auch, weil das große Geld dort bislang ausblieb). Die Branche, in der Zeitungsmenschen sich dafür applaudieren, so lange zu reden wie möglich, einfach weil man es kann, und in der sich plötzlich überraschend viele Podcast-Netzwerk, Podcast-Experte, Podcast-Drehbuch-Autor, Podcast-Coach und was sonst noch alles nennen.

Ein ganz schön großer Teil dieser „Szene“ nimmt sich einfach zu ernst. Elena Gruschka und Max Richard Leßmann tun das nicht. Vermutlich haben viele aus der „Szene“ den Podcast der beiden noch nie gehört. Und darum wissen sie vielleicht auch nicht, dass dieser Podcast monatlich fast einen Tausender einnimmt. Ohne Werbung, sondern von hunderten freiwillig zahlender Fans.

Niemand muss ein Promi sein.

Damit wären wir beim Punkt: Elena Gruschka und Max Richard Leßmann klingen oder wirken vielleicht nicht so, aber sie sind Profis, wenn es um Unterhaltung geht. Sie teilen sich den Manager mit den Goldenen Zitronen, Slime, FerrisMC, Blumfeld und Jochen Distelmeyer. Elena Gruschka hat die Serie „Jerks“ produziert, wofür man ihr auf ewig danken muss, außerdem Stuckrad-Barre, mehrere Musikvideos von „Romano“ und eines für „Kollektiv Turmstraße“. (Außerdem kann sie sich nicht mehr so genau daran erinnern, ob sie mal was mit Ali As hatte oder nicht.) Max Richard Leßmann ist der Sänger von Vierkanttretlager, gibt freimütig zu, dass er vom Kiffen mehrere Tage depressiv wird, und sagt Sätze wie: „Am Mensch geht man zugrunde.“

Den beiden zuhören, das ist, als ob man mit guten Freunden in der Küche sitzt und quatscht. „Klatsch und Tratsch“ mag quirlig sein, laut und unernst, in der Wortwahl mitunter nicht sonderlich korrekt, aber dieser Podcast ruht auf sehr angenehme Weise in sich selbst.

Ein Beispiel: Die Podcast-Szene wird seit geraumer Zeit nicht fertig damit, zu diskutieren, wie man nun mit Werbung umgehen solle. Soll der Gastgeber das selbst sprechen oder nicht? Soll man das klanglich abtrennen oder nicht? Oder soll man es lassen? Auch „Klatsch & Tratsch“ hatte zur Jubiläumssendung zum zweijährigen Bestehen (Episode 125) einen Sponsor. Ein „Sensorsystem zur Familienplanung“, und das klang dann so:

„Das steckt man sich in die Scheide rein, über Nacht – oder sagt man Vulva inzwischen? (…) Und es misst die Temperatur, und Dinge, die wir nicht wissen können. (…) Und dann kannst du sehen, wann du schwanger werden kannst. (…) Keine Hormone! Alles natürlich! Aus der Scheide gemessen! In dein Handy rein! (…) Ich find’s super! Ich werde es Max sofort in seine Scheide einführen!“

Sowas muss man sich trauen (der Werbekunde hört ja mit) – oder wenigstens wissen, dass man ganz schön gut darin ist, Menschen zu unterhalten.

Leider verkifft

Spätestens an dieser Stelle werden nun einige hadern. Eigentlich ganz sympathisch, werden sie sagen, aber vielleicht auch primitiver Mist. Ist das angenehm plump oder doof assi?

Man wird „Klatsch & Tratsch“ nicht ein bisschen okay finden oder manchmal ganz nett. Man wird das mögen oder nicht.

Immer, wenn das Privatfernsehen solche Perlen wie „Bachelor“, „Adam sucht Eva“ oder eben das „Dschungelcamp“ sendet, produzieren die beiden Podcast-Folgen darüber. Das passiert extrem zeitnah und landet dann, anders als sonst, hinter der Bezahlschranke von Patreon.

Privat-TV-Rezension in Fast-Echtzeit. Wenn es geht. Wenn Elena Gruschka aber kurz vor der Aufzeichnung aus Versehen einfach zu viele Hasch-Kekse gegessen hat, geht es nicht. Dann kann man ihr quasi-live dabei zuhören, wie sie abschmiert und der Podcast deswegen abgebrochen werden muss. Wenn dann aber diese abgebrochene Folge eben doch veröffentlicht wird, dann kann man sich fragen: Mit wem würde ich eigentlich lieber in den Urlaub fahren? Mit jemandem, der alles so lange übt und probt, bis es perfekt ist? Oder mit zweien, die eine verkiffte Podcast-Folge veröffentlichen, weil sie es können?

600 Ultras warten nur auf einen Tag

Die zahlende Fangemeinde übrigens nennen Gruschka und Lessmann ihre „Ultras“. Es sind derzeit fast 600. Und sie alle warten nur auf einen Tag: Den Tag X, an dem Gruschka und Lessmann die „geheime Folge“ veröffentlichen. Eine Folge, in der beide nach eigenem Bekunden derartig bekifft waren, dass sie sich das bislang nicht trauten. Für ein lächerliches Schmerzensgeld aber seien beide bereit, sich ihren Stolz abkaufen zu lassen: Sobald bei Patreon die Unterstützer-Schwelle von monatlich 1.000 Euro erreicht ist, soll die „geheime Folge“ raus gehen. Es gibt schlechtere Podcast-Promotions.

Klar wäre es nett, wenn die beiden nicht ans Mikrofon schlagen oder poppen würden. Auch das Lachen von Max ist etwas, dass man mögen muss (wird aber mit der Zeit!). Und ja: Auch ich finde, gute Podcasts verdienen mehr Publikum, als sie heute haben. Podcasts, die Journalistinnen und Journalisten auf echten Recherchen begleiten. Podcasts, in denen Nerds ihr Nerdwissen mit Nicht-Nerds teilen. Podcasts, bei denen man in eine Welt eintaucht, von der man keine Ahnung hatte. Die diese Kino-im-Kopf-Momente entstehen lassen.

Genau so sehr aber mag ich aber Menschen, die in sich ruhen. Die nicht missionieren, niemanden belehren, sich nicht so ernst nehmen. Menschen, die Spaß miteinander haben und einfach machen. Und sei es Gossip.


Der Podcast: Klatsch & Tratsch – Niemand muss ein Promi sein

Für Fans von: Sich mal nicht so ernst nehmen. (Und Gossip).

Der Drink zum Podcast: Cremant, im großen Glas.

Sprichwort zum Podcast: „Man kann’s nicht mit ins Grab nehmen.“

Live erleben: kann man die beiden am 20.5. in Berlin

Unterstützen: Wer selbst „Klatsch-und-Tratsch-Ultra“ werden will, kann das hier.


Nachschlag

Fast täglich starten neue Podcasts mit interessanten Konzepten. Wir schaffen es nicht, die alle zu besprechen, wollen aber trotzdem schon mal auf ein paar neue Formate hinweisen. Dies sind drei Neustarts, die uns aufgefallen sind:

  • Hart unfair – ein Podcast von drei Freunden die über Politik und Pop culture reden“ von Yelda Türkmen, Ann Dushime und Ari Goldzweig. In der ersten Folge geht es unter anderem um Karneval.
  • „Filterbabbel“ von Ann-Kathrin Büüsker und Karolin Schwarz, zwei Journalistinnen, beide im Digitalen zuhause. Sie sprechen über „technologische Entwicklungen und gesellschaftliche Diskussionen im digitalen Raum – und wie sich beides bedingt“.
  • FRÜF – Frauen reden über Fußball„. Wie der Name schon sagt. Es geht um Sexismus im Stadion, Anti-Rassismus-Kampagnen, weibliche Fußball-Sozialisation. Die Macherinnen sagen über sich selbst: „Wir sind Fans, Journalistinnen, Spielerinnen – und manche von uns sogar alles davon. (…) FRÜF ist keine Sportschau in Rosa und keine Analyse von Spielerfrauen-Instagram-Profilen (…). Wir geben dabei weiblichen Perspektiven und Stimmen eine Plattform, die in anderen Sendungen einfach viel zu selten auftauchen – weil wir es können.“

2 Kommentare

  1. Indem man so einen Podcast popolär! macht
    bringt man die Menscheit der Apu-kahlüpserei !näher!!!
    Lasst das bitte…
    Das Ende der Humanität ist auch das Ende einer wohlgepflegten Presselandschaft…
    Englischer Garten Stadt Dschungel.
    Sorry,zuviele Schoko-Eier! und dann dieses Gras!!

  2. Podcast – Kritiken…

    Mir „nutzt“ diese seltsame Kolumne nur insofern, als ich weniger Zeit in Übermedien verbringe. Weniger wäre viel mehr!

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