Nicht unproblematisch: Die Podcast-Begeisterung der Zeitungsverlage
Lenz Jacobsen klingt am Telefon genau wie im Podcast: fokussiert, engagiert, manchmal fast aufgeregt. Viele Sätze sind auf den Punkt, aber immer wieder verläuft er sich auch, muss neu ansetzen, die Stimme überschlägt sich. Kurz: Er redet, wie Menschen reden, allerdings nicht wie ein Medienprofi im Fachgebiet Audio, was er aber ist – jedenfalls auch.
Gemeinsam mit den „Zeit“-Korrespondenten aus Zürich und Wien, Matthias Daum und Florian Gasser, produziert Jacobsen, Leiter des Ressorts Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bei „Zeit Online“, seit mehr als einem Jahr einmal in der Woche den Politik-Podcast „Servus. Grüezi. Hallo.“ Ob steigende Mieten, politischer Populismus oder die Frage, wie tierfreundlich die Zoos bei ihnen sind: In österreichischem Singsang, Schweizer Chchchch und leicht angeruhrpottetem Hochdeutsch diskutieren sie, was alle drei Länder angeht.
„Wir sind ein transalpines Streit-Projekt“, sagt Jacobsen. „Im Podcast können wir aufeinander reagieren. Als Gesprächsprotokoll funktionierte das nicht.“
Als Schreiber vorm Mikrophon sind sie nicht alleine. Zehn Podcasts hat der Zeit-Verlag derzeit im Sortiment. „Was jetzt“ bietet früh einen kurzen Überblick über die Themen des Tages. Sophie Passmann und Matthias Kalle besprechen als „Die Schaulustigen“ das Fernsehen. Und „Ist das normal?“ beantwortet alle zwei Wochen Fragen zu Sex.
Auch andere sonst auf Text abonnierte Medien wollen den Podcast-Trend nicht verpassen: Bei der „Süddeutschen Zeitung“ geht es um Sport und Tagesaktuelles, bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ um Gesundheit und Justiz. „Spiegel Online“ macht sich in der Politik auf „Stimmenfang“, „T-Online“ vertont den „Tagesanbruch“-Newsletter der Chefredaktion, und der „Stern“ hat mit „Faking Hitler“ gerade eine zehnteilige Podcast-Serie über seine Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher fertiggestellt.
In der Podcaster-Szene sieht man die Art, wie die Print-Leute plötzlich dieses Medium entdecken und nutzen, mit gemischten Gefühlen. So schön die Begeisterung für die Welt des gesprochenen Wortes ist, so sehr beschleicht manche das Gefühl, dass da immer wieder auch eine Geringschätzung zu spüren ist: Allzu oft scheine es, als ob das ein Medium wäre, für das man kein oder kaum Knowhow mitbringen muss. „Rough & Dirty“ – ist ja nur Audio.
Einfach mal machen: „Radio-Kollegen nicht unsere Konkurrenz“
Lenz Jacobsen sagt, ein Sprechtraining oder sonst eine besondere Ausbildung hätten alle drei für ihren Podcast weder bekommen noch gewollt. „Wir wollen kein Radio machen und können das auch nicht. Würden wir das versuchen, klängen wir wie der ,Deutschlandfunk’, nur schlechter.“ Vor den klassischen Radio-Leuten habe er Respekt. „Aber das ist gar nicht unsere Konkurrenz.“
Andererseits glaubt Jacobsen, dass die Radio-Leute von den Audio-Versuchen der Print-Kollegen lernen könnten. „Mittelfristig fände ich es total gut, wenn wir das klassische Radio inspirieren, es besser zu machen.“ Also: neue Formate und andere Herangehensweisen. Bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten dauere es ja oft sehr lang, Änderungen anzustoßen. „Für uns als Verlag ist es vielleicht einfacher, einfach mal zu machen.“
Sandra Müller ist freie Hörfunkjournalistin, unter anderem für den Südwestrundfunk, und engagiert sich bei Fair Radio für ein glaubwürdiges Radio. Eigentlich findet sie es gut, wenn sich der Audio-Markt entwickelt und durch Ausprobieren neue Impulse bekommt. „Das ist wie bei Youtube und dem Fernsehen“, sagt sie: Ersteres steht für frischen Wind und Experimente, Letzteres für Professionalität. Indem man sich gegenseitig kopiere, würden alle Ergebnisse besser. Dennoch sei es schade, wie offensichtlich viele Verlage die Expertise der Audio-Profis verschmähten. „Es gibt doch engagierte Freie! Warum holen die Verlage sich die nicht?“
Fehlende Anerkennung: Wie Fernsehen, nur ohne Bild?
Für Müller ist das auch ein Zeichen fehlender Anerkennung für die Arbeit, die eine Audio-Produktion erfordere. „Stimmenfang“ von „Spiegel Online“ sei zum Beispiel gut gemacht. Anderes klänge aber unbeholfen oder wie vorgelesen. Besonders ärgert sie sich über die „Stern“-Serie „Faking Hitler“: „Weder handwerklich noch inhaltlich entspricht sie den Ansprüchen an modernes Audio-Story-Telling. Als Thema ist das total verschenkt.“
In Deutschland hielten viele Audio für Fernsehen ohne Bild – oder halt einfach Geplauder. Wer jedoch den US-amerikanischen Erfolgsproduktionen wie „Serial“ oder „This American Life“ nacheifern wolle, müsse redaktionellen und auch finanziellen Aufwand anerkennen. Das falle den Verlagen – allerdings auch öffentlich-rechtlichen Redaktionen – schwer. „Ein Mehrteiler eines Verlags muss nicht klingen wie ein klassisches Feature. Aber er muss gut gemacht sein“, sagt Müller. Manche dieser Podcasts seien das nicht.
Derzeit experimentieren diese viel und in allen Genres: Es gibt freundlich als „Laber-Podcasts“ bezeichnete Formate, also aufgezeichnete Gespräche wie den transalpinen Podcast der „Zeit“. Daneben stehen Angebote, die mit O-Tönen und Atmosphäre arbeiten und sich Richtung klassisches Radio-Feature orientieren. Andere lassen einfach Artikel einlesen. Es wird auf jeden Fall viel produziert – dabei könnte es helfen, nicht so sehr auf Masse zu setzen, sondern stattdessen Ressourcen zu bündeln und weniger, aber dafür bessere Podcasts zu produzieren.
Liveschalte ausm Schrank: Auch Sprechen will gelernt sein
Schon bei der Technik und der Audio-Qualität gibt es große Unterschiede. Manches rauscht und klingt, als säße der Moderator mit seinem Smartphone zu Hause im Schrank. Aber auch die Art, Themen zu erzählen und die Hörer mitzunehmen, beherrschen nicht alle.
„Sprechend eine Geschichte zu erzählen ist etwa anderes, als sie aufzuschreiben“, sagt Ann-Kathrin Büüsker. Sie moderiert beim Deutschlandfunk und produziert den DLF-Nachrichtenpodcast „Der Tag“. Sie kennt beide Welten.
„Podcasts funktionieren anders als klassisches Radio“, sagt sie. Einen guten Podcast könne auch jemand mit Sprachfehler machen. Authentizität sei in dem Format viel wichtiger als technische Perfektion. Das ist aber leichter gesagt, als hinters Mikro gebracht: „Da gibt es kein Handbuch. Das muss man mit der Zeit lernen“, sagt Büüsker. Allerdings bekämen auch nicht alle Hörfunkjournalisten das gut hin.
Auch Büüsker ist keine beleidigte Expertin, die sich daran stört, dass schreibende Kollegen im eigenen Revier auftauchen. „Richtig, richtig gut“, findet sie das Engagement der Verlage. „Es entstehen tolle Dinge, und es macht das Medium bekannter.“
Sorgen macht sie sich dennoch – und zwar um die Freiheit der Szene. „Podcasts geben den Ungehörten eine Stimme“, sagt Büüsker. Neben den Verlagen und etablierten Sendern überschwemmen auch Angebote der Streaming-Portale wie Spotify oder Deezer den Markt. Sie sorgen für Kommerzialisierung und Formatierung und machen es unabhängigen Anbietern schwer, die am Küchentisch plaudern.
Andere langgediente Podcaster hatten sich dagegen erhofft, dass die neuen Mitspieler zu einer Professionalisierung beitragen könnte – auch mit gemeinsamen Standards, was die Reichweiten-Messung angeht. Stattdessen machten große Verlagsmedien teilweise die Werbepreise kaputt.
Neuer Wind in alten Verlagen
Etabliert, formatiert, kommerzialisiert: Auf die „Süddeutsche Zeitung“ trifft all das zu. Und doch hat man so ein dynamisches Start-up-Gefühl, wenn man mit Laura Terberl spricht. Seit Anfang des Jahres leitet sie das vierköpfige Audio-Team ihres Verlags. Im November 2017 startete der Podcast „Das Thema“, der einmal pro Woche im Gespräch mit Redakteuren Hintergründe zu einem Thema liefert. Im Sommer folgte der wochentägliche Nachrichtenüberblick „Auf den Punkt“ . Drei weitere Podcasts werden zugeliefert und lediglich im Haus produziert.
„Für mich steht die SZ dafür, Hintergründe zu erklären und Geschichten zu erzählen“, sagt Terberl. „Podcasts sind ein zusätzliches Format, das zu tun.“ Zudem sollen neue Zielgruppen erschlossen werden. Die Auflage der SZ sinkt, aktuell verkauft sie 345.000 Exemplare. Eine Folge „Das Thema“ generierte im Januar im Durchschnitt 48.000 Streams und Downloads, „Auf den Punkt“ etwa 20.000.
Themen suchen sich die Podcaster unabhängig von der Zeitung. „Oft machen wir einen Schritt zurück und erzählen auch die Dinge, von denen unsere Redakteure meinen, das wisse man alles längst.“ Für die SZ fungieren Terberl und ihr Team damit als Meta-Journalisten: Sie befragen Kollegen im Haus und kombinieren diese Expertengespräche mit eigenen Moderationen und Sound-Schnipseln. Weitere O-Töne spielen anders als bei klassischen Radio-Reportagen kaum eine Rolle. „Wir haben für uns festgestellt, dass die viel Arbeit machen, ohne den gewünschten Effekt zu erzielen.“ Sie kämen nur noch zum Einsatz, wenn sie Emotionalität transportierten.
Solche Experimente machen für Terberl die Arbeit aus: „Ich finde es super spannend, dass es im Medium Podcast nicht seit zehn Jahren den Goldstandard gibt, dem man nur noch nacheifern kann.“ Wie ihre Mitarbeiter hat sie Audio-Erfahrung beim Hochschulradio gesammelt. Auf eine längere Zeit beim Radio blickt keiner zurück. Dafür hat ihnen der Verlag einen Sprechtrainer und ein professionelles Mini-Studio spendiert. „Mit dieser Ausstattung sind wir unter den Verlagen schon eher die Ausnahme. Hinter den Möglichkeiten der öffentlich-rechtlichen Sender stehen wir aber weit zurück.“
Frischer Audio-Pfeffer: Reinstolpern und drauf einlassen
Erzählen, das könnten die sonst schreibenden Kollegen der „SZ“, sagt Philip Banse. Die Art der Präsentation ist ihm jedoch zu steif und unpersönlich. „Das ist aber Geschmacksfrage. Was Radio-Sender an Podcasts produzieren, ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss.“
Banse ist freier Hörfunkjournalist und arbeitet für das Deutschlandradio. Mit dem Podcast-Label „Küchenstudio“ produziert er zudem eigene Audio-Formate, darunter den wöchentlichen Polit-Podcast „Lage der Nation.“
Bei den Verlagen beobachtet er heute, was er aus seinen eigenen Podcast-Anfangstagen Mitte der Nuller-Jahre kennt: „Wir haben damals alles professionelle Hörfunk-Journalisten-Wissen über Bord geworfen und ganz neu gedacht“. Lediglich die technische Ausstattung und damit eine gute Audio-Qualität habe sich als unverzichtbar erwiesen. „Es ist eine schöne Sache, dass Leute ins Format reinstolpern und sich darauf einlassen“, sagt Banse. „Sie geben dem Audio neuen Pfeffer. Ich finde das eine Bereicherung.“
Korrektur 23:58 Uhr. Der Newsletter von t-online heißt natürlich „Tagesanbruch“, nicht „Tagesanfang“. Danke für den Hinweis! Wir haben es korrigiert.
Liebe Frau Wiedemeier,
ganz aus meinem Herzen gesprochen: Danke!
Es hat mich auch überrascht, dass viele Verlage auf Hörfunk-Know-How verzichten.
Ich vermute dahinter auch immer ein Stück Arroganz – doch das ist natürlich „nur so dahin gesagt.“